Bimota steckte seit 1973 schon Motoren vieler verschiedener Hersteller in selbst entwickelte, leichte und hochperformante Chassis. So entstanden DB- (Ducati-Bimota), SB- (Suzuki-Bimota), YB- (Yamaha-Bimota), HB- (Honda-Bimota), BB- (BMW Bimota), GB- (Gilera-Bimota) und sogar HDB-Modelle (Harley-Davidson-Bimota). Damit ist Schluss, seit Kawasaki Ende 2019 49,9 Prozent der Anteile an Bimota erwarb.
Nur noch ein Name
Ab jetzt gibt’s nur noch KBs – Kawasaki-Bimotas, selbst wenn die Tesi H2 sich traditionell der Nomenklatur entzieht. Die erste dieser neuen Reihe ist die KB4 – die Zahl steht für die Projektnummer- , ein schlankes, vollverkleidetes Retro-Bike mit dem Antriebsstrang der aktuellen Kawasaki Ninja 1000 SX. Da stellt sich die Frage: Ist die KB4 eine Bimota-typisch radikale Sportlerin oder behält sie einen Teil der Tourentauglichkeit der SX? Auf dem Autodromo di Modena beantwortete MOTORRAD diese Frage.
Kawa-Motor im Leichtbau-Rahmen
Die Wahl einer Rennstrecke als Präsentationsterrain könnte man als erstes Indiz für die Auslegung der KB4 verstehen. Und würde es prompt falsch auslegen, wie ein Gespräch mit Chefentwickler Pierluigi Marconi offenbart. Für ihn ist klar, dass man für ein kompromissloses Sportbike natürlich den 998-Kubik-Reihenvierer des Superbikes ZX-10R gewählt hätte. Stattdessen spannte das nur 13-köpfige Bimota-Team für die KB4 den 1043-Kubik-Reihenvierzylinder (111 Nm, 142 PS) des Tourensportlers Ninja 1000 SX in einen Stahl-Gitterrohrrahmen volltragend ein. Mit dem Motor sind das selbsttragende Carbon-Rahmenheck verschraubt und über Adapterplatten die Aluminium-Schwinge. Abgesehen von der Wahl des Antriebs geht’s zunächst wie gewohnt supersportlich zu: edel, leicht und auf das bestmögliche Handling ausgelegt.
Sichtschutz und Windkanal aus Carbon
Äußerlich erkennt man von der aufwendigen Konstruktion nicht allzu viel, denn eine auf den ersten Blick sehr üppige Carbon-Verkleidung umschließt Chassis und Motor. Ihr Design ordnet sich der Funktion unter: Besonders auffällig sind optisch links wie rechts dominante Kanäle, die den an der Front eingefangenen Fahrtwind zum im Heck liegenden Wasserkühler leiten. Für ihn ist zwischen Motor und Vorderrad bei der Neuauslegung von Geometrie und Schwerpunkt kein Platz geblieben, weshalb man ihn unterhalb des straff gepolsterten Sitzes anbrachte.
Kompakte Ergonomie, großartiges Handling
Im Vergleich zur Ninja 1000 SX sollen nun dank dieser aufwendigen Konstruktion statt 51 ganze 54 Prozent des Gewichts auf dem Vorderrad lasten. Durch die tiefen, aber nah am Fahrer liegenden Lenkerstummel bringt man zusätzlich Druck auf die Front, ohne sich unangenehm weit nach vorn strecken zu müssen. Zwischen dem hohen 19,5-Liter-Tank (ein erstes eindeutiges Indiz für Langstreckentauglichkeit) und dem hinteren Höcker bleibt aber nicht viel Raum, um auf dem rutschigen Sitzpolster herumzuturnen.
Insgesamt ist die KB4 um ein Vielfaches leichter als ihre Motor-Spenderin. 41 Kilogramm (194 statt 235) weniger gibt Bimota selbst an. Angesichts des federleichten Handlings ein glaubwürdiger Wert. Die KB4 fällt nur beim Gedanken an einen Richtungswechsel oder beim Blick in die gewünschte Richtung in Schräglage. Mit kurzem Radstand (1.390 Millimeter), nicht zu steilem 66-Grad-Lenkkopfwinkel und moderatem Nachlauf von 100,8 Millimetern konstruiert das Bike ein sehr harmonisches Lenkverhalten, sowohl in langsamen wie in schnellen Kurven und gibt in tiefen Schräglagen ein sattes Anlehngefühl und viel Vertrauen.
Gelungenes Fahrwerk
Die KB4 verhält sich wie ein leichter Supersportler, fordert aber nur wenig Körpereinsatz fürs flotte Carven und deutet damit eine weitere, am ersten Testtag eine nicht genauer ergründbare Landstraßen-Tugend an. Mit Einsatz über den verwinkelten Kurs von Modena geritten, gefällt die Leichtfüßigkeit aber mindestens genauso gut. Die Supercorsa-SP-Bereifung von Pirelli hat am Wie-auf-Schienen-Gefühl einen nicht unerheblichen Anteil. Unterstützt vom Öhlins-Fahrwerk mit FG-R&T-43-NIX30-Gabel gibt bei grandioser Stabilität ein sehr klares Feedback von der Front. Das TTX-36-Federbein tut es am Heck gleich und kommt selbst dann nicht ins Schwingen, wenn in Schräglage hart beschleunigt wird.
Motor überall stark, Elektronik solide
In der Beschleunigungsphase traut die japanische Elektronik dem Reifen eine Menge zu und hält die 111 Newtonmeter Drehmoment bei 7300/min nur sehr selten zurück. Von der Ninja 1000 SX wurde Hard- und Software übernommen. Bedeutet: Vier Fahrmodi (einer frei programmierbar), zwei Leistungsmodi (Full = 100 Prozent, Low = 75 Prozent), dreistufig einstellbare Traktionskontrolle und ein nicht weiter einstellbares ABS. Bei letzterem nahmen die Italiener zusammen mit Lieferant Bosch eine Anpassung an die KB4 vor, die Auslegung bleibt aber für ein Sportmotorrad defensiv. Wer spät ankert, dem wird ab und zu die Bremse vom Blockierverhinderer grob geöffnet. Die Folge: Unruhe in der Front. Zugegeben, dieses Problem wird auf der Landstraße nicht auftauchen, sondern KB4-Treiber nur auf dem Track begleiten. Die starken Brembo-Anker mit Stylema-Sätteln und 320-Millimeter-Scheiben stoppen die KB4 abgesehen davon unter Dauerbelastung on point und bieten einen klaren Druckpunkt.
Kuschelweicher Vierer
Die Gasannahme des ausgereiften Kawasaki-Vierers verdient bei Full- und Low-Power das Prädikat "kuschelweich". Hier zahlt sich die Wahl des Motors aus, denn die supersportliche ZX-10R ist auch in der Generation 2022 noch bekannt für ein eher raues Ansprechverhalten. Ganz im Gegensatz zur Ninja 1000 SX, deren unter dem Kunststoff-Tank liegende Airbox beim Beschleunigen Luft heiser durch die unterschiedlich langen Ansaugtrichter schlürft und den leisen säuselnden, klobigen Endtopf übertönt, der selbst mit Bimota-Blende nicht wirklich zu einem ästhetischen Teil werden will. Im Bimota-Zubehör findet sich formschönere Abhilfe dafür. Die 142 Pferdestärken bei 11.000/min genügen indes locker und kurze Zwischengeraden des Autodromo di Modena werden zu Dragstrips. Über das gesamte Drehzahlband vibriert der Motor nicht unangenehm, schiebt einfach kraftvoll an. Eine Charakteristik, die vor allem dann hilft, wenn man vor der Kurve aus Unachtsamkeit die Gänge im fest rastenden Getriebe per Quickshifter mit Blipperfunktion nicht richtig sortierte.
Preise und Verfügbarkeit
Doch diesen Abstecher konnten wir bei der ersten Testfahrt wie erwähnt noch nicht machen. Eine starke Rennstrecken-Performance darf der KB4 aber ohne Einschränkungen attestiert werden. Den Landstraßen-Check liefern wir alsbald nach, wenn Testmotorräder in Deutschland verfügbar sind. Apropos: Kunden können die KB4 schon jetzt zum Preis von 35.700 Euro bei den drei Bimota-Händlern in Deutschland bestellen.