Konkurs, Pleite, Schluss, aus, fertig? Von wegen. Unter der Regie von Aprilia leben die stämmigen Moto-Guzzi-Twins wieder auf. Allen voran die sportliche V11, die die traditionelle Le Mans-Baureihe fortsetzt.
Konkurs, Pleite, Schluss, aus, fertig? Von wegen. Unter der Regie von Aprilia leben die stämmigen Moto-Guzzi-Twins wieder auf. Allen voran die sportliche V11, die die traditionelle Le Mans-Baureihe fortsetzt.
Krachend wirft sich der Anlasser in die Verzahnung, bringt nur mit Anstrengung den massigen 1100er-Twin in Schwung. Einen Kolbenschlag später schüttelt sich der mächtige Antrieb wie ein nasser Hund, findet seinen Rhythmus - und läuft. Nein, falsch: Er bebt. Immer wieder ein kleines Erlebnis, so eine Guzzi. Allein der Motor: eine waschechte Verbrennungsmaschine. Schlürft gierig nach Luft und Sprit, hämmert im Arbeitstakt unüberhörbar auf die Kolben ein, ballert lustig seinen Baß in die Landschaft. Jeder Gasstoß gibt Ross und Reiter einen Schubs nach rechts - Rückdrehmoment heißt das Spielchen im Fachjargon und hat seine Ursache in der in Längsrichtung rotierenden Kurbelwelle.
Erst einmal in Fahrt, zeigt sich der luftgekühlte Zweiventiler von einer ganz anderen Seite. Für einen 1100er-Twin hängt er unter 4000/min fast ein bißchen schlapp in den Seilen, viel lieber lässt die Guzzi die Stoßstangen tanzen, dreht locker vom Hocker und mit ordentlich Schmalz bis in den roten Bereich bei 8000/min. Vibrationen in allen Frequenzen gehören dazu, vom brummeligen Schütteln bis zum herben Kribbeln bei Höchstdrehzahl. Vom Auf und Ab der Motormassen erfasst, zittern Rückspiegel und Verkleidung, einem mittelschweren Erdbeben gleich, um die Wette. Guzzi eben.
Passend zum quirligen Motor wechseln trotz der immer noch relativ langen Schaltwege die Gänge exakt und schnell ihre Position, findet der Leerlauf ohne langes Gefummel seinen Platz. Klasse auch die gut dosierbare und leichtgängige Trockenkupplung der neuen V11 Le Mans.
Obwohl die Kardanreaktionen über eine Momentabstützung am Rahmen abgefangen werden, geht bei Lastwechseln und Schaltvorgängen immer noch ein Ruck durchs Gestühl, schwankt die Le Mans wie beschwipst aus der Spur. Ein Umstand, der wie eh und je einen flüssigen, vorausschauenden Fahrstil erfordert. Guzzi fahren ist eben Guzzi fahren, und das will gelernt sein. Im Kurvenrevier sollten beim eiligen Ritt die Gänge rechtzeitig sortiert sein, das Gas zur Kurvenstabilisierung möglichst früh angelegt und konstant aufgezogen werden. Wer den Bogen raus hat, erlebt die beste Guzzi, die es je im Serientrimm gab. Straff abgestimmte Federelemente mit breitem nutzbaren Einstellbereich, der erheblich verbesserte, weil im Bereich der Schwingenlagerung versteifte Rahmen und die tadellosen Bridgestone BT 020-Pneus im bewährten 120/180er-Format auf 3,50 und 5,50-Zoll-Felgen verhelfen der Le Mans nun zu erstaunlichen Qualitäten in Sachen Lenkpräzision, Kurvenstabilität und Rückmeldung. Von der verzwickten Kehrtwende um windige Haarnadelkurven bis zum Tiefflug durch weites Geläuf, die neue Guzzi hats einfach drauf und knüpft endlich an die legendären Fahrwerksqualitäten der Ur-Le Mans von 1975 an.
Dank der neuen Bereifung und dem gegenüber der alten V11 um 19 Millimeter verlängerten Radstand (der Lenkkopf wurde weiter nach vorn versetzt), brettert die neue Le Mans ohne Pendeln mit einer Topspeed von immerhin 2xx km/h über die Bahn. Nur der einstellbare Bitubo-Lenkungsdämpfer bekommt zuweilen Arbeit, wenn die Lenkung auf zerfurchten Straßen und Holperstrecken zum deutlichen Kickback ansetzt.
Auch wenn die über den Gabelbrücken angeklemmten Lenkerstummel und die hohe, im klassischen Stil gehaltene Halbschale eher touristischen Ansprüchen gerecht wird, ist die Le Mans auch sportlichem Galopp nicht abgeneigt. Ein breites, sehr bequemes Sitzpolster, der schlank eingezogene Kunststofftank und gut positionierte Rasten ergeben eine kompakte, versammelte Sitzposition, aus der sich die Guzzi auch im artistischen Hanging-off meisterlich dirigieren lässt. Doch aufgepasst, in Linkskurven stolpert der Sportsmann allzu früh über den ausladenden Seitenständer, der rigoroses Umlegen mit einem ausgehebelten Vorderrad quittiert. Schade, schade.
Guzzi-Treiber mit weniger sportivem Engagement kommen mit der neuen Le Mans dagegen ohne Abstriche auf ihre Kosten. Weil der unterhaltsame Twin und das verlässliche und frei von allen Hinterhältigkeiten agierende Fahrwerk lange Strecken mit Kurzweile verschönen. Und weil die weit nach hinten gezogene Kuppel der Halbschale Wind und Wetter trotzt. Passend zum gutmütigen Charakter, verzichten die Brembo-Bremsen auf jegliche Giftigkeit bei Schreckbremsungen, verlangen jedoch nach kräftigem Zupacken, um die XXX Kilogramm schwere Italienerin zu stoppen.
Auf eine Begleitung müssen Guzzistis zwar nicht verzichten, doch das unterm verschraubten Bürzel versteckte Sitzbrötchen ist zu kurz, zu hoch, und nur gut trainierten Yoga-Könnern zu empfehlen.
Auf japanischem Standard dagegen, und das will was heißen, funktionieren Schaltereinheiten und Hebeleien. Dasselbe gilt für die in Chrom gefassten und auf edlem Kohlefaser montierten Instrumente, von denen der Tachometer noch in klassischer Maschinenbau-Manier über Winkeltrieb und biegsame Welle in Bewegung gesetzt wird.
In Sachen Verarbeitung sind eindeutige Fortschritte auszumachen. Passgenaue Kunststoffteile, die satt einrastende Sitzbank, ordentlich verlegte Elektrikbauteile und stahlummantelte Benzin- und Ölleitungen zeugen vom Willen zur Qualität. Fraglich jedoch, ob sich die auf Motor, Getriebe- und Kardangehäuse aufgebrachte schwarze und feinporige Schrumpflack-Oberfläche nach ausgiebigen Regenfahrten wieder in einen neuwertigen Zustand versetzen lässt. Fraglich auch, ob die reichliche Verwendung von Plastikverschalungen an der XXXXX Mark teuren Le Mans die Leidenschaft echter Guzzi-Liebhaber entfachen kann.
Es gibt Momente, die vergisst man nicht. Zum Beispiel den, als ich 1976 eine der ersten Guzzi Le Mans aus ihrer hölzernen Transportkiste schälte. Feuerrot und gertenschlank, mit knubliger Lenkerverkleidung und schwarzer Stufensitzbank - das Sportgerät schlechthin. Der Motor schlürfte durch offene Ansaugtrichter die Luft zum Atmen, schier ungedämpfte Lafranconi-Tüten entsorgten die Abgase melodiös aber lautstark. Der 850er Twin hing im eng geschlungenen und stabilen Doppelschleifen-Rahmen, vorn federte eine Telegabel mit - damals eine Sensation - geschlossenen Dämpferkartuschen, hinten machten ein paar Konis die Sache perfekt. In Sachen Stabilität und Kurvenverhalten hatten die Nippon-Bikes keine Chance und auch die Motorleistung war der Konkurrenz nahezu ebenbürtig. Der Le Mans folgte die Le Mans II und III mit etwas mehr Plastikverschalung. Mitte der 80er Jahre erschien die Le Mans IV, bei der die runden Zylinder gegen die kantigen Bauteile mit dem vollen Liter Hubraum und Nikasilbeschichtung getauscht wurden. Dem Trend angepasst, rollte sie vorn auf einem 16-Zoll-Rad, womit leider die vorzüglichen Fahreigenschaften verschwunden waren. Qualitätsprobleme wie undichte Simmerringe, Ärger mit der Elektrik und andere Kleinigkeiten machten den Guzzis schwer zu schaffen und vergraulten die Kundschaft. Erst jetzt sieht man wieder Licht am Ende des Tunnels.