»Jetzt kommt die Autobahn-Auffahrt - Feierabendverkehr. Aber so ein schmales Motorrad hat da keine Probleme. Nur eines: Es gibt andere Verkehrsteilnehmer, die einen nicht vorbeilassen wollen...Wenn man dann drängelt und drängelt, dann gehen sie schließlich lässig drei Zentimeter zur Seite. Aber es genügt. Im vierten Gang von 6000/min auf 8500/min ist nur eine Wimpernzucken! Schaltet man auf den fünften Gang, so ist nachher weitere Beschleunigung vorhanden. Bis zu 8200/min habe ich mich getraut, und wenn der Drehzahlmesser richtig anzeigt, wären das etwas mehr als 200 km/h gewesen. Der Winddruck ist enorm, man klammert sich mit den Knien an der Sitzbbanknase fest und hängt buchstäblich am Lenker. Und deutlich spürt man, daß der Spaß noch nicht im Ende ist.« Die Älteren unter den MOTORRAD-Lesern kennen dieses Zitat. Es läßt auch heute noch die Erregung ahnen, die den Autor, Ernst »Klacks« Leverkus, bei seiner Jungfernfahrt mit der Honda CB 750 befiel. Als erstes Superbike der Neuzeit hatte die »Four« an die 70 PS - genug, um damit in atemberaubenden 20 Sekunden von null auf 180 km/h zu beschleunigen.
Dreißig Jahre später, und wieder kommt die Autobahnauffahrt. Drei Maschinen fassen in der Einfädelgasse kurz und geschmeidig Tempo, schnalzen nach kurzem Sondieren der Lage in einem Arbeitsgang querbeet zur linken Spur - und machen sich umgehend im Rückspiegel einer zügig dahingleitenden herrschaftlichen Limousine breit. Der Fahrer läßt seinen rechten Fuß aufs Bodenblech sinken, um bei 200 km/h die Hoffnungslosigkeit seines Versuchs zu erkennen, die Verfolger abzuschütteln: In einer ebenso partnerschaftlichen wie weisen Entscheidung beschließt er, das Feld zu räumen.
Auch an Bord der Honda CBR 1100 XX , der Kawasaki ZZ-R 1100 und der Suzuki GSX 1300 R Hayabusa ist in dieser Sekunde eine Entscheidung gefragt: Einfach nur am Gasgriff drehen, einmal zurückschalten oder gar zweimal auf den Schalthebel tippen, um die gebotene Gelegenheit zu freier Fahrt angemessen zu nutzen?
Die erste Variante, das aus dem Handgelenk geschüttelte Beschleunigen, bietet durchaus glückhafte und befriedigende Momente. Man wird Zeuge, wie die Motoren die Aufschwünge ihrer Leistungskurven maßstabgerecht auf den Asphalt übertragen, sich mit steigendem Tempo zunehmend energisch ins Zeug legen. Der solchermaßen erzielte Geschwindigkeitszuwachs reicht in der Regel allemal, um sich hurtig davonzumachen. Wobei es an der Suzuki ist, die eindrucksvollste Machtdemonstration zu liefern. So bemerkenswert dynamisch Honda und Kawasaki bei geöffneten Drosselklappen im sechsten Gang davonfliegen - die Suzuki, mit gnadenlosen Punch in allen Drehzahletagen gesegnet, stiehlt ihnen erbarmungslos die Schau.
Variante zwei - ein Gang retour - markiert die Wende vom eher beiläufig vorgetragenen Voranschnellen zum ernsthaften Beschleunigen. Und ist doch nur ein Vorgeschmack für das Szenario, dem sich die Fahrer bei erschöpfender Ausnutzung der Leistungspotentiale - Variante drei - ausgesetzt sehen. Nun bewegen sich die Drehzahlmessernadeln propellerartig, das Spiel der Kräfte wird gesamtkörperhaft erlebt, der dramatische Geschwindigkeitszuwachs zwingt zur Demutshaltung vor den heranstürmenden Luftmassen, das vormals breite Asphaltband verdichtet sich zu einer hohlen Gasse, an deren Rand der Rest der motorisierten Welt den Rückwärtsgang eingelegt zu haben scheint.
Tempo 250. Honda und Kawasaki, in ein internes Kopf-an-Kopf-Rennen verwickelt, haben längst den Anschluß an die Suzuki verloren und stoßen allmählich an die Grenzen der Leistungsfähigkeit ihrer Motoren. Nur mehr zäh schleppen sich die Tachonadeln über den letzten Zifferblattquadranten, statt sichtbarer Vorwärtsbewegung herrscht nun zähes Ringen um jeden weiteren Skalenstrich. Echte 280 respektive 283 km/h schauen am Ende heraus - nicht schlecht, besonders für die nach der Papierform unterlegene ZZ-R.
Die Suzuki hat klar den stärkeren und längeren Atem. Ihr Vorwärtsdrang verliert deutlich später an Durchschlagskraft und rechtfertigt auch dann noch die Bezeichnung »Beschleunigung«, wenn die beiden Mitstreiterinnen den Kampf mit den Fahrwiderständen längst verloren haben. Und ihre Höchstgeschwindigkeit verdient, in Stein gemeißelt zu werden: glatte, saubere 300 Sachen - von einem eher großgewachsenen Menschen ohne Anwendung irgendwelcher aerodamischer Tricks erzielt.
Angst? Wenn das Bild der Umgebung zum Videoclip wird, der per schnellem Vorlauf mit 80 Metern pro Sekunde auf eine sturmumtoste Plexiglaskuppel projiziert wird, ist dafür keine Zeit. Alle Aufmerksamkeit ist darauf fokussiert, den Gang der Dinge vorauszuahnen und unablässig Entscheidungen bezüglich der Verkehrslage zu treffen. Möglichst die richtigen: Um etwa die Geschwindigkeit von 280 auf 140 km/h zu reduzieren, braucht es - bei einer Reaktionszeit von einer Sekunde - mindestens 300 Meter.
Von technischer Seite droht vordergründig kein Ungemach. Weitgehend unbehelligt von äußeren Störimpulsen, seien es Irregularitäten der Fahrbahn oder zausende Luftwirbel, zeigen sich die drei Fahrwerke als brave Geradeausläufer. Mit leichten Vorteilen für die Hayabusa, die auch dann noch wie an der Schnur gezogen läuft, wenn CBR und - noch ausgeprägter - ZZ-R unter besagten Einflüssen bisweilen in leichtes, harmloses Kopfschütteln verfallen. Das latente Risikio eines technischen Defekts fährt freilich immer mit. Ein versagender Hinterreifen, eine reißende Kette - nicht auszudenken.
Körperlicher Streß? Wenig. Am wenigsten auf der Kawasaki, deren Verkleidung das größte Loch in die Atmosphäre schneidet und selbst dann ordentlichen Windschutz bietet, wenn sich der Fahrer nicht völlig um den Tank gewickelt hat. Die beiden anderen Maschinen verlangen mehr Hingabe, ehe ihr Bedienungspersonal in den Genuß umfassender Windstille kommt. Unterwegs in eher konventionellen Geschwindigkeitsbereichen, mit verhalten gebeugtem Oberkörper, verkehrt sich der Vorteil der Kawasaki-Schale ins Gegenteil: Von der Verkleidungsscheibe verursachte Wirbel treffen den Helm und sorgen für unschönes Getöse. Honda und Suzuki, beide geduckter karossiert, halten die Wirbelschleppen - und die Geräusche - auf niedrigerem Niveau.
30 Jahre technischer Fortschritt, und herausgekommen ist - oberflächlich bilanziert - ein rund fünfzigprozentiger Geschwindigkeitszuwachs. Doch die Relationen haben sich kaum geändert. Zu Zeiten der CB 750 bevölkerten nur wenige schnelle Motorräder, dafür um so mehr anämisch motorisierte Käfer und Kadetten die Straßen. Heute knabbern Gölfe, Astras und ihresgleichen erfolgreich an der 200-km/h-Schwelle, und wie schnell moderne sportliche 600er sind, ist hinlänglich bekannt. So gesehen gebührt Suzuki mit der Hayabusa allenfalls der Verdienst, die Machtverhältnisse auf den Straßen zugunsten des großen, starken Motorrads zurechtgerückt zu haben.
Wer allerdings nach dem tieferen Sinn einer solchen Hochmotorisierung fahndet, kommt leicht ins Grübeln. Wer´s mal probiert hat, weiß, daß das Leben bei 280 oder 300 Sachen auf dem Motorrad nicht wirklich spaßig ist. Man probiert´s mal aus - für die private Trophäensammlung sozusagen - und das war´s dann erst mal. Weitaus verlockender ist es da schon, sich immer mal wieder diesen Beschleunigungskick zu gönnen, diesen schaurig-schönen Tritt in den Hintern beim abrupten Öffnen der Ansaugschleusen. Zumindest anfänglich. Denn leider nutzt sich dabei nicht nur der Hinterradreifen in Windeseile ab, auch der Lustgewinn ist bei häufiger Anwendung der gebotenen Schubkraft starkem Verschleiß unterworfen.
Was im Endeffekt bleibt - oder bleiben sollte -, ist ganz normales Motorradfahren jenseits der Hochgeschwindigkeitstraßen und Drag Strips, die hierzulande A-soundso heißen. Also diesmal Autobahnausfahrt - wobei die Entscheidung zum Abbiegen besonders mit der Hayabusa rechtzeitig und mit Bedacht getroffen werden sollte. Denn zum einen ist diese Maschine besonders gut darin, das gerade anliegende Tempo herunterzuspielen, zum anderen ist ihre Bremsanlage, die relativ hohe Handkräfte verlangt und nicht sonderlich gut dosierbar ist, nicht das allerbeste Mittel zum Geschwindigkeitsabbau. Besser ist da die Kawasaki, am effizientesten aber die Honda mit ihrer ausgeklügelten Verbundbremse, die grundsätzlich an Vorder- und Hinterrad zu Werk geht.
Landstraßenfahrt, vielleicht sogar bei Nässe auf Bitumen-verkleckerten Fahrbahnen - das riecht angesichts des Leistungsüberschusses der drei Maschinen nach kollektiv vergossenem Angstschweiß. Doch keine Bange: Wer geistig in der Lage ist, das Prinzip eines Heizstufenschalters am Elektroherd in umgekehrten Sinn auf den Schalthebel eines Motorrads zu übertragen, dürfte mit keinem der drei Motorräder Probleme mit der Leistungsdosierung haben. Die gewalttätigsten Ausbrüche liefern die Nummern eins und zwei. Sie können - außer beim Start, beim Burn-out und beim Wheelie-Fahren - getrost vergessen werden. Zum verschäften Heizen ist Nummer vier eine gute Wahl - für Notfälle mit dem Dreier in Rufbereitschaft. In den Stufen fünf und sechs geht es auf verhältnismäßig kleiner Flamme voran - gut für fragwürdige Straßenverhältnisse und immer noch voll ausreichend für ordentlichen Vortrieb.
Dabei sind sich Honda, Kawasaki und Suzuki insofern einig, als ihre Motoren überaus feinsinnig mit dem Gasgriff kommunizieren und ihre Leistung wohldosierbar ans Hinterrad reichen - ein Mindestmaß an Feingefühl seitens des Fahrers vorausgesetzt. Das ändert allerdings nichts daran, daß die Suzuki generell am heftigsten an der Kette zupft, die Kawasaki in unteren Drehzahlbereich ziemlich phlegmatisch wirkt und die Honda einen bekömmlichen Kompromiß bietet.
Auch in Sachen Fahrwerk ist die Doppel-X auf der Landstraße eine runde Sache. Komfortabel abgestimmt, mit einigermaßen flinkem Handling, präzise in der Spurhaltung, neutral bei heftigen Anbremsmanövern, souverän in schnellen Kurven, zeigt die Honda der Konkurrenz, wo´s langgeht.
Kann die Kawasaki, ihrer fülligen Erscheinung zum Trotz, in Sachen Handlichkeit überraschend gut mit der CBR mithalten, so gerät sie bei zügiger Fahrt ins Hintertreffen: Da zuckt es auf Holperstrecken immer mal wieder im Lenker, da stuckert die Hinterhand, da schaukelt die Fuhre, wenn am Ende schneller Geraden hart in die Eisen gelangt wird.
Auch die Suzuki findet in der Summe ihrer Fahrwerksqualitäten in der Honda ihren Meister. In engen Kehren verlangt die Hayabusa stärkere Lenkkräfte und höhere Konzentration, soll die angepeilte Linie getroffen werden. Auch in schnellen Kurven und bei rabiaten Bremsmanövern geht ihr die Souveränität ab, die die XX auszeichnet.
Als echtes Manko sollte dies freilich nicht aufgefaßt werden. Wer auf forciertes Heizen à la Rennstrecke reflektiert, ist ohnehin bei jeder der drei Maschinen auf dem falschen Dampfer. Wo´s um höchste Präzision und blitzartige Reflexe geht, fahren beispielsweise sportliche 600er Kreise um die Kraftpakete. Doch die nächste Gerade kommt bestimmt, und wo die lieben Kleinen mit schreienden Drehzahlen und hektischer Schaltarbeit alles geben, pfeilen die Großen mühelos im Handumdrehen vorbei. Die Suzuki - wie schon mal gesagt - noch müheloser.
Von Mühelosigkeit ist auch der Zweipersonenbetrieb geprägt. 70 Kilogramm Ballast hin oder her wirken sich beinahe vernachlässigbar auf das Leistungsgewicht aus. Wer einen lieben Mitmenschen hin und wieder in Angst und Schrecken versetzen will, ohne dessen körperliches Wohlbefinden zu gefährden, greift tunlichst zur leicht touristisch angehauchten Kawasaki. Wer den Härtetest im Doppelpack vollkommen machen will, wählt die Suzuki, und wer sich selbst der Nächste ist, gönnt sich die gepflegten ergonomischen Gegebenheiten der Honda, die dem Solisten den besten Sitzkomfort bietet.
Noch Fragen? Etwa, ob es überhaupt hundertgottweißwieviel PS für ein erfülltes Leben auf zwei Rädern braucht? Ob es politisch korrekt ist, ein Leben auf der Überholspur zu führen? Darauf gibt es keine allgemein verbindlichen Antworten. Schon gar nicht auf die Schnelle.
1. Platz - Honda CBR 1100 XX
Die feine englische Art - so könnte man den Charakter der Doppel-X beschreiben. Zum vornehmen Understatement ihrer äußeren Erscheinung gesellen sich harmonisch aufeinander abgestimmte innere Werte: ein geschmeidiger Motor mit ausreichendem Bums und ein Fahrwerk, das auch außerhalb schnurgerader Hochgeschwindigkeitstrassen in seinen Element ist. Well done.
3. Platz - Kawasaki ZZ-R 1100
Die ZZ-R ist unverkennbar in die Jahre gekommen, was sie nicht daran hindert, immer noch den großen Hammer zu schwingen - freilich nicht so mühelos und selbstverständlich, wie dies die Suzuki vorexerziert. Beim Fahrwerk zeigt die Kawasaki keine gravierenden Schwächen, doch es fehlen ihr der Feinschliff und die Ausgewogenheit, die die Honda auszeichnen.
2. Platz - Suzuki GSX 1300 R Hayabusa
Der Motor der Hayabusa verdient das Prädikat »besonders wertvoll«. Er garantiert einerseits Fahrleistungen, die die Nackenhaare aufstellen, andererseits bietet er Laufkultur und Kontrollierbarkeit. Leider verfehlen Fahrwerk und Bremsen das hohe Niveau der Antriebseinheit. So kann die Suzuki zwar nicht die Gesamt-, wohl aber die Ehrfurchtswertung gewinnen.