Rindviecher gibt es reichlich unterm weiß-blauen Himmel, doch in München gibt es sogar eine heilige Kuh. R 1200 GS heißt sie, die Basis des Erfolgs, der Goldesel – oder eigentlich die Goldkuh – von BMW Motorrad. Unantastbar ist daher die Boxer-GS, keinesfalls dürfte ihr auch nur ein Härchen – oder Hörnchen – gekrümmt werden.
Erst recht nicht von einem neuen Modell, das ihr als Crossover-Bike ins Gehege kommen könnte. Konkurrenz im eigenen Haus, gar Kannibalismus? Das geht gar nicht, folglich musste die neue BMW S 1000 XR mit respektablem Abstand positioniert werden. Marketingstrategen grübelten und fanden den Begriff Adventure Sports.
Sport ist klar, doch was meint Adventure? Offroad jedenfalls nicht, dieses Thema – das ja beim direkten Konkurrenten Ducati Multistrada Teil des Konzepts ist – wird im Zusammenhang mit der BMW S 1000 XR niemals auch nur erwähnt. Gelände soll sie gar nicht können. Inwieweit sich Crossover-Maschinen mit 17-zölligen Pneus für Ausflüge ins Grobe eignen, darüber kann man ohnehin trefflich streiten. Schaut man sich die griffigen Pirelli Diablo Rosso II-Pneus und die filigranen Sport-Fußrasten an, läuft es bei der XR wohl eher auf das Thema Sport hinaus.
BMW S 1000 XR abgeleitet von S 1000 R
Die Gene dazu bringt die BMW S 1000 XR zweifellos mit, denn sie wurde direkt abgeleitet vom Naked Bike S 1000 R. Der Motor ist sogar praktisch identisch, sieht man von Kleinigkeiten wie einer stärkeren Lichtmaschine und einer geänderten Abgasanlage ab. Letztere ist bereits im Hinblick auf künftige Emissionsvorschriften ausgelegt.
Eine Auspuffklappe hat sie weiterhin, die darf nun nur noch drehzahlabhängig im dickeren der beiden Verbindungsrohre zwischen Vor- und Endschalldämpfer wirken. Das dünnere Rohr ist stets offen. Leistung und Drehmoment bleiben somit praktisch unverändert. Wie bei der R werden auch bei der BMW S 1000 XR stramme 160 PS proklamiert, erfahrungsgemäß wird noch mehr geboten.
Abgesehen vom Triebwerk ist nahezu der gesamte Rest der BMW S 1000 XR neu. Anders geht es kaum, wenn man es ernst meint. Das bedeutet also einen neuen Rahmen mit flacher gestelltem und höher positioniertem Lenkkopf, dazu einen verstärkten Heckrahmen, eine rund fünf Zentimeter längere Schwinge, langhubigere Federelemente, neues Bodywork. BMWs Nachwuchsdesigner Andreas Martin zieht übrigens durchaus eine Parallele zur GS, deren „Roughness“ er stilistisch adaptiert hat.
Wer auf der Optionsliste fleißig seine Kreuzchen macht – und das werden sicher die meisten XR-Käufer tun –, der findet die von den Schwestermodellen bekannten Nettigkeiten. Viele sicher fürs Fahrerlebnis nicht essenziell, trotzdem möchte man moderne Assistenzsysteme und elektronische Helferlein keinesfalls missen. Etwa zusätzliche Fahrmodi, semiaktives Fahrwerk Dynamic ESA, Schaltassistenten, Tempomaten, Kurven-ABS und weitere Goodies.
Bis 12.000/min ist alles nutzbar
Doch zurück zur Ausgangsfrage: Abenteuer oder Sport? Die Antwort findet sich auf fantastischen Straßen um den Montserrat, das schroffe Sandsteingebirge nahe Barcelona. Ergonomisch bietet die BMW S 1000 XR beste Voraussetzungen für Abenteuer und Sport. Der Lenker ist hoch und breit positioniert, ganz ähnlich wie auf der GS. Natürlich ist der Kniewinkel nicht ganz so lässig wie beim Boxer. Und die Oberschenkel müssen sich ein wenig um den breiteren Tank spreizen, der 20 Liter Sprit bunkert.
BMW-typisch faucht der Vierzylinder den Fahrer beim Druck auf das Starterknöpfchen kurz an. Der Sound aus dem tiefgelegten, längeren Endschalldämpfer ist im Vergleich zur R etwas dezenter, aber immer noch eine klare Ansage. Ein wenig leichter könnte die Kupplung zu betätigen sein, die mechanische Übertragung sorgt aber für ein sensibles Gefühl am Hebel. Zum Anrollen will der Motor etwas Gas und Drehzahl, zumal der erste Gang recht lang übersetzt ist. Die Getriebeabstufung entspricht exakt jener der R. Trotz der „Anfahrschwäche“ ist das Drehzahlband der BMW S 1000 XR geradezu gigantisch. Von Standgasdrehzahl bis Begrenzer bei 12.000/min ist alles nutzbar. Unpässlich wirkt dieser Reihenvierer nie und nimmer.
Katapultartige Beschleunigung bei 7000/min
Ein rauer Gesell ist der BMW-Quattro trotzdem. Er sprotzelt im Schiebebetrieb in den Auspuff, inhaliert heiser aus der Airbox und brüllt oben heraus seine ganze Power aus dem kantigen Schalldämpfer. Und im mittleren Bereich kribbelt es deutlich spürbar in den Lenkerenden der BMW S 1000 XR. Überraschenderweise machen die Spiegel, anders als bei der R, aus der Rücksicht keine Zitterpartie. Der Grund sind gummigelagerte Lenkerböcke, die auf die Resonanzschwingungen von Motor und Lenker abgestimmt wurden. Die zudem verhindern, dass die Finger trotz des permanenten Kribbelns taub werden.
Verwertbaren Schub gibt es wie erwähnt bereits in tiefsten Drehzahlbereichen. Wer sich die Arme lang ziehen lassen will, sollte nicht bei 7000/min schalten. Darüber setzt eine katapultartige Beschleunigung ein, die die BMW S 1000 XR im Handumdrehen auf die nächste Biegung zuschießen lässt, dass einem schier die Puste wegbleibt. Wer solche Bereiche auf der Landstraße nutzt, muss wissen, was er tut. Ständiges Rühren im Getriebe ist eigentlich gar nicht nötig. Macht aber einen Riesenspaß, weil die Schaltung ganz akkurat bei minimalen Wegen arbeitet. Und weil der Schaltassistent die Gänge ohne Einsatz der Kupplung nur so reinflutschen lässt. Und zwar in beide Richtungen. Beim Runterschalten mitunter untermalt von einem kurzen Gasstoß. Ein herrliches Vergnügen. Die Fahrmodi ändern das Ansprechverhalten des Vierlings. Im Rain-Modus bei reduzierter Leistung sehr verhalten, im Road-Modus sanft, im Dynamic-Modus (Bestandteil der Sonderausstattung Fahrmodi Pro) direkt, aber keineswegs zu aggressiv.
Gleichzeitig greift der Bordcomputer bei weiteren Sonderausstattungen ein, nämlich Fahrwerk Dynamic ESA, Traktionskontrolle DTC und ABS Pro. Letzteres stammt nun von Conti. Auch in Hannover hat man jetzt eine schräglagenabhängige Steuerung entwickelt, die funktional mit dem Bosch-System MSC – im Volksjargon Kurven-ABS – vergleichbar ist. Im Road-Modus wird zudem das Abheben des Hinterrads wirksam verhindert. Wichtig bei so einem Konzept mit längeren Federwegen und höherem Schwerpunkt. Wie wichtig, zeigt der Dynamic-Modus, in dem das Hinterrad ab und an leicht den Bodenkontakt verliert. Was zwar nicht zum Salto vorwärts führt, aber die Stabilität auf der Bremse beeinträchtigt. Die BMW S 1000 XR schwänzelt, keilt im Extremfall mit dem Heck aus.
Dauerhaft individuell komponierter Modus wäre perfekt
Okay, das ist Jammern auf hohem Niveau. Ähnliches gilt für das semiaktive Fahrwerk von Sachs, das prächtig funktioniert und kaum Ansatzpunkte zu Kritik bietet. Im Wesentlichen gleich mit dem der R, bietet es dank der verlängerten Federwege überzeugenden Komfort und satte Dämpfung. Selbst im Dynamic-Modus kann von sportlicher Härte keine Rede sein. Das Ansprechen bei Ratterwellen vor Kurven könnte aber einen Tick geschmeidiger sein, und engagierte Heizer würden sich hier und da etwas mehr Dämpfung am Heck wünschen. Schade nur, dass man nicht wie bei der RR selektiv in die einzelnen Funktionen der Fahrmodi eingreifen kann, ein dauerhaft individuell komponierter Modus wäre für die BMW S 1000 XR eine feine Sache.
2000 Euro Aufschlag gegenüber der S 1000 R
Sport kann die BMW S 1000 XR also erwartungsgemäß hervorragend. Doch kann sie auch Touring? Ergonomisch lässt es sich auf längere Sicht sicher sehr gut im Sattel der XR aushalten. Zumal für subjektive Anforderungen eine Reihe von Sitzbänken unterschiedlicher Höhe zur Auswahl stehen. Tief angebrachte Rasten bescheren auch dem Beifahrer ein bequemes Plätzchen. Der Windschutz ist in nur zwei Stufen variabel. Die untere Position lässt den Kopf frei im Fahrtwind, Turbulenzen halten sich in Grenzen. Die obere Position bringt erstaunlich guten Schutz, da zahlt sich der Windkanal aus. Gepäck lässt sich in schmal bauenden Koffern verstauen. Leider hängen die nicht an dezent versteckten Aufnahmepunkten, sondern an eigenen, nicht besonders eleganten Rohrbügeln.
Im Prinzip also gute Voraussetzungen für nachhaltigen Tourismus. Wäre da nicht dieser Sportmotor, der immer nach Gas und Drehzahl giert. Bei Tempo 100 hangelt der Fuß oft nach einem siebten Gang. Was nicht an einer zu kurzen Übersetzung liegt, sondern an dem heiser röchelnden und im Lenker kribbelnden Vierzylinder, der dem Fahrer Hummeln im Hintern beschert. Die könnte manch einer beim Blick in die Preisliste bekommen. Der Aufschlag gegenüber der R beträgt stramme 2000 Euro. Wer die reizvollen Pakete Touring und Dynamik ordert, nähert sich 18.000 Euro. Und mit Navi, Koffern, hübscherem Akrapovic-Dämpfer und weiteren Goodies ist die 2.0000-Euro-Schallmauer zu knacken.
Technische Daten S 1000 XR
Angebote gebrauchter BMW S1000XR in Deutschland

Egal ob Adventure Bike oder Sporttourer, die BMW S 1000 XR könnte für die sportliche Motorradreise genau das richtige Bike sein. Die Verfügbarkeit am Motorradmarkt ist sehr gut und man findet gebrauchte Exemplare deutlich günstiger als Neufahrzeuge. Hier ein aktueller Preisvergleich: gebrauchte BMW S1000XR in Deutschland.