- Immerhin alle Twin
- Nackte Zahlen
- Was da dämpft und federt
- Immer schön langsam
- Länge läuft
- Was ist drin und wieviel wiegt das?
- Was kost der Spaß?
- Fazit
Wer die neue Harley mit Produkten von Marktmitgestaltern vergleichen will, muss erstmal bestimmen, in welchem Segment der US-Traditionshersteller eigentlich angesiedelt hat. Das ist aber gar nicht so einfach zu erkennen: Knubbelreifen, bulliger Auftritt, kurzes Heck: Die neue Harley-Davidson Sportster S folgt dem Bobber-Trend. Kurze Sitzbank, Storz-Style, hochgelegte Auspuffanlage, sportlicher Nimbus: Die neue Harley-Davidson Sporster S ist ein Flat-Tracker. Klingt, als säße die Sportster S so zwischen den Segments-Stühlen. Ein Blick auf die Leistungsdaten ergibt auch keinen Trend.
Aber Harley schafft es die zuletzt eindeutige Schublade der alten Sportster, wie in einem Kallax-Regal auf ungezählte Fächer zu splitten, ohne dabei zu zerfasern. Da H-D die Antwort selbst nicht geben kann, grasen wir den Markt einfach mal genre-flexibel ab und bilden das Lineup für das erste Sparring der neuen Harley-Davidson Sporster S: Triumph Bobber, Indian FTR und die Honda CMX 1100 Rebel. Wer sich da von wem eine blutige Nase holt oder gar auf dem Papier K.O geht, zeigen die Vergleiche von Motor, Fahrwerk, Ausstattung und die Preisen.
Immerhin alle Twin
Einheitlich zeigen sich die vier Kontrahenten in Sachen Motorbauweise. Alle verlassen sich auf die Kraft der zwei Kolben. Indian und Harley als V2, Europa und Asien als Reihenmotor. Triumph und Honda lassen im 90-Grad-Versatz laufen, Indian als "echter" V2 mit 60 Grad Zündabstand und Harley täuscht die 60 Grad an, um dann mit weiteren 30 Grad Hubzapfenversatz einen auf 90°Grad Twin zu machen. Unabhängig von der Bauweise schenken sich alle Motoren beim Hubraum satt ein. Honda hält sich mit 1.084 Kubik noch am ehesten zurück. Triumph setzt exakt auf die prestigeträchtigen 1.200 Kubik und die Indian spendiert mit 1.203 Kubik ein Schnapsglas mehr. Die Harley schöpft ihre Kraft aus staatlichen 1.252 Kubik, den Motor spendiert die neue Pan America.
Nackte Zahlen
Zweitwichtigstes Kriterium in dieser Mopped-Klasse: Drehmoment. Zunächst die nackten Zahlen: Honda 98 Nm bei 4.750 Umdrehungen, Triumph 106 Nm bei 4.000/min, Indian 120 Nm bei 6.000 Touren und Harley 125 Nm bei 6.000 Touren. Zu erkennen ist neben den klaren Unterschieden im Druck das grundsätzliche Motorenkonzept: Die beiden Amis wuchten ihre Kraft bei hohen Drehzahlen auf die Welle, was ein kurzhubiges Verhältnis der beiden Motoren offenbart. Triumph und Honda verlassen sich auf den längeren Hub, der bei niedrigeren Drehzahlen Kraft liefert und der Leser fragt zurecht: Waren die Amis nicht mal die mit dem langen Hub? Stimmt, andere Geschichte. Drehmoment mal Drehzahl ergibt Leistung. Hohes Drehmoment und hohe Drehzahlen krönen die Indian: 125 PS bei 8.250 Umdrehungen waren vor kurzem noch Werte von Straßensportmaschinen. Die Sportster S bleibt mit 121 PS bei nur 7.500 Touren in Schlagdistanz. Die nahezu gleiche Leistung bei deutlich weniger Drehzahl dürfte im Alltag Punkte nach Milwaukee tragen. Mit 87 PS bei 7.000 Umdrehungen und 78 PS bei 6.100/min halten sich die Honda CMX 1100 Rebel und die Triumph Bobber hier genre-gerecht zurück.
Fazit Motor:
Rein auf dem Papier und bei den nackten Zahlen macht die neue Sportster ihrem Namen alle Ehre. 121 PS und 125 Nm sind amtliche Eckpfeiler und hebt sie deutlich von dem echten Bobber von Triumph und dem Softchopper-Revival Honda CMX 1100 Rebel ab. Mit der bewusst sportlichen FTR steht sie auf Augenhöhe. 1:0 für den Flat-Tracker in der Harley.
Was da dämpft und federt
Die neue Sportster S stellt den Bobber vor allem mit der exotischen Wahl der Reifendimensionen dar. Der 180/70 R16 hinten wirkt noch vertraut, die fette Pelle in der Gabel mit 160/70 TR 17 hinterlässt Fragezeichen. Deutlich schmaler fährt die Triumph Bobber auf einem MT 90 B16, also 130/90 auf 16 Zoll vorn und einem 150/80 R16 hinten. Die Honda hält die Rebel in der Breite mit 130 vorn und 180 hinten zwar in der Nähe, ergänzt das 16 Zoll Rad hinten mit 18 Zoll vorn und schreibt "Cruiser" im Kontext Reifen am größten. Bleibt die Indian, die nie ein Bobber sein wollte. 2020 noch fuhr sie auf 19 Zoll vorn und 18 Zoll hinten, für 2021 wurde die FTR in Richtung Fahrdynamik getrieben: 120/70 ZR17 vorn, 180/55 ZR 17 hinten sind klare Straßensport-Dimensionen. Hier hebt sich die Indian von den anderen drei ab. Eingeholt wird die FTR wieder von der neuen Sportster S: Beide können mit volleinstellbarer USD-Gabel und ebenso umfänglich einstellbarem Federbein aufwarten. Die Vorspannung im Heck der Harley gar per Hydraulik. Nur in der Vorspannung einstellen lassen sich die Federelemente der Honda, Triumph vertraut auf die erfahrungsgemäß gute Abstimmung ab Werk und bietet keine Verstellmöglichkeit der Federung. Ganz wichtig in diesem Kontext: Mit 92 Millimetern vorn und 52 Millimetern hinten sind die Federwege der neue Sportster S im Vergleich mickrig. Je 120 Millimeter bietet die Indian, Honda federt 122 vor und 98,5 hinten und Triumph reiht sich mit 90 und 77 Millimetern nahe der Harley ein.
Immer schön langsam
Große Unterschiede offenbart auch der Blick auf die Verzögerungsanlagen der vier Probanden. Indian und Triumph vertrauen auf die Kraft der zwei Scheiben vorn, je von einem Brembo-Sattel in den Biss genommen. Triumph montiert die Scheibe dabei fest und kombiniert schwimmende Sättel, Indian ergänzt die halbschwimmenden Scheiben mit radial verschraubten Sätteln. Einen dieser Brembo-Sättel trägt auch die Harley, die vorn auf eine Bremsscheibe vertraut. Die große Rebellin von Honda zieht bei der Bremse mit der Sportster S gleich: Einzelne Scheibe mit radialem Sattel – nicht von Brembo.
Länge läuft
Wie ein Hersteller das eigene Modell einordnet, zeigt ein Blick auf die maßgeblichen Geometriewerte Lenkkopfwinkel, Nachlauf und Radstand. Sporty first: Mit 60 Grad steht die Gabel flach im Rahmen und ergibt zusammen mit einem etwas längeren Radstand von 1.518 Millimetern einen Nachlauf von sehr chopperesken 148 Millimetern. 48 Millimeter weniger Nachlauf ergeben die 64 Grad Lenkkopfwinkel der Indian, die allerdings mit 1.524 Millimetern etwas mehr Radstand bietet, was auf eine längere, stabilisierende Schwinge hinweist. Auf dem Papier am agilsten erscheint die – obacht – Triumph Bobber: Kürzester Radstand (1.500 Millimeter), steilste Gabel (64,6 Grad) und kürzester Nachlauf (92 Millimeter) küren die Bobber theoretisch zur Kurvenqueen. Honda mischt die Rebel mit 1.520 Millimetern, 62 Grad und 110 Millimetern unauffällig unter die Mitfahrer.
Fazit Fahrwerk:
Reifen Bobber, Hardware trackender Bobber, Rahmen Chopper. Ein zwar einstellbares aber ohne Federweg versehenes Fahrwerk kombiniert mit echt breiten Reifen und enormen Geometriewerten schreiben in der neuen Sportster S den Bobber größer als den Tracker. 1:1 steht es im Spiel: "Bin ich Bobber oder Tracker?".
Was ist drin und wieviel wiegt das?
Harley vollführt seit einiger Zeit eine Kehrtwende hin zum elektronischen Zeitalter. ABS gibt es schon länger, schräglagenabhängige Systeme erst seit der letzten Tourer-Generation. Die neue Sportster S erntet zustimmendes Nicken für serienmäßiges Kurven-ABS und der schräglagensensible Traktionskontrolle. Ergänzt durch einen Tempomat, vier Fahrmodi, vernetzbares TFT-Display mit Kartennavi hängt eine Harley die Latte technisch hoch. Allein das ist eine Geschichte wert. Völlig richtig: Fahrmodi, Tempomat und Traktionskontrollen bieten Bobber, FTR und Rebel auch, die Qualität der Schräglagenberechnung hebt die Harley aber deutlich ab. Ein Feature indes bietet nur die Honda und das kann bei den anderen weder für Geld noch mit vorgehaltener Waffe ergänzt werden: Das optionale DCT-Getriebe von Honda. Das erhöht das fahrfertige Gewicht der Honda zwar von 223 auf 233 Kilo, bleibt so aber immer noch 18 Kilo unter der Triumph Bobber, die mit 251 Kilo angegeben ist. Und noch mal Aufräumen mit alten Erfahrungen: Die US-Kräder sind nicht die schwersten im Vergleich. Die neue Sportster S ist mit 228 Kilo sogar noch etwas leichter als die FTR mit 233 Kilogramm. Hinzu kommt: Die Amis dürfen mit 190 und 197 Kilo am meisten zuladen. Honda lässt nur 172 Kilo zu und bei der Bobber mit Solositz und mitschwingenden Heck ist Gepäck kein Kriterium.
Fazit Ausstattung:
Sorry Honda, Indian und Triumph. Die Harley latzt euch hier mit ihren schräglagensensiblen Systemen auf dem Papier locker weg. 2:2 steht es im Kampf um die wahre Seele der Harley.
Was kost der Spaß?
Fangen wir unten an: Honda will für die 1100er-Rebel 10.620 Euro, 1.000 mehr kostet das DCT-Getriebe. 13.990 Euro hat Indian der FTR auf das Preisschild gepinselt und 14.300 Euro verlangt Triumph für die Bobber. Und ja: Die Harley ist mit 15.495 Euro die teuerste im Vergleich.
Fazit Preis:
Die Harley ist teurer als der Bobber und der Tracker. Hier gibt es keine Punkte zu vergeben. Nur subjektiv ist das Paket der Harley – wie der Preis – praller als das der Indian und Triumph. Die Honda wäre selbst mit dem DCT-Getriebe immer noch ein Schnapper.
Fazit
2:2 steht es bei der Harley und der Frage, ob sie eher Bobber oder Flat-Tracker ist. Der Motor deutet in Richtung Tracker, das Fahrwerk will ein Bobber sein. Keine Hilfe ist das Design, das attraktiv beide Welten verbindet. Eindeutig wird es beim Thema Elektronik: Mit Kurven-ABS, Schräglagen-Traktionskontrolle, vernetztem TFT-Display sagt die Harley klar: Egal welches Genre, ich bin ein hochmodernes Motorrad. Harley macht modern und das kann der Company am Ende einen Sieg einfahren, denn preislich ist die neuen Sportster S ein im Vergleich "günstiges" Angebot.
Die Triumph Bobber zeichnet das Bild dieser Gattung derzeit vorzüglich, an deren Stil und Authenzität kommt die Harley mit der neuen Sportster S nicht ran.
Die FTR ist ein Modell-Tracker wie vom Reißbrett, Habitus und Stil sind dem Sandoval näher als dem Asphaltgewirr in der echten Welt.
Die Rebel CMX 1100 macht es eigentlich sehr clever und will sich weder festlegen noch festlegen lassen. Der King of Cool ist sie mit dem optionalen DCT ohnehin und Preis ist echt gut.