Vergleich Allround
Ihr Ziel ist ebenso simpel wie anspruchsvoll: Sie wollen schlicht und einfach alles können. Der Weg dorthin unterscheidet sich aber beträchtlich.
Eigentlich hätte es die BMW S 1000 XR nicht gebraucht. Zumindest nicht aus der Sicht von BMW. Denn mit der GS-Modelllinie haben die Bayern längst den Tausendsassa der Motorradbranche in den eigenen Reihen, stellen mit ihr in dieser Saison seit genau zehn Jahren in ununterbrochener Folge das meistverkaufte Motorrad in Deutschland. Doch beim allmählich heraufziehenden Crossover-Trend die Flanke ganz ungeschützt lassen, das traute man sich in München doch nicht.
So tritt der neue Alleskönner in respektvoller Distanz zur wertvollen Cashcow an. Die technische Basis stammt vom 160 PS starken Naked Bike S 1000 R, die Modifikationen orientieren sich am erheblich breiter angelegten Einsatzzweck. In Zahlen: 0,8 Grad flacher stehender Steuerkopf, 18,5 mm längerer Nachlauf, 65 mm längere Schwinge, 109 mm längerer Radstand, 35 mm tiefer angebrachte Fußrasten, 20 beziehungsweise 30 mm längere Federwege, 80 mm höherer Lenker, 2,5 Liter größerer Tank, Verkleidung und verstärkter sowie längerer Heckrahmen. Und vor allem: ein 17 Zoll großes Vorderrad statt des der Offroad-Tauglichkeit geschuldeten 19-Zöllers der BMW R 1200 GS . Die Orientierung ist eindeutig. Ausflüge ins Gelände sind bei der BMW S 1000 XR nicht mehr vorgesehen.
Was ihr in der 1000-Punkte-Bewertung von MOTORRAD (siehe Heft 14/2015 und Tabelle in der Bildergalerie) nicht schadet. In dieser seit Jahren von MOTORRAD angewandten und quasi alle Facetten eines Motorrads erfassenden Allround-Wertung scheffelt die BMW S 1000 XR viele Zähler. Vor allem dem potenten und quirligen Vierzylinder verdankt der Neuzugang einen kometenhaften Aufstieg. Mit nur einem einzigen Punkt Differenz zum Platzhirsch BMW R 1200 GS gelingt ihr ein Start auf Augenhöhe.
Allround-Wertung:
1. BMW R 1200 GS
2. BMW S 1000 XR
Vergleich Reise

Der Name ist Programm: Reiseenduros wie die BMW R 1200 GS können reisen. Und Crossover-Bikes wie die BMW S 1000 XR? Sollten es auch können. Am besten genauso komfortabel und schnell.
Wenn man der BMW R 1200 GS auf den ersten Blick etwas zutraut, dann die Lust zur großen Reise. Wie ein Sofa platzieren die Sitzpolster Fahrer und Passagier schnuckelig kommod, können in dieser Beziehung selbst mit Luxus-Tourern mithalten. Mächtig stemmt sich die per Handrad kinderleicht einstellbare Scheibe in den Wind, locker liegt der Lenker in der Hand, angenehm offen gerät der Kniewinkel. Noch bevor der Boxer vor sich hin blubbert, hat sich die GS bei der Tourenfraktion bereits eingeschmeichelt. Trotz ihrer Dimensionen. 251 Kilogramm – mit unbeladenen Koffern und Topcase sind es noch 20 Kilo mehr – wollen in der Balance gehalten, aus luftigen 850 Millimeter Sitzhöhe sicher abgestützt werden.
Doch wenn die BMW R 1200 GS rollt, verschwinden Pfunde und Hochsitz aus dem Bewusstsein, ergänzt der unaufdringlich pulsierende Flat Twin das Wohlfühlambiente. Selbst das akustisch immer noch präsente Getriebe (siehe „Landstraße“) spielt in diesem gefälligen Umfeld eine Nebenrolle. Spätestens dann, wenn per ESA-Knöpfchen die Lieblingsfederungsabstimmung passgenau gefunden ist.
XR nur neun Kilo leichter als die GS
Wie, bitte schön, soll sich die BMW S 1000 XR neben ihrer reiselustigen Schwester überhaupt noch profilieren? Mit weniger Gewicht? Kaum. Schließlich hat sie bei ihrer Metamorphose vom 207 Kilogramm leichten Naked Bike S 1000 R zur XR immerhin 35 Kilo auf nun 242 Kilo (ohne Koffer) zugelegt, wiegt nur noch neun Kilo weniger als die BMW R 1200 GS. Mit mehr Komfort? Trotz ESA und semiaktiver Federung, bei der anhand der Fahrzustände die Dämpfung an Gabel und Federbein permanent nachjustiert wird, bleibt die Grundabstimmung straff. Die Rückmeldung profitiert davon, der Komfort geht in Ordnung, erreicht aber nicht das Niveau der GS.
Immerhin: Trotz dünner Polsterung residiert es sich auch auf der BMW S 1000 XR recht kommod. Ob der ordentliche Windschutz hinter der zweifach einstellbaren Scheibe, das ausreichend voluminöse Gepäcksystem, der mit 20 Litern identische Tankinhalt, in keiner Disziplin lässt sich die XR von der GS abhängen – bleibt aber dennoch auf Respektabstand. Der Windschutz der BMW R 1200 GS fällt großzügiger aus, die genialen Variokoffer kennen im Tourersegment kein Pendant, und die GS genehmigt sich etwa einen Liter weniger auf 100 Kilometer (Landstraße: 4,8 l, Autobahn: 6,1l) als die XR.
BMW S 1000 XR zieht sich hervorragend aus der Reise-Affäre
Erst wenn die Reise zur Highspeed-Tour wird, spielt die BMW S 1000 XR ihren Trumpf aus. Das Erlebnis, wenn der Vierzylinder auf der Bahn selbst bei 150 km/h noch mit Macht anschiebt, die feuerrote Rakete – trotz mit Koffern empfohlener, aber nicht bindender Höchstgeschwindigkeit von 150 km/h – locker über die 200er-Grenze peitscht, das kann die BMW R 1200 GS nicht bieten. Imposant mag das zwar sein, relevant ist es wohl in den seltensten Fällen. Vor allem weil der muskelstrotzende Treibsatz im Touren-Outfit seine guten Manieren vernachlässigt hat. Im häufig benutzten Drehzahlbereich um 6000 Touren kribbelt der Vierzylinder höchst unangenehm in Fußrasten und Lenkerenden.
Trotzdem: Die BMW S 1000 XR zieht sich hervorragend aus der Reise-Affäre und bietet trotz ihrer supersportlichen Wurzeln eine erstaunliche Tourentauglichkeit. Dass ihr die BMW R 1200 GS dennoch in jedem Aspekt überlegen ist, damit müssen sich jüngere Geschwister in vielen Familien abfinden.
Reise-Wertung:
1. BMW R 1200 GS
2. BMW S 1000 XR
Vergleich Landstraße

In aller Regel gilt: je spezialisierter das Konzept, desto größer das Potenzial für die Kurven-Ekstase. Kein leichter Job für breit aufgestellte Reiseenduros oder Crossover-Bikes.
Auf der Landstraße zählen keine Kompromisse, sondern harte Fakten. Gewicht, Leistung, Bremsen, Handlichkeit, Lenkpräzision. Schlechte Karten für die GS? Sind 251 Kilogramm zu viel und gemessene 126 PS zu wenig, um gegen 242 Kilo und vor allem gewaltige 170 PS der BMW S 1000 XR bestehen zu können? So vorschnell will sich die BMW R 1200 GS nicht aburteilen lassen. Als ob sie es in Vergleichstests und vielen glänzenden Auftritten bei den MOTORRAD-Alpen-Masters nicht schon längst bewiesen hätte, überrascht die Grande Dame des Reiseenduro-Segments jedes Mal aufs Neue. Allerdings: Es braucht ein paar Kilometer, bis sich der Pilot an das etwas diffuse Feedback der Telelever-Front gewöhnt hat. Doch wenn das Eis gebrochen ist, blüht die GS auf. Wie von einem unsichtbaren Finger angestupst, fällt sie flink in die Kurven, zieht blitzsauber ihre Bahn. Weit in die Kehren hinein bremsen? Kein Problem. Der Nickausgleich des Telelever hält die Nase weit oben, garantiert bergab ebenfalls Spielübersicht.
Zumal auch der Motor mit der zu diesem Modelljahr um 1127 Gramm erhöhten Schwungmasse ab 2000/min fein dosierbar anschiebt, sich im landstraßenrelevanten Geschwindigkeitsbereich (siehe Fahrleistungen) vom Leistungsprotz BMW S 1000 XR gar nicht mal so sehr abhängen lässt. Zugegeben, das Getriebe lässt gelegentlich beim Schalten noch immer von sich hören, Schaltassistent und Blipper bringen sich erst bei höheren Drehzahlen harmonisch ein. Dennoch: Wer die Effizienz sucht, der findet sie. Und zwar bei der BMW R 1200 GS.
Bremsen der XR eine Wucht
Doch wie war das? Landstraße, harte Fakten, keine Kompromisse. Bei diesen Schlagwörtern scheint die BMW S 1000 XR von ihrer breiteren konzeptionellen Ausrichtung nichts mehr wissen zu wollen. Aggressiv faucht der kurzhubige Vierzylinder, stichelt in bester Power Naked Bike-Manier. Und liefert. Spontan hängt er am Gas, animiert zu immer mehr. Mehr Drehzahl, mehr Leistung, mehr Speed – und mehr Krach. Spätestens ab 8000 Touren plärrt der Motor peinlich laut aus dem Endrohr. Dass er bis zu dieser Marke zudem weniger Power auf die Rolle drückt als die BMW R 1200 GS (siehe Leistungsdiagramm), verwundert bei dem polternden Auftritt dann doch. Im Gegensatz zur Autobahn (siehe „Reise“) nerven wenigstens die Vibrationen um die 6000er-Marke beim wechselnden Drehzahlniveau auf der Landstraße weniger.
Vielleicht, weil die BMW S 1000 XR ihre Sache sonst so gut macht. Schaltassi und Blipper funktionieren auch bei niedrigen Drehzahlen formidabel, die Bremsen sind eine Wucht, Rückmeldung und Lenkpräzision erstklassig. Allerdings: So flauschig wie die Federelemente der BMW R 1200 GS agiert die Federung der XR selbst in der weichsten ESA-Abstimmung nicht. Auch seine 242 Kilogramm kann das domestizierte Naked Bike nicht verbergen. Im Vergleich zur GS lässt sich die XR träger abwinkeln. Dennoch: Die Reserven der XR (siehe auch Handling-Parcours) sind so riesig, die Präzision so imposant, das Spaßpotenzial so enorm, dass sich das Funbike-Derivat mit der Summe seiner Fähigkeiten vor die abgeklärte GS schieben kann. Zudem: Wer den Kick sucht, der findet ihn. Und zwar auf der XR.
Landstraßen-Wertung:
1. BMW S 1000 XR
2. BMW R 1200 GS
Vergleich Offroad

GS – mit den Initialen für Gelände und Straße trägt die BMW R 1200 GS ihre Universalität im Namen. Der Pilot der BMW S 1000 XR pflückt die Blümchen nahe des asphaltierten Straßenrands.
Abseits der Straße sieht der XR-Fahrer von der BMW R 1200 GS schnell nur noch die Staubwolke. Erstaunlich ist das nicht. Denn Offroad-Qualitäten spielen im Crossover-Segment, das sich optisch zwar abenteuerlustig gibt, technisch aber nicht zuletzt durch 17-Zoll-Räder mit Straßenreifen eindeutig asphaltorientiert ist, keine wesentliche Rolle. Mit moderaten Federwegen von 150 beziehungsweise 140 Millimetern (GS: 190/200 mm) und knappen 16 Zentimeter Bodenfreiheit (R 1200 GS: 23 cm) sind die Grenzen der BMW S 1000 XR abseits der Straße kaum weiter gesteckt als die eines Allrounders oder Naked Bikes. Nicht nur der gegen Steinschlag ungeschützten Edelstahl-Auspuffanlage möchte man auf unasphaltierten Alpenpässen Schlimmeres als beschauliches Motorradwandern nicht antun.
Dass die BMW R 1200 GS abseits der Straße in einer ganz eigenen Liga spielt, dürfte sich im Lauf der mittlerweile 35-jährigen Modellhistorie herumgesprochen haben. Selbstverständlich scheint das zunächst dennoch nicht. Denn mit vollgetankt 251 Kilogramm (ohne Koffer) schleppt die GS nicht nur neun Kilo mehr durch die Botanik als die 242 Kilo schwere BMW S 1000 XR, sondern flößt mit ihren stattlichen Dimensionen gehörigen Respekt ein. Doch wie bereits auf der Straße scheint der Boxer auch auf Schotterpisten seine Pfunde bereits nach dem ersten Anrollen hinter sich zu lassen. Vom tiefen Schwerpunkt stabilisiert, hält die GS selbst auf grobem Geläuf die Spur, vermittelt auf Anhieb ein sicheres Gefühl. Und weil auch der im Drehzahlkeller kultiviert laufende und sanft einsetzende Motor dieses Urvertrauen stärkt, genießt der GS-Treiber – auf trockenem Terrain – die unerwartete Leichtigkeit des Offroad-Daseins.
Zumindest, solange der übermütige Endurist nicht ins Taumeln gerät und sich die fünf Zentner Lebendgewicht der GS schlagartig zurückmelden. Dennoch: Mit dem Dakar-Look betreibt die BMW R 1200 GS nicht nur Image-Pflege, sondern erweitert ihr Einsatzspektrum – gerade im Hinblick auf eine Gebirgs- und/oder Südeuropa-Tour – in der Tat erheblich. In dieser Beziehung macht sie ihrer Modellbezeichnung alle Ehre und muss sich von kaum einer Reiseenduro-Kollegin das Wasser reichen lassen. Von der BMW S 1000 XR sowieso nicht.
Offroad-Wertung:
1. BMW R 1200 GS
2. BMW S 1000 XR
Handling-Parcour

Schräglagenfreiheit, Traktionskontrolle, ABS-Regelung – wo liegen die Grenzen der BMW R 1200 GS und der BMW S 1000 XR? MOTORRAD brachte die beiden BMWs im Handling-Parcours ans Limit.
Bei der BMW R 1200 GS ist der Dynamic-Fahrmodus angeklickt, bei der BMW S 1000 XR das Dynamic Pro-Mapping. Die Federvorspannung ist maximiert, die Dämpfungsgrundeinstellung steht auf Hart. Kein Setup für die Sonntagstour. Denn: Auf dem 820 Meter langen Handling-Parcours soll das Duo gefordert werden. Um das Regelverhalten von Traktionskontrolle und ABS zu spüren und um die auf der Landstraße gewonnenen Testergebnisse zu untermauern und einzuordnen.
Die BMW R 1200 GS beginnt. Erstaunlich, wie schnell die Reiseenduro, sonst souverän Herr der Lage, im Stakkato der harten Brems-, Beschleunigungs- und Einlenkmanöver an ihre Grenzen gerät. Hier zeigt sich, dass die Assistenzsysteme der GS eher auf Sicherheit getrimmt sind. Sowohl bei der Beschleunigung bei Punkt 1 als auch nach der engen Spitzkehre (Punkt 2) lässt die Traktionskontrolle den Boxer kräftig spotzen.
Beim extremen Anbremsen an Punkt 3 bringen die trägen Massen von Kardan- und Kurbelwelle – im Gegensatz zu der bei ABS-Tests sonst üblichen Verzögerungsmessung mit gezogener Kupplung – das Hinterrad beim Herunterschalten trotz Anti-Hopping-Kupplung zum Stempeln. Brillant: das auch auf der Landstraße fühlbare leichte Einlenk-Verhalten, das die BMW R 1200 GS in der Kehre (Punkt 2) 2 km/h, das sind immerhin 14 Prozent, schneller als die BMW S 1000 XR abbiegen lässt.
Dennoch zeigt die BMW S 1000 XR, was im Kurventwist gehen kann. Stempelnde Räder beim Verzögern gibt es nicht, regelnde Verschlucker beim harten Beschleunigen nur bei grobmotorischem Zug am Gaskabel. Und statt wie die BMW R 1200 GS durch die Federwege zu wogen, zieht die straff abgestimmte XR bolzenstabil und mit klarer Rückmeldung ihre Bahn. Auch die semiaktive Federung hindert die Front beim harten Bremsen fühlbar am Eintauchen. Allesamt Eindrücke, die sich mit den Erfahrungen auf der Landstraße decken. Sogar das auf verschlungenen Sträßchen etwas trägere Handling der XR lässt sich am geringeren Speed in der Spitzkehre (Punkt 2) verifizieren.
Technische Daten und Messwerte

Seine kurzhubige Auslegung kann der Vierzylinder der BMW S 1000 XR auch auf dem Prüfstand nicht verleugnen. Bis knapp 8000 Touren bleibt der Vierling hinter dem Boxer der BMW R 1200 GS zurück. Die beeindruckende Leistungsspitze von 170 PS (Nennleistung 160 PS!) schöpft der XR-Pilot wohl selten aus. Ab 8000/min überzieht das Crossover-Bike die Umwelt mit einem infernalischen Klangteppich.
Endergebnis und Fazit

Den Kampf, der mit der Allround-Wertung auf Augenhöhe begann, verlässt die GS mit erhobenem Haupt. Auf der Reise gibt sich die BMW R 1200 GS mit überragendem Sitz- und Federungskomfort, gutem Windschutz oder moderatem Verbrauch nicht die geringste Schwäche. Auf der Landstraße siegt zwar die sportliche BMW S 1000 XR, doch mit dem rauen Lauf des Vierzylinders und etwas steifem Handling kann sich das Sportstalent nur knapp gegen die agile und kultivierte GS durchsetzen. Deshalb: Den Gesamtsieg hätte die GS auch ohne Offroad-Abstecher geholt.
Preisvergleich gebrauchter BMW S1000XR und R1200GS

Die Ikone BMW R 1200 GS hat gegenüber der neueren S 1000 XR einen großen Vorteil am Gebrauchtmarkt: ihre hohe Verfügbarkeit. Die Preise gebrauchter Exemplare sind ziemlich ähnlich, die meisten Motorräder sind auch bereits mit Zubehör ausgestattet. Hier ein aktueller Preisvergleich gebrauchter BMW Reisemotorräder: gebrauchte BMW R1200GS und S1000XR in Deutschland.