Sommersonnenwende 2024. In Zarrentin am Schaalsee bedeutet dies eine offizielle Tageslänge von 17 Stunden und einer Minute! Das ist ein XXL-Zeitfenster, um eine XXL-Offroad-Geschichte zu erleben – länger geht nicht. Mit dabei drei Reiseenduros, die auf den ersten Blick recht unterschiedlich daherkommen. Auf den zweiten, präziseren Blick aber dahingehend vereint unterwegs sind, dass sie Unnötiges weglassen und somit erheblich an Masse sparen, die beim Schottern oftmals zum Verhängnis werden kann.
Das Trio besteht aus der milde belächelten Honda CRF 300 Rally mit ihrer eher strittigen Karl-Dall-Optik, der anerkannt guten, aber auch knapp über 200 Kilogramm schweren Yamaha Ténéré 700 Extreme sowie der exotischen, in der Traveller-und Overlander-Szene aber mit großen Hoffnungen erwarteten Kove 450 Rally. Alle drei eint zudem das geländetaugliche 21-Zoll-Vorderrad und moderate Hinterreifenbreiten, wenn man über den modernen 150/70-18er der Ténéré höflich hinwegsieht. Die Radgrößen seien hier nur erwähnt, da sie einen guten Teil der Fahrzeugkontrolle auf losem Untergrund beisteuern. Doch dazu später mehr.
Offroad Fahrt in Mecklenburg-Vorpommern
Als Fans der Rallye Dakar stellen wir uns natürlich die Frage, welches Fahrzeugkonzept einen am besten über die Distanz bringt, denn 17 Stunden am Stück über Sand und Dreck zu fahren, ist wahrlich kein Zuckerschlecken. Wir, das sind Test-Routinier Stef, Test-Jungredakteur Phil und der Autor, seines Zeichens Rallye-begeistert und im Service-Ressort der Redaktion tätig. Neugierig umringen wir nach dem Ausladen die Motorräder. Erste Eindrücke werden artikuliert: "Die Honda ließ sich super ein- und ausladen, aber beim Verzurren ging sie fast auf Block" oder "Ey, mir wäre die schwere Yamaha beim Rangieren schier umgefallen". Sind das bereits die ersten Anzeichen grundlegender Charaktereigenschaften unserer Kandidaten oder bleiben es Worthülsen, um die Stille während des neugierigen Zirkelns um die Bikes zu durchbrechen?
Morgen früh jedenfalls wird es um 4:47 Uhr mit dem offiziellen Sonnenaufgang ernst. Dann werden wir dank Eike Todt von Eikes Wild Wheels in Affalterbach mit einer der ersten in Deutschland zugelassenen Kove 450 Rally, der Honda CRF 300 Rally und der Yamaha Ténéré 700 Extreme durch die Weiten Mecklenburg-Vorpommerns reiten. Den ganzen langen Tag auf kaum asphaltierten Straßen, dafür vielen Schotter- sowie Sandpisten. Dies ist so nur noch im Nordosten der Bundesrepublik möglich, wo große Flächen auf wenige Einwohner treffen und kaum genutzte Infrastruktur sich selbst überlassen wird.
Honda CRF 300 Rally: niedrigste Sitzhöhe
Vor dem Abendessen folgt die ordentliche Bestandaufnahme der startklaren Weggefährten. Die knallrote Honda CRF 300 Rally ist in vielerlei Hinsicht der Benjamin der Clique. Sie kombiniert die niedrigste Sitzhöhe von 900 Millimetern mit einer kuschelweichen Sitzbank, ist die leichteste (153 Kilogramm) und ihre Kupplungsbedienung ist schlichtweg ein Gedicht. Die Handkraft am Hebel ist lächerlich gering und ihr Schleifpunkt und somit die Dosierbarkeit mustergültig. Ob ihre überschaubare Leistung von nur 29 PS morgen zum Stolperstein wird? Ihr gegenüber baut sich fast schon drohend die mächtige Yamaha Ténéré 700 Extreme auf. Ihr Twin mit Stier-gleichem Drehmoment ab Standgas reißt Mauern ein, ihr mit üppigen Federwegen (vorne/hinten 230/220 Millimeter) versehenes und voll einstellbares Fahrwerk hat sich bereits bei einem Test in Marokko bewährt. Beim Sitzkomfort ist sie der Honda ebenbürtig, in der Sitzhöhe jedoch thront der Pilot in fast bedrohlichen 925 Millimetern Höhe. Und während die Honda nach dem Erklimmen der Sitzbank tief in die Federn sinkt und sich somit ihre Sitzhöhe drastisch reduziert, gibt die Extreme selbst unter einem 90-Kilo-Fahrer nur wenig nach. Das kann auf losem Untergrund gut gehen, muss es aber nicht.
Die Kove 450 Rally ist ebenfalls kein Low-Rider. Sie versorgt ihren Fahrer auf statisch gemessenen 960 Millimetern auch mit Höhenluft, dafür ist die Sitzbank recht schmal und man kann beim Anhalten gut seitlich von ihr rutschen, sodass ein sicherer Stand auf einem Bein kein großes Problem ist. Das Faszinosum Kove ist schlichtweg ihr Konzept. Sie will in erster Linie ein Rally-Bike sein, so wie es sonst außer KTM und Fantic keine weiteren Hersteller anbieten. Letztgenannte sind allerdings nur notdürftig mit einer Leistung von circa 12 kW homologiert, was sie aus dem Reisebusiness kickt. Neben den – im Falle der KTM – exorbitanten Kosten.
Kombination aus Leistung und Masse
Die Kove 450 Rally dagegen hat offizielle 42 PS im Schein stehen und kann somit legal im Straßenverkehr eingesetzt werden. Extrem große und breite Fußrasten versprechen Langstrecken-Qualitäten auch im Stehen, die Ergonomie der Kove passt sowohl stehend wie sitzend. Ihre Kupplungsbedienung erfordert allerdings so viel Kraft wie bei der Yamaha Ténéré 700 Extreme, ihre Dosierbarkeit könnte besser sein. Ansonsten ist ihre Kombination aus Leistung und vollgetankten 172 Kilogramm fahrbereiter Masse die perfekte Rezeptur für einen Offroad-Reisebegleiter. Doch auch die Kove ist nicht ganz ohne administrative Tücken.
Zum Beispiel ist der Hecktank nicht offiziell als Tank homologiert, da ihm der nötige Aktivkohlefilter fehlt. So ist das offizielle Tankvolumen 14 Liter, das inoffizielle konnten wir nicht auslitern, es liegt aber im Bereich von 32 Litern. Nutzt man das komplette, illegale Tankvolumen, ergibt sich ein Gesamtgewicht von erwähnten 172 Kilogramm und eine Zuladung von 58 Kilogramm. Laut Kove-Eigentümer und Verkäufer Eike arbeiten die Chinesen bereits an einer höheren Zuladung, wann diese jedoch offiziell in die Papiere findet, ist unbekannt. Die Fragezeichen der Dauerhaltbarkeit und der Ersatzteilversorgung sieht Eike gelassen. Der Rumpfmotor werkelt seit Jahren technisch unauffällig in der Fantic Caballero 500 und alle Service-Teile, die Eike bislang benötigte, kamen per Post sehr zuverlässig aus den USA oder direkt aus China.
Die Kove 450 Rally eröffnet den Track
Lasset den Worten Taten folgen! Es ist 4:47 Uhr, der Hahn auf dem Misthaufen unserer Unterkunft glotzt verpennt daher, als wir die Motoren zünden. Alle drei nehmen willig die Arbeit auf, während der Morgentau erschrocken von Sitzbänken und Verkleidungsteilen flüchtet. Die Kove 450 Rally samt Autor eröffnet den Track und legt die Spur für die beiden anderen. Natürlich, wie könnte es anders sein, geht es zunächst Kurs Ost, sodass die aufgehende Sonne stark blendet, die Konturen des Untergrunds nur schwer zu erkennen, dafür umso stärker spürbar sind. Vor allem auf der Kove, denn das Ansprechverhalten der chinesischen Federelemente ist nicht gerade feinfühlig. Hier werden bereits nach wenigen Metern die Rally-Gene der 450er spürbar. Die 50/50- CST-Bereifung hat mit dem teils feuchten und lehmig-glitschigen Untergrund recht wenig Mühe und baut dank hohem Negativprofilanteil ausreichend Grip auf.
Honda CRF 300 Rally – zäher als vermutet
Am ersten markanten Abbiegepunkt nach fünf Kilometern heißt es Sammeln. Nach einigen Sekunden erscheint fröhlich singend und schwingend das rote Nähmaschinchen auf der Bildfläche. Stef reitet auf der CRF, die ebenfalls mit einigermaßen grobstolligem Profil ausgerüstet ist, mit leuchtenden Augen ein. Das Schaukelschaf Namens Honda CRF 300 Rally ist zäher als man auf den ersten Blick vermutet. Nur Phil lässt auf sich warten – was von hoher Geistesgegenwart zeugt. Denn ohne Sicht ist es kein Selbstläufer, mit dem "straßigsten" Profil auf dem stärksten Motorrad über schlüpfrigen Untergrund zu fahren.
Zumal der CP2-Motor mit seinem fetten Drehmoment den breiten 150er Hinterreifen bereits ab Standgas gerne überfordert. Zur Ehrenrettung des montierten Pirelli Rally STR muss aber auch erwähnt werden, dass der Pneu auf Asphalt am besten performt. Während er die Yamaha Ténéré 700 Extreme bis Vollgas solide ihre Bahn ziehen lässt, verlassen die CST-Reifen auf der Kove 450 Rally ab 110 km/h jegliche Tugenden. Das Motorrad fängt an zu pendeln wie ein Lämmerschwanz, wenn selbiges vor dem bösen Wolf flüchtet. Doch heute sehen wir über derlei Unbill hinweg. Zum einen fahren wir kaum geteerte Wege, zum anderen nicht so schnell. Wir befinden uns ja nicht auf einer Rally …
Gehöriger Lastwechsel bei der Kove 450 Rally
Der Tag nimmt Fahrt auf, der Untergrund trocknet auf den freien Flächen ab, nur in den Wäldern ist es nach wie vor sehr kniffelig zu fahren. Überall steht das Wasser, teils bis zu den Rasten, was Feingefühl und Balance voraussetzt. Auf diesem Terrain geigt die Honda CRF 300 Rally groß auf. Der umgängliche Floh boostet das Selbstbewusstsein des Piloten derart, dass selbst weniger versierte Offroader sehr gut mit den haarigen Verhältnissen zurechtkommen. Dank ihrer überschaubaren Leistung kennt die Honda kaum Traktionsprobleme und wird in den Wäldern zum gefürchteten "roten Blitz".
Natürlich folgt ihr die Kove 450 Rally mühelos, doch ist ihr Umgang mit dem Fahrer alles andere als sanftmütig. Die 450er rappelt, röhrt, scheppert und ruckelt. Springt ans Gas und lastwechselt gehörig. Rau und direkt möchte sie unter Zug gehalten werden, dann beginnt sie zu funktionieren. Ihre Ergonomie taugt ebenso wie die der Yamaha Ténéré 700 Extreme zum Sitzen und Stehen, in der aufrechten Gangart bekommt man ordentlich Druck auf das Vorderrad. So zieht die Zeit dahin, gefühlt ist man bereit für einen Mittags-Snack. Der Blick auf die Uhr verrät dann Erstaunliches, es ist erst 9 Uhr morgens! Dennoch stehen bereits 130 Kilometer auf der Uhr – weitere 300 folgen noch.
Yamaha Ténéré 700 Extreme: bequem und feinfühlig
Je weiter der Tag fortschreitet, desto klarer kristallisiert sich heraus, dass die eigentliche Herausforderung weder das Motorrad noch die Strecke ist. Es ist die Zeit, die einen mürbemacht. Wenn man mittags um 14 Uhr bereits über neun Stunden Fahrzeit hinter sich hat, erscheinen einem die kommenden knapp acht Stunden zwar nicht unüberwindbar, aber durchaus herausfordernd. Dann gilt es, auf einem Motorrad zu sitzen, das einem Fahrfehler verzeiht und zur eigenen Fahrfähigkeit passt. Und hier punktet die Honda CRF 300 Rally. Sie ist komfortabel, leicht und verzeihend. Und wenn man sie richtig zwirbelt, kaum langsamer als die beiden Großen.
Kove 450 Rally und Yamaha Ténéré 700 Extreme dagegen fordern mehr Kondition vom Fahrer ein. Während die Ténéré bequem und feinfühlig zu Werke geht, schüchtert ihre Masse ein. Dieser psychologische Druck, das Motorrad nicht fallen zu lassen, zerrt vor allem an den Nerven weniger versierter Piloten. Lässt man es mit der Extreme einmal richtig fliegen, wir reden hier von dreistelligem Tempo auf losem Untergrund, kann es schnell gefährlich werden. Die zahme Yam keilt dann garstig mit dem Lenker aus. Diese unangenehme Eigenschaft offenbarte sie mit Stollenreifen in Marokko sowie jetzt mit den straßenlastigen Reifen auf der Tour. Wobei wir dieses Tempo nur zweimal zu Testzwecken anlegten.
Schotter-Spaß mit der Kove 450 Rally
Und die Kove 450 Rally? Um sie etwas umgänglicher zu machen und die Unterarme der Piloten zu schonen, öffneten wir die Druckstufendämpfung der Gabel komplett. Da sich die Ventile ungeschützt am unteren Ende der Gabel befinden, waren diese bereits schwergängig – nicht unbedingt ein gutes Zeichen für die Zukunft der Gabel. Abgesoftet verbesserte sich ihr Ansprechverhalten etwas, ohne Durchschläge zu riskieren. Und auch sonst zeigte sich die Kove auf Dauer zugänglich. Ihr raubauziger, aber legaler 450er Single hat wenig mit den explosiven KTM-Motoren der Wettbewerbsrenner zu tun. Schottern macht mit ihm reichlich Spaß, auch weil die Kove nicht nur wie ein Rally-Bike aussieht, sondern ergonomisch eins ist. Auf ihr kann man es gut den langen Tag aushalten. Und wer weiß, wenn es der Marke gelingt, den Rohdiamanten zu schleifen und die Zuladungsthematik zu lösen, wird sicherlich so mancher Ténéré-Fahrer zur Probefahrt aufsteigen.
Honda CRF 300 Rally (2024) | Kove 450 Rally Regular Edition | Yamaha Ténéré 700 Extreme (2024) | |
Motor | 1, Motor | 1, Motor | 2, Reihenmotor |
Leistung | 20,0 kW / 27,0 PS bei 8.500 U/min | 38,0 kW / 51,0 PS bei 9.500 U/min | 54,0 kW / 73,0 PS bei 9.000 U/min |
Hubraum | 286 cm³ | 449 cm³ | 689 cm³ |
Sitzhöhe | 885 mm | 960 mm | 910 mm |
Grundpreis | 6.900 € | 9.200 € | 11.899 € |