Enduro-Vergleichstest

Enduro-Vergleichstest
Herzblatt

Zuletzt aktualisiert am 03.01.2000

Wie gut, dass es die Herzblatt-Show gibt. Jener Fernseh-Dauerbrenner, in der Singles um ihre Traumpartner buhlen. Traumpartner, wie Sie einer sein könnten. Wir haben vier attraktive Singles von Honda, KTM, Suzuki und Yamaha daran teilnehmen lassen. Um zwei Fragen zu klären: Wieviel Enduro braucht der Mensch und wie wirken sich 4500 Mark Preisunterschied aus. Vielleicht ist auch etwas für Sie dabei. Hier kommt Kandidat eins:
Honda Vigor. Mit Kai Pflaume-Bonus. Mal ehrlich: Welche Groß- oder Schwiegermutter ist schon böse, wenn man mit diesem niedlichen kleinen Vigor vorfährt? Für Geldbeutel-freundliche 8990 Mark und mit Abmessungen, die man eher an einem Stationär-Bike auf dem Kinder-Karussell vermutet als im Schaufenster des Honda Händlers.
Kandidat Nummer zwei betört durch Diskretion. Suzukis DR 650 SE ist so unauffällig, dass sie schon wieder auffällt. Steht einfach da und wartet drauf, dass man sich ihr auflädt. Ein zweirädriger Golf ohne Extras mit dem verträumten Charme eines Meerschweinchens für vergleichsweise günstige10290 Mark.
Kandidat Nummer drei begrüßt einen für knapp 1000 Mark mehr. Yamahas TT 600 R ist eine Kriegserklärung an alle Softies. Kickstarter, Rallye-Cross-Bereifung, Rudimentär-Elektrik, Traktor-Design. Mit dem Umfall-Bonus: Egal wie sie fällt, es kann fast nichts kaputtgehen.
Kandidat Nummer vier kommt direkt aus dem Fitness-Studio. KTMs 640 LC4 ist der charismatische Geheimagent. Groß, stark, schwarz, sportlich. So viel James Bond ist nicht billig. Für 13370 Mark erhält man einen apparten Kraftprotz mit wunderbarer Aussicht. Denn die Sitzhöhe ist nichts für Kleinwüchsige. Okay. So viel dazu. Frage eins: Wie wirken sich die Preisunterschiede im Asphalt-Dschungel aus?
Sitzprobe: Während die japanischen Bikes allesamt die Fahrer integrieren, vermittelt die österreichische KTM das Gefühl, auf statt in ihr zu sitzen. Das ist besonders nervig während des Berufsverkehrs im Stadtverkehr. Im Stopp-and-go-Rhythmus mogelt sie sich kapriziös wie auf Stelzen durch die Blechlawine. Ihre harte, abgerundete, schmale Sitzbank hinterlässt den Eindruck, auf einer überdimensionalen, geschälten Banane zu rutschen. Gottlob ist die Kupplung leicht dosierbar, denn niedrige Drehzahlen mag der Motor überhaupt nicht. Hohe dafür umso mehr. Egal welche Situation, den Dreh am Gasgriff setzt die KTM in furchterregenden Vortrieb um. In den ersten beiden Gängen sind Wheelis ohne Kupplungs-Schnapper möglich, wenn nicht gar unvermeidlich. Zeigt das Vorderrad erst mal in Richtung siebter Stock, dann braucht es einfach nur noch milimeterweises Zucken der Gashand, um den Tanz auf dem Hinterrad ins Unendliche auszudehnen. Neben diesem Motor wirkt jeder der anderen Kandidaten wie Mr. Bean neben Arnold Schwarzenegger. Auch Dosierung sowie Wirkung der Scheibenbremsen lassen kaum Wünsche offen. Die Federung ist ebenfalls über alle Zweifel erhaben, spricht sensibel an, zwingt die Räder satt zu Boden, kompensiert jegliche Unebenheiten, ohne zu springen. Mit kleinen Handgriffen lassen sich sowohl Gabel als auch Federbein auf alle Eventualitäten einstellen. Kurven kratzen im wörtlichen Sinne entfällt. Denn wenn dieses hochbeinige Ungetüm aufsetzen sollte, dann bedeutet das: Sturz. Die LC4 ist verliebt in weite Kurven und steht engen Kehren eher widerspenstig gegenüber, verlangt hineingedrückt zu werden. Und falls Vibrationen Impotenz fördern, sollten potenzielle Familienväter sie lieber meiden. Die Ausgleichswelle verliert den Kampf in jeder Runde.
Vibrationen sind der Yamaha TT 600 R zwar auch nicht ganz fremd, jedoch fallen sie hier dezenter aus, und resultieren aus der verzweifelten Kraftanstrengung heraus, mit der der Motor versucht, die angegebene Leistung zu mobilisieren. Agil wie eine Schildkröte dreht der betagte Vierventiler hoch, entwickelt jedoch im Drehzahlkeller Traktor- und Trial-Charakter. Das hat natürlich Vorteile. Egal ob Stau oder der relaxte Trip zum Badesee; Kandidat drei ist ein gutmütiger, verlässlicher Partner. Wenn sie läuft. Doch das Ankick-Szenario ist unspektakulärer als befürchtet. Dreimal locker runtertreten, dann einmal kräftig mit Schwung – niemals dabei Gas geben –, schon blubbert es aus dem dicken Schalldämpfer. Für Adrenalin-Zirkulation hingegen sorgen die serienmäßig montierten Pirelli Rallye-Cross. Hoppeln beim Ausrollen vor roten Ampelen, sind unfreiwillig ideale Driftkumpane auf feuchtem oder trockenem Asphalt. Dazu gesellt sich ein weiteres Manko. Nach dem Motto: »Wer bremst, verliert«, ist die TT immer der Gewinner. Die montierten Beläge scheinen eine Aversion gegen die Scheibe zu hegen. Vor allem hinten ist die Bremswirkung sehr bescheiden. Vorausschauendes Fahren ist angesagt. Bei Dunkelheit leider nur schwer möglich. Der kleine Scheinwerfer – er sieht aus wie die plattgeschlagene Nase eines Boxers – leuchtet nur bei laufendem Motor und ist mehr glamourös statt gleißend. Das Fahrwerk hingegen besticht durch einen gesunden Mix aus Handlichkeit und Geradeauslauf. Trotz der Rubbelreifen lässt sich die TT zielgenau und präzise durch Kurven zirkeln, die Sitzposition saugt den Fahrer an, er wird Teil der Maschine. Bodenwellen, Huppelstraße – das Öhlins-Federbein ist über alle Angriffe von unten erhaben. Die 45er-Paioli-Gabel leider nicht. Unsensibel halten beide Fäuste das Rad auf dem Boden, daran ändert auch die leicht erreichbare Dämpfungs-Einstellung an der Gabelbrücke nichts.
Und Kandidat Nummer zwei? Suzukis Mannen haben sich bei der DR auf den enduralen Grundgedanken besonnen: nicht wenig gut, sondern alles können. Schon bei der Sitzprobe gibt sich die 650er keine Blöße. Alles passt, ist an der richtigen Stelle. Zumindest für Fahrer zwischen 160 bis 180 Zentimeter. E-Starter, Drehzahlmesser, Edelstahlauspuff, Scheibenbremse vorn und hinten. Zwei Ausgleichswellen sorgen für seidenweichen Motorlauf, je 260 Milimeter Federweg sollen alles ausbügeln. Das Ganze unspektakulärer verpackt als eine Rigipsplatte. Genauso unspektakulär fährt sich die DR auch. Der Motor schnurrt wie eine Nähmaschine, ist sanft, drehfreudig und durchaus Wheelie-freundlich. Mit harmonischer Leistungscharakteristik und einem fünften Gang als Overdrive. Die Suzuki nimmt sämtlichen Stress vom Fahrer, wirkt fast in jeder Situation beruhigend wie eine liebevolle Großmutter. Auch Kurvensurfen wird zum Kinderspiel. Die Suzuki folgt der gedachten Linie exakt, lässt sich spielerisch hindurchzirkeln und bremst vorzüglich. Als Fluchtfahrzeug aus dem Alltag ideal, als Fluchtfahrzeug nach einem Bankraub jedoch denkbar ungeeignet. Bei extremen Tempi zeigt die lasche Federung der DR ihre Grenze. Vor allem im Zwei-Personen-Betrieb – der Beifahrer sitzt in Kauerhaltung - ist das Fahrwerk schwammig, beim Bremsen taucht die Fuhre ein wie in Treibsand.
Ein Terrain, dass für Hondas Vigor überhaupt nicht mag. Kandidat eins ist ein Stadtkind. Und dennoch ein Schrecken der Landstraße. 45 gemessene PS und ein Drehmoment das zum Teer umpflügen geeignet scheint. Ist der Dumping-Kanditat gedopt? Schacht auf, und der Motor katapultiert den Kleinen vehement in Richtung Horizont und nimmt es - werden die Kurven enger, der Belag schlechter - gern auch mit PS-Protzern aus der Straßenfraktion auf. Die Sitzposition ist für einen eingefleischten Enduristen gewöhnungsbedürftig: schmaler Lenker, puffige Sitzhöhe. Dazu ein geländeunfreundliches 19-Zoll-Vorderrad, die Lampenmaske wie ein Eierbecher. Doch standfeste Bremsen und ein handliches Fahrwerk entschädigen für den optischen Skandal. Der Vigor ist zielgenau, das Einlenkverhalten in Kurven ein wenig kippelig, die Federung straff und weit vom Schwebezustand der Gegenkandidaten entfernt. Das Federbein ist im Sozius-Betrieb rasch an der Belastungsgrenze angelangt. Übrigens: Keine Sitzbank unserer Kandidaten ist langfristig für Beifahrer geeignet, für weltreisende Ritte ist ein Kissen durchaus empfehlenswert. Soviel zum Einsatz auf der Straße.
Frage zwei: Ihr Opa ist ein Einsiedler. Der Weg zu ihm ist verdammt schlecht. Grasbewachsener Feldweg, dann Schotter, zum Schluss große Felsen. Wie schlagen sich die Kandidaten in diesem Terrain?
Hochgewachsenes Gras ist der Alptraum der Zweiradfraktion. Kaschiert einfach alles. Dicke Steine, tiefe Rillen, Pfützen. Hier prescht die Yamaha vor. Die Pirellis verbeißen sich in den Untergrund, die langen Federwege lächeln über so manches Loch im Boden. Auch die integrative Sitzposition vermittelt trotz gleicher Höhe mit der KTM Sicherheit. Sicherheit ist das Stichwort der DR. Niedrig, ungemein wendig und handlich, nimmt sie die Angst vor dem grünen Ungewissen. Jeder Anfänger fühlt sich auf Anhieb auf der DR-Sitzbank zu Hause, hat das Gefühl, morgen auch am Ortsschild von Kapstadt stehen zu können. Der Motor ist nicht zu giftig, der Schwerpunkt angenehm niedrig, das Heck bricht nicht ungewollt aus. Ganz im Gegensatz zur KTM. Der aggressive Motor verleitet zu Fahrfehlern, schnell ist man über das Ziel hinaus. Beginnt die österreichische Kampfmaschine erst mal zu straucheln, wünscht man sich die Beine einer Diva oder eines Basketball-Stars. Und der Vigor? Grande katastrophe. Naklar, es geht. Geht aber auch mit einer Yamaha Fazer oder Suzuki GSX-R. Nein, das mickrige 19-Zoll Rad kugelt in jedes Loch, die Reifen greifen nicht, der Lenker verlangt höheren Krafteinsatz.
Die Schotterstrecke ist erreicht. Klare Sicht und schwungvolle Kurven. Vorweg: Schotterkönig wäre eigentlich die KTM. Leider nur theoretisch. Denn die Yamaha spielt ihren Reifentrumpf aus und ist wieder vorn. Die 50 brutalen PS der KTM wirken als Schotterschleuder, die Metzeler-Sahara-Reifen setzt die geballte Kraft nicht in genügend Vortrieb um. Das KTM-Heck tänzelt wie ein Fisch im Wasser, hinterlässt eine Schneise der Verwüstung. Da nützt auch das ultrastabile Fahrwerk plus super Geradeauslauf nicht viel. Wieder gut dabei: die DR. Homogene Kraftentfaltung ermöglicht gezielte Drifts, jeder kommt mit der Maschine wunderbar zurecht. Und Vigor? Pendelt wie eine Hollywood-Schaukel, das Rad folgt dem Ruf der Löcher und Bodenwellen. Endlich die Felsen. Und für den Vigor Endstation. Trialunwillig – schmaler Lenker, mickerige Bodenfreiheit, 19er Rad, wie gehabt. Der KTM-Trialer erreicht sein Ziel mit blauen Flecken. Nein, Langsamkeit ist nicht die Tugend der LC4. Der Motor stirbt oft schlagartig ab, die Fuhre schlägt auf die Felsen. Auch die TT hat Probleme. Schwergängige Kupplung, hohe Sitzposition, denkbar ungeeignete Reifen fürs Felsklettern. Unser Opa sieht als erstes die Suzuki, den enduralen Alleskönner. Und wen sehen sie als ihren Traumpartner? Susi fasst das Ganze für uns noch mal zusammen.
Vigor, den idealen Lebensgefährten für kleinwüchsige, Sparer und Puristen mit Hang zum Superbike-Schreck, oder die TT mit dem Mythos der Unzerstörbarkeit, den prädestinierten Lebensabschnittsgefährten aller Globetrotter, Bauern oder Holzfäller? Oder vielleicht der unscheinbare, verlässliche Alleskönner DR, ohne die branchenübliche Idealmaße mit Golf-Bonus oder oder die KTM, die elegante Rüttelplatte im Schwertfisch-Design, die an Ampeln und Eisdielen gleichermaßen flaniert wie auf Schotterpisten? Aber so ist das mit Entscheidungen: Das Auge isst mit. Verlieben müssen Sie sich selbst.

























































Fazit Honda Vigor - Platz 3

Vigor kommt aus dem spanischen undbedeutet soviel wie Kraft, Ausdauer, Souveränität. Die hat der Kleine in der Tat. Kann sie aber leider nur im Straßenbetieb umsetzen. Gemessen am Preis-Leistungsverhältnis ist die Honda ein wunderbares Angebot für Stadtflitzer und Landstraßenräuber. Gäbe es keine Geländewertung, wäre sie garantiert die Überraschung dieses Vergleichstestes.

Fazit KTM - Platz 1

Sie kann ihre Herkunft nicht verleugnen. Die KTM ist fit for fun. Der bärenstarke Motor giert nach Beschleunigungsorgien, das spurstabile Fahrwerk ist auf Topspeed ausgelegt. Dennoch ist sie nicht für alles geeignet. Vibrationen und der extrem bissige Motor vermiesen einem die Lust auf pures Wandern oder Dahingleiten. Die LC4E ist aggressiv und überträgt dies auch auf den Fahrer.

Fazit Suzuki - Platz 2

Na also. Die legendäre XT 500 hat einen Nachfolger gefunden. Die Suzuki kann nichts besser als unscheinbar sein, aber auch nichts wirklich richtig schlecht. Kombiniert man diese Eigenschaft mit dem Preis, ist die DR der heimliche Testsieger. Vor allem, weil wirklich jeder sich sofort auf diesem Packesel wohl fühlt. Vom Profi bis zum Anfänger.

Fazit Yamaha - Platz 4

Junger Körper, altes Herz. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Der betagte Vierventiler ist zwar erprobt – genauer gesagt 17 Jahre erprobt - aber leider zu träge. Zusammen mit den Bremsen, die weit hinter dem Standard der Konkurrenz liegen, hat es für die Yamaha-Köche nicht gereicht einige gute Zutaten zu einem rundherum schmackhaften Eintopf zusammen zu rühren.