Fahrbericht Yamaha-Werkscrosser YZM 400 F
It's a Pony

Während die Konkurrenz in der Querfeldein-Weltmeisterschaft kraftvolle Schlachtrösser galoppieren ließ, gab Yamaha quirligen Ponies die Sporen - mit Erfolg. MOTORRAD hatte Gelegenheit zu einem heißen Ritt.

»Am Ende der Saison kommt alles in die Presse«, konstatiert Yamaha-Chefingenieur Shiohara wie selbstverständlich. Er meint damit nicht, daß die eingeladenen Journalisten über ihre Eindrücke mit der YZM 400 F berichten. Vielmehr werden die mit unglaublichem Aufwand aufgebauten Werkscrosser demnächst nach Japan verschifft - um sie dort einzustampfen. Schade eigentlich, denn lang ist es her, da den Technik-Gourmets so wunderschön zubereitete Feinkost serviert wurde.
Verblüffend ist das Konzept: Vor der Saison war undenkbar, daß ein kleiner Viertakter die großvolumige Konkurrenz in der 500er-Weltmeisterschaft besiegen könnte. Das ist den Werksfahrern Andrea Bartolini und Stefan Johansson 1997 jedoch vielfach gelungen. Dabei ist die Technik der geheimnisumwitterten YZM allem Anschein nach eher konventionell. In die Karten ließ sich die Sportabteilung der Japaner nicht schauen, Einzelteile aus dem Inneren waren für die Presse tabu. Immerhin wurde der oft bezweifelte Hubraum von wirklich nur 397 cm³ bestätigt. Auch das Rätsel um das Steuerventil links am Zylinderkopf wurde gelöst: Es gewährleistet konstante Druckverhältnisse im Motorgehäuse und somit einen gesicherten Kreislauf des nur 0,8 Liter fassenden Ölhaushalts.
Daß die YZM kompromißlos auf Höchstleistung getrimmt ist, wird schon beim Ankicken klar. Nur ein energischer Tritt erweckt den extrem hoch verdichteten Fünfventiler zum Leben, eine Dekompressionsautomatik fehlt. Die ersten Meter zeigen dann erst einmal, wie man es nicht machen sollte: Die Drehzahl ist zu niedrig, plötzliches Aufreißen des Gasgriffs quittiert die YZM mit Arbeitsverweigerung, da die Gemischversorgung durch die riesigen Ansaugkanäle zusammenbricht. Schon nach ein, zwei Runden wird jeder YZM-Novize aber von der begeisternden Drehfreudigkeit mitgerissen. Das brüllende Auspuffgeräusch bei über 10 000 Touren wirkt wie eine Droge. Das nutzbare Band ist sogar recht breit, obwohl es erst bei Drehzahlen beginnt, bei denen größere Viertakter bereits dicke Backen machen.
Beeindruckend, wie spontan der Werkscrosser auf jeden Dreh am Gasgriff reagiert - dagegen wirkt selbst eine Husaberg phlegmatisch. Die Charakteristik ist mit keinem derzeitigen Viertakt-Crosser vergleichbar, erinnert viel eher an einen giftigen 250er-Zweitakter. Dabei ist die Traktion auf rutschigen Kursen eher besser, die Leistung läßt sich leichter auf den Boden bringen. Daß auch in der Spitze ausreichend Power vorhanden ist, beweisen die vielen guten Starts der beiden Werksfahrer in der abgelaufenen Saison. Kein Wunder bei fast 60 PS und nur 102 Kilogramm Lebendgewicht. Entsprechend leichtfüßig wirkt die YZM beim Beschleunigen, die Frontpartie strebt ständig gen Himmel. Der Schaltfuß wird dabei nicht überstrapaziert. Die drei oberen Gänge der Viergang-Schaltbox reichen, der erste dient als »Fahrerlager-Gang«. Im Supercross reichten dem amerikanischen Werksfahrer Doug Henry gar zwei Gänge, um sich mit der YZM 400 F gegen die Zweitakt-250er durchzusetzen.
Der agile, leichte Motor bestimmt auch das Fahrverhalten der YZM. Sie taucht nicht so tief in die Wellen ein wie andere Viertakter. Der leichte Motor und das kompakte Chassis belasten die Federung weniger, die daher auch überraschend weich abgestimmt werden kann. Beim Bremsen vor Kurven bleiben Gabel und Lenker ruhig. Böswilliges Lenkerschlagen kennt der kleine Viertakter trotz des messerscharfen Handlings nicht, der Geradeauslauf ist beruhigend. Ein bißchen störrisch kann die YZM nur werden, wenn sie zum Beispiel mit hoher Drehzahl aus der Kurve beschleunigt wird. Dann keilt das Heck an Kanten schon mal heftig aus. Kurven und Sprünge sind das Lieblingsmetier der YZM, da entpuppt sie sich als echtes Funbike. Die Kreiselmomente sind wegen der kleinen Schwungmassen im Motor gering, daher klappt das Leichtgewicht wie von allein in enge Kehren. Auch beim Rausfahren am Kurvenausgang fällt es viel leichter als bei jedem anderen Viertakter, die Linie zu wählen.
Ein Trost für Technikfreaks: Die ausgedienten Werks-Crosser kommen zwar in den Shredder, 1998 wird Yamaha aber mit neuen, verbesserten Maschinen weitermachen. Und andere Viertakter werden dem YZM-Konzept folgen. Denn das Erfolgsgeheimnis läßt sich kopieren: It´s not a trick- it´s a pony.

Unsere Highlights

Hightech in Serie?

Das Konzept ist das gleiche, die Ausführung zwangsläufig völlig anders: Wie der Werksrenner hat der ebenfalls im rot/weißen Design auftretende Serien-Ableger YZ 400 F knapp 400 cm³ Hubraum, jedoch bei 92 Millimeter Bohrung und 60,1 Millimeter Hub. Damit soll das Drehzahlband noch breiter werden. Die hohe Verdichtung von 12,5 :1 läßt vermuten, daß der käufliche Viertakter ähnlich gut am Gas hängt wie das Werksgerät. Die Spitzenleistung wird mit vielversprechenden 55 PS angegeben, die Drehzahl soll bei 11 000/min begrenzt werden. Damit wäre reichlich Spaß garantiert. Damit der auf Dauer anhält, hat der kleine Viertakter eine Trockensumpfschmierung mit dem Hauptrahmen als Reservoir. Neben der Spitzenleistung genoß bei der Entwicklung Leichtbau oberste Priorität. Magnesiumdeckel links und rechts am Motor sowie auf dem Kopf zeugen davon. Die Ausgleichswelle bildet keinen Widerspruch dazu, denn erst dadurch wurde eine extrem leichte, trotzdem aber standfeste Kurbelwelle möglich. Ziel der Diät: Das Handling der trocken 107 Kilogramm leichten 400 F soll trotz Kompromissen zugunsten der Alltagstauglichkeit dem der Werksmaschine nahekommen. Ab Januar 1998 sollen die ersten der 12 600 Mark teuren Viertakter-Crosser in Deutschland eintreffen, die Rede ist von 200 Einheiten für das Frühjahr. Noch steht nicht fest, ob es auch eine Enduro-Version geben soll. Aus Frankreich wird jedoch vermeldet, daß ab April eine zulassungsfähige Variante in blauem Design folgen wird, die im kommenden Jahr von der Offroad-Legende Stephan Peterhansel im Endurosport - und bei Rallyes? - eingesetzt werden soll.

Yamaha YZM 400 F

MotorWassergekühlter Einzylinder-Viertaktmotor, gefrästes Gehäuse aus Aluminium, Magnesium-Deckel, zwei obenliegende, über Kette und Zwischenräder angetriebene Nockenwellen, fünf über Tassenstößel betätigte Titanventile, Stahlpleuel, Naßsumpfschmierung mit Ölpumpe, Ölmenge 0,75 Liter, Kurbelwellenraum abgeschottet, Keihin-FCR-Flachschiebervergaser, Ø 45 mm, wahlweise Versionen mit Kick- oder E-Starter, Ölbadkupplung, Viergang-GetriebeBohrung x Hub 95 x 56 mmHubraum 397 cm³Nennleistung min. 57 PS bei 10 000/minmax Drehmoment 45 Nm bei 9000/min Max. Drehzahl 12 000/minVerdichtung 12,5 : 1FahrwerkEinschleifenrahmen aus Stahlrohr mit geteilten Unterzügen, angeschraubtes Rahmenheck aus Kohlefaser mit integriertem Ansaugkasten, Öhlins-Telegabel oder Kayaba-Upsidedown-Gabel mit einstellbarer Zug- und Druckstufendämpfung, Schwinge aus geschweißten Alublechen, Öhlins- oder Kayaba-Zentralfederbein, über Hebelsystem angelenkt, mit verstellbarer Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Magnesium-Naben und Alu-FelgenMaße und GewichteGewicht ohne Benzin Kickstarter-Version: 102 kg E-Start-Version: 105 kgTankinhalt 8,7 Liter

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023