Erfolge im Sport und technische Experimente: meist ein Widerspruch in sich. BMW versucht es im Offroad-Sport trotzdem mit einer äußerst experimentierfreudigen 450er. Geht der spektakuläre Prototyp schon bald in Serie?
Erfolge im Sport und technische Experimente: meist ein Widerspruch in sich. BMW versucht es im Offroad-Sport trotzdem mit einer äußerst experimentierfreudigen 450er. Geht der spektakuläre Prototyp schon bald in Serie?
Mut wird im Sport in aller Regel belohnt. Allerdings nur dann, wenn der Fahrer beherzt zu Werke geht. Falls sich Ingenieure und Techniker für gewagte Konstruktionen und Experimente entscheiden, bleibt der Erfolg üblicherweise auf der Strecke. Das gilt heute mehr denn je. Während sich früher fantasievolle Bastler mitunter durch revolutionäre Ideen einen technologischen Vorsprung verschaffen konnten, ist technische Überlegenheit durch Innovation bei dem inzwischen erreichten Niveau und Aufwand nur in kleinen Schritten möglich. Wer vorn dabei sein will, muss im Mainstream mitschwimmen oder einen sehr langen Atem haben.
Den letzteren, mühevollen Weg will nun offensichtlich BMW gehen: Wie bereits gemeldet (MOTORRAD 7 und 10/2007), haben die Bayern einen sensationellen 450er-Prototyp in der Enduro-DM und -WM an den Start geschickt, der mit einer ganzen Reihe von ungewöhnlichen Lösungen die Fachwelt überraschte.
Im Zentrum aller Innovationsfreudigkeit steht die zündende Idee, die Achse von Ritzel und Schwinge zu vereinen. Das bietet gleich mehrere Vorteile: Die Kette kann dann wirklich »gespannt« werden, das peitschende, entspannte Trumm muss trotz langer Federwege nicht mit Rollen und Führungen eingefangen werden. Gleichzeitig werden dadurch die Kräfte, die der Antrieb auf die Hinterradfederung ausübt, reduziert. Und die Schwinge wird länger, ohne dass der Motor nach vorn rücken muss, was für gute Traktion sorgt.
Neu ist diese Idee keineswegs. Schon vor Jahrzehnten hatten sich Tüftler und Konstrukteure darüber Gedanken gemacht. Bimota baute in den Achtzigern einige Serienmaschinen, bei denen die ausla-dende Schwinge beidseitig exakt neben dem Motor auf der Achse der Getriebeausgangswelle gelagert war. Einen ähnlichen Effekt wollte schon Fritz Kramer Mitte der Siebziger bei seinen Maicos erzielen, indem er dem eigentlichen Sekundärtrieb einen zweiten, kurzen Kettenantrieb bis zur Schwingenachse vorschaltete. Und in Italien gab es 1977 eine Geländemaschine namens Wafner 125, die der aktuellen BMW ganz ähnlich sieht.
Also im Prinzip alles schon mal da gewesen. Aber die BMW-Ingenieure haben sich eine ziemlich ungewöhnliche Lösung einfallen lassen, indem sie die Schwingenachse durch die hohle Getriebewelle führen. Das ist wirklich neu. Und ziemlich verwegen, weil es diverse weitere technische Klimmzüge nach sich zieht.
Doch zunächst meldet sich der Praktiker: Wie kann man das Ritzel wechseln, ohne das halbe Motorrad zu zerlegen? Laut BMW soll das eine Sache von maximal 15 Minuten sein: Kette öffnen, Schwingenachse lösen und herausziehen, Schwinge nach hinten schwenken, schon sei das Ritzel zugänglich.
Größere »Kollateralschäden« gibt es in konstruktiver Hinsicht. Zunächst kann die Schwingenachse nicht mehr die zentrale tragende Verbindung von Motor, Schwinge und Rahmen sein, weil der Motor ja nur »übergestülpt« ist. Also ist eine sehr exakte und steife Verschraubung an den Aufhängungspunkten des Motorgehäuses nötig, zumal die Schwingenachse nicht in der Getriebewelle gelagert ist.
Das nächste Problem: Kupplung und Primärtrieb müssen aus dem Weg, weil sie sonst mit der Schwingenachse kolli-dieren würden. Auch hier fand sich eine außergewöhnliche Lösung: BMW platziert die Kupplung direkt auf der Kurbelwelle, im Prinzip nicht anders als bei den Boxern. Im Vergleich zur konventionellen Lösung kann die Kupplung viel kompakter ausgelegt werden, da sich die Kurbelwelle schneller als die Getriebeeingangswelle dreht und somit das zu übertragende Drehmoment entsprechend geringer bleibt. In einer Patentschrift hat BMW eine Trockenkupplung vorgesehen, in den Prototypen ist angeblich eine Ölbadkupplung mit sechs bis acht Reibscheiben eingebaut.
Ob trocken oder nass, hier liegt vielleicht ein Knackpunkt der Konstruktion: Hält die kleine, hoch drehende Kupplung den extremen Belastungen im Gelände-einsatz stand? Tatsächlich musste laut der Aussage von Insidern und entgegen der offiziellen Verlautbarung (Elektrikprobleme) beim ersten Einsatz bei der Enduro-DM in Uelsen die verglühte Kupplung nach permanenten Schwierigkeiten mehr als einmal gewechselt werden.
Wie erwähnt würde auch das große Zahnrad des Primärtriebs mit der Schwingenachse kollidieren. Daher hat die 450er einen zweifachen Primärtrieb mit Zwischenwelle, der eine umgekehrte Drehrichtung der Kurbelwelle bewirkt. Einige MotoGP-Racer etwa die Yamaha von Rossi lassen den Motor ebenfalls rückwärts laufen. Dadurch heben sich die Massenträgheitsmomente der drehenden Teile also neben dem Kurbeltrieb Kupplung, Getriebe, Räder teilweise wieder auf, was sich positiv auf das Handling auswirken soll. Außerdem wird die Wheelie-Neigung reduziert. Bei einer 240-PS-Granate sicher ein Argument, im Gelände wohl nicht kriegsentscheidend.
Der Rest des BMW-Motors ist Stand der Technik: vier Ventile, zwei Nockenwellen. Wegen des weiter nach hinten gerückten Motorgehäuses neigt sich der Zylinder ziemlich schräg nach vorn. Das wiederum schafft die Möglichkeit für gerade Ansaugwege nach oben zur Airbox. Es ist ausreichend Platz für eine Einspritzung mit zwei Drosselklappen vorhanden. Und der Tank wandert wie bei den BMW-Straßeneinzylindern unter die Sitzbank.
Die Motorkonstruktion schafft auch mehr Freiheiten für die Auslegung des Rahmens. Direkte, geradlinige Rahmenrohre von der Schwingenachse zum Steuerkopf sollen Steifigkeit bringen. Erstaunlich fragil erscheint das Rohrwerk des Prototyps. Umso erstaunlicher, dass hier nicht die üblichen Rohre aus hochfestem Stahl verwendet werden, sondern nahtlos gezogenes Edelstahlrohr. Da darf man gespannt sein, wie sich das auf das Fahrverhalten auswirkt. Erstaunlich wäre, wenn BMW
damit eine ähnliche Steifigkeit erzielen würde wie die massiven Konstruktionen der japanischen Konkurrenten, die aus Alu-Gussteilen bestehen.
Dagegen wirkt die Federung für BMW-Verhältnisse ganz konventionell. Keine Spur von Tele- oder Duolever, kein Luftfederbein. Vorn arbeitet eine gewöhnliche Marzocchi-Gabel wie sie im Offroad-Sport weit verbreitet ist, hinten ein direkt ohne Hebelei auf der Schwinge angelenktes, progressiv arbeitendes Öhlins-Federbein. Eine ähnliche Bauweise wie bei den KTM-Sportenduros mit WP-Federelementen.
Insgesamt ist die 450er-BMW eine sehr ungewöhnliche, mutige Konstruktion, deren erste Sporteinsätze in DM und WM wenig erfolgreich verliefen. BMW betont zwar immer wieder, dass die 450er ein reiner Prototyp und Technologieträger sei. Die Spatzen pfeifen aber bereits von den Dächern, dass ein Serienmotorrad auf eben dieser Basis noch in diesem Jahr auf den Herbstmessen präsentiert werden soll.
Wie kam es zu der Idee, ein technisch so gewagtes Motorrad zu entwickeln?
Im Entwicklungsteam gibt es viele kreative Leute, denen eine Menge guter Sachen einfallen. Einer davon ist Markus Theobald, der seit vielen Jahren im Enduro-Sport sehr engagiert tätig ist. Seine Idee hat überzeugt, und somit haben wir Prototypen gebaut.
Es gab bislang einige technische Probleme mit den Proto-
typen. Woran haperte es?
Prototypen dienen der Erprobung und dem weiteren Erkenntnisgewinn, technische Probleme sind da völlig normal. Wichtig ist, dass das Konzept funktioniert, sich bewährt und bisher als wettbewerbsfähig erweist. Der Rest ist normale Entwicklungsarbeit.
Wird es demnächst eine 450er-Serienmaschine auf dieser
Basis geben?
Darüber entscheiden wir final im Laufe des Jahres. Jetzt entwickeln wir erstmal das Konzept zuende, werten die Ergebnisse aus den Rennen aus, dann sehen wir weiter.
Wäre solch ein Motorrad wegen der teils recht aufwendigen konstruktiven Lösungen nicht ziemlich teuer in der Fertigung, also auch für den Kunden?
Das ist rein spekulativ, es ist einfach noch zu früh,
darüber jetzt schon etwas zu sagen. Wir sind ja noch in der Entwicklungsphase.
Warum treibt es BMW nun plötzlich in den Dreck?
BMW Motorrad hat ja schon eine sehr, sehr lange
und erfolgreiche Tradition mit Offroad-Motorrädern. Bereits vor mehr als 80 Jahren nahmen BMW-Werksfahrer und Entwickler an Gelände-Wettbewerben teil. Genau genommen sind wir
damit von den heute existierenden Motorradherstellern der-
jenige mit der längsten und kontinuierlichsten Offroad-Erfahrung. Das Endurosegment bietet Wachstumschancen für uns, die Szene ist jung und kann uns neue Kunden zuführen, die wir mit unseren anderen Modellen nur schwer erreichen.
Wohin soll die Reise denn gehen, will BMW bald KTM & Co. Konkurrenz machen?
BMW Motorrad ist schon immer erfolgreich seinen
eigenen Weg gegangen. Natürlich schauen wir uns den Markt und auch den Wettbewerb genau an, aber wir orientieren uns an den eigenen, langfristigen Zielsetzungen.
Anderes Thema: In welchem Stadium befinden sich denn die Übernahmegespräche mit Husqvarna/MV Agusta?
Es gibt Kontakte zum Eigentümer von Husqvarna, mehr möchte ich dazu zum heutigen Zeitpunkt nicht sagen.
Verhandeln Sie auch mit Husqvarna/Schweden, die ja immer noch die Namensrechte haben?
Ich möchte zu diesem Thema mehr, als dass es
Kontakte zum Eigentümer von Husqvarna gibt, nicht sagen.