Schwerelos am Himmel schweben, von Hügel zu Hügel fliegen für solche Luftakrobatik wählte man bisher einen leichten Zweitakt-Crosser. Doch die ehemals plumpen Viertakter sind flügge geworden. Mit den übergewichtigen Monstermaschinen früherer Tage haben die aktuellen Viertakter nichts mehr gemein; sie mussten abspecken, wurden spritziger, wendiger. Und blasen nun zum entscheidenden Angriff: Ab 2003 sollen die letzten Bastionen der Zweitakter, die 125er- und die 250er-Klasse, fallen. Möglich macht dies ein politischer Schachzug, der den weniger effektiven Viertaktern einen Hubraumbonus zugesteht. Und für die Kategorie 250-Zweitakt/450-Viertakt wurde das Serienmaterial kräftig aufgerüstet.
Yamaha gab beim Taktwechsel zunächst den Rhythmus vor, musste aber im letzten Jahr den Taktstock an Honda übergeben und hat nun die etwas in die Jahre gekommene YZ 426 F radikal überarbeitet. Mehr Aggressivität, weniger Gewicht lauteten die Vorgaben bei der 450er. Mit gemessenen 105 Kilogramm fahrfertig unterbeietet sie nicht nur die alte 426 um glatte sechs Kilogramm, sondern auch die schärfste Konkurrenz. allerdings nur knapp, denn Honda hatte im letzten Jahr mit rund 106 Kilogramm für die CRF 450 R die Messlatte hoch gehängt. So hoch, dass die Japaner für 2003 nur an wenigen Details herumfeilten. Ob das reicht?
KTM hat mit der 450 SX ebenfalls ein heißes Eisen geschmiedet, ebenso leicht wie die Honda, basierend auf einem Kurzhub-Motor mit Titanventilen und geringen Schwungmassen. Husqvarna präsentierte den dohc-Motor bereits vor zwei Jahren, aber aufgrund der wirtschaftlichen Probleme des Mutterkonzerns MV Agusta kommen erst jetzt vereinzelt Exemplare in den Handel. Ungewöhnlich: der E-Starter, der wahlweise durch einen Kickstarter ersetzt oder ergänzt werden kann. MOTORRAD bekam die elektrifizierte TC 450, mit Batterie und Starter 114 Kilogramm schwer.
Ne Menge Holz, zumal außerdem auf dem Prüfstand über den ganzen Drehzahlbereich Leistung fehlt. 48 PS sind als Spitzenwert nicht gerade umwerfend. Das verbleibende Trio schenkt sich mit 51 bis 52 PS nichts, besonders hübsch die wie mit einem sanften Pinselstrich geschwungene Honda-Kurve. Die kaum minder schöne KTM-Linie hält vorsichtshalber ein paar PS Respektabstand, übertrifft erst ganz oben die Honda. Die Yamaha glänzt bei höchsten Drehzahlen, ist stark in der Mitte, leistet sich jedoch ein paar Dellen und ganz unten einen Durchhänger.
Aber Kurvendiskussionen sind graue Theorie, wie der Cross-Profi längst weiß. Was zählt, is´ auf´m Platz, das fängt bei der Sitzposition an. Da gibt es mittlerweile wenig zu kritteln. Viertakter sind keine gestrippten Enduros mehr, sondern waschechte Crosser, allesamt schmal und flach gebaut. Die Honda ist ergonomisch fast perfekt, nur der Sitz dürfte ruhig härter sein. Auch die YZ passt wie ein Turnschuh, nichts stört die Bewegungsfreiheit. Die KTM wirkt kürzer, Lenker und Sitzposition sind hoch, ein Hauch von Supercross-Feeling entsteht. Grazil gebaut ist auch die Husky, deren Lenker eher in Richtung Enduro als Supercross tendiert. Abgesehen von der KTM wird jedoch ohnehin jeder die Lenker tauschen, denn die Japaner verbauen hier billigstes Eisen.
Aber genug probiert, geschraubt, eingestellt, es wartet die fantastischen Strecken von Igualada bei wolkenlosem Himmel und Temperaturen um 23 Grad, während über Deutschland der Orkan tost. Ein Traum. Auch wegen der Maschinen, denn die 450er-Viertakter sind keineswegs langsamer als 250er-Zweitakter, trotzdem leichter zu fahren. Abgesehen vielleicht von der Yamaha, die führt sich mitunter wie eine schwer zähmbare Bestie auf. Jeden kleinsten Dreh am Gasgriff setzt die YZ augenblicklich in Drehzahl um, blitzschnell rast der Fünfventiler durchs Band. Ein spaßiges Unterhaltungsprogramm, solange der Boden griffig ist. Bei hartem Untergrund jedoch gerät jede Beschleunigung zur schlüpfrigen Angelegenheit, das Hinterrad sucht ständig Traktion und findet sie nicht. Selbst Profi-Tester mit gefühlvollem Gashändchen verlieren wertvolle Meter. Woran liegt´s? Sicher an den geringen Schwungmassen des Motors und der aggressiven Abstimmung, aber wohl auch ein bisschen an der Federung. Das Heck bleibt hinten immer steif und hoch, da kann man an den vielen Rädchen drehen, wie man will. Ganz anders übrigens als die bisherige 426er, die unter Last einknickte und fast am Boden klebte.
Die ungezügelte Vehemenz der Yamaha beantwortet Honda mit raffinierter Effizienz. Die CRF hat jede Menge Power, aber außer dem Mann mit der Stoppuhr merkt es keiner. Relativ sorglos kann der Pilot ans Gas gehen, der Unicam-Vierventiler wirkt beinahe sanftmütig. Die Honda gibt dem Fahrer immer das Gefühl, dass er der Boss ist, während bei der Yamaha stets der Motor Chef spielen will. Butterweich beschleunigt die CRF aus der Kurve heraus im hohen Gang über harte Kanten. So bekommt man spielerisch saubere Linien hin und gute Zeiten. Offensichtlich sind in dieser Klasse doch keine zwei Nockenwellen nötig, der Unicam-Motor wirkt auch im oberen Drehzahlbereich viel spritziger als sein Vorgänger.
KTM hält ebenfalls einen sohc-Zylinderkopf für ausreichend, die Performance spricht für das Konzept. Der Motor erscheint in obersten Regionen zwar etwas zugeknöpfter, dafür überzeugt er in mittleren Regionen mit Spontaneität. Bei jedem Gasstoß ist der gewünschte Druck sofort da. Häufig so direkt, dass der Fahrer viel Druck auf das Vorderrad geben muss. Nur im direkten Duell auf langen Geraden wird erkennbar, dass Honda und Yamaha einen Deut kraftvoller zu Werke gehen, meistens bleibt der Unterschied marginal. Bei Starts hechtet die aggressive SX mit einem kräftigen Satz vom Startblock, während die Husqvarna beim Kampf um den Holeshot nur eine Chance hat: dass Konkurrenten Fehler machen. Eine berechtigte Hoffnung, denn die TC lässt sich am leichtesten kontrollieren, was nicht zuletzt an größeren Schwungmassen liegt. Nur lang darf die Gerade nicht sein, sonst geht ihr schlicht die Puste aus.
Power ist in dieser Kategorie vielleicht nicht immer und überall das vorherrschende Thema. Federung, Handling und Stabilität sind für knackige Rundenzeiten mindestens ebenso wichtig. Leider kann die Husky ihr Leistungshandicap nicht überspielen, weil die Gabel einfach viel zu weich ist. Schon bei mäßigem Tempo geht sie häufig hart auf Block, deswegen nimmt man in prickelnden Situationen das Tempo raus. Schade, denn die hintere Federung kooperiert sehr gut mit dem traktorartigen Motor. Solange das Vorderrad in der Luft ist, lässt sich viel Positives über das Husky-Chassis berichten. Auch läuft die TC stabil geradeaus und im Kurvengeschlängel. Nur in engen Kehren wirkt sie schwerfälliger.
Diskussionsstoff bietet das KTM-Fahrwerk. Eine KTM ist anders, erfordert Umstellung im Fahrstil, mehr Körpereinsatz und Kraft. Die PDS-Federung arbeitet unter Zug sehr gut, jedenfalls solange man Druck auf die Rasten gibt. Auf der Bremse wird die SX ein bisschen hektisch, vor allem bergab über ausgewaschene Rillen und Wellen. Zumal der Fahrer hoch sitzt, die ganze Maschine extrem kurz und steil erscheint. Kräftige Arme sind hilfreich, auch um den Lenker beim Anbremsen zu stabilisieren. Eine gewisse Flatterneigung lässt sich nicht verleugnen. Das Handling ist im Prinzip gut, nur im Anlieger gibt sich die SX etwas kantig. Mal schiebt das Vorderrad zum Kurvenrand, mal knickt der Lenker nach innen, da sind Führungsqualitäten gefragt. Prinzipiell kommen eher große, kräftige Piloten mit der SX gut klar.
Neutral rollt die YZ durch die Anlieger, Handling und Lenkverhalten sind Yamaha-typisch tadellos. Kritik erntet jedoch die Federung. Hinten wegen der bereits zitierten Traktionsprobleme, was erneut beweist, dass es immer auf das Zusammenspiel vieler Komponenten ankommt. Auch die Gabel wirkt bockig, spricht auf kleine Wellen nur widerwillig an und schlägt hin und wieder durch. Von Komfort kann man im Fall der YZ nicht gerade sprechen. Anders als bei der KTM scheint das gelegentlich auftretende Lenkerflattern der Yamaha eher ein Gabelproblem zu sein.
Fazit: Herr im Luftraum wie auf dem Boden ist und bleibt die Honda CRF 450 R dank eines ausgewogenen Gesamtpakets. Die Yamaha ist einfach zu radikal geraten, es fehlt an Harmonisierung durch Feinschliff. Auf Anhieb konkurrenzfähig ist die KTM, hinkt motorisch den Japanern nur knapp hinterher die richtige Maschine für starkes, stressfestes Personal. Und die Husqvarna muss einfach nur kompromissloser auf Cross getrimmt werden.
1.Platz - Honda CRF 450 R
Effizienz: Die CRF überzeugt durch perfekte Balance, es lassen sich kaum Schwächen erkennen. Ihr Glanzstück ist der sanfte, gleichzeitig spritzige und drehfreudige Motor mit der besten Traktion, dazu kommen das spielerische Handling und das weich abgestimmte, präzise ansprechende Fahrwerk. Die CR fährt von beinahe von allein, da gibt es nie unangenehme Überraschungen. Der Liste an Stärken stehen minimale Kritikpunkte entgegen. Der Sitz dürfte ein bisschen härter sein, Topfahrer vermissen etwas Härte in der Federung.
2. Platz - Yamaha YZ 450 F
Vehemenz: Ist sie zu stark, bist du zu schwach. Die brachiale, explosive Leistungsentwicklung dominiert die neue YZ. Das Fahren ist ein ständiger Kampf mit dem durchdrehenden Hinterrad, die Yamaha bringt all die Kraft und Herrlichkeit einfach nicht auf den Boden. Dabei sind Handling und Lenkpräzision des Leichtgewichts vorbildlich, das kopflastige Feeling hat Yamaha dem Viertakter nun endgültig ausgetrieben. Der Motor malträtiert das Fahrwerk arg, die Federung päsentiert sich hinten wie vorn nicht in optimaler Verfassung.
3. Platz - KTM 450 SX Racing
Stringenz: Die Österreicher machen ernst, denn bisher war die 400er ein eher halbherziger Versuch, in der Mittelklasse Fuß zu fassen. Die neue 450 SX überzeugt dagegen mit einem aggressiven, homogenen Motor und kann auf Anhieb voll mitmischen, auch wenn im mittleren Drehzahlbereich noch ein paar PS zu den Klassenbesten fehlen. Das etwas nervöse Chassis ist mehr oder weniger Geschmacksache. Manche Piloten kommen mit dem kurzen, hohen Fahrwerk und der straffen PDS-Federung gar nicht klar, für andere passt die supercrossartige Abstimmung perfekt.
4. Platz - Husqvarna TC 450
Konsequenz: Genau daran fehlt es der Husky. Sie macht aus ihrem sehr modernen Motorkonzept zu wenig. Für den Crosseinsatz muss mehr Power und Spritzigkeit her, auch sollte die TC ruhig noch ein paar Kilos abspecken. Mit dem Verzicht auf den E-Starter ist es da übrigens nicht getan. Aber die treckermäßige Traktion der TC hat Vorteile, die Husky ist leicht beherrschbar, zumal das stabile Fahrwerk Vertrauen schafft. Weitere Kritikpunkte, etwa die Lenkerform oder die butterweiche Gabel, lassen sich leicht in den Griff bekommen.
Rundenzeiten und Fahrwerkseinstellungen
DerTest fand im Offroad-Park im spanischen Igualada nahe Barcelona statt (Infos über www.parcmotor.com, Kontakt informacio@parcmotor.com), der über eine bewässerte Crossstrecke, einen anspruchsvollen Supercross-Kurs und diverse Enduro- und Funride-Möglichkeiten verfügt. Testfahrer waren neben dem Autor der deutsche Ex-Meister Andy Kanstinger, der mehrfache ungarische Meister Gabor Grillmayer, der ehemalige schwedische Meister und spanische Vizemeister Mattias Nilsson, außerdem MOTORRAD-Mitarbeiter Gerhard Wagner (gute Besserung, Gerry!) und Fotograf Markus Jahn. Die angegebenen Fahrwerkseinstellungen gelten für eine harte, steinige Strecke. Die Rundenzeiten wurden von Andy Kanstinger auf der Crossstrecke gefahren, alle Maschinen waren mit Pirelli MT 32/MT 83 bereift.