Einst gab es eine Zeit, in der sich Honda nie und nirgends die Butter vom Brot nehmen ließ. Stets im großen Gang vorwärts stürmend, überraschte der Branchenprimus seine Konkurrenz immer wieder mit tollen Konzepten, und wenn die anderen doch mal schneller waren, mussten sie mit einer besonders raffinierten Retourkutsche rechnen. So erging es Kawasaki, deren GPZ 550 ab Frühjahr 1981 sehr erfolgreich eine neue sportliche Mittelklasse definierte. Schon vorher hatten alle vier Japaner den klassischen halben Liter Hubraum einfach aufgestockt und dabei spürbar an Durchzugskraft gewonnen. Die GPZ nun sprengte auch die bis dahin übliche 50-PS-Marke, und weil Ausmaße wie Gewicht gering blieben, genügten ihr zunächst 58, dann 62 muntere Pferdchen, um auf der Landstraße mit den damaligen 1000er-Superbike-Schwergewichten Katz und Maus zu spielen. Faszinierend, fanden die Kunden und erkoren den dynamischen Mittelklässler zum beliebten Investitionsziel.
Hondas Retourkutsche
Eher negativ beeindruckt war dagegen der Weltmarktführer. Er konnte nämlich nicht mitspielen. Seine alte ohc-CB 550 galt als komplett ausgereizt, und die aktuelle CX 500 sprach trotz irgendwie sportlicher Talente eine andere Zielgruppe an. Also neu machen. Wieder mal durfte Chefentwickler Hiroshi Kameyama alles in Reihe anordnen, dennoch hatte seine Ende 1981 präsentierte Vierzylinder-CBX 550 F von der Ölablassschraube bis zum Zylinderdeckel nichts mit den seit zehn Jahren verkauften Halbliter-Hondas zu tun. Das X im Namen verwies – genau wie bei der Sechszylinder-1000er – auf vier Ventile pro Brennraum. Die wurden, dem Standard jener Zeit entsprechend, von zwei kettengetriebenen Nockenwellen betätigt, allerdings nicht, wie sonst üblich, mittels Tassenstößeln, sondern sehr servicefreundlich über leichte, gegabelte Schlepphebel. Jedes Ventil mit eigenem niedlichem Einstellschräubchen. Das wiederum entspricht heutigem Standard.

Als ebenso modern darf der kompakte Brennraum gelten. Nur 38 Grad misst der Winkel zwischen 23-Millimeter-Einlass- und 20-Millimeter-Auslassventilen, durch eine markante Erhebung des Kolbenbodens formt sich ein dachförmiger Brennraum – Pentroof eben, in dieser Form von Honda patentiert. Er gewährleistet kurze Flammwege und somit schnelle, gleichmäßige Verbrennung. Leider kann es wegen der Enge im Oberstübchen ganz schön heiß werden, und deshalb hat Honda von vornherein einen Ölkühler spendiert, ein zweiter, schmalerer Ölpumpenrotor pumpt einen Teil des Schmiermittels direkt aus der Ölwanne dorthin.
Einfach klasse, wie leichtfüßig die CBX abgeht
Wie bei bisherigen Honda-Reihenvierzylindern reicht eine Zahnkette die Motorkraft weiter, allerdings nun ohne Zwischenwelle direkt an den Kupplungskorb. Rührt daher das spritzige Temperament, mit dem der fein verrippte Four schon im Stand auf Gasstöße reagiert und aus seiner verschlungenen Vier-in-zwei-Anlage faucht? Man kann es gar nicht oft genug hören, aber bevor das hier peinlich wird, muss es gut sein: Nach kurzem Schaltweg rastet der Erste ein, die leichtgängige und feinfühlige Kupplung stellt den Kraftschluss her, trocken noch zweimal hochgesteppt, heiser schnurrt die Honda CBX 550 aus dem Wohngebiet. Ganz zahm geworden, plötzlich. Zaubern konnten die Honda-Leute nämlich auch nicht: Ihr Triebwerk geht zwar schon knapp über 1.000 Touren brav ans Gas, nimmt den 25-mm-Keihin-Gleichdruckvergasern schluckfrei ihr Gemisch ab, entwickelt aber unter 3.500 Umdrehungen nur zarten Vorwärtsdrang. Es folgt ein äußerst zivilisierter Arbeitsbereich, so bis knapp 7.000/min, der für den ganzen Alltagskram passt.

Erst danach beginnt die Sportschau: Einfach klasse, wie leichtfüßig die Honda CBX 550 abgeht. Im Dritten in eine enge Biegung, Hahn auf, kurvenausgangs passt bereits der Vierte. Auf der Geraden bleibt stets der Fünfte drin, denn im letzten Gang verliert die CBX ihren schönen Kampfgeist: Die serienmäßige Endübersetzung ist zu lang gewählt, weshalb die Honda im ersten MOTORRAD-Vergleichstest – den sie übrigens gegen Kawasaki GPZ 550 und Yamaha XZ 550 gewann – die Zweipersonen-Höchstgeschwindigkeit im fünften Gang erreichte. 165 km/h bei 8870/min. Solo langliegend schaffte sie im Sechsten 191 bei gut 9000, blieb also immer noch deutlich unter der Nenndrehzahl.
Sportler mit Allroundtalenten
Einen Vergleichstest später sah die Sache etwas anders aus, denn da trat schon die parallel und für rund 900 Mark Aufpreis angebotene Honda CBX 550 F2 an. Die machte bei guten 180 km/h Schluss. Warum? Weil Honda auf den Zug der Zeit aufgesprungen war und ihr eine schicke, aber recht hoch aufragende Halbschale verpasst hatte. Das Fotomodell dieser Seiten übrigens ist ein Zwitter, erhielt die Verkleidung später, durfte trotzdem die Seitendeckel mit einfachem F-Schriftzug behalten.

Die Verkleidung sorgt für erhöhten Komfort, selbst größere Menschen fühlen sich gut behütet. Dazu noch ein für kleine bis nicht ganz riesengroße Staturen harmonisches Sitzarrangement, schon meldet sich die Reiselust. Man möchte jetzt direkt durchstarten, vom Rhein bei Köln bis über die Alpen. 18 Liter Tankinhalt, knapp sechs Liter Landstraßenverbrauch, erträgliche Vibrationen (und auch die nur in bestimmten Drehzahlbereichen), hoher Federungskomfort, netter Soziussitz – aus heutiger Sicht muss erstaunen, wie tourentauglich dieser kleine Sportler auftritt. Hauptständer trägt er natürlich auch, so was hat aktuell nicht mal jeder ausgewiesene Ausflugsdampfer.
F2 vier Kilogramm schwerer
Trotz dieser Ausstattungsoffensive gelang es Kameyama-San, das Kampfgewicht bei vollgetankt 209 Kilogramm einzufrieren, die verkleidete Honda CBX 550 F2 schleppt vier Kilogramm mehr rum. Geschenkt, denn auch sie überzeugt mit herrlicher Leichtigkeit. Die wenigen Pfunde wurden zudem gut verteilt, schon nach drei, vier Kurven spürt der Fahrer, wie toll ausbalanciert die CBX unterwegs ist. Vorn wie hinten rollt sie auf 18-zölligen Comstar-Verbundrädern, beide nur maßvoll breit bereift. An der Front führt eine sensibel ansprechende 35-mm-Gabel, im linken Holm versehen mit einem damals unvermeidlichen Anti-Dive-System. Wer eine härtere Federung wünscht, kann den Luftdruck in den Holmen erhöhen. Wenn er allerdings übertreibt, verhindert heftiger Anpressdruck der Gabeldichtringe ein sensibles Ansprechen. Das Hinterrad rotiert in einer gegossenen Aluschwinge, die sich via Umlenkhebel und Zentralfederbein gegen den Rahmen abstützt. Honda Pro-Link, schon klar. Selbstredend darf man hier ebenfalls mit Luftdruck spielen und so die Fuhre auf höhere Beladung abstimmen. Sogar ein Manometer zur allfälligen Kontrolle legte Honda damals bei.

Bei Motorrädern der CBX 550-Gewichtsklasse haben sich voll einstellbare Dämpfer als viel wirkungsvoller erwiesen, deshalb sind derlei Blasübungen dort längst Geschichte. Zum Glück, und eigentlich fühlt sich auch diese Honda unter einem Solisten am wohlsten, wenn man vorn wie hinten möglichst wenig Druck auf sie ausübt. Dann bewahrt sie auf schlechter Wegstrecke noch genügend Komfort, ohne hilflos durch schnelle, wellige Kurven zu wippen. Also weiter im Text: In engen wie weiten Radien überzeugt ihre Lenkpräzision. Die Maschine fällt nicht ins Eck, folgt aber sehr verlässlich den Lenkbefehlen und hält sauber Kurs. Eine einzige Unart trübt den Umgang: Wer zwischen 60 und 70 km/h den Lenker loslässt, wird Zeuge heftiger Zappelei. Ohne äußere Anregung zeigt die Honda CBX 550 starkes Shimmy. Das ist nicht wirklich gefährlich, wenn man darauf gefasst ist, und lässt sich meist mit einem präzisen Lenkkopflager beheben. Nebenbei bemerkt: Dieses Laster war damals weit verbreitet, auch die Japaner mussten sich erst an die engen Fertigungstoleranzen gewöhnen, die leichte und starke Motorräder beim Rahmenbau verlangen.
Erlebte Motorradgeschichte
Das ist es doch, oder? Lass sie doch ein wenig zappeln, die tolle Honda CBX 550. Spaß macht sie trotzdem – oder gerade deswegen? – wie verrückt. In ihrem Drehzahlmesser geht es rund, im Getriebe herrscht Vollbeschäftigung, die Bremsen sind in Alarmbereitschaft. Drei vorzüglich dosierbare und selbst nach heutigem Standard energisch zupackende Scheibenbremsen hat Honda dem Leichtgewicht spendiert. Auch die stellen ein Stück Motorradgeschichte dar: Anfang der 80er-Jahre boten Gussscheiben noch einige Vorteile bei Nässe sowie in heißem Zustand. Dummerweise, und das war an jeder Guzzi zu besichtigen, rosten die Dinger quasi über Nacht. Das ist nicht tragisch, sieht nur unfein aus – und störte die pedantischen Japaner derart, dass sie der CBX gekapselte Scheibenbremsen verpassten.

Der wenig später erscheinende V-Twin-Allrounder VT 500 trägt dieselbe Zier, allerdings mit nur einer Scheibe vorn und Trommel hinten. Hier wie dort blieb die Bremswirkung ohne Tadel, heftige Kritik taucht jedoch immer dann auf, wenn das Rad mal raus muss. Und erst recht, wenn vorn die Sintermetall-Beläge in den beiden Doppelkolben-Bremszangen fällig sind. Weshalb dieser Absatz wieder mit einem „Zum Glück“ endet: Zum Glück bremsen Stahlscheiben mitterweile bestens. Gleichzeitig gibt es aber heute Customizer, die aus optischen Gründen auf die gekapselten Honda-Dinger stehen. Weil sie Trommelbremsen so ähneln. Deshalb soll manche Honda CBX 550 beim Motorradschlachter liegen und vergammeln. Man möchte heulen, aber auf einem Rad kann selbst eine Honda nicht fahren.
Meinung vom Besitzer der Honda CBX 550 F2
Christian Hesse (28), Teilzeitbesitzer der Honda CBX 550 F2

Ich habe das Glück, in einer motorradverrückten Familie aufgewachsen zu sein, und aus der kleinen, feinen Honda-Sammlung meines Vaters gefällt mir die Honda CBX 550 F2 ganz besonders. Sie stellt niemanden vor irgendwelche Rätsel und ist trotzdem ein sehr engagiertes Motorrad. Schon Wahnsinn, dass ihr über 35 Jahre alter Four auch heute noch mehr als nur bestehen kann. Er überzeugt, wie ich finde, und zwar mit seinem zivilisierten Lauf und seiner tollen Drehfreude. Mich macht das mehr an als jeder bullige Twin.
Im Detail: Honda CBX 550 F2
Technische Daten
Motor: Luftgekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, zwei obenliegende Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, über Gabelschlepphebel betätigt, Hubraum 572 cm³, Leistung 44 kW (60 PS) bei 10.000/min Kraftübertragung: Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, Kettenantrieb
Fahrwerk: Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohr, luftunterstützte Telegabel vorn, Ø 35 mm, Zweiarmschwinge aus Aluminiumguss, Umlenkung, luftunterstütztes Zentralfederbein, Verbundräder, Reifen 90/90 x 18 vorn, 110/80 x 17 hinten, gekapselte Doppelscheibenbremse vorn, Ø 226 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel, Scheibenbremse hinten, Ø 226 mm
Maße und Gewichte: Radstand 1.380 mm, Gewicht vollgetankt 213 kg
Fahrleistungen: Höchstgeschwindigkeit 180 km/h

Technik
Anders als die Ingenieure von Kawasaki, die ihren bekannten 500er zum 550er hochgerüstet hatten, und die noch immer von den XS 500-Problemen gebeutelten Yamaha-Leute bei der XJ 550 setzte Honda konsequent auf Vierventiltechnik. Und verschenkte die daraus winkenden Vorteile beim Durchzug zum Teil gleich wieder mit einer viel zu langen Sekundärübersetzung. Was blieb? Enormes Drehvermögen.
Außerdem Servicefreundlichkeit dank der verwendeten Gabelschlepphebel. Auch um die mittig angeordnete Antriebskette der beiden Nockenwellen musste man sich selten kümmern, für korrekte Spannung sorgt ein automatischer Kettenspanner. Um dem Gasstrom nichts Unnützes in den Weg zu stellen, verzichtete Honda bei den Vergasern auf eine Chokeklappe. Stattdessen – auch das damals noch ungewöhnlich – reichern integrierte Startvergaser das Gemisch an. Wie bei den alten Honda-Fours sitzt die Lichtmaschine auf dem linken Kurbelwellenstumpf. Trotzdem darf das CBX-Triebwerk als Meilenstein auf dem Weg zum Hochleistungs-Vierzylinder bezeichnet werden. Es hat Leistungs- und Gewichtsmaßstäbe verschoben. Letzteres gilt auch für den eher konventionell gezeichneten Rahmen, denn die Konstruktion mit einem kräftigen Oberrohr und zwei geschlossenen Unterzügen vertraut auf recht dünnwandiges Rohr und sparte angeblich gegenüber hergebrachten Rahmen über 15 Prozent Gewicht. Demselben Sparzwang unterlag die nadelgelagerte, gegossene Aluschwinge, auch die Comstar-Räder wiegen nicht die Welt.
Gebrauchtcheck
Obwohl sie in ihrer Zeit zu den begehrten und technisch angesehenen leichten Sportlern zählte, wurde die Honda CBX 550 bald als Mittelklasse durchgereicht. Am Ende landeten viele Exemplare bei Fahrern, die einfach ein billiges Krad wollen und wenig in Wartung investieren. Außer bei sichtbaren Liebhaberobjekten also besonders sorgfältig auf verdächtige Motorgeräusche hören. Obwohl der CBX auch Schäden der Kurbelwellenlager nicht ganz fremd sind, verursacht meist ein defekter Steuerkettenspanner rasselnde Störgeräusche. Ebenso penibel sollten sämtliche Lager des Fahrwerks geprüft werden, auch jene der Pro-Link-Hebelei. Ein Präzisonslager im Lenkkopf ist ein unbedingter Pluspunkt, ansonsten braucht das Fahrwerk keine Aufwertung. Wenn Vorbesitzer zu sehr mit dem Luftdruck gespielt haben, werden die Gabeldichtringe schnell mal undicht. Schließlich gilt eine aufmerksame Sicht- und Hörkontrolle der Auspuffanlage. Deren beide Seiten sind einteilig, besonders rostanfällig sind die Schweißnähte rund um die Sammler. Die charakteristische Vier-in-zwei-Anlage zählt mittlerweile zu den am schwersten zu beschaffenden CBX-Teilen. Ebenfalls rar: Karosserieteile und der Tank.
Markt
Von 6.300 in Deutschland verkauften Honda CBX 550 (beide Versionen zusammen) dürften nur noch wenige über unsere Straßen rollen. Das dünne Angebot scheint Preistreiber anzuspornen: Sehr selten wird mal eine CBX 550 angeboten, die den verlangten Betrag auch wert ist. Und der sollte bei einem kompletten Exemplar im Originalzustand mit Laufleistung um 60.000 Kilometer bei 1.500 bis 2.000 Euro liegen, gut gepflegte Sammlerstücke dürfen bis höchstens 1.000 Euro mehr kosten. Etwas gesuchter ist die Honda CBX 550 F2 mit ihrer markanten Verkleidung, weniger begehrt die in Deutschland recht häufige, über Nockenwellen und Hauptdüsen gedrosselte 50-PS-Version.
Club
Der rührige deutsche Club trifft sich unter www.cbx550club.de