England gegen Italien – im Fußball ist das eine Begegnung, die Deutschlands kaiserliche Lichtgestalt mit einem bayerischen „it‘s a classic“ kommentieren würde. Wenn das „Kick and rush“ der „Three Lions“ auf die kontrollierte Defensive der „Squadra Azzura“ trifft, kochen traditionell die Emotionen hoch. Die haben an diesem sonnigen Morgen auch Alois, Wolfgang und mich gepackt. Denn wir fiebern ebenfalls einem klassischen Wettstreit dieser zwei Nationen entgegen. Der allerdings nicht auf der Weltbühne des Sports ausgetragen wird, sondern im gepflasterten Innenhof eines historischen Anwesens im Bergischen Land seinen Lauf nimmt.
Hier präsentieren sich zwei Traditionalisten der Motorradszene in ihrer ganzen Pracht, ziehen die Blicke auf sich, spielen mit unseren Gefühlen. Wir halten erst einmal inne, lassen die beiden Klassiker der 1970er-Jahre auf uns wirken. Hier Alois‘ Norton Commando 850, die mit ihren gefälligen Proportionen und dem Gold-umrandeten Schwarz eine vornehme Zeitlosigkeit ausstrahlt. Und dort die lang gestreckte Ducati 860 GTS von Wolfgang, deren frisches Blau/Silber Giorgetto Giugiaros verwegenes Design eher betont als relativiert. Zwei Motorräder also, die trotz vieler Gemeinsamkeiten eine ganz unterschiedliche Wirkung entfalten, die immer mehr Passanten in ihren Bann zieht, egal ob Jung oder Alt. Daumen hoch, anerkennendes Kopfnicken – keine Frage, die rund 40 Jahre alten Zweizylinder kommen heute gut an.
Einst hatten die Twins einen schweren Stand
Vor vier Jahrzehnten sah das allerdings ein wenig anders aus. Mitte der 1970er-Jahre war die Norton Commando 850 eine der letzten Überlebenden der siechenden britischen Motorradindustrie. Sie galt als Dinosaurier und Sinnbild einer Fehlentwicklung in England, die einzig und allein auf Evolution setzte, als die Revolution aus Japan schon lange nicht mehr aufzuhalten war.
Auch Ducati hatte damals keinen leichten Stand. Ständig klamm, musste der halbstaatliche italienische Hersteller die Herausforderung aus Fernost mit einem zwar bildschönen und charismatischen, aber leistungsmäßig immer mehr ins Hintertreffen geratenden Königswellen-V2 stemmen. Eine mitunter schwankende Fertigungsqualität und zunehmend restriktivere Geräuschvorschriften machten dieses Vorhaben nicht einfacher. Ähnlich wie Norton sprach also auch Ducati vornehmlich Käufer an, denen Tradition und Charakter wichtiger waren als Leistung und problemlose Funktionalität im Alltag. Doch diese Klientel war am schwinden. Und geradezu verstört, als sie 1973 das Ergebnis der Arbeit von Star-Designer Giugiaro erblickte. Der hatte der 860 GT, dem neuen Touring-Modell mit gründlich überarbeitetem V2 (siehe Kasten rechts), einen äußerst gewöhnungsbedürftigen, kantigen Stil verpasst. Und so kam, was kommen musste: Die Ducati 860 GT wurde ein veritabler Flop.
Die Ducati 860 GTS war immer in Familienbesitz
Ducati reagierte jedoch rasch und stellte der GT bereits Ende 1975, dem ersten Jahr, in dem die 860 GT auch hierzulande zu kaufen war, die wesentlich gefälligere GTS zur Seite. Die überzeugte auch Wolfgangs späteren Schwager, der sich die blaue Ducati 860 GTS im Jahr 1978 kaufte. Und den damals zehnjährigen Wolfgang schon beim ersten Besuch bei dessen älterer Schwester mit dem Ducati-Virus infizierte. „Dieses sonore Bollern des V2 unterschied sich deutlich von den kreischenden Zweitaktern und den hoch drehenden Japan-Vierzylindern, das ging wirklich unter die Haut“, erinnert sich Wolfgang an dieses Schlüsselerlebnis.
Nach Schwesters Heirat wurde die Ducati 860 GTS jedoch schon 1979 abgemeldet, mit gerade mal 8000 Kilometern auf dem Tacho. Ihr Dornröschenschlaf währte bis 2009, dann durfte Wolfgang sich endlich ihrer annehmen. Technisch war die GTS in einem guten Zustand. Zusammen mit seinem Sohn hat Wolfgang dennoch alle Wellendichtringe und die Vergaser erneuert, die vordere Scheibenbremsanlage überholt und die Elektrik auf den aktuellen Stand gebracht. Den geschlossenen Kettenkasten hat der 47-jährige Hohenloher abgebaut, damit er eine stabilere Kette montieren konnte – beim Schwager war das schwächliche Original bereits zweimal gerissen. Anschließend wurden Tank, Seitendeckel und die Schutzbleche originalgetreu lackiert sowie sämtliche Aluteile poliert. Die lange Standzeit hatte jedoch den serienmäßigen Speichenrädern so zugesetzt, dass Ersatz her musste. Wolfgang entschied sich für Aluräder, wie sie in England für die GTS als Option angeboten wurden. Ebenfalls nicht serienmäßig sind die Paioli-Stoßdämpfer, die allerdings sehr gut mit der 860er harmonieren, wie Wolfgang versichert.
750 GT schmeichelt dem Auge noch mehr
Harmonie strahlt ebenso die lang gestreckte Silhouette der Ducati 860 GTS aus. Mag sein, dass mein Blick auf einen Königswellen-V2 heute generell ein leicht verklärter ist. Für mich hat die eigenwillige Eigenständigkeit der GTS jedenfalls ihren Reiz, wenngleich die 750 GT mit ihrem schmalen Rundmotor dem Auge noch mehr schmeichelt. Letzterer baut immerhin sieben Zentimeter schmaler als der „eckige“ 860er. Die konstruktiven Änderungen brauchen einfach mehr Platz, ebenso der bei der GTS serienmäßige Anlasser zwischen den Zylindern.
Änderungen erfuhr weiterhin das Fahrgestell der 860er-Modelle. Gerade statt gebogener Rahmenoberrohre und gequetschte untere Motoraufnahmen statt zylindrischer Ösen versprachen eine kostengünstigere Fertigung. Dank der daran eingeschweißten Verstärkungen zu den Oberrohren hin waren 860 GT/GTS und die im letzten Modelljahr in 900 GTS umbenannte Maschine dafür die einzigen Königswellen-Twins, denen das Werk die Seitenwagen-Tauglichkeit attestierte. Vermutlich wird bei diesen Modellen der Kettendurchhang deswegen über zwei groß dimensionierte Exzenter eingestellt. Denn die nehmen zugleich die Schwinge auf und bilden somit eine wirksame Verstärkung im Bereich der Schwingenlagerung. Einen Tausch gab es bei den Zulieferern der Federelemente. Die Telegabel für die Ducati 860 GTS lieferte nun Ceriani, während die Federbeine von Marzocchi stammten – zuvor war es umgekehrt. Wichtig für die Absatzmöglichkeiten waren angesichts immer restriktiverer Geräuschlimits in vielen Ländern weiterhin ein wirksamer Luftfilter und leisere Schalldämpfer.
Norton Commando – und sonst nichts
Bei Norton hatten sie diese Hausaufgaben mit der Markteinführung der 850er-Commando im Jahr 1973 erledigt. Was Norton-Liebhaber wie Alois natürlich nicht davon abhält, der Norton Commando 850 mit den schlanken, offenen Roadster-Tüten und K&N-Filtern zum legendären Nor-Ton zu verhelfen. Die Mk III ist eine von vier Commandos, die Alois in seiner feinen Werkstatt hegt und pflegt. Bereits mit 23 Jahren hatte er alle Ersparnisse und seinen ganzen Mut zusammengenommen und seine erste Commando gebraucht erstanden. Als die Kinder kamen, musste die Engländerin nach lehrreichen Jahren einem Guzzi-Gespann weichen. Irgendwann stand dann eine BMW R 1100 R in der Garage – und wurde bei erstbester Gelegenheit gegen eben jene 850er-Commando Mk III eingetauscht, die einem Zahnarzt aus Aachen mehr Verdruss als Freude bereitet hatte.
Alois war glücklich, „denn bei der BMW gab es ja nichts zu schrauben“. Außerdem hatte er seiner ersten Norton immer ein wenig nachgetrauert. Nach diesem Tausch vor gut zwölf Jahren brach das Norton-Fieber bei dem Diplom-Kaufmann erst so richtig aus. „Ich war schon immer sehr technisch orientiert und schraube gern.“ Das kommt ihm bei den Commandos sehr entgegen. „Mittlerweile habe ich mir viel Spezialwissen angeeignet, da ich mich nur mit Commandos beschäftige.“ Zwei weitere Roadster, aus Teilen aufgebaut, und eine piekfein restaurierte Mk II sind Ausdruck der Passion des Autodidakten, der an seinen Nortons alles selbst macht. Wobei ihm natürlich die überschaubaren Änderungen während der beinahe 40-jährigen Produktionszeit entgegenkommen. Die technischen Neuerungen beschränkten sich bei der Norton Commando 850, unserem Fotomodell, auf den nunmehr auf der linken Seite angebrachten Schalthebel und die hintere Scheibenbremse.
Mk III ist Alois‘ Alltagsgefährt
Die Mk III ist Alois‘ Alltagsgefährt, dem die leichte Patina nichts von seiner Würde raubt. Das gilt ebenso für die wenigen Änderungen, die er der Britin angedeihen ließ. Denn der seltene 22-Liter-Tank lässt die Interstate nicht ganz so bullig wirken wie mit dem 26-Liter-Fass. Außerdem spricht fürs 18-Zoll-Hinterrad die größere Reifenauswahl. Und einen Elektrostarter – Serie bei der Norton Commando 850 – braucht der Rheinländer offenbar nicht. Weshalb er den Gehäusedeckel kurzerhand zugeschweißt hat.
Was sich nun rächt. Just zur Fotoproduktion schwächelt nämlich die Batterie der Norton Commando 850, die Boyer-Zündung liefert nur einen schlappen Funken. So bin ich nicht unglücklich, dass Alois nach ein paar vergeblichen Versuchen den Starter für mich macht. Mit dem ersten Schlag verfliegt meine Skepsis, voller Vorfreude lasse ich die Kupplung kommen. Hach, einfach grandios, wie ansatzlos der bullige Parallel-Twin Ross und Reiter nach vorn katapultiert! Sofort ist die Erinnerung an die 850er-Roadster unserer Jubiläumsausfahrt wieder da, die mir so ein breites Grinsen ins Gesicht gezaubert hatte, dass ich kaum noch den Helm herunter bekam. Ein Zauber, der auch auf der etwas voluminöseren Interstate wirkt.
Norton Commando 850 klappt willig in Schräglage
Dank des größeren Tanks bietet sie dem in traditioneller Herrenreiter-Haltung auf der bequemen Bank positionierten Fahrer sogar einen besseren Knieschluss. Ein leicher Druck mit dem Oberschenkel, ein sanfter Zupfer am breiten Lenker – schon klappt die Norton Commando 850 willig in Schräglage. Flink rein ins Eck und mit viel Druck und Getöse wieder raus – dieser Ballermann ist auf solch engen, winkligen Sträßchen wie hier im Bergischen Land ein wahrer Freudenspender! Dass der Langhuber obenraus nicht mehr ganz so feurig voranstiebt, spielt keine Rolle. Früher hochschalten und den satten Durchzug genießen, lautet die Devise. Die vier Gänge rasten dabei exakt, sofern man den längeren Hebelweg mit nachdrücklicher Konsequenz überbrückt. Erstaunlich die Laufruhe, mehr als ein sanftes Pulsieren ist in Lenker und Fußrasten nicht zu spüren. Auffällig unauffällig sind ebenso die mechanischen Geräusche dieser altehrwürdigen Konstruktion.
Zu zurückhaltend arbeiten für meinen Geschmack die recht zahnlosen Scheibenbremsen, und auch die Federelemente fühlen sich eher dem Komfort als einem unmissverständlichen Feedback verpflichtet. Dennoch bleibt man im Sattel der Norton Commando 850 auch dann noch gelassen, wenn sie sich in flotten, welligen Kurven ein wenig schüttelt und pumpt. Sie zeigt einfach, dass sie sich bei forciertem Tempo nicht so wohlfühlt. Dennoch hat man als Pilot immer das beruhigende Gefühl, stets das Kommando über die Britin zu behalten. Ob die Ducati 860 GTS das ebenfalls schafft?
Die sportlichen Gene der Ducati sind zu spüren
Die kurze Antwort lautet: ja! Und zwar mit Bravour. Die Ducati 860 GTS macht keinen Hehl daraus, dass Sport in Borgo Panigale schon immer einen hohen Stellenwert genossen hat. Dementsprechend wohl fühlt sich auch das Tourenmodell bei flotter Gangart. Gut, so willig wie die Norton fällt die Ducati nicht in Schräglage, Kurven müssen mit einem entschlossenen Impuls über den breiten Lenker eingeleitet werden. Dann folgt sie jedoch präzise und sehr stabil der angepeilten Linie, ihr im Vergleich zur Norton Commando 850 glasklares Feedback gibt mir vom ersten Meter an viel Vertrauen.
Das gilt ebenso für die Bremsen. Die vordere Brembo-Doppelscheibe braucht zwar eine zupackende Hand, beißt dann aber kräftig und prima dosierbar zu. Selbst der Komfort geht in Ordnung. Den Schmusekurs der englischen Lady beherrschen die straff gedämpften Federelemente der Ducati zwar nicht, aber dafür flitzt die Ducati 860 GTS deutlich souveräner über holprige Streckenabschnitte als die Norton Commando 850. Dass der eine oder andere Schlag etwas trockener durchkommt, nehme ich daher gerne in Kauf. Ebenso die sportlichere, gestreckte Sitzposition, die mir selbst auf längeren Touren durchaus behagen würde.

Dass ich noch kein Wort über den V2 verloren habe, liegt daran, dass ich mir hier das Beste bis zum Schluss aufhebe. Denn der 860er ist einfach ein Gedicht. Untenrum nicht so druckvoll wie die Norton, begeistert er darüber mit kräftigem Schub und prickelnder Drehfreude bis zum roten Bereich bei 8000/min. Klasse auch das präzise Fünfganggetriebe, die fein dosierbare Kupplung und die hohe Laufkultur. Vibrationen sind auf der Ducati 860 GTS kaum zu spüren, selbst die Rückspiegel liefern zumeist ein unverzerrtes Bild. Auch auf die Norton Commando 850. Trotz mehr Bums im Drehzahlkeller muss sie sich dem harmonischen Königswellen-Twin geschlagen geben, der das ganze Repertoire eines hervorragenden Landstraßen-Motors beherrscht. Und mit den schlanken Conti-Tüten so herzerweichend trommelt und prasselt, dass mir die Freudentränen in die Augen schießen. Ja, ich bin total begeistert!
Aber auch hin- und hergerissen. Emotional schenken sich Ducati 860 GTS und Norton Commando 850 nämlich kaum etwas. Rational betrachtet, endet jedoch auch dieser Länder-Vergleich der Motorrad-Klassiker wie so viele Fußball-Duelle der beiden Nationen: Die technisch versierteren Italiener kontern England letztlich aus.
Ducati 860 GTS (1976 – 1979)

Technische Daten Ducati 860 GTS
- Motor: Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-V-Motor, Zylinderwinkel 90 Grad, je eine obenliegende Nockenwelle, über Königswelle angetrieben, zwei Ventile pro Zylinder, über Kipphebel betätigt, Hubraum 864 cm³, Leistung 48 kW (65 PS) bei 7000/min
- Kraftübertragung: Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe, Kettenantrieb
- Fahrwerk: Rückgratrohrrahmen aus Stahl, Telegabel vorn, Ø 38 mm, exzentrisch gelagerte Zweiarmstahlrohrschwinge, zwei Federbeine, Drahtspeichenräder/Alu-Gussräder (engl. Version), Reifen 3.50 H 18 vorn, 120/90 H 18 hinten, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 280 mm, Zweikolben-Festsättel, Trommelbremse hinten
- Maße und Gewichte: Radstand 1550 mm, Gewicht vollgetankt 235 kg
- Höchstgeschwindigkeit: 180 km/h
- Preis 1976: 8120 Mark
Technik
Drei Jahre nach dem Serienstart der Ducati 750 GT überarbeitete Fabio Taglioni seinen allseits gelobten Königswellen-Twin. Als Erste bekam 1974 die Ducati 860 GT den modifizierten Motor, dessen Bohrung um sechs auf 86 Millimeter gewachsen war, der Hubraum bei unverändertem Hub (74,4 mm) somit auf 864,5 cm³. Damit einher gingen einige Änderungen im kantigen Motorgehäuse. Dank nunmehr elektronischer Zündung entfiel die in den 750er-Rundmotoren verbaute Unterbrecherwelle, die auch als Vorgelege für den Königswellenantrieb diente. Der hatte unter den Biegeschwingungen des rechten Kurbelwellenstumpfes zu leiden.
Bei den 860er-Motoren treibt die Kurbelwelle die Königswellen über zwei mit Stirnrädern gekoppelte Kegelräder via Zwischenzahnrad an. Das zusätzliche Lagerschild dieser Zahnrad-Mimik bietet dem rechten Kurbelwellenstumpf nun ein stabilisierendes Rollenlager – ab da waren defekte untere Königswellenräder kein Thema mehr. Neu war ebenso ein Nebenstrom-Ölfilter, der den Platz des mechanischen Zündverteilers einnahm. Ferner eine bessere Geräuschdämpfung von Ansaugtrakt und Auspuff. Außerdem sorgten zahmere Steuerzeiten für mehr Druck im Keller. Die Ducati 860 GT/GTS musste mit Ventilfedern auskommen, die teure Desmodromik gab es weiterhin nur für die Supersport-Modelle.
Kaufcheck
Sorgfältiges Warmfahren und eine penible Wartung sind die entscheidenden Punkte für eine lange Lebensdauer der konstruktiv durchaus robusten Königswellenmotoren. Deren neuralgischer Punkt ist der Kurbeltrieb. Bei höheren Laufleistungen sind häufig die Pleuellager verschlissen. Ein Defekt, den nur ein geschultes Ohr aus der hohen mechanischen Geräuschkulisse heraushört. Um ganz sicher zu gehen, ob das Verschleißmaß von acht Zehnteln erreicht oder überschritten ist, ziehen Experten den liegenden Zylinder ab und messen das Spiel dessen Pleuels. Nur wenige Anbieter fertigen allerdings noch Nadellager für den Kurbeltrieb in der erforderlichen Präzision. Probleme macht bei der Ducati 860 GTS außerdem die elektronische Zündung. Die besitzt drei Zündverstellkurven, von denen meist die erste kaputtgeht.
Wenn also im Leerlauf plötzlich ein Zylinder aussteigt, kommt man nicht um den Einbau einer modernen Zündung herum. Bekannt sind überdies verschlissene Vergaser (Schieber und/oder dessen Führung) oder – eher selten – verrostete Getriebe bei sehr langen Standzeiten. Wissen sollte man auch, dass die Ducati 860 GTS ab Fahrgestellnummer 853788 geänderte Nockenwellen erhielt, die für einen spürbar besseren Drehmomentverlauf sorgen. Und dass eine komplette Motorrevision Kosten von etwa 4500 bis 5000 Euro verursachen kann. Kleiner Trost: Die meisten Ersatzteile sind über Spezialisten derzeit noch aufzutreiben. Dennoch ist absehbar, dass irgendwann auch die eine oder andere Quelle der Königswellen-Experten versiegen dürfte.
Markt
Der Run auf die Königswellen-Ducatis hat längst auch die Preise der einst eher unbeliebten 860er-Tourenmodelle nach oben getrieben. Wobei die Ducati 860 GTS deutlich gefragter ist als die verschrobene GT. Die Untergrenze für ordentliche Exemplare: rund 8000 Euro.
Spezialisten
Michael Nitzsche & Team: www.italomotos.de
Kämna: www.ducati-kaemna.de
Anreas Nienhagen: www.desmo-ducati.de
Historie
1974: Die von Giorgetto Giugiaro gestaltete Ducati 860 GT schockte die Ducatisti mit ihren eckigen, unausgewogenen Proportionen. Der E-Starter war nur optional (860 GTE). Preis: 7000 Mark
1977: Ducati stellt der GTS die gefälligere SD 900 Darmah zur Seite. Es ist Ducatis erster Tourensportler mit Desmo-V2, der zudem in einem neuen Rahmen hängt. Preis: 9230 Mark
Norton Commando 850 (1973 – 1977)

Technische Daten Norton Commando 850 (Typ Mk III)
- Motor: Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Reihenmotor, eine untenliegende Nockenwelle, zwei Ventile pro Zylinder, über Stoßstangen und Kipphenbel betätigt, Hubraum 828 cm³, Leistung 37 kW (50 PS) bei 6250/min
- Kraftübertragung: Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Vierganggetriebe, Kettenantrieb
- Fahrwerk: Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohr, Telegabel, Zweiarmschwinge aus Stahlrohr mit zwei Federbeinen, Drahtspeichenräder, Reifen 4.10-19 vorn, 4.10-19 hinten, Scheibenbremse vorn, Ø 270 mm, Zweikolben-Festsattel, Scheibenbremse hinten, Ø 270 mm
- Maße und Gewichte: Radstand 1440 mm, Gewicht vollgetankt 220 kg
- Höchstgeschwindigkeit: 190 km/h
- Preis 1976: 6800 Mark
Technik
Im Großen und Ganzen handelte es sich auch bei der letzten Ausbaustufe des 850er-Commando-Triebwerks um jenen Norton-Zweizylinder, den Bert Hopwood schon Ende der 1940er-Jahre konstruiert hatte. Der lief einst mit 497 cm³ vom Stapel und besaß alle Merkmale, die man traditionell mit britischen Twins verbindet: Zwei im Gleichschritt auf und ab sausende Kolben mit langem Hub und zwei Ventile pro Zylinder, die über eine untenliegende Nockenwelle, Stoßstangen und Kipphebel betätigt werden. Typisch auch das vertikal geteilte Kurbelgehäuse aus Alu, die Grauguss-Zylinder und eine dreiteilige Kurbelwelle mit zweifacher Wälzlagerung sowie zentraler Schwungmasse. Logisch, dass auch die Norton Commandio 850 ein separat angeflanschtes Vierganggetriebe besitzt, das eine im Ölbad laufende Triplex-Kette via Mehrscheiben-Ölbadkupplung mit der Kurbelwelle verbindet.
Der Hubraum des Parallel-Twins wuchs im Lauf der Jahrzehnte in mehreren Stufen, bis 1973 mit 828 cm³ das Ende der Fahnenstange erreicht war. Dieser letzte Schritt wurde durch eine im Vergleich zur 750er-Commando um vier auf 77 Millimeter erweiterten Bohrung bei nach wie vor 89 Millimetern Hub erreicht. Wobei hier der Fokus nicht auf mehr Spitzenleistung lag, sondern auf einem höheren Drehmoment. Um den mit der Hubraumerweiterung stetig zunehmenden Vibrationen den Schrecken zu nehmen, ersannen die Norton-Ingenieure eine aufwendige Entkoppelung von Motor, Getriebe und Hinterradschwinge. Diese Komponenten sind bei dem „Isolastic“ genannten System an einem Hilfsrahmen befestigt, der über drei Aufnahmepunkte mittels elastischer Gummi-Elemente im Hauptrahmen aufgehängt ist.
Kaufcheck
Für die Besichtigung empfiehlt sich die Hilfe eines Experten, denn die Norton Commando 850 besitzt eine große Bandbreite an Problemzonen. Die jedoch oft auf Wartungsfehler in der Vergangenheit zurückzuführen sind. Bestes Beispiel hierfür ist die Isolastic, die bei falscher Einstellung oder Verschleiß zu einem schwammigen Fahrverhalten führt. Beim Motor gilt das rechte Kurbelwellenlager als Schwachpunkt. Das sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen, denn neue Kurbelwellen gibt es nicht mehr. Auch die Kolbenqualität ist nicht die beste. Und speziell die Mk III-Modelle ab 1975 schwächeln mit einer zu weichen Nockenwelle. Verschlissene Vergaser, spielfreudige Nebenlagerwellen im Getriebe oder gebrochene Federn im Schaltautomaten sind ebenfalls nicht unbekannt, ebenso vermurkste Gewinde an den Krümmern oder gebrochene Seitenständeraufnahmen am Rahmen. Alle Checkpunkte im Detail verrät übrigens die große Kaufberatung in MOTORRAD Classic 3/2014!
Markt
Wer angesichts der angesprochenen Probleme ins Grübeln kommt, sei beruhigt: Eine vom Norton-Experten gründlich überholte und sauber aufgebaute Norton Commando 850 läuft in der Regel ähnlich problemlos wie andere Motorräder dieser Zeit. So eine Norton gibt es nicht zum Schnäppchenpreis. Sondern zu Tarifen ab etwa 8000 Euro aufwärts, Top-Exemplare kosten mitunter deutlich mehr.
Spezialisten
Joe Seifert: www.nortonmotors.de
Rudi Kolano: Telefon 082 02/961 43 98
Historie
1967: Mit der „Fastback“ beginnt das Zeitalter der Commando, zunächst als 750er mit 56 PS bei 6500/min. Es folgen Varianten wie „S“, „Roadster“ und „Interstate“. Preis: ca. 5900 Mark
1973: Parallel zur Interstate mit 26-Liter-Tank wird die Norton Commando 850 auch als schlanker Roadster mit kurzer Bank und 15 Liter fassendem Tank angeboten. Preis: 6450 Mark
Meinungen

Wolfgang Flurer – Besitzer der Ducati 860 GTS
Es war genau diese Ducati GTS 860, in die ich mich als Zehnjähriger sofort verguckt habe. Als Kind habe ich auf ihr meine ersten „Trockenübungen“ gemacht. Für mich ist es daher ein großes Glück, dass ich die Maschine vor sechs Jahren von meinem Neffen erwerben konnte. Zusammen mit meinem Sohn habe ich sie dann wiederbelebt. Dass die Szene die 860er-Modelle vor 40 Jahren kaum beachtet hat, ist mir egal. Mir gefällt die GTS so, wie sie ist. Und das geht heute auch vielen anderen so, wie ich an den Reaktionen merke. Zudem ist man mit modernen Reifen auf Landstraßen recht flott unterwegs. Die Ducati ist ein Genuss, der dank der Conti-Tüten unter die Haut geht.
Alois Blum – Besitzer der Norton Commando 850
Die Norton Commando 850 gehört zu den Motorrädern, die einst mit sehr eigenwilligen Eigenschaften die Motorradvielfalt der 1970er- Jahre bereichert haben. Zugegeben, sie braucht regelmäßige Pflege und Beachtung, entschädigt mich aber mit ihrer spielerischen Handlichkeit, dem fantastischen Drehmoment im unteren Drehzahlbereich und natürlich dem einzigartigen Nor-Ton. Natürlich finde ich auch das Aussehen sehr attraktiv. Vor allem heute, da sticht eine Commando aus dem Einheitsbrei der Modelle richtig heraus. Auf engen, kurvenreichen Straßen hat sie einst Maßstäbe gesetzt. Und ist heute noch gut bei der Musik. Eine Norton zu bewegen, ist für mich mehr als Motorrad fahren – es macht süchtig!