BMW R 12 nineT (2024): Erster Fahrtest

BMW R 12 nineT (2024) erster Fahrtest
So fährt die neue BMW R 12 nineT

Zuletzt aktualisiert am 21.02.2024

Über 100 Jahre nach Einführung seines Identität stiftenden Konzepts – Zweizylinder-Boxer mit Kardan – hat BMW immer noch einen luft-ölgekühlten Boxer-Motor im Modell-Programm. Bei der für 2024 überarbeiteten R nineT , nun R 12 nineT genannt, bekam auch das gesamte Retro-Ambiente einige Updates verpasst.

Vom Ur-Konzept bis zur neuen BMW R 12 nineT

Es war ein weiter Weg von BMWs Konzept-Studie "Lo Rider" im Jahr 2008 bis zum heutigen Termin, der ersten Fahrprobe des 2024 nicht mehr nur R nineT, sondern R 12 nineT genannten "Heritage"-Modells. Wir erinnern uns: BMW wollte anders werden: cooler, lässiger, jünger. Und präsentierte dann 2013, zum 90-jährigen Jubiläum der Motorrad-Sparte, die erste R nineT. Dieser Roadster war (und blieb) für BMW-Verhältnisse einfach anders: zugleich elegant und bullig, zeitlos klassisch und doch modern.

BMW – Berliner Motoren Werke

Vom ursprünglichen, modular aufgebauten "Custom Concept" wurde immerhin einiges in die Serie herübergerettet, vom sportlichen R nineT Racer bis zur Pseudo-Enduro Urban G/S reichte das breite Retro-Spektrum zwischenzeitlich. Rund 110.000 Motorräder aus seiner charismatischen "Heritage"-Baureihe hat BMW seither ausgeliefert. Ein großer Erfolg! Und der soll nun fortgeführt werden. Die Bayerischen Motoren Werke – wobei das "B" in BMW angesichts der Motorrad-Produktion in Berlin-Spandau seit 1969 ja eher für Berlin stehen sollte – haben ihren luft-ölgekühlten 1200er-Boxer nämlich über die Hürden der neuesten Emissionsnorm Euro 5+ gehievt. So kann er das Erbe ("Heritage") tatsächlich weitertragen.

BMW R nineT mit veränderter Peripherie

Und das Entwicklungsteam um die Produkt-Managerin Carina Höfler hat sich auch der gesamten Peripherie angenommen. Fühlt sich das bei der R 12 nineT nun anders an als bei der bisherigen R nineT? Ja, schon beim ersten Aufsitzen! Denn durch den kleineren, circa 30 Millimeter kürzeren und im hinteren Bereich schmaleren Tank sitzt der Mensch obenauf näher am Lenker. Vorbei sind die Zeiten einer "Streckbank" im 1980er-Jahre-Sportler-Stil. Auf, besser gesagt in der neuen R 12 nineT sitzt man/frau integrierter. Das Motorrad fühlt sich, abgesehen von den ausladenden Boxer-Ohren mit neu gestalteten Ventildeckeln, fast zierlich an, kaum wie eine ausgewachsene 1200er.

Boxer brummt durch den leiseren Doppelrohr-Auspuff

Start zur Charme-Offensive: Intuitiv finden die Hände zum Handling-fördernd breiten Lenker. Es wird wenig(er) Last auf ihnen ruhen. Aber sportiver Spirit fährt trotzdem mit. Dafür sorgt allein schon der von Beginn an hellwache Motor. Er erwacht bereits hochmotiviert bellend mit einem Boxer-Brummen. Aber, hört, hört: subjektiv angenehm leiser als zuvor. Da leistet die neue Abgasanlage ohne Klappensteuerung, dafür mit Vorschalldämpfer, ganze Arbeit. Keine Bange: Der kernige Klang aus der verchromten Doppelrohr-Fanfare bietet immer noch gehobenen Hör-Genuss. Aber Sound und Lautstärke sind nun einmal zwei paar Schuhe.

Zeiger-Uhren oder Mikro-TFT-Display

"Potent und präsent" – damit ist der mit neuer Software abgestimmte 1200er-Boxer ausführlich charakterisiert. Nach wie vor ist er in niedrigsten Drehzahlen bereits voll da. Da spart man sich den Blick auf den Tourenzähler im optionalen Mikro-TFT-Display zu 125 Euro. Dieses Motorrad fährt man nach Gefühl, basta. Wen interessiert schon Drehzahl? Standard wären übrigens zwei klassische Zeiger-Uhren. Und die gefallen dem Autor besser, so viel Subjektivität sei erlaubt. Aber BMW will ja Extras verkaufen… Klar gibt’s auch Smartphone-Connectivity – bis hin zum Multi-Controller am Lenker, um das Telefon auch als Navi nutzen zu können.

BMW R 12 nineT mit modernisierter Ausstattung

Ab Werk gibt’s jedenfalls 3 Fahrmodi. "Road" passt zu spanischen Landstraßen wie die Tapas in die hiesige Küche: perfekt. Angesichts des bulliges Drehmoments ist es gut zu wissen, dass die schräglagenoptimierte, feinfühlig arbeitende Schlupfregelung DTC an Bord ist. Aber braucht es noch die Motor-Schleppmomentregelung MSR? Ist halt drin. Und für den Fall des Falles auch "E-Call". Optional gibt es den klassisch runden LED-Scheinwerfer mit Kurvenlicht. BMWs "Blipper" (Schaltassistent) funktioniert hier besser als an der einen Tag zuvor gefahrenen Enduro F 900 GS. Er arbeitet beim Hoch- wie Herunterschalten schön "smooth", ist sauber abgestimmt. Und kostet natürlich Aufpreis – 1.010 Extra-Euros inklusive Berganfahrhilfe, Tempomat und heizbaren Griffen.

1200er-Boxer mit 109 PS und 115 Nm

Hier und jetzt im Sattel der BMW R 12 nineT zählt anderes. Du genießt die Landschaft Andalusiens, frisch geschälte Korkeichen und knorrige Olivenbäume. Und einen Motor, der dich mit Wumms nach vorn treibt, ohne je zu stressen. Er schiebt stets druckvoll an. Respekt für diese Eckdaten – ohne Wasserkühlung und Euro-5+-konform, wohlgemerkt: maximal 109 PS (80 kW) bei 7.000/min und 115 Nm bei 6.500/min. Höchstgeschwindigkeit: 215 km/h (Werksangabe). Und wenn im 6. Gang mittlere 4.000 Touren anstehen, zieht die Umgebung mit 115 km/h vorbei. Eigentlich schon zu viel für Spaniens Gesetze. Tranquillo, in der Ruhe liegt die Kraft.

Stabileres Fahrwerk, aber immer noch agil

Motto: Fahr lässig, fahr dir den Kopf nicht ab, sondern frei. Spielerisch wirft sich der Modern-Classic-Roadster mit Verve in die Kurven, zieht exakt und stabil seine Bahnen. Einfache Conti-Road-Reifen (ohne "Attack"-Attitüde) haften verlässlich. Sie gehören aber nicht zur Top-Liga der Reifenbäcker im hessischen Korbach. Alle Fahrwerks-Eckdaten der R 12 nineT zielen in Richtung mehr Stabilität: längerer Radstand, flacherer Lenkkopfwinkel, mehr Nachlauf. Aber das weiß dieses Motorrad nicht. Es ist niemals nervös, das stimmt, Aber auch ganz bestimmt nicht stur.

Leichtere, weil schlauchlose Drahtspeichenräder

Die "Heritage"-1200er mit unverändert genau 1.170 Kubik fährt einfach schön rund. BMW will die R 12 nineT sogar "agiler" als die Vorgängerin gemacht haben. Ohne direkten Vergleich ist das schwer zu sagen. Nun, serienmäßig rollt die R 12 nineT auf adretten, partiell überfrästen Gussrädern. Wir fahren hier und heute aber schwarze, neuerdings ebenfalls schlauchlose Drahtspeichenräder, verfügbar als Sonderausstattung namens "Option 719 Rad Classic". Sie sind laut BMW insgesamt 3 Kilogramm leichter als die bisherigen Drahtspeichenräder mit Schläuchen. Signifikant reduzierte ungefederte Massen an Handling entscheidenden Stellen sind das.

220 Kilogramm mit vollem, kleinerem Alu-Tank

Unter dem Strich will BMW das Gewicht der R 12 nineT um ein Kilo auf 220 Kilogramm gedrückt haben. Nun, 2 Liter weniger Sprit im verkleinerten Alu-Tank machen ja schon 1,5 Kilo aus. Neu ist das Rahmenkonzept: Nun gibt es bloß noch einen Gitterrohr-Hauptrahmen und einen Heckrahmen. Zuvor bestand der Rahmen aus 4 Bauteilen. Feinfühlig und ordentlich komfortabel tasten die neuen Federelemente das Asphaltrelief ab: eine voll einstellbare Upside-down-Gabel von Marzocchi und ein flacher angestelltes, fast schon Cantilever-artig erscheinendes Federbein. Gute Rückmeldung morst jedenfalls die Front ins Kleinhirn.

Drehknauf am Heck und teilintegrales Bremssystem

Zum Höherstellen des Hecks ("Anheben der Federbasis") dient ein anders geformter, aber nach wie vor praktischer Drehknauf. Aber ganz ehrlich: Die Schräglagenfreiheit ist selbst in der Werkseinstellung mehr als ausreichend. Da schrabbelt nix. "Oldschool"? Von wegen. Man kann es auch krachen lassen – und genießt dann viel Bewegungsspielraum im Sitz. "Wie hulle" bremst die BMW bereits mit 2 Fingern am Hebel, als hätte jemand ein Stöckchen zwischen die (Draht-)Speichen gesteckt. Dafür sorgt das clever konstruierte Teilintegral-Bremssystem: Beim Zug am Handhebel ankern alle 3 Scheibenbremsen, beim Tritt auf den Fußhebel bremst es nur hinten – vorteilhaft in Kehren oder beim Wenden.

BMW R 12 nineT kostet 17.410 Euro – mindestens

Pause am Straßen-Café – sich am stilvollen, fast schon zeitlosen Motorrad erfreuen. "British Racing Green" steht der 1200er-BMW richtig gut, meint der Autor als bekennender Jaguar-Liebhaber. BMW nennt diese Farboption allerdings "San Remo Green metallic" und nimmt 255 Euro extra dafür. BMW, da war doch was? Genau, "Bezahl mit Würde." Denn 17.410 Euro Grundpreis sind ja ohnehin kein Schnäppchen. Und mit all den vielen Optionen ist die 20.000-Euro-Schwelle schnell gerissen.

Letzter luft-ölgekühlter 1200er-Boxer

Übrigens: Für sehr lange Kerls fällt die BMW R 12 nineT vielleicht schon einen Tick zu kompakt aus. Ansonsten ist sie ein herrliche Begleiterin auf tollen Wochenend-Trips. BMW hält dafür extra Hecktaschen und Tankrucksäckchen aus der "Soulfuel"-Kollektion parat. Den Brennstoff für die Seele, Kern des Charakters, liefert das liebevolle Gesamt-Konzept mit dem wohl letzten luft-ölgekühlten und traditionell von hinten nach vorn durchströmten 1200er-Boxer im Mittelpunkt.