BMW R nineT Scrambler im Fahrbericht

BMW R nineT Scrambler im Fahrbericht Kerniger Klettermax

Die R nineT von BMW verkauft sich wie geschnitten Brot. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis die Münchner einen weiteren Retro-Boxer nachschieben. Bitte sehr, hier kommt die BMW R nineT Scrambler.

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Der Ausmusterungsbefehl schien schon so gut wie unterschrieben, seine Zukunft besiegelt. Der luftgekühlte Boxer, der jahrzehntelang stilprägend für unzählige BMW-Motorräder war, stand in seiner letzten Ausbaustufe mit vier Ventilen vor dem Aus. Um die Ecke lugte der wassergekühlte Bruder hervor, bereit, ab jetzt die moderne Boxerpalette zu befeuern. Und dann kam alles anders. In der BMW R nineT feierte der alte Flat-Twin seine triumphale Rückkehr. Zu viel Schmeichelei? Nein, denn nüchtern betrachtet liegt beispielsweise für den Zeitraum Januar bis Juni 2016 nur Platz-eins-Abonnent R 1200 GS vor dem Retro-Boxer in der BMW-internen Hitliste. Und mit 1720 verkauften Stück reicht es in diesem Zeitraum sogar markenübergreifend für Platz fünf unter den bestverkauften Motorrädern. Bei BMW mussten sie nicht lange überlegen, um das Erbe des einstmals Totgesagten ein wenig zu verlängern, sogar mit mehr Modellen weiter auszubauen.

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Aufschlag zwei der Retro-Boxer-Linie hört auf den Namen BMW R nineT Scrambler. Ist die R nineT ein reines Straßenmotorrad, macht die Scrambler (engl.: to scramble = klettern) jetzt in Nuancen auf Hüpfmobil im soften Endurolook, gibt den Klettermax. Wobei ernsthafte Geländeausflüge bei BMW niemand im Sinn hatte. Eckdaten wie vom Hersteller angegebene 220 Kilogramm vollgetankt würden den Spaß schnell verderben. Aber mal so ein wenig schottern, das muss drin sein. Findet auch BMW, weshalb sie ihr nicht nur den angesagten Scrambler-Look verpassten, sondern tief in die R nineT-Basismaterie eingriffen. Das fängt bei den Rädern an. Um Schlaglöchern nicht gnadenlos ausgeliefert zu sein, rotiert in der Telegabel mit 43 mm starken Standrohren (R nineT Upside-down, 46 mm) ein 19 Zoll messendes Vorderrad im Format 120/70. Auch achtern gab es eine Änderung, ist ein 17-Zöller der Dimension 170/60 verbaut.

Genau so muss der Boxer klingen

125 Millimeter darf die Gabel vorne einfedern. Damit es bei voller Ausnutzung des Arbeitsweges nicht zum Kontakt zwischen Ölkühler und Reifen kommt, änderte BMW beim dreiteilig aufgebauten Stahlrahmenkonzept den vorderen Teil, der den Steuerkopf umfasst. Der Lenkkopfwinkel fällt jetzt 61,5 Grad flach aus, der Nachlauf wuchs auf über 110 Millimeter, der Radstand auf 1,53 Meter. Weitere wichtige Änderungen? Der hintere Dämpfer bekam mit 140 Millimetern Federweg mehr Arbeitsweg spendiert, der Motor erfüllt die Euro 4-Norm. Doch genug der Daten, jetzt muss die BMW R nineT Scrambler auf der Straße zeigen, was in ihr steckt. Das Alpenvorland hinter München lockt mit kleinen, verwunschenen Sträßchen, flotten Bögen, und auch ein Abstecher ins Geschotterte steht auf dem Testprotokoll.

Der Schlüssel steckt, der Anlasser schiebt den Boxer kurz an, Zündung und ein zufriedenes Grinsen. Genau so muss er klingen, der Boxer. Satt und vernehmlich tönt es aus den zwei Akrapovic-Tröten, die sich serienmäßig auf der linken Seite eng ans Motorrad schmiegen. Mit feinen Manieren geht der Boxer ans Gas. Die Erinnerung sagt: Der R nineT-Motor folgte dem Wunsch nach flottem Gasdurchsatz spontaner, rotziger. Und die Einbildung trügt nicht. Um die Euro 4-Norm zu erfüllen, musste BMW Hand an den Boxer anlegen. Das wurde genutzt, um den luftgekühlten Büffel ein wenig zu domestizieren. Seinen urwüchsigen Charakter hat er zwar beibehalten, seine bärige Forschheit aber in kleinen Teilen gegen ein Stück weit gesittetere Umgangsformen eingetauscht. Letztendlich bleibt das Geschmackssache. Freuen werden sich dagegen alle darüber, dass der Boxer weiterhin gut im Futter steht. Daran haben auch die Eingriffe in Sachen neue Abgasnorm nichts geändert. Glaubhafte 110 PS entwickelt er in der Spitze knapp unter 8000 Umdrehungen, 116 Nm bei 6000/min schieben kräftig voran. Der Motor der BMW R nineT Scrambler ist immer da, wenn er gebraucht wird, arbeitet sich mit Verve durchs Drehzahlband. Leicht gelingen Gangwechsel, trennt die Kupplung sauber und gut dosierbar den Kraftfluss bei Schaltvorgängen.

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BMW R nineT Scrambler.

Locker hockt es sich auf der BMW R nineT Scrambler. Die Fußrasten einen Deut tiefer als auf der R nineT platziert, den Lenker etwas höher montiert, dazu die auf 820 Millimeter leicht angewachsene Sitzhöhe: Das Arrangement passt. Selbst der breite Stahltank, bei der R nineT schwappt der Sprit im Alufass, lässt mit den Aussparungen im Kniebereich viel Platz für die Beine, vermittelt einen guten Kontakt zum Motorrad. Leicht kippelig wuselt die Scrambler durch die ersten langsamen Kurven, muss mit zarter Hand auf Spur gehalten werden. Der Effekt kehrt sich in schnellen Biegungen um. Der 19-Zöller an der Front und die konservativ ausgefallene Lenkgeometrie fordern den ganzen Mann oder die ganze Frau. Am breiten Lenker zupacken und den Retro-Hüpfer auf die richtige Spur zwingen ist angesagt. Ein Effekt, der neben den Fahrwerksdaten auf die komfortorientierte Abstimmung der Federelemente, besonders des Federbeins, zurückzuführen ist.

Im Stand steht der Heckdämpfer schon am Anschlag, bietet keinen Negativfederweg. Hockt sich der Fahrer drauf, sackt das Federbein merklich zusammen. Ein untrügliches Zeichen für eine sehr weiche Federrate, die 19 Prozent geringer als bei der R nineT ausfällt. Bei flotter Kurvenfahrt sind die Reserven schnell aufgebraucht. Mehr Vorspannung als die serienmäßigen 25 Millimeter freie Gewindelänge am Dämpfer hilft kurzfristig, eine härtere Feder wäre der bessere Weg. Die einstellbare Zugstufe böte hierfür noch Reserven. Die Gabel der BMW R nineT Scrambler werkelt zwar ebenfalls mit weicher Abstimmung, aber deutlich unauffälliger, besitzt zudem das bessere Ansprechverhalten.

BMW R nineT Scrambler glänzt mit sauberer Verarbeitung

So macht die BMW R nineT Scrambler den leichten Wackeldackel, fährt gerne den weiten Bogen, wenn der enge gewünscht ist. Daran können auch die gut grippenden Metzeler Tourance Next-Pneus nichts ändern, genauso wenig wie die Bremse, die ohne nennenswerten Hebelweg fein dosierbar die 320 Millimeter großen Scheiben in die Zange nimmt. Sauber regelt das ABS, der wimmernde vordere Pneu bettelt um Gnade, die Fuhre bleibt trotzdem stabil, kommt ohne Stoppieneigung flugs zum Stehen. Das ist auch gut so, denn da vorne lockt ein kleiner Schotterpfad durch den Wald. Den Blinker gesetzt und ab. Leichtfüßig folgt die Scrambler in gemäßigtem Tempo der gedachten Linie, macht richtig Laune. Bis ein Schlagloch den hinteren Dämpfer von Anschlag zu Anschlag keilen lässt.

Da helfen auch 140 Millimeter Federweg nichts. Augen auf bei der Linienwahl. Artgerecht veredelt, kündet der Scrambler wenig später lässig auf dem Seitenständer lehnend vom standesgemäßen Einsatz. Die Dreckpatina steht dem Klettermax gut. Wobei er auch ohne Schmutzsprenkel gefällt, mit sauberer Verarbeitung glänzt, kein Blender ist. Was ausschaut wie Metall, ist auch Metall. Wie die R nineT steht die Scrambler für Purismus, zitiert weniger historische Vorbilder als vielmehr aufs Wesentliche reduzierten Motorradbau. Das ist ihr Ansatz für den Retro-Gedanken. Wer sich damit anfreunden kann, sollte schon einmal 13.000 Euro zur Seite legen und ab Mitte September beim Händler vorstellig werden. Ab dann ist die BMW R nineT Scrambler nebst Zubehörprogramm erhältlich – und vielleicht findet sich darin ja auch eine härtere Feder für den Dämpfer hinten?

Technische Daten BMW R nineT Scrambler

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Per BMW-Ausstattungsprogramm wird aus der Scrambler ein engagierter Schotterschleuderer.

Ausstattungsprogramm für die Scrambler

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Die serienmäßige Zweipersonensitzbank samt Hilfsrahmen. Der lässt sich mit wenigen Handgriffen abschrauben.

Mal ehrlich: Wie die R 1200 GS wird kaum jemand die BMW R nineT Scrambler auf unbefestigte Wege ausführen. Wer tief im Inneren aber diesen Gedanken hegt, findet im BMW-Sonderausstattungsprogramm zahlreiche Parts nicht nur für den Schotterausflug. Das Hinterrad driftet leicht über den Schotter, Steinchen fliegen durch die Luft, die Scrambler ist dort angekommen, wo sie per Namensdefinition hingehört. Wer es dem Fahrer im Bild gleichtun möchte, kommt um entsprechende Bereifung nicht umhin. Der Tourance Next von Metzeler, der auf den Motorrädern bei der Fahrpräsentation aufgezogen war, ist ein guter Reifen. Sein Profil verrät aber klipp und klar, dass er für den straßenorientierten Einsatz erdacht wurde.

Auf unbefestigtem Grund ist’s daher schnell vorbei mit dem Grip. Abhilfe schafft der Karoo 3 (wahlweise bei Bestellung ohne Aufpreis erhältlich) aus gleichem Haus, der sich ebenfalls auf die Felgen der BMW R nineT Scrambler aufziehen lässt. Wer allerdings zudem die optionale Stabilitätskontrolle (320 Euro) geordert hat, sollte vorm ersten Schotter-Ausflug noch beim BMW-Händler vorbeischauen. Der spielt eine andere Abstimmung auf, die mehr Schlupf zulässt. Im Gelände ergeben auch die ebenfalls erhältlichen Kreuzspeichenräder (395 Euro) mehr Sinn, die nachgiebiger agieren und die Optik mehr in Richtung Offroad verschieben.

Sitzbank in zwei Varianten ohne Aufpreis

Und da die Bodenfreiheit nicht übermäßig üppig ausfällt, hält das BMW-Programm auch gleich noch einen Motorschutz parat. So gerüstet, darf der nächste Schotterausflug gerne kommen. Gewichtsfetischisten können zudem den Aluminiumtank der R nineT montieren, der auf der Habenseite die BMW R nineT Scrambler um 3,7 Kilogramm leichter macht – bei gleichem Inhalt. Ab 900 Euro ist er erhältlich. Weitere Pfunde dürfte auch der einzelne Sportschalldämpfer von Akrapovic sparen, der die doppelflutige Anlage ersetzt.

So lassen sich aus den 13.000 Euro Einstandspreis für die BMW R nineT Scrambler schnell ein paar mehr machen. Umso erfreulicher, dass neben der erwähnten Bereifung auch die Sitzbank in zwei Varianten ohne Aufpreis zur Wahl steht. Die serienmäßige lange Ausführung für zwei Personen ist als normale (820 Millimeter Sitzhöhe) und hohe Version (830 Millimeter Sitzhöhe) erhältlich, die zudem mit komfortablerer Polsterung langen Strecken den Schrecken nimmt. Das goutieren auch Schotterfreunde.

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