Rollin’ and Tumblin’ ist einer DER Blues-Klassiker und mittlerweile fast 90 Jahre alt. In den1950er- Jahren wurde er durch die Version von Muddy Waters weltbekannt und seither ungezählte Male von verschiedensten Künstlern gecovert oder neu interpretiert. Unter anderem 2001 von Gitarrenvirtuose Jeff Beck, begleitet von Imogen Heap. Was das mit den Scramblern zu tun hat? Einfach weiterlesen. Beim ersten Hören besagten Stückes fand der Autor dieser Zeilen, seines Zeichens bekennender Freund stromgitarrendominierter Musik diverser Genres, dieses recht sperrig und disharmonisch. Erst nach mehrmaligem Hören entfaltete sich der ganze Charme dieser eigenwilligen Interpretation, und Kopf und Bauch, Zweiter schon viel eher, sagten: Jau, genau so muss das! Womit wir bei der BMW R nineT Scrambler wären.
Scrambler sind das derzeitige Must-have!
Jetzt muss man kurz ausholen: Aktuelle Serienmotorräder sind, was die Funktionalität angeht, durch die Bank weg richtig gut, sie kommen mitunter allerdings manchmal etwas seelenlos daher. Doch dafür gibt es Customizer, die derzeit offenbar keine Probleme haben, ihre oft weniger nutzwertigen, dafür faszinierenden Einzelstücke lukrativ unters Zweiradvolk zu bringen. Offensichtlich gibt es da draußen eine Menge Leute, deren Freude am Fahren sich völlig losgelöst von Punktewertungen entfaltet.

Bei BMW erkannte man das, und machte sich ans Werk, beide Welten miteinander zu kombinieren. Erfolgreich, wie man heute weiß, denn seit 2014 zieht die R nineT Kunden an wie nächtliches Licht die Motten. Dennoch hat sich mittlerweile das Schönheitsideal der puristischen Fahrmaschine für den hippen Großstädter etwas gewandelt: Scrambler sind das derzeitige Must-have! Befragt man ein Wörterbuch, so übersetzt dieses den Begriff „to scramble“ unter anderem mit Begriffen wie „kraxeln“, „krabbeln“ und „klettern“. Das erklärt, warum bei Scramblern ungeachtet der im urbanen Habitat üblicherweise lückenlos vorhandenen Asphaltschicht gerne grobstolliges Gummi auf die Felgen gezogen wird: Man könnte ja, wenn man nur dürfte und vor allem wüsste, wo? Vor allem sieht es natürlich gut aus.
Schick, unverkleidet und puristisch
Dieser kleine Exkurs war wichtig, denn das Testmotorrad steht auf den ab Werk auf Wunsch anstelle der standardmäßig montierten Metzeler Tourance Next-Pneus ohne Aufpreis erhältlichen Metzeler Karoo 3-Reifen. Die stechen durch ihr grobes Profil sofort ins Auge und sorgen für den Dreitagebart-Look. Wie nun der erste Fahreindruck ausfällt, hängt stark davon ab, was der Fahrer davor zuletzt bewegt hat und wie lange das her ist. Im vorliegenden Fall war das die unlängst vorgestellte Ducati Scrambler 1100 vor fünf Minuten.

Diese ist, der Einschub sei an dieser Stelle gestattet, die logische Konsequenz aus dem Erfolg der 2015 präsentierten Scrambler 800. Auch sie ist ein im besten Sinne schlichtes, unverkleidetes Straßenmotorrad in klassisch puristischer Optik. Das Auge weiß gar nicht, wo zuerst hingucken: Die Schutzbleche sowie diverse Verkleidungen bestehen aus gebürstetem Aluminium, auch in gegossener Form wird dieser Werkstoff gerne verwendet. Das lederne Fauteuil postiert des Fahrers vier Buchstaben in 810 Millimetern Höhe, leicht vornübergebeugt finden die Hände Halt am konifizierten Lenker. Das Auge wiederum delektiert sich zuerst an der schwarzen Bremsleitung, die sich exakt im richtigen Radius über das volldigitale Instrumentarium spannt, welches seinerseits durchaus modern über alles Wesentliche informiert, andererseits auch an Bord des Raumschiffs „Enterprise“ nicht unangenehm aufgefallen wäre.
Ergonomie völlig unterschiedlich
So mental eingenordet, fährt man los, erfreut sich am bassigen, dennoch nicht zu lauten Sound des luftgekühlten V2, steppt sich durchs dank leichtgängiger, hydraulisch betätigter Kupplung exakt und präzise zu positionierende Sechsganggetriebe und lässt die 86 Pferde und 88 Nm an der langen Leine laufen. Für Ground Control sorgt neben diversen Fahrmodi und Kurven-ABS auch Ware von Pirelli, die nicht nur so aussieht wie die legendären Supermoto-Gummis aus den 1990er-Jahren, sondern auch genauso heißt: MT-90. Heuer mit dem Zusatz RS. Unterm klassischen Look verbirgt sich der aktuelle Stand der Reifentechnik, und so zieht die Italienerin handlich, neutral und auch sonst weitgehend frei von Auffälligkeiten ihre Bahn. Schöner Schein und Funktionalität müssen sich also nicht ausschließen. Wenn man mal von den wirkungslosen, da viel zu kurzen, dafür aber hübschen Aluminiumschutzblechen absieht. Sprich: Im Regen wirst du von unten nasser als von oben.

Zurück also zur BMW: Schon beim Aufsitzen fällt die völlig unterschiedliche Ergonomie auf. Die höhere (850 statt 820 mm) der beiden zur Wahl stehenden Sitzbänke positioniert den Piloten auf dem Motorrad, zudem sind die Fußrasten weiter vorne und höher als bei der Ducati montiert, was in Kombination mit dem ebenfalls hohen und weit zum Fahrer hin reichenden Lenker für eine zunächst einmal seltsam passiv wirkende Sitzposition sorgt. Nach dem Start hüllt der Boxer die Umgebung in einen ebenfalls sehr bassigen, aber recht dünn gewebten Klangteppich. Sprich, die BMW ist laut, aber das kennen wir ja schon von der normalen R nineT. Die nächste Überraschung erfolgt direkt nach dem Losfahren: Mist, doppelter Plattfuß! Teigig und träge läuft man die nächste Tanke an, aber siehe da: Nix Plattfuß, Luftdruck passt. Die Karoos sehen nicht nur grobstollig aus, sie fahren auch so. Da muss man jetzt durch.
Ducati legt das Tempo vor
Doch der Mensch gewöhnt sich ja neben dem Dativ auch an alles andere, und so nehmen Ross und Reiter zunehmend Tempo auf. Sind die Stollen erst einmal warm geknetet und hat man sich an das teigige Fahrverhalten gewöhnt, lassen sich zumindest im Trockenen beachtliche Schräglagen erzielen. Der Nasstest blieb uns auf der BMW erspart. Doch spätestens beim Bremsen holt einen die Wirklichkeit wieder ein. Der Karoo neigt unvermittelt und plötzlich zum Blockieren. Das ist dank ABS zwar kein wirkliches Problem mehr, aber kurzer Bremsweg geht definitiv anders. Wer also lieber Motorrad fahren statt posen möchte, der greift besser zu den Tourance-Gummis. Die sind auch deutlich laufruhiger. Denn spätestens bei dreistelligen Tempi klingt die grobstollige Klangkombination aus Motorbrummen und Reifensurren stark an kolbengetriebene Jagdflugzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg.

Unter diesen Umständen kann sich der formidable Boxer trotz des gemessenen Plus von jeweils 20 PS und Newtonmetern nicht so recht in Szene setzen. Er büffelt quasi ab Leerlaufdrehzahl los und schiebt in der Mitte mächtig an. So gehört sich das für ein Landstraßen-Motorrad. Der Hänger in der Volllast-Leistungskurve spielt zumindest mit den Grobstöllern in der Praxis keine Rolle, ihr Limit ist weit früher erreicht. Und so ist es letztendlich die BMW, die sich beim gemeinsamen Ausritt nach der Decke strecken muss. Auch wenn die allerdings mit dem Tourance ermittelten Messwerte, so viel Test darf dann doch sein, eine andere Sprache sprechen: Beschleunigung 0 auf 100/140 km/h: 3,5 zu 3,8 und 6,0 zu 6,8 Sekunden. Durchzug 50/100 und 100/150 km/h: 4,7/5,2 und 5,2/5,9 Sekunden. Das Ergebnis hat was von Bundesliga: Die Bayern gewinnen immer. Hier 4:0. Je nachdem, wie kräftig an den Kabeln gezogen wird, gluckern jeweils zwischen fünf und sieben Liter aus den Tanks.
Welches Modell ist besser?
Die BMW hat den besseren, weil lebendigeren Motor, die Ducati das homogenere Fahrverhalten und mit Kurven-ABS die modernere Technik an Bord. Ausstattungsbereinigt sind beide mit rund 15.000 Euro gleich teuer, und wenn man sie jetzt mit einem Wort charakterisieren müsste: Ducati: Rolling, und ein wenig Tumbling die BMW. Mächtig Spaß machen sie beide.