Test - Honda GB 350 S, Royal Enfield HNTR 350, Kawasaki Meguro S1

Honda GB 350 S, Royal Enfield HNTR 350, Kawasaki Meguro S1
Retro-Singles im Vergleich

Veröffentlicht am 15.04.2025

Wenn man hierzulande zwischen dem wahrnehmbaren Beginn der Kindheit und dem Ablegen der Abiturprüfung ein Taxi bestellte, passierte in aller Regel Folgendes: Etwa 15 Minuten später nagelte eine Mercedes E-Klasse in RAL 1015 "Hell-Elfenbein" der Baureihe W124 ums Eck. Der stilhebende Stern auf dem Kühlergrill immer voran. Reifere Semester ersetzen das W124 einfach durch ein W123 oder gar W115, alles andere bleibt weitgehend gleich.

Sehr oft mit 200er-Diesel unter der Haube und immer mit wirklich sehr wenig Leistung für wirklich viel Auto. Darauf war Verlass. Dann betrat man unter sattem Türschluss eine Kathedrale der Ruhe und Qualität. Sorgsam komponiert aus Zebranoholz, MB-Tex-Kunstleder sowie Kunststoffen für die Ewigkeit. Das viele, mit schwäbischer Präzision gefertigte Blech vermittelte Sicherheit.

Das wohlige Brummen des "Oel-Motors" schuf Geborgenheit. Sobald der Wählhebel der Automatik – was auch sonst – auf D stand, kreierte der lethargische aber ausdauernde Vortrieb ungeahnte Zeitfenster und Oasen der Entspannung.

Die Faszination des alten Taxis in der heutigen Zeit

Ein wohliges Gefühl, das mich auch heute noch kriegt, wenn ich in ein entsprechendes Baumuster einsteige. Geht angesichts der in die Höhe geschossenen Gebrauchtpreise dieser Zeitkapseln der alten Bundesrepublik anscheinend nicht nur mir so. Was jedenfalls beweist: Es gibt auch ein Leben der verbrennungsgestützten Mobilität abseits von Eile, Druck und maximal effizient zusammengedengeltem Dünnwandmaterial. Und dieses fasziniert heute noch genauso wie früher. Angesichts der permanenten Lebensbeschleunigung heute vielleicht sogar noch etwas mehr als gestern.

Die moderne Interpretation der Vergangenheit: Honda GB 350 S

Die gute Nachricht: Wer dieser Art der Fortbewegung und Machart etwas abgewinnen kann, findet auch auf zwei Rädern ähnlich gelagerte Neuware. Für deutlich weniger Geld, als ein gut abgehangener Taxi-Daimler heutzutage verlangt. Bei dramatisch niedrigerem Risiko und Pflegebedarf sowie im direkten Vergleich wohl doch ein wenig mehr Zunder bezüglich Fahrdynamik. Es gibt sie also noch, die guten Dinge.

Sie heißen in unserem Fall Honda GB 350 S , Royal Enfield HNTR 350 oder Kawasaki Meguro S1 und flirten mit materialtechnischer Vollmundigkeit, stampfigen Luftkühler-Eintöpfchen und klassischem Design von dezent bis exzessiv mit der so arg herbeigesehnten Vergangenheit. Bei gleichzeitig sehr gegenwärtiger Problemlosigkeit. Wenn das keine Reise ins Gestern von heute wert ist?

Die Honda GB 350 S: Mischung aus Nostalgie und Moderne

Doch eins nach dem anderen. Wir lassen unsere Zeitmaschine zunächst ruhig anlaufen und steigen auf die Honda GB 350 S. Die augenscheinlich modernste Interpretation der guten alten Zeit. LED-Komplettausstattung, anständige Reifen, sogar ein paar digitale Sprenkler wie die hochstapelnde Traktionskontrolle. Nein, für einen restaurierten Oldtimer wird die GB 350 S nicht gehalten.

Doch die klassische Tanklinie, Faltenbälge, Stereo-Federbeine, fein angeschliffene Kühlrippen und wohlgesetzte Spritzer Chrom versprühen geschmackvolle Nostalgiegefühle. Dazu geht die Honda als einzige in diesem Trio als ein Motorrad durch, das sich nicht mehr im Wachstum befindet. Breiter Lenker, westeuropäer-taugliche Sitzhöhe, imposant wirkender Mono-Zylinder: Da fühlt sich selbst der hochgewachsene Kollege Glück würdig untergebracht.

Die Honda GB 350 S

Und all das für Vier glatt, inklusive der legendären und absolut W124-adäquaten Honda-Qualität und -Zuverlässigkeit? Hui, so demokratisch war die schwäbische Preisgestaltung seinerzeit jedenfalls bei weitem nicht. Und wird die japanische wohl auch nicht dauerhaft bleiben, denn den Trick des Knallerpreises zur Einführung, der sich alsbald hochschraubt, kennt man von Honda in jüngster Zeit schon ganz gut.

So fährt die Honda GB 350 S

Aber wie dem auch sei: Der Preis ist heiß und die Neugier groß. Und was soll man sagen: Die größten aller Japaner liefern, wie gewohnt. Die GB schaltet smooth, bremst stabil, fahrwerkt angenehm und bewegt sich gerade noch so handlich wie man es angesichts der doch 181 Kilo erwarten kann, setzt ihren Fokus aber spürbar eher auf Stabilität. Das scramblereske Vorderradformat in 19 Zoll ist da auch wohl auch nicht ganz unbeteiligt.

In Summe führt das alles jedenfalls zur markentypischen Souveränität. Da wackelt und scheppert halt nichts, denn die Peripherie der Honda ist angesichts des überschaubaren Powerangebots genau so überdimensioniert, dass sich der Eindruck unerschütterlicher Durabilität zwangsläufig einstellt. Auch das irgendwie nicht ganz unähnlich zu einem gewissen Vierrad aus Untertürkheim.

Das gefühlte Kraft-Material-Verhältnis ist ebenfalls näher am seligen Taxi-Benz als man denken mag, denn diese knapp 21 PS aus 348 Kubik sind zwar viel kultivierter als beim alten Vorkammerdiesel, allerdings nicht sooo viel temperamentvoller. Zumindest aber spürbar energischer als die gut 19 PS, die wir in einem ersten Anlauf maßen.

Denn leider behinderte ein ungünstig unter der Sitzbank platziertes Handbuch die Atemwege der Airbox unbemerkt, aber spürbar. Ooopsi. Mit wieder voller Pferdestärke tönt es jedenfalls kernig und vibriert wenig, aber abseits des urbanen Ampelsprints braucht man trotzdem noch Geduld. Der größte Hemmschuh scheint die Übersetzung, vor allem in den oberen Gängen. Der Vierte ist in der Stadt schon öfters mal eine Herausforderung und an den (wie sich am Prüfstand rausstellte auf 150 Km/h übersetzten) Fünften sollte man unterhalb von 80 km/h gar nicht erst denken.

Wenn dann noch die als heutiger Kradist in ihrer Existenz fast schon vergessenen Steigungen dazu kommen, dann kann man zwischenzeitlich getrost schon mal Teewasser aufsetzen. Nun, ganz wie damals im W124: viel Zeit, aus dem Fenster bzw. durch das Visier zu schauen und die Reise zu genießen. Wir wollten ja schließlich stilvoll entspannen, und dafür taugt das kleine, feine Paket aus Japan allemal.

Royal Enfield HNTR 350: Klassische Schlichtheit mit viel Charakter

Stellt man die Zeitmaschine eine Stufe schärfer ein, landet man wahrscheinlich bei Royal Enfields HNTR 350 als Beitrag zum Thema Entschleunigung alter Schule. Optisch ist dieses kleine, flache Knubbel-Krad eins der modernsten Kräder, das die indischen Produktionshallen je verlassen hat, aber doch deutlich gestriger als die Honda. Kompakt wie anno dazumal, organisch-rund, ja fast schon "kantophob" geformt, tennisballgroße Blinker, und ein Digital-Department, das sich auf den sehr schüchternen Einsatz von LCD (Cockpit) und LED (Rückleuchte) beschränkt. Und dann dieser markentypische Materialeinsatz: Die Hunter 350 (hierzulande komischerweise HNTR 350) ist zwar nicht allzu feingeistig zusammengebaut, aber scheint aus einem Riesenklumpen Stahl gehauen worden zu sein. Qualität durch Masse, die das Potenzial mehrerer Himalaya-Überquerungen glaubhaft erscheinen lässt.

So fährt die Royal Enfield HNTR 350

Genau wie ein stampfiger Vollschrot-Single. Unglaublich, wie vollmundig-angenehm dieser 349er seine Abgase in die Umwelt knattert, und er klingt nicht nur kräftiger als die Honda sondern zieht auch subjektiv wie objektiv kräftiger durch. Er kommt früh, kräftig aber auch kurz zur Sache. Wenn man fleißig im Fünfganggetriebe rumrührt (und das ist eine ziemlich adäquate Beschreibung), kann man sich im Alltag gut in diesem kleinen "Kraftfenster" aufhalten.

Da fühlt der Einzylinder sich eh wohl, denn tiefe Drehzahlen und hohe Gänge kombiniert dieser Traktorstampfer deutlich williger als der Honda-Single und wird dadurch zusammen mit dem angenehm niedrigen Schwerpunkt auch für kleinere ZeitgenossInnen zum souverän-quirligen City-Hopper.

Die Taxi-Daimler-Dynamik ereilt die Enfield erst außerorts, wo sich auch die Mitspieler des nun doch recht kräftig vibrierenden Singles anfangen zu sträuben. Das Federbein kennt wenig Gnade, die Gabel ist dafür umso weicher und sowohl längs- als auch querdynamisch anfällig für Störimpulse. Dazu kippt die zwar handliche aber auch etwas zappelige Enfield gerne einen Tick zu ambitioniert Richtung Schräglage. Der etwas labberige Frontstopper kann dem Ganzen nur durch rege Beteilung der erstaunlich kräftigen Hinterradbremse Herr werden.

Am Ende des Tages kommt beim Kurvenräubern also ein bisschen mehr Bewegung in die Sache als einem lieb ist und so stellt sich recht natürlich auch hier ganz intuitiv der Landschafts-Beobachtungs-Speed ein. Da hat man eh mehr Zeit und Kopf, das Auge auch mal auf schöne (und selten genutzte) Details wie den glanzvollen Tankverschluss zu werfen und die animierenden Zündungen des Eintopfs gefühlt einzeln zu zählen. Da ist er wieder, der seelenbalsamierende Ruhepuls.

Kawasaki Meguro S1: Der Retro-Klassiker unter den Motorrädern

Ok, bisher haben wir mit der Vergangenheit ja nur ein wenig geflirtet. Wem das zu langsam und harmlos war, der findet einen deutlich direkteren Weg zum Rendezvous mit dem Gestern: Zeitmaschine auf Anschlag und Auftritt Kawasaki Meguro S1. Meguro? Da ist schon der Name historisch. Nicht, dass die auf die Ursprünge der Grünen deutende Kawa sonst Gefahr laufen würde, als Raumschiff durchzugehen. Diagonalreifen mit Oldschool-Profil auf Speichenfelgen, Peashooter-Auspuff, analoge Rundinstrumente und Chrom, Chrom, Chrom: Oldtimer ab Werk trifft es ganz gut. Da lacht das Herz fürs gestern.

Man muss sich schon etwas intensiver auf die Suche begeben um das Baujahr der stilschwangeren S1 korrekt einzuordnen. Ein dezenter und mit reichlich – Überraschung – Chrom getarnter LED-Scheinwerfer, das winzige LC-Display im Cockpit und mit Argusauge erblickt man vielleicht noch das gut versteckte Brotkästchen im Abgasstrang: Mehr Hinweise auf die Ansprüche und Erfordernisse der Neuzeit hält die Meguro nicht bereit.

Naja, und vielleicht die Tatsache, dass das Öl ausschließlich im und nicht um den Motor herum zu finden ist, wie es vor allem bei den zu Meguro-Zeiten omnipräsenten Vorbildern aus UK guter Usus war. Manchmal ist die Moderne trotz aller Retroliebe ja doch ganz gut.

So fährt die Kawasaki Meguro S1

In heutigen Zeiten fast schon vergessen sind auch die winzigen Ausmaße der Megusaki. Zitat Test-Kollege Timo Morbitzer (+1,80 Meter): "Dass die eigenen Knie oberhalb des Tanks sind, erlebt man auch eher selten." Wer über 1,70 Meter/70 Kilo liegt, stand ganz offenbar nicht im Lastenheft der Japaner. Unbestreitbarer Vorteil dieser Bonsai-Dimensionen: 143 gemessene Kilo. Vollgetankt und hochoffiziell in unserer Werkstatt gemessen. Klar, der Motor ist mit 233 Kubikzentimetern auch ein gutes Stück kleiner, außerdem fehlt der Hauptständer, aber die Zahl ist trotzdem beeindruckend. Zumal die S1 natürlich auf Leichtbauraketentechnik verzichtet und materialtechnisch ähnlich rustikal und großzügig gemacht daherkommt wie die ebenfalls nicht an Riesenwuchs leidende Enfield.

Und so ist es kein Wunder, dass beim ersten Rangieren und Aufsitzen sogleich das gern zitierte Fahrrad als erste Vergleichsinstanz in den Kopf schießt. Das und eine Schubkarre, denn der zarte Lenker kröpft sich einem ungewohnt weit entgegen. Naja, ist ja auch nicht wirklich ein Rasermotorrad. Könnte man meinen...

Zündung. Ticker-Ticker, Rassel-Rassel, Paff-Paff: Eine echte Nähmaschine. Sympathisch, aber akustisch wie mechanisch präsent ist das Motörchen. Und gut nutzbar, denn der Rundlauf beginnt früh, die sechs  Gangstufen sind knackig kurz. Zusammen mit dem erwartbar telepathischen Handling zirkelt keine so easy und fix durch die auf fünfzig Sachen gerahmte Stadtwelt. Kupplung, Getriebe, Bremse, Fahrwerk: An allen Extremitäten fühlt sich die S1 ähnlich feedbackarm und gautschig an wie die Enfield. Sie funktioniert im Detail aber meist doch besser. Die Kupplungsbetätigung ist viel leichter, das Getriebe etwas präziser, die Bremse an der Front deutlich effektiver und die Federelemente sowohl gnädiger als auch harmonisch was das Verhältnis zwischen Bug und Heck angeht. Noch weit weg von der erstaunlich modernen Reaktivität der Honda, aber damit kann man trotzdem einfach und vor allem vergnügsam arbeiten.

Taxi-Feeling auf der Kawa

So weit, so erwartbar. Ist das Ortsende erst passiert, wird man sich hier mangels Hubraum wohl noch viel mehr auf die gute alte W124-Dynamik einstellen müssen, oder? Nun, wo (zumindest teilweise noch) Kawasaki draufsteht, muss auch ein bisschen Pfeffer drin sein, Retro hin oder her. Und so hält die kleine Nähmaschine einen unerwarteten, aber umso willkommeneren zweiten Frühling im letzten Drehzahldrittel bereit. Ab 6000 Touren auf dem nicht allzu genauen Drehzahlmesser gibt es etwa 3.000 Umdrehungen mit einem kleinen, sehr spaßigen Anflug von Inbrunst. Der im sechsten Gang sogar nochelektronisch (und etwas rabiat) gedrosselt werden "muss". Na, wenn das mal nicht ernsthaft sportlich ist… Klar, absolut gesehen immer noch wenig, es reicht aber für die subjektive Raserkrone in dieser Runde. Dass trotz aller Labbrigkeit Fahrwerk, Bremse und sogar die nicht allzu vertrauenerweckend wirkenden Reifen locker mitspielen, macht das Auskosten des kleinen Dynamikfeuerchens umso reueloser.

Aber was ist nun mit der stilvollen Entspannung? Ist die Meguro etwa nur eine Mogelpackung, die auf alt, gemütlich und rustikal macht, aber zum Rasen anstachelt? Nun, bei aller gefühlten Dramatik: Null-Hundert in 17,3 Sekunden und vier Schaltvorgängen. Überschaubar. Und nur eine gute Sekunde schneller als ein Stuttgarter Diesel-Klassiker in RAL 1015, "Hell-Elfenbein", apropos. Da ist es also wieder, das wohlige Gefühl von damals.

Technische Daten
Honda GB 350 S (2025)Kawasaki Meguro S1 (2025)Royal Enfield HNTR 350 (2025)
Motor1, Motor1, Motor1, Motor
Leistung15,0 kW / 21,0 PS bei 5.500 U/min12,0 kW / 17,0 PS bei 7.000 U/min15,0 kW / 20,0 PS bei 6.100 U/min
Hubraum348 cm³233 cm³349 cm³
Leergewicht vollgetankt143 kg
Sitzhöhe800 mm745 mm790 mm
Grundpreis4.000 €5.695 €4.490 €