Ende der Siebzigerjahre gehörten etwa 20 Leute zu unserer Clique, die sich in aufkeimender Motorradbegeisterung zusammenfanden. Wir orientierten uns an älteren Mitschülern, ein paar von uns hatten auch ältere Brüder. Die donnerten mit ihren Harleys, Laverdas oder Einzylinder-Ducatis so bestimmend vor die Schule und abends vor die wichtigste Kneipe der Welt, dass wir uns ziemlich harmlos vorkamen.
Wie unsere Mokicks. Grüne Jungs eben.Tief beeindruckt erlebten wir mit, wie "Beesa"-(BSA-)Fahrer Frank dem frisch gebackenen Guzzi-California-Besitzer Jörg einen Kawasaki-Aufnäher von der Lederjacke rupfte. Erst dann durfte der seine eigene Cali ankicken. Wir lernten, dass Säusel-Vierzylinder aus Fernost verachtenswerte Geräte seien; das einzige geachtete japanische Motorrad war die Yamaha XT 500. MV Agusta und Münch als europäische Vierzylinder-Motorräder säuselten nicht, sondern mahlten und röhrten. Dass sie außerdem nicht gingen und nicht hielten, wollten wir lange nicht kapieren.
Keine Ahnung, wieso ich trotz dieser einseitigen Prägung, ach was, dieser Verblendung, die Doppelnockenmotoren von Suzuki, egal ob als Zweizylinder-400er oder als Vierzylinder mit 550, 750 und 1000 cm³ Hubraum, so berückend schön fand. Ich hätte mir aber lieber die Zunge abgebissen, als diese irritierende Faszination einzugestehen. Dafür war ich damals noch nicht selbstbewusst genug. Warum ich das erzähle? Weil sie mich neulich wieder überfallen hat, als Thomas große Inspektion an seiner Katana 550 machte. Thomas war einmal mein Nachbar, ist heute mein Freund und hütet die Suzi seit 28 Jahren genauso sorgfältig wie seine zwei jüngeren Motorräder. Die Katana, die den Motor der GS 550 E von 1977 übernahm, hat knapp 25000 Kilometer auf dem Zähler, ist unrestauriert im originalen Lack und wäre selbst für das Suzuki-Werksmuseum eine Zierde. Er gab sie mir für diese Geschichte, die ein verspätetes Bekenntnis zum damaligen Suzuki-Vierzylinder und zum Design der kleinen Katana ist. Sie war weniger spektakulär als die 750er und 1100er, aber in meinen Augen einfach schöner.
Den Chokezug trägt die Katana bequem erreichbar am linken Lenkerende und das ist auch gut so, weil der Motor zwar sofort anspringt, doch mit dem Kaltlauf seine Mühe hat. Mit vorsichtigem Nachregulieren und Zupfen am Gas will er angewärmt werden, aber schon das ist ein akustisch-mechanisches Ereignis. Knurrend verbrennen die Spritportionen, die Steuerkette zischelt, Mitte links mahlt der Primärtrieb. Die Kurbelwelle läuft in Rollenlagern, die Pleuel sind nadelgelagert und es fühlt sich so an, als würde man jeden einzelnen Wälzkörper beim Abrollen spüren nachdrücklich massierend. Tief und weit hinten sitzt der Fahrer in der Mulde der schwarz-roten Bank, vor ihm baut sich ein mehrstöckiges Cockpit mit luxuriöser Ganganzeige auf, und weit voraus rotiert der schmale 19-zollige Vorderreifen. Tatsächlich, die Katana kann Kurven. Schade nur, dass die braven Metzeler-Pneus im 14. Jahr ihres Bestehens den Tatendrang des Piloten etwas hemmen. Wahrscheinlich würden sie besser haften als vermutet, aber falls nicht, sind die Abfangmöglichkeiten bei einem Rutscher übers Vorderrad doch sehr gering. Also lieber langsam in Schräglage gehen und genüsslich aufziehen. Hinterradrutscher lassen sich leichter abfangen.

Bis 7000/min läuft der 550er kultiviert, mit gelegentlichem leichtem Schluckauf bei den Lastwechseln. Darüber entfaltet er geradezu prächtige Laune, dreht willig und mit prickelndem Getöse weiter bis 10000/min und sogar darüber hinaus. Tut mir leid, Thomas, aber der wollte das so.
Der erste Eindruck bestätigt sich: Es ist eine Menge los in diesem Motor und anders als die gleitgelagerten modernen Triebwerke teilt das der Suzuki-Veteran auch freizügig mit. Selbst Gaswegnehmen wird zu einem sinnlichen Erlebnis mechanischer Reibung. Davon scheint der Vierzylinder intern eine ganze Menge zu erzeugen, er bremst allein durch das Schließen der Klappen das 222 Kilogramm schwere Motorrad energisch ab. Trotz der riesigen Einkolben-Schwimmsättel kann das die Doppelscheibe vorn nur etwas besser. Zeitgenössischen Tests zufolge leiden Wirkung und Dosierbarkeit unter der Abzweigung der Bremsleitungen zum Anti-Dive, das schnelles Eintauchen der Gabel beim Bremsen verhindern soll, dessen Funktion sich aber nicht gerade in den Vordergrund spielt. Gelinde gesagt. Liegt es an den Jeans, die ich zur zeitgenössischen Harro-Rennweste trage, oder verbreitet der nunmehr komplett durchgewärmte Motor tatsächlich eine bullige Hitze? Er tut‘s, und bei langsamer Fahrt durch die Ortschaften steigen Schwaden heißer, leicht ölgeschwängerter Luft an mir empor. Nach dem Abstellen kühlt der Brocken mit vernehmlichem Knacken und Knistern wieder ab. Langsam dämmert es mir: Genau darin besteht das Geheimnis der Katana und ihrer Zeitgenossen. Sie waren ziemlich extrovertiert, benahmen sich nicht so untadelig wie wohlerzogene, moderne Motorräder. Und wirken dadurch mächtig auf empfängliche Gemüter. Bis heute.
Technische Daten

Motor:
Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, zwei Ventile pro Brennraum, durch zwei obenliegende Nockenwellen und Tassenstößel betätigt, Bohrung x Hub 56 x 55,8 Millimeter, 549,7 cm3, 37 kW (50 PS) bei 9400/min, 39 Nm bei 8400/min, Gleichdruckvergaser, E-Starter, Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, Kettenantrieb.
Fahrwerk:
Doppelschleifen-Rohrrahmen, Telegabel vorn, Zweiarmschwinge hinten, zwei Federbeine, Doppelscheibenbremse vorn mit Einkolben-Schwimm-sattel, Ø 270 mm, hinten Scheibenbremse mit Schwimmsattel, Ø 270 mm, Gussräder, Bereifung 3.25 H 19 und 4.00 H 18.
Maße und Gewicht:
Radstand 1450mm, Nachlauf 116 mm, Sitzhöhe 790 mm, Gewicht vollgetankt 222 kg, Tankinhalt 23,3 Liter, Höchstgeschwindigkeit 177 km/h. Preis: 8215 Mark (1981).