In letzter Zeit verlaufen Gespräche zwischen dem Autor und MV Agusta-Produktmanager Brian Gillen sehr ähnlich. Thema ist immer die Traktionskontrolle der MV Agusta Rivale 800. Autor: „Ich bringe die TC selbst auf der empfindlichsten Stufe nicht zum Arbeiten.“ Gillen: „Hast du Slides?“ „Nein.“ „Wo liegt dann das Problem?“ „Ich vermisse Feedback und spüre nicht genau, ob und wann das System eingreift. Auch eine Kontrollleuchte wäre nicht schlecht.“ „Wozu das?“ „Na, damit man sich besser ans Limit herantasten kann.“ „Dort regelt die Traktionskontrolle schon, keine Sorge.“
Kann sein. Ist mitunter aber schwierig zu belegen, wie folgendes Beispiel mit der brandneuen MV Agusta Rivale 800 zeigt: Traktionskontrolle auf der empfindlichsten Position (acht), nasse Kurve. An deren Ausgang beschleunigt der Tester früh und hart, die TC macht keinen Mucks. Selbst heftiges Gasaufziehen vorm Scheitelpunkt scheint das System nicht zu beeindrucken.
MV Agusta Rivale 800 sanft und gleichmäßig am Gas
Dass die TC prinzipiell funktioniert, zeigt sich beim Herauspowern aus einer trockenen Ecke. Dort greift die Elektronik unerwartet früh ein und stoppt den Vorwärtsdrang der MV Agusta Rivale 800 spürbar. Laut Gillen sind Befürchtungen unbegründet, wonach die Traktionskontrolle im Nassen so spät regelt, dass der Hinterreifen nach einem Initial-Rutscher komplett die Seitenhaftung verliert. Wie sich das System bei Nässe genau verhält, lässt sich bei der Präsentation auf der engen, bergigen Strecke im Hinterland des südfranzösischen Nizza leider nicht abschließend feststellen.
Klarheit herrscht dagegen bei der Gasannahme. Sanft und gleichmäßig reagiert die MV Agusta Rivale 800 auf den Dreh am elektronischen Gasgriff – kein ruckartiger Leistungseinsatz, kein abruptes Anschieben, kein Nachlaufen bei geschlossenem Hahn. Großartig! Offensichtlich hat sich in diesem Punkt bei MV viel getan. „Wir lassen das Mapping der Motorsteuerung jetzt mehrfach gegenchecken“, erklärt Gillen. Praktisch sind die drei Modi „Normal“, „Sport“ und „Rain“, die jedem Fahrertyp die passende Stufe bieten. Außerdem ermöglicht „Custom“ dem Piloten, die Lieblingseinstellung von Gasannahme, Drehmomentverlauf, Motorbremse und Begrenzer-Drehzahl frei zu kombinieren.
Dreizylinder der Brutale 800
Als Antrieb dient der MV Agusta Rivale 800 der Dreizylinder der Brutale 800. Rivale und Brutale: ein schöner Gleichklang! „Den Namen haben wir bewusst gewählt“, erklärt Firmenboss Giovanni Castiglioni. „Er hört sich gut an und verdeutlicht die Familienzugehörigkeit.“ Für eine enge Verwandtschaft spricht auch der völlig identische Motor, den die Italiener für den Gegenspieler lediglich an der Peripherie änderten – Stichworte Ansaugweg und Abgasabführung.
Das Ergebnis kann sich sehen und hören lassen. Untermalt von herrlichem Dreizylinder-Fauchen und begleitet von anregenden Vibrationen schießt die MV Agusta Rivale 800 putzmunter durchs Drehzahlband, der Leistungszuwachs lässt erst weit im fünfstelligen Bereich etwas nach. Die Maximaldrehzahl liegt laut MV bei saftigen 13.000/min.

Dank des serienmäßigen Schaltautomaten EAS (Electronically Assisted Shift) geht das Hochschalten recht lautlos und ruckfrei vonstatten, obgleich die Zahnräder vor allem bei Volllast noch einen Tick sanfter ineinander flutschen könnten. Unterm Strich ist der Drilling jedoch ein echtes Schmuckstück.
Mit der MV Agusta Rivale 800 erweitern die Vareser ihr Programm erstmals um eine Supermoto. Wobei vor allem der flache Übergang vom kleinen Tank zur Sitzbank, der breite und nah am Fahrer montierte Lenker, die sehr hohe Sitzposition (rund 880 Millimeter) und die langen Federwege an eine Sumo erinnern.
Die fehlende Anti-Hopping-Kupplung und das Trockengewicht von üppigen 178 Kilogramm (Werksangabe) tun das weniger. Berücksichtigt man die erfahrungsgemäß optimistischen Aussagen zum Gewicht, dürfte die MV Agusta Rivale 800 mit Sprit, Öl und Wasser an der 200-Kilo-Marke kratzen. Was aber nicht weiter schlimm ist: Wer treibt solch ein Bike schon über eine Sumo-Strecke?
Rivale-Revier? Eindeutig Landstraßen!
Abseits von Micky Maus-Pisten genießt der Rivale-Pilot das sehr neutrale und stabile Kurvenfahrverhalten. Hypernervöses Einlenken und Kippeln in Schräglage sind der MV Agusta Rivale 800 völlig fremd. Der neue Hauptrahmen mit stark geänderter Geometrie hält die Fuhre traumhaft ruhig. Das Handling geht in Ordnung, Fahrradähnliches Abwinkeln bietet die Rivale aber nicht. Dafür beißen die Stopper fest, aber nicht gewalttätig zu und bieten einen klar definierten Druckpunkt.
Ein ABS fehlt allerdings noch, MV rüstet die MV Agusta Rivale 800 erst Mitte 2014 mit dem System aus. Wer nicht warten kann oder will, schlägt sofort zu. Der Gegenspieler steht in Kürze bei den Händlern. Und? Nomen est omen? Das wird bald ein Vergleichstest zeigen.
PS-Daten
MV Agusta Rivale
Antrieb: Dreizylinder-Reihenmotor, vier Ventile/Zylinder, 92 kW (125 PS) bei 12 000/min*, 84 Nm bei 8600/min*, 798 cm3, Bohrung/Hub: 79,0/54,3 mm, Verdichtung: 13,3:1, Zünd-/Einspritzanlage, 47-mm-Drosselklappen, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, Kette
Fahrwerk: Stahl-Gitterrohrrahmen, Lenkkopfwinkel: 64,5 Grad, Nachlauf: 104,5 mm, Radstand: 1410 mm, Ø Gabelinnenrohr: 43 mm, Federweg v./h.: 150/130 mm
Räder und Bremsen: Leichtmetall-Gussräder, 3.50 x 17/5.50 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 180/55 ZR 17, 320-mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln vorn, 220-mm-Einzelscheibe mit Zweikolben-Festsattel hinten
Gewicht: (trocken) 178 kg*
Tankinhalt: 12,9 Liter Super
Grundpreis: 12.590 Euro (zzgl. NK)
PS-Urteil
Im Gegensatz zu manchen MV-Modellen der jüngeren Vergangenheit wirkt die MV Agusta Rivale 800 bereits bei der Präsentation sehr ausgereift. Vor allem die Programmierung der Zünd-/Einspritzanlage gelang den Italienern endlich auf Anhieb. Wer auf große Supermotos steht, findet in der Rivale einen prima Partner für sportliches Lustwandeln.