Seit ihrer Ankündigung sorgt die neue Suzuki-Mittelklasse für Gesprächsstoff. Schnell wurde das rasche Ende des viel gelobten V-Motors beschworen und sein in Reihe angeordneter Nachfolger als "langweiliger Einheitsbrei" abgetan. Inzwischen, rückblickend, erscheint das unberechtigt, denn: Das neue Triebwerk samt Peripherie ist weit entfernt von dröger Sparpackung. Und zudem bleibt die alte Garde, bestehend aus SV 650 (X) sowie V-Strom 650 (XT), weiter im Programm. Und das mit signifikantem Preisvorteil. Ein Ende ist nicht in Sicht, das bedeutet also: Koexistenz statt Ablöse. Und für uns: höchste Zeit, um herauszufahren, ob das so noch Sinn ergibt.
Suzuki SV 650 mit 73 PS starkem V-Twin
Blutleer oder altbacken wirkt er jedenfalls nicht, der bewährte 90-Grad-V-Motor mit 645 Kubik in der Suzuki SV 650. Er tritt munter an und dreht kultiviert hoch – untermalt von bauarttypischen Twin-Vibrationen und kernig-rotzigem Sound. Aktuelle, Euro-5-konforme Spitzenleistung? Immerhin 73 PS, dazu gibt Suzuki 64 Nm maximales Drehmoment an. Aus heutiger Sicht sind das in der Mittelklasse keine Top-Werte mehr, dafür überfordert die Power nie und sorgt auf der Landstraße allemal für Unterhaltung. Suzukis Mittelklasse-Dauerbrenner ist ein genügsamer Spaßbringer, der mit Zuverlässigkeit und obendrein mit Charakter besticht.
Suzuki GSX-8S mit 83 PS starkem Reihen-Twin
Wie wird ein solch rundes Paket noch besser? Man bleibt am Puls der Zeit, verabschiedet sich von der V2-Nostalgie und fängt von vorn an. Das Resultat ist ein moderner 776er-Reihentwin: kompakter, leichter und stärker. Maximal 83 PS sowie 78 Nm überragen die Werte des 650ers deutlich. Interessant ist zudem, wo und wie das neue Herzstück abliefert: Schon ab rund 2.500 Umdrehungen stehen 60 Newtonmeter bereit, beim 650er fällt dieser Wert erst bei der 5.000er-Marke. Souveräner und geschmeidiger dreht der Reihenmotor aus dem tiefsten Drehzahlkeller, ohne obenraus müde zu wirken. Der in dieser Klasse mittlerweile obligatorische 270-Grad-Hubzapfenversatz bewirkt V-Twin-gleichen Puls, in Sachen Sound bleibt die GSX-8 S jedoch etwas zurückhaltender.
Neuer Suzuki-Motor unterm Strich deutlich besser
Dafür gibt sich der bauartbedingt etwas breitere Reihenmotor auch an der Zapfsäule gemäßigt: Trotz Mehrleistung verbraucht die Suzuki GSX-8S im Test gleich wenig wie die SV 650: nur 3,9 Liter auf 100 Landstraßen-Kilometer. Zentralisiertere Massen – für gutes Handling vorteilhaft – und kostengünstigere Produktion stehen wiederum auf der Habenseite des Parallel-Twins, genau wie das knackige Getriebe mitsamt dem sehr gut funktionierenden Quickshifter. Abseits der schlankeren Bauform bleiben für das V-Layout so kaum noch Argumente übrig. Die neue Zylinderanordnung in Reihe ist die logischere und vernünftigere Wahl.
Naked Bike aus den 1990er-Jahren
Doch selbst der beste Motor hilft wenig, wenn das Drumherum nicht passt. Schlank und klassisch tritt die SV 650 auf, verkörpert den fast ausgestorbenen Urtyp des Naked Bikes mit Stahl-Gitterrohr-Rahmen und Rundscheinwerfer. Ist das schon ein "Modern Classic"? Zumindest ergonomisch ist hier jedenfalls "Oldschool" angesagt: Sämtliche Dimensionen der SV fallen kompakter und zierlicher aus als bei der zeitgenössisch zerklüftet gezeichneten Schwester GSX-8S. Der SV-Lenker ist schmal und stärker gekröpft, eine straffe, aber nicht unkomfortable Sitzbank platziert den Fahrer tiefer hinter dem schlanken Tank. Relativ weit hinten und oben positionierte Fußrasten ergeben besonders mit langen Haxen einen spitzen Kniewinkel, dafür helfen moderate 780 Millimeter Sitzhöhe Kurzgewachsenen beim Aufsteigen und Rangieren.
Modernes Naked Bike
Ende der 1990er-Jahre mag das Sitzarrangement der SV 650 noch sportlich-progressiv gewesen sein, doch heute macht die GSX-8S vor, dass früher wohl nicht alles besser war. Auf ihr sitzt man aktiver, durch den breiten, flachen Lenker stärker in Richtung Front orientiert. Dazu fällt das 810 Millimeter hohe Fahrer-Sitzpolster ähnlich straff, aber breiter aus, lässt mehr Bewegungsfreiheit zu und wirkt insbesondere für größere Fahrer stimmiger. Umso mehr gilt das auf längeren Touren.
Die SV 650 ist 3 Kilo leichter
Beim Gewicht der beiden Mittelklasse-Suzukis herrscht fast Gleichstand: Die SV 650 ist mit 199 Kilogramm auf der MOTORRAD-Waage 3 Kilo leichter als die GSX-8S mit 202 Kilogramm, beide vollgetankt mit circa 14 Liter Sprit. Im Kurvengewusel würde man aber einen deutlicheren Gewichtsvorteil bei der 650er vermuten. Auch dank schmalem 160er-Hinterreifen klappt die SV äußerst willig in Schräglage.
GSX-8S mit deutlich besserem Fahrwerk
In punkto Handling fühlt die GSX-8S sich zwar weniger verspielt an, hat aber bei Stabilität, Neutralität und Präzision immer deutlich die Nase vorn. Fahrwerk und Bremsen der Neuen sind ganz großes Kino, damit muss die GSX-8S sich selbst vor deutlich teureren Straßensportlern nicht verstecken. Dagegen wirkt die einfache Standard-Dämpferware mit klassischer Telegabel an der SV 650 – diplomatisch formuliert – eher "basic". Sie funktioniert unauffällig und zuverlässig, setzt aber nach aktuellen Maßstäben kein Highlight. Und auf Elektronik-Features wie Fahrmodi und Schlupfregelung verzichtet die SV gänzlich.
Fast 2.000 Euro Preis-Unterschied in der Suzuki-Mittelklasse
Bleibt noch ein entscheidendes Detail: der Preis. Greift man zum altbewährten Mittelklasse-Modell von Suzuki, der SV 650, spart man fast 2.000 Euro. Zwar ist die neue Suzuki GSX-8S (ab 8.900 Euro) technisch in vielerlei Hinsicht überlegen und hat somit keine Probleme, ihren höheren Preis zu rechtfertigen. Das bedeutet aber nicht, dass man mit einer neuen alten SV 650 (ab 7.100 Euro) nicht mehr glücklich werden kann. Wer eher klassisches Design bevorzugt, hat zumindest bei Suzuki keine Alternative zur SV. Sind kompakte Ergonomie und niedrige Sitzhöhe gefragt, und ist die bevorzugte Fahrweise eher entspannt als ambitioniert, bleibt die vor 25 Jahren
eingeführte SV 650 eine attraktive Option. Hier die technischen Daten und Messwerte der beiden Suzukis: