100 Jahre BMW Motorrad: Die 1930er-Jahre

100 Jahre BMW Motorrad
BMW Motorrad in den 1930er-Jahren

Veröffentlicht am 01.06.2023

Motorradrahmen aus Blechpressteilen waren in den 1930er-Jahren weitverbreitet. Ernst Neumann-Neander hatte 1926 seine P3 mit einem solchen Rahmen präsentiert, zwei Jahre darauf verkaufte er die Fertigungslizenz an Opel. Als Motoclub erweiterte seine Konstruktion das Opel-Modellprogramm. 1929 brachte BMW die R 11 und R 16 mit Blechpressrahmen auf den Markt, auch die 1931 erschienene zweite Einzylindermaschine der BMW-Historie, die R 2, erhielt ein solches Chassis. Darauf aufbauend folgten die R 4 ab 1932 und die R 3 ab 1936 sowie die R 12 und die R 17, weitere Modelle mit Zweizylinder-Boxermotor.

Gründe für den Umstieg auf Blechpressrahmen, den 1931 auch DKW als weltgrößter Motorradhersteller und ab 1933 Zündapp vollzogen, waren der geringere Fertigungsaufwand und die potenziell höhere Steifigkeit von Blechprofilen gegenüber den damaligen Rohrrahmen. Bei BMW profitierten Rahmen und Vorderradführung gleichermaßen von der neu eingeführten Technik. Der Lenkkopfbereich und die Rohrgabeln der früheren Modelle waren anfällig für Risse, besonders an denjenigen Stellen, wo Rohre in Muffen mit Hartlot verbunden waren.

Boxermotoren aus R 62 und R 63 wurden übernommen

Mit wenigen Änderungen wurden die Boxermotoren der R 11 und R 16 von der R 62 und R 63 (1928 bis 1929) übernommen; sie waren bis zur Einführung der R 90 die hubraumstärksten Motorradmotoren von BMW. Analog zur Trennung von SV-Tourenmotoren und ohv-Sportmotoren, die mit den beiden 500ern R 52 und R 57 eingeführt wurde, verfuhr man auch bei den 750ern – der Seitenventiler hatte den längeren Hub, der Sportmotor den kürzeren. Man verwendete die gleichen Kurbelwellen wie bei den 500ern und schuf so einen SV-745er mit 78 Millimetern Bohrung und Hub sowie einen ohv-Kurzhuber mit 83 Millimetern Bohrung und 68 Millimetern Hub, also in Summe 735 cm³ Hubraum.

Bis 200 Kubik steuer- und führerscheinfrei

Ab dem 1. April 1928, und keinesfalls als Aprilscherz gemeint, galten im Deutschen Reich neue Zulassungsvorschriften. Motorräder bis 200 cm³ Hubraum durften steuer- und führerscheinfrei gefahren werden. Nach der wenig erfolgreichen R 39 brauchte BMW bis 1931, um die R 2 mit einem 198er-Einzylinder-Viertakter zu entwickeln. Im Vergleich zur Konkurrenz massenhaft produzierter simpler Zweitakter war sie zwar teuer, verkaufte sich aber gut und wurde auch deshalb in schneller Folge verbessert. Bis 1936 wurden in vier Serien über 15.000 Exemplare produziert.

Motorräder ermöglichten Einstieg ins Automobilgeschäft

Die anfangs als eher zweitrangig eingeschätzte Motorradproduktion hatte den Profit erwirtschaftet, der es BMW ermöglichte, sowohl ins Automobilgeschäft einzusteigen als auch die Fertigung von Flugmotoren auszubauen. 1928 hatte BMW die hoch verschuldete Fahrzeugfabrik Eisenach und mit ihr die Rechte am Kleinwagen Dixi gekauft, im Jahr darauf erwarb Direktor Popp die Baulizenz für zwei Motorentypen des amerikanischen Flugmotorenherstellers Pratt & Whitney. In schneller Folge entwickelte BMW immer stärkere Automobile bis zum zweisitzigen Sportwagen 328, der ab Februar 1937 zu kaufen war und einer der Traumwagen der 1930er-Jahre wurde. Erstmals eingesetzt wurde er beim Eifelrennen 1936; Ernst Henne gewann die Klasse der Sportwagen mit Saugmotor bis zwei Liter Hubraum.

In anderen Bereichen setzte Henne dagegen schon länger aufgeladene Motoren ein. Am 19. September 1929 war er mit einem kompressorgeladenen 750er-Boxer im "alten" Fahrwerk in die Jagd nach dem absoluten Geschwindigkeitsrekord eingestiegen. Bis zum 28. November 1937 wurde die von Henne bei seinem ersten Versuch aufgestellte Marke von 206,4 km/h ständig übertroffen, mal von den Briten Joseph S. Wright und Eric Fernihough, mal vom Italiener Piero Taruffi und zwischendurch immer wieder von Ernst Henne selbst. Mit 279,5 km/h fuhr er den letzten Rekord vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs ein.

Kompressortechnik auf ihrem vorläufigen Höhepunkt

Im Zuge dieser werbewirksamen Rekordfahrten entwickelte Rudolph Schleicher unter maßgeblicher Mitarbeit des akribischen und genialen technischen "Laien" Josef Hopf die Kompressortechnik bis zu ihrem vorläufigen Höhepunkt, der Werksrennmaschine vom Typ 255. Ihr Motor war ein völlig neu konstruierter Hightech-Boxer mit zwei Nockenwellen pro Zylinder, die von Königswellen angetrieben wurden. Der Kompressor saß vorn auf der Kurbelwelle. Das Fahrwerk bestand aus einem ebenfalls neuen, geschweißten Rahmen aus oval-konischen Rohren mit einer hydraulisch gedämpften Telegabel, die sich als Meilenstein der Fahrwerkstechnik erwies. Zuerst mit ungefedertem Hinterrad, ab 1937 dann mit Geradewegfederung. Mit einer solchen Maschine wurde der aus dem Geländesport zur Straßenrennmannschaft gekommene Schorsch Meier 1938 Europameister und gewann 1939 die Senior-TT auf der Isle of Man.

"Die R 5 ist kein Vorkriegsmotorrad." Mit dieser chronologisch falschen Feststellung beschreibt der Motorradhistoriker, BMW-Kenner und Norton-Liebhaber Stefan Knittel durchaus richtig und treffend, wie weit die im Jahr 1936 präsentierte R 5 ihrer Zeit voraus war. Die Sportmaschine mit einem 500er-Zweinockenwellen-Boxer und einem aus der Rennmaschinenentwicklung übernommenen Fahrwerk mit Telegabel – nebenbei auch noch betörend schön gestaltet – weist selbst über die folgenden, katastrophalen 1940er-Jahre weit hinaus. Deshalb gebührt ihr ganz anachronistisch der Schlussabsatz dieser Geschichte.