"Das ist ein Jahrhundertmotor" – Testchef Andreas Bildl war schon nach den ersten Testkilometern begeistert vom Antrieb der BMW S 1000 RR und blieb es bis zuletzt. Leicht besorgt zeigte er sich lediglich wegen eines Scharrens der Steuerkette, das im Verlauf der letzten 12.000 Kilometer immer deutlicher hörbar wurde. Als die Abschlussmessung auf dem Leistungsprüfstand einen Verlust von gerade einmal 0,7 kW gleich 0,95 PS gegenüber der Eingangsmessung auswies, war er schon fast beruhigt.
Endgültige Entwarnung stellte sich nach dem Zerlegen des Motors ein. Spann- und Führungsschiene sind in tadellosem Zustand, der Steuerkettenspanner war vorsorglich bei Kilometerstand 38.000 getauscht worden und die Steuerkette noch kaum über das Einbaumaß hinaus gelängt. Trotzdem bleibt diese minimale Längung die einzige mögliche Erklärung für das scharrende Geräusch, das sicher keine akustische Fata Morgana war.
Motor der S 1000 RR wiegt nur 58,5 Kg
Zu den mechanischen Geräuschen, über die sich auch der ein oder andere während der Testdistanz beschwerte, ist anzumerken, dass der Motor der BMW S 1000 RR extrem leicht gebaut ist. Inklusive Zündspulen, Generator und E-Starter wiegt er nur 58,5 Kilogramm. Das ist auch ein Indiz für eine Konstruktion mit optimierten Wandstärken des Motorgehäuses und der Deckel, die eben weniger gut gegen unvermeidliche mechanische Geräusche isolieren.
Neben der immer wieder in kurzen Worten geäußerten Begeisterung über den Motor – das Wort "geil" ist in diesem Zusammenhang im Fahrtenbuch der BMW S 1000 RR häufig zu lesen – beschwerten sich auch etliche Fahrer über die hohe Leerlaufdrehzahl in der Kaltlaufphase. Diese ist, so komisch es klingen mag, wichtig für die Reduzierung des Schadstoffausstoßes, weil sie den Katalysator rasch aufheizt, seine reinigende Wirkung also früh einsetzt.
Die einzige Komplikation beim Zerlegen des Vierzylinders der BMW S 1000 RR war ein korrodierter Bolzen der Gehäuseverschraubung links unter dem ritzelseitigen Lager der Getriebeabtriebswelle. Obgleich er sich unter der Ritzelabdeckung verbirgt und die nach oben offene Bohrung eigentlich durch abgeschleudertes Kettenfett stets gefettet sein sollte, saß er so fest, dass er sich lieber abdrehen ließ, als sich zu lösen. Wer damit rechnet, seinen Motor nach entsprechender Laufleistung zu revidieren, sollte vielleicht schon im Neuzustand von oben einen Fett- oder Silikonpfropfen in die entsprechende Bohrung setzen.
Komponenten des Schaltnockensystems
Nachdem MOTORRAD-Schrauber Gerry Wagner den Frust über den abgescherten Bolzen verdaut hatte, konnte er sich über einen unproblematischen Fortgang der Zerlegearbeiten an der BMW S 1000 RR freuen und über fast alles, was diese zutage förderten. Mit skeptischer Neugier schauten alle auf die Komponenten des Schaltnockensystems, doch an ihnen gab es keinerlei Anzeichen von Verschleiß zu entdecken. Die Ventile waren allesamt dicht, was freilich nach der vorangegangenen Druckverlustmessung keine große Überraschung mehr war.
Im Lauf der späteren Vermessung erwies sich das Kippspiel der Auslassventile als einziger Wert, welcher der Verschleißgrenze nahe kam, ohne sie jedoch zu erreichen. Das maximal tolerierte Kippspiel des BMW-Vierzylinders bei acht Millimeter Ventilhub beträgt 0,4 Millimeter. Dies zum Vergleich mit dem Motor der Triumph Tiger 900, bei dem MOTORRAD 0,7 Millimeter gemessen hatte.
Kolben, Kolbenbolzen, Kolbenringe, Pleuellager, Hauptlager – nach und nach förderte Gerry die Bestandteile des Motors der BMW S 1000 RR in erfreulichem optischen Zustand zutage; ein Befund, den die Vermessungsspezialisten Markus Spindler und Achim Steinmacher in der Folge bestätigen konnten.
Die Einheit von Öl- und Wasserpumpe war bei Kilometerstand 9.758 vorsorglich getauscht worden. Da sie komplettiert wird, indem das Flügelrad der Wasserpumpe auf die durchgehende Welle gepresst wird, ließ sie sich nicht zerstörungsfrei zerlegen und daher auch nicht vermessen. Sie zeigt nur leichte Druckspuren an den Spitzen des Ölpumpenrotors, und wie der Gesamtzustand des Motors der BMW S 1000 RR beweist, verrichtete sie ihre Arbeit zuverlässig.
Zerlegtes Getriebe der BMW S 1000 RR
Wer schon einmal ein Getriebe zerlegt hat, weiß, dass sich Öl in den Zahngründen der Getrieberäder hartnäckig hält, selbst wenn man sie noch so lange abtropfen lässt. Deshalb fiel erst nach dem Waschen der Getriebeteile das Pitting an einem Zahnrad des sechsten Gangs auf. Ein kleiner Schaden, aber einer, der sich mit Sicherheit ausgeweitet hätte. Die hoch qualifizierten BMW-Techniker konnten sich dieses Pitting nur mit einer anfänglichen Beschädigung erklären, verursacht durch einen harten Partikel, der irgendwann durch die Verzahnung gepresst worden sein muss.
Bei allem Respekt vor der Expertise der BMW-Entwickler müssen wir aber auch auf die länglichen Druckspuren hinweisen, die an allen Getrieberädern zu sehen sind. Sie markieren die Stellen, an denen die Zahnflanken einer Radpaarung mit dem größten Druck aufeinandertreffen, und wir halten es nicht für ausgeschlossen, dass von ihnen ausgehend die Härteschicht auch an anderen Stellen aufplatzen könnte. Wie auch immer, MOTORRAD schließt sich der Empfehlung von BMW an, nur Öl der vorgeschriebenen Viskositäten zu verwenden. Auf den Zugewinn von ein paar Zehntel PS durch extrem dünnes Leichtlauföl, das dem Getriebe nicht guttut, kommt es beim Motor der BMW S 1000 RR wirklich nicht an.
Die anderen Getriebeteile wie etwa die kunstvoll erleichterte Schaltwalze oder die an den Kontaktflächen zu den Getrieberädern mit einer aufgespritzten Kupferlegierung versehenen Schaltgabeln präsentieren sich in kaum eingelaufenem Zustand.
Hintergrundinformationen zu Kolbenbolzenbohrungen
Weil nur über wenige kritische Befunde zu diskutieren war, geriet die Besprechung mit der BMW-Delegation mehr und mehr zu einer Art Technik-Seminar, in dessen Verlauf die MOTORRAD-Mitarbeiter eine Menge Hintergrundinformationen erhielten. Zum Beispiel über die Kolbenbolzenbohrungen, die zu den Seiten hin hochoval, nach innen aber trompetenförmig erweitert sind. Selbstverständlich nur im Bereich von tausendstel Millimetern und um die Durchbiegung des Kolbenbolzens auszugleichen.

Beim Technik-Seminar: von links Achim Steinmacher, Markus Spindler, Thomas Steinle und Damien Cagnart (BMW), Gerry Wagner, Andreas Bildl, Ralf Schneider und Christian Kappeller (BMW).
Unter der brutalen Verzögerung und Beschleunigung im Bereich der Totpunkte beträgt sie etwa zwei, unter dem vollen Verbrennungsdruck sogar vier tausendstel Millimeter. Sie würde bei einer perfekt zylindrischen Bohrung des Kolbenbolzens ein ständiges Hin- und Herbiegen der sogenannten Bolzennabe im Übergang zum Kolbenboden verursachen und früher oder später zu einem gewaltigen Motorschaden führen.
Probleme mit Elektrik und Elektronik
Das äußerst interessante Gespräch und der erfreuliche Zustand der Mechanik verdrängten ein Stück weit die weniger positiven Erfahrungen mit der Elektrik und Elektronik der BMW S 1000 RR. Sie sollen hier aber keinesfalls verschwiegen werden. Scheuerschutz des Kabelbaums nachgerüstet, defekte Zündkerzenstecker-/Zündspuleneinheiten, eine Rückspiegel-/Blinkereinheit, die Fehlermeldungen verursachte und – schon weit fortgeschritten – ein defekter Schalter der Notrufeinrichtung. So lauten die Stichworte zu diesem Thema. Das sind keine Einzelfälle, wie in diversen Foren nachzulesen ist. Etliche Beiträge sind sorgfältig recherchiert und verweisen auf geänderte Nummern von auf Garantie getauschten Teilen; ein Indiz dafür, dass BMW etliches an Details zu verbessern hat, sich dieser Aufgabe aber auch stellt.
Das oft beklagte Klappern der Gabel mit semiaktiver Anpassung der Dämpfung war bei der Test-BMW S 1000 RR von MOTORRAD nicht zu hören, und die Hayes-Bremssättel blieben während der ganzen Testdistanz und des verhältnismäßig langen Testzeitraums dicht.
Das Klappern, das tatsächlich hörbar wurde, rührte nicht von der Gabel her, sondern von einem Missverständnis, das Öhlins-Deutschland und MOTORRAD erst spät aufklären konnten. Weil die Lenkung bei kühlem Wetter zu schwer ging, bestellten wir bei Öhlins einen einstellbaren Dämpfer mitsamt Anbausatz. Durch einen Irrtum erhielten wir die Teile für die S 1000 R, statt die für die RR. Es wurde schnell klar, dass sie nicht passten, was sich die Öhlins-Techniker nicht erklären konnten. Sie gingen ja davon aus, den passenden Satz geliefert zu haben. Wir machten dann den Dämpfer mit einer selbst gedrehten Buchse passend, und diese Improvisation funktionierte so lange, bis sich ein Schaumstoff-Dämpferelement aufgearbeitet hatte und der Dämpfer bei Bodenwellen von innen auf die Verkleidung schlug. Deshalb wurde bei der 38.000er-Inspektion der serienmäßige Dämpfer wieder montiert. Mit den passenden Anbauteilen funktioniert der Öhlins-Dämpfer aber spürbar besser.
Fazit zur "wartungsfreien" Regina-Kette
Im Zuge dieser Inspektion wurde auch der bei Kilometer 19.574 probehalber montierte Kettensatz erneuert. Die von Regina zuerst als wartungsfrei, von BMW aber realistischerweise als wartungsarm bezeichnete Kette hielt also rund 18.500 Kilometer. Das ist nicht schlecht, aber nichts, was eine hochwertige Kette japanischer Provenienz nicht auch schaffen oder gar übertreffen könnte.
Dauertest-Notizen BMW S 1000 RR (2019)
Kilometerstand: 21.536 – defekter Pin in der Zündspule
Zuletzt diente die famose BMW S 1000 RR als Test-Maschine für supersporttaugliche Softbags, siehe MOTORRAD 13/2021. Kurz darauf irritierte sie Chefredakteur Uwe Seitz beim Start zur abendlichen Heimfahrt: Der 200-PS-Plus-Motor lief unrund und klang schnarrend. Nach erneutem Start war alles wieder gut. Nur nicht lange: Auf der A 81 Richtung Süden zeigte das TFT-Cockpit eine riesige, feuerrote Warnmeldung an: "Schwerer Fehler in der Motorsteuerung, Schäden möglich."
Also wurde die BMW S 1000 RR besser geborgen. BMW Brauneisen, die Werkstatt unseres Vertrauens, diagnostizierte später einen defekten Pin der in den Kerzenstecker integrierten Zündspule von Zylinder vier. Preis: 118 Euro, inklusive Lohn: 257 Euro.
Kilometerstand: 3.500 – Kritik am Blipper
MOTORRAD-Fuhrpark-Manager Tobias Wassermann hatte an einem April-Wochenende 2020 das Vergnügen, erstmals die Dauertest-BMW S 1000 RR in den Welzheimer Wald, den Schurwald und in die Löwensteiner Berge auszuführen. Insgesamt sind bei dem Trip mit Freunden circa 500 Kilometer zusammengekommen.
Die BMW S 1000 RR wusste auf der ersten Fahrt durchaus zu überzeugen: "Der Motor ist selbst auf der Landstraße eine Wucht. Im sechsten Gang bei 50 km/h aus der Ortschaft, einfach aufziehen und der Motor schiebt trotzdem kräftig voran. Einzig die "Runterschalt"-Funktion des Blippers könnte präziser und exakter sein – fühlt sich sehr teigig und schwergängig an. Da bin ich von anderen Motorrädern aus dem Hause BMW eigentlich besseres gewohnt!"
Kilometerstand: 2.200 – neue Simmerringe
Zwischen PS-Kollege Tobi Münchinger und MOTORRAD-Autor Ralf Schneider entfaltete sich nach der Ankunft der BMW S 1000 RR allabendlich ein Kampf darum, wer die BMW S 1000 RR nach Hause reiten darf. Bis zur 2.200er-Marke gab es nichts zu bemängeln. Nach rund 2.200 Kilometern zeigten sich dann erste Ungereimtheiten. Beide Simmerringe der mächtigen Upside-down-Gabel zeigen leichten Ölnebel, die in der Werkstatt überprüft und anschließend durch neue Bauteile gewechselt werden mussten. Sehr ungewöhnlich!
Fahrermeinung Uwe Seitz, MOTORRAD-Chefredakteur
Ich feiere die Sportler im Dauertest. Viele sind es nicht, was leider den Markt widerspiegelt. Aber die BMW S 1000 RR macht mir besonderen Spaß, denn beim Pendeln über knapp 80 nahezu tempolimitfreie Autobahnkilometer "beamt" mich keine andere schneller heim. Einmal hat sie mich stehen lassen, doch das ist längst verziehen, denn der Antritt und die Stabilität bei hohem Speed (Danke für die Bubble-Scheibe!) sind klasse.
Fahrermeinung René Correra, MOTORRAD-Testredakteur
Funktional überragend wie jede High-End-BMW, erstaunlich rau und kantig und für dieses Genre überraschend alltagstauglich – trotzdem wurden die BMW S 1000 RR und ich nicht ganz warm. Zu starke Vibrationen, zu harte Sitzbank, zu radikale Ergonomie und zu drehzahllastige Power. Und zu viel Erinnerung an meine bärig-cremige R1 von 2002, die − wie damals nicht ganz unüblich − das echte Leben noch eine ganze Ecke gelassener schulterte. Reichlich Adrenalin inklusive.
BMW nimmt Stellung ...
… zum festkorrodierten Motorgehäusebolzen:
Die Korrosionsfestigkeit der Verschraubungen wird in einer speziellen Testkammer geprüft, in der wir Bauteile unterschiedlichen Temperaturen, Luftfeuchtigkeiten und Salzkonzentrationen aussetzen. Verschraubungen, die konstruktionsbedingt der Witterung ausgesetzt sind, erhalten eine hochwertige Beschichtung. Bisher konnten wir im Rahmen unserer Langzeittests keine Korrosionsbilder feststellen, die dem vorliegenden ähneln.
… zum Pitting an einem Zahnrad des sechsten Gangs und der Vorstufe dazu:
Nach unseren Erfahrungen besteht die wahrscheinlichste Ursache darin, dass ein harter Partikel durch die Verzahnung gezogen wurde und einen Primärschaden verursacht hat. Vermutlich hat sich dieser im Lauf der 50.000 Kilometer ausgeweitet, zumal der sechste Gang im überwiegend alltäglichen Fahrbetrieb häufig genutzt wurde.
Bei dieser Gelegenheit möchten wir noch einmal darauf hinweisen, dass die Herstellerempfehlungen in Bezug auf die Viskosität von Motorölen einzuhalten sind. Extreme Leichtlauföle, die gerne im Rennstreckenbetrieb zur Leistungssteigerung verwendet werden, können das Getriebe schädigen.
… zum Scharren der Steuerkette:
Wie die Messwerte zeigen, hat sich die Steuerkette über die Laufleistung von 50.000 km kaum gelängt, auch tragen die Führungs- und Spannschienen sowie der Kettenspanner und auch die Steuerkette selbst keine sichtbaren Verschleißspuren, worauf eine Geräuschbildung zurückzuführen wäre. Wir können uns das Anschwellen des Laufgeräuschs daher nicht erklären. Da wir das Geräusch nicht selbst hören konnten, möchten wir über dessen Entstehung auch nicht spekulieren.