Vergleichstest Kawasaki ZX-9R gegen Yamaha YZF- R1

Vergleichstest Kawasaki ZX-9R gegen Yamaha YZF- R1
Krad-Wanderung

Zuletzt aktualisiert am 28.02.2000

Diesige Nebelschwaden wabern über dem wilden Tal der Ardeche, unweit der südfranzösischen Mittelmeerküste. Die Rollkragenpullis unterm Rennleder hochgeschlagen, die Finger noch etwas klamm, aber sonst - alles palletti. Sonor brummen die beiden Kraftmeier vor sich hin, spielen an den steilen Bergaufpassagen mit der Erdanziehungskraft Katz und Maus. Den Gaszug auf Halbmast gezogen, sprinten die beiden Big Bike-Sportler von Kurve zu Kurve. Leistung im Überfluß, an der Yamaha aus dem vollen Liter geschöpft noch satter als beim agilen Kawasaki-Aggregat. Und trotzdem eine höchst unterhaltsame Art, Motorrad zu fahren. Weil der Granatenschub die Langeweile der Geraden auf einen Wimpernschlag verkürzt, Kurven und Kehren zum kompakten Lustspiel zusammenschmelzen.
Jede inszeniert den Kurvenrausch auf ihre Art. Obwohl von den Abmessungen her eher breit und pummelig, zwirbelt die ZX-9R leichtfüßig wie eine Ballerina um die Ecken. Der touristische aufgepfropfte Steuermann muß die Grüne nicht zweimal bitten. Ob windige Kehren oder blitzschnelle Schräglagenwechsel - die Kawasaki macht`s mit Links. Doch rechts tut sich auch was. Schrill, schreiend, mit leichtem Verzug aufs Gaskommando, reißt die ZX-9R schaurig schnell voran. Schaltung, Antrieb, alles bestens. Bremsen wie Wurfanker, messerscharf zu dosieren, halten das Ganze im Zaum. Eine komfortabel ausgelegte Fahrwerksabstimmung besänftigt rauhbauzige Straßenbeläge, stört jedoch etwas den Informationsfluß zwischen Mensch und Maschine. Will heißen: Man möchte gerne mehr darüber wissen, was sich zwischen Reifen und Asphalt so alles abspielt. Was die softige Federung an Informationen nicht eliminiert, wird spätestens in dem weichen, etwas haltlosen Sitzkissen erstickt. Dafür drückt die breite Verkleidungskuppel eine angenehm breite Schneise in die Atmosphäre, schütz vor Wind und Wetter. Gute Zeiten für touristische Unternehmungen - schlechte Zeiten fürs knackige Angasen. Denn die Kawasaki hat ihr lästiges Gabelflattern auf holprigem Geläuf und beim Bremsen auch bis heute nicht abgelegt.
Während auf ebener Fahrbahn und bei durchschnittlichen Verzögerungen allenfalls leichte
Vibrationen der Gabel ein Schwingungsproblem andeuten, reicht bei harten Bremsmanövern auf welliger Fahrbahn der Impuls eines Schlagloches aus, um urplötzlich ein Motorradbeben erschreckenden Ausmasses auszulösen. Das kann die Fuhre in einigen Kurvenpassagen wegen eingeschränkter Verzögerung und Lenkbarkeit auf die Gegenfahrbahn treiben. Und spätestens jetzt hat der Spaß ein Loch. Ein ziemlich großes sogar.

Unverständlich schüttelt der Yamaha-Pilot im Schlepptau den Kopf. Was`n jetzt los? Spannt den Hahn und brettert davon. Trotz der elf Kilogramm Gewichtsvorteil nicht ganz so handlich wie XZ-9R, aber schön verwachsen mit der Straße. Nicht so bequem wie die Grüne, aber felsenfest eingerastet hinter dem schlanken, jetzt etwas niedrigeren Tank, die Stummel locker im Griff. Und das ist gut so, denn wenn der EXUP-Motor anpackt, raucht`s. Egal wo und wann, es drückt in allen Lagen. Eine echte Schub-Karre. Aber Achtung: Lenker festhalten. Die famosen Dunlop D 207 Pneus in Sonderkennung ( vorn Q, hinten N) dämpfen zwar gut, aber nicht gut genug, um das gefürchtete Lenkerschlagen auf welligen Landstraßen völlig wegzudämpfen. Speziell mit sportlich straff justierter Dämpfung zuckt es gewaltig, und der engagierte Kurvenräuber fragt mit voller Berechtigung: Warum fehlt hier immer noch der Lenkungsdämpfer? Keine Rennmaschine der Welt ist ohne ein solches Beruhigungsmittel fahrbar. Und so arg weit ist die R1 von einem echten Superbike nicht mehr weg. Noch eine Frage? Warum hatten alle drei der Redaktion zur Verfügung stehenden YZF-R1 bereits im Neuzustand ein auffallend großes Radialspiel in den Lagerstellen der Hinterradfederung? Kein Beinbruch, sicher, aber für ein High-Tech-Bike nicht unbedingt schön. Warum die bestens bewährten, einteiligen Bremszangen mit den schönen blauen Deckelchen ihren Biß verloren, ist dagegen einfach zu erklären: neue Beläge, nicht mehr bissig, eher dezent. Vor allem in kaltem Zustand stumpfer als bislang gewohnt, wegen Überbremsen bei Schreckreaktionen und so. Richtig warmgefahren packen die Zangen merklich kräftiger zu, bauen verlässliche Verzögerung auf.
Sonst gibt’s nix zu meckern an der R1. Klasse, die millimeterscharfe Lenkpräzison, die unendliche Bodenfreiheit (auf der Landstraße), der grandiose Motor, die liebevollen Datails und der spürbar vebesserter Windschutz. Schön auch, dass die neue R1 kaum was von der radikalen Sportlichkeit und der des eigenständigen Charakters verloren hat.

Szenenwechsel. Der Rolli unterm Kombi hat ausgedient, hemdsärmelig zwängen sich die Testpiloten ins Leder. Lauwarmes Frühlingswetter an der Rennstrecke von Ledenon schon am Morgen, endlich Zeit zum richtig an der Strippe ziehen.
Geht mit der Kawasaki eigentlich nicht schlecht, weil Handling, Bremsen und Motor-Power stimmen. Man könnte jetzt auch auf Feinheiten der Abstimmung eingehen, auf den richtigen Luftdruck für die griffigen Michelin Pilot Sport-Pneus, auf die beste Einstellung des Fahrzeug-Niveaus via Gewindespindel, auf den letzten Klick am Federbein. Doch all das bringt uns keinen Schritt vorwärts, wenn ausgerechnet in kritischen Bremszonen das Gabelflattern den gesamten Vorbau mitsamt Fahrer erschüttert. Nicht immer und überall, aber eben just dann, wenn der Pilot sowieso schon auf der letzten Rille daher tänzelt.
Als letzten Versuch tauschen wir die am 2000er Modell neuen Gummilagerungen des Motors gegen extra angefertigte Alubuchsen aus, um den Motor absolut starr und damit versteifend ins Fahrwerks zu integrieren. Mit der Erkenntnis, dass alle Liebenmühen vergeblich sind auch diese Modifikation nicht hilft.
Wie es weitergeht mit der ZX-9R? Eine offizielle Stellungnahme der Techniker ist bis dato nicht eingegangen. MOTORRAD bleibt jedoch mit Kawasaki im Dialog, man wird sehen.
Und die Yamaha? Brennt Runde um Runde in den Asphalt von Ledenon. Schräg, schnell, gut.
Die Qualitäten der Landstraße finden auf der Berg- und Talbahn ihre Bestätigung. Hier ist der Lenker auch Denker, hat die Sache voll im Griff. Dank klebriger Dunlop-Gummis, der straffer abgestimmten Gabel und der wunderbar kompakten, konzentrierten Sitzposition, feuert die neue R1 pfeilschnell und sicher um die Bahn. Selbst wenn die Alurasten feine Linien auf den Asphalt kritzeln, bleibt sie stramm in der Spur, ohne Hinterhältigkeiten, ohne Fragezeichen. Gefährliches Lenkerschlagen bleibt unter diesen Fahrzuständen als leichtes Zucken im grünen Bereich, trotzdem: ein Lenkungsdämpfer muß her.
Und das Federbein könnte bei der sportlichen Hatz etwas mehr Dämpfungsreserven vertragen. Für einen radikales Supersport-Gerät alles ein bisschen zu softig, ein bisschen zuviel Bewegung bei Lastwechseln, die Hinterhand zieht sich beim brutalen Rausbeschleunigen heftig in die Feder. Am Ende stehen nahezu alle Dämpfungsrädchen auf Anschlag. Bitte, wenn schon Verstellung, dann mit breiter, nutzbarer Wirkung.
Und nun? Warten wie geduldig auf Hondas neue CBR 900 RR. Kawasaki hat sich im Kampf um die Big Bike-Krone selbst eleminiert, Yamaha die Hausaufgaben geradezu streberhaft erledigt, und alle anderen Hersteller sind noch auf der Suche nach einem schlagkräftigen Konzept. Die Referenz im Sportverein heißt YZF-R1 - oder doch CBR 900 RR?

2. Platz Straße: Kawasaki ZX-9R

2. Platz StraßeMit einem hohen Maß an Alltagstauglichkeit, vom Katalysator bis zum brauchbaren Soziusplatz, wäre die ZX-9R bestens gerüstet. Doch weil sich das Gabelflattern als sicherheitsrelevantes Problem herauskristallisiert, bleibt nur die rote Laterne.

2. Platz Rennstrecke: Kawasaki ZX-9R

2. Platz Rennstrecke Die auf Komfort getrimmte Abstimmung wäre zu verkraften. Doch dass sich Ross und Reiter aufgrund des kaum beherrschbaren Bremsflatterns gelegentlich nur mit Mühe auf der Piste halten können, ist einfach zuviel.

1. Platz Straße: Yamaha YZF-R1

Platz StraßeKompromisslos sportlich, aber nicht quälend, zeigt die R1, wie´s geht. Mit feinem Händchen modellgepflegt und ohne großartige Mängel, erkämpft sich die beste R1, die es je gab, die Krone. Die Wünsche für 2001: Katalysator und Lenkungsdämpfer.

1. Platz Rennstrecke: Yamaha YZF-R1

Platz RennstreckeSchräge Vögel mit einer Vorliebe für raffinierte Technik kommen voll auf ihre Kosten. Der gewaltige Motorschub genügt auch anspruchsvollen Piloten, und die zu komfortable Abstimmung lässt sich mit geringen Mitteln beheben.