Vergleichstest Suzuki GSX-S 1000 GX und Kawasaki Versys 1000 SE

Suzuki GSX-S 1000 GX und Kawasaki Versys 1000 SE
Vierzylinder-Crossover aus Japan im Vergleichstest

Veröffentlicht am 16.10.2024

Crossover Bikes liefern mit ihren 17-Zoll-Rädern und ihrer Mischung aus komfortabel-agiler Geometrie von Reiseenduros und kompromisslosem Asphaltfokus von Sporttourern vermutlich für 90 Prozent aller Fahrer in 90 Prozent aller Fälle zu 100 Prozent das beste Paket.

Behäbiger Kraftwürfel gegen agilen Athleten?

Dachte man wohl auch bei Suzuki, wo man mit der Suzuki GSX-S 1000 GX erstmals überhaupt dieses Spielfeld betritt. Basis dafür ist die GSX-S 1000 GT, aus der dank mehr Lenker, mehr Federweg, mehr Sitzhöhe und neuem Blechkleid nun die GX wird. Ein echter Jahrhundert-Vierzylinder hing da ja praktischerweise schon im Chassis. Ebenfalls Premiere bei Suzuki: die Fuhre wurde gleich noch auf ein semiaktives Showa-Fahrwerk gestellt.

Dicker Vierzylinder, verlängerte Federwege, Showa-Semiaktiv-Fahrwerk und das alles für gut eingeschenkte 17.000 Euro: eine Rezeptur, die – vielleicht nicht ganz zufällig – an die Kawasaki Versys 1000 erinnert. Und doch könnten die beiden Nippon-Tourer kaum unterschiedlicher wirken, sobald man sie mal nebeneinander drapiert. Jedenfalls sehr viel unterschiedlicher, als die "nur" 25 Kilogramm Gewichtsunterschied vermuten lassen. Mächtig, ausladend und mit reichlich Knautsch im Gesicht die Kawasaki Versys 1000 SE, während die Suzuki GSX-S 1000 GX im Vergleich schlank, kräftig und kantig nach vorn gepfeilt auftritt. Behäbiger Kraftwürfel gegen agilen Athleten: Sinnbild für dieses Aufeinandertreffen?

Platzangebot und Ergonomie

Der Erstbestieg suggeriert erst mal nichts Gegenteiliges. Passend zum Äußeren gibt es üppig Platz auf der Kawasaki Versys 1000 SE, die Fahrer und Beifahrer auf ihrem großzügigen Doppelsofa wohlig und bei Normgröße auch verrenkungsfrei empfängt. Die Suzuki GSX-S 1000 GX fordert etwas mehr ergonomische Ambition, ohne jedoch die Straße der Bequemlichkeit zu verlassen. Rasten etwas höher, Lenker etwas tiefer: Diese Sitzposition geht noch bedenkenlos als "fahraktiv" durch. Nur die Platzverhältnisse in der zweiten Reihe fallen etwas kleiner aus.

Überraschend agil hebt sich die Kawasaki Versys 1000 SE vom Seitenständer, aller Masse in Optik und Gewicht zum Trotz. Ein Eindruck, der sich beim lockeren Herumrollen verfestigt. Mühelos und fluffig dirigiert man die Versys vom hohen Kommandostand aus, von etwaiger Behäbigkeit nichts zu spüren.

Das gilt im Wesentlichen auch für die Suzuki GSX-S 1000 GX, die im Vergleich aber eine etwas strengere Führungshand erfordert, wenn flinkes Wuseln angesagt ist. Ihr niedrigerer Aufbau samt kleinerem Hebelarm spricht dafür, die deutlich fahraktiveren Geometrie-Eckwerte allerdings dagegen. Behalten wir das mal im Hinterkopf für später. Und genießen erst mal das, worauf diese Art von Zweirad sich nicht ausschließlich, dafür aber besonders gut verstehen soll: Fahrkomfort in reichlicher Dosis.

Windschutz im Vergleich

In Sachen Windschutz ergibt sich eine ähnliche Kompetenzverteilung. Großer, verstellbarer Windschild, ausladende Verkleidung: Die Kawasaki Versys 1000 SE kann hier nur gewinnen, schafft sie es doch, den Fahrer (1,80 Meter) umfänglich in einen Kokon zu hüllen.

Auch die Suzuki GSX-S 1000 GX windschützt manierlich, zwar nicht so großflächig, dafür aber verwirbelungsfrei. Super, dass es endlich eine Verstellmöglichkeit gibt. Nicht ganz so super, dass dafür ein Inbusschlüssel nötig ist, der zudem nicht im Lieferumfang enthalten ist. Genau wie die in diesen Kreisen und Preisen hochgeschätzte Griffheizung (339 Euro) oder Hauptständer (476 Euro).

EERA-Fahrwerke im Detail

Dafür hat die Suzuki GSX-S 1000 GX ganz ohne finanzielles Zutun ein Feature an Bord, mit dem sie reichlich Punkte wettmachen und kurzerhand die Rollen wieder vertauschen kann. Umso überraschender, da auch die Kawasaki über das gleiche Goodie verfügt. Kein MOTORRAD-Test im Allgemeinen und keine Fahrkomfort-Diskussion im Speziellen ohne Fahrwerkstalk. "Electronically Equipped Ride Adjustment" oder auch kurz"EERA" ist das Stichwort. Beide Maschinen vertrauen auf diese semiaktiven Federelemente aus dem Hause Showa, und doch gibt es Unterschiede, sowohl objektiv wie auch subjektiv. Der Funktionsumfang ist mit unterschiedlichen Prioritäten in etwa vergleichbar, allerdings verfügt nur die Suzuki GSX-S 1000 GX über eine automatische Vorspannungsjustierung am Heck und lässt sich insgesamt etwas leichter und schlanker bedienen.

Fahrkomfort Suzuki GSX-S 1000 GX

Und jetzt zum Subjektiven: Die Geschmeidigkeit, mit der die Suzuki GSX-S 1000 GX den Untergrund scheinbar mühelos planiert, ohne es an Informationen über eben diesen mangeln zu lassen, ist bemerkenswert. Hauptanteil daran trägt das hervorragende Ansprechen der Federelemente auf Unebenheiten. Eine Qualität, die weitestgehend unabhängig von der gewählten Fahrwerkshärte ist. Ebenso wie die nicht vorhandene Tendenz zu jeglichem Geschaukel. Was in Summe dazu führt, dass alle Modi voll praxistauglich sind und die GX bis in höchste Tempobereiche bolzstabil läuft. Empfehlung: C fürs Cruisen, A fürs Heizen und B für alles dazwischen.

Fahrkomfort Kawasaki Versys 1000 SE

Umstieg auf die Kawasaki Versys 1000 SE. Dieser sanfte Riesenteppich muss doch wohl mindestens genauso wohlig fliegen. Nun, vertauschte Rollen, wie gesagt. Schon die ersten Gemeinheiten, die der Asphalt bereithält, dringen authentischer zum Fahrpersonal vor. Das lässt sich mit der genau wie bei der GX sehr weiten, möglichen Spreizung ihrer Härtegrade lindern, aber nie ganz abstellen. Denn die Federrate in ihrer EERA-Variante scheint generell einen Tick zu straff gewählt, die Dämpfung hingegen meist ein Stück zu schwach oder zu stark.

In Summe fahrwerkt die hochaufbauende Kawa so nie ganz harmonisch, spricht gröber an und ist anfälliger für Bewegung im Chassis, je fixer Tempo und Gangart werden. Vor allem der Fahrwerksmodus "Soft" katapultiert sich in die Bedeutungslosigkeit, sofern man mehr als sagen wir mal 40 Kilo auf die Waage bringt und ab und zu 30er-Zonen verlässt. "Hard" macht die ganze Fuhre wiederum zu bockig und hoppelig. "Normal" heißt also die alltagstauglichste Lösung und damit auch in aller Regel der Fahrmodus "Road". Denn separat lassen sich die Federelemente nur im frei, aber sperrig zu konfigurierenden "Rider"-Modus anwählen.

Eh keine verkehrte Wahl, weil die Traktionskontrolle sich dann ausreichend dezent im Hintergrund hält und die volle, aber sanft anzapfbare Brause der 1043 Kubik anliegt. Es geht noch etwas sanfter (Mapping"L"), aber dann muss man auch mit reduzierter Power auskommen. Und das wäre ebenso schade wie unnötig. Turbine, Gummiband, Reaktor: Welches abgegriffene Bild man auch bemüht, hier trifft es wahrlich zu. Kurz über Leerlauf packt der Vierzylinder kräftig und kultiviert zu und lässt in seiner Schaffenskraft kaum nach, auch wenn ihm oben ab 7.500 Touren dann ein wenig die Luft ausgeht und ca. 2.000 Umdrehungen früher das große Kribbeln anfängt. Das passt dann irgendwie auch wieder zum entspannten Kraftwürfel.

Was nicht dazu passt, ist, wie behende die Versys diese Kraft auf die Straße bringt, wenn es endlose Kurvenfolgen zu zerteilen gilt. Und damit sind wir beim Thema "Attacke", welches sich Crossover-Bikes bei allem Wohlfühlprogramm ebenso deutlich ins Lastenheft schreiben. Erst recht, wenn so potente Aggregate im Spiel sind.

Versys: Leichtigkeit trotz hohem Gewicht

Doch zurück zur Kawasaki Versys 1000 SE. Wie auch schon beim ambitionslosen Herumrollen macht sie ihre vielen Kilos schnell vergessen. Es ist frappierend, wie leicht sie sich von einer Ecke in die andere und wieder zurück streicheln lässt. Zu keiner Zeit wähnt man sich auf einem motorradgewordenen Rasiermesser, dafür wuselt sie jederzeit neutral und spurtreu. Erst wenn man es sehr ernst meint, melden sich die Frühwarnsysteme: Dann setzen die Fußrasten sanft kratzend auf, dann fehlt die klare Rastung im sehr leichtgängigen und langwegigen Getriebe, und die Kilos schimmern dann doch irgendwann durch. Doch keine Sorge, ein Griff zur wirklich kräftigen Bremse, und man ist wieder im grünen Bereich. Starke Leistung.

GX: Kraftvoll und charaktervoll

Apropos stark: Auftritt der Suzuki GSX-S 1000 GX. Es ist fast schon müßig, aber was ihr Tausender aus der seligen 2005er-GSX-R in petto hat, ist auch heute noch beeindruckend und stellt den bärigen Versys-Vierer locker in den Schatten. Viel Druck unten, viel Druck in der Mitte, viel Wahnsinn oben. So haut die leichtere Suzuki reinste Fabelwerte ins Messgerät. Dazu gibt es einen rauen, aber charaktervollen Lauf, prallen Sound aus Auspuff und Airbox und eine nochmals feinere Gasannahme, sofern man sich im Fahrmodus B befindet. A ist ein wenig zu schnippisch, C ein wenig zu lethargisch.

Friede, Freude, Gixxerkuchen? Fast. Das Drehzahlniveau ist übersetzungsbedingt spürbar höher, das Standgeräusch leider nicht tirolkonform, und um 5.000 Touren herum gibt es ein spürbares Vibrato, das sich im folgenden, losgelösten Drehzahljubel aber schnell wieder verliert. Was hingegen immer bleibt: die Contenance beim Kurventanz. Es ist die reinste Freude, präzise in den Radius zu stechen, ihn dann satt schmatzend zu nehmen und mit ehernem Schub wieder zu verlassen. Wie dabei das Chassis rückmeldet, der Motor am Gas hängt und der Quickshifter die Gangstufen exakt durchdekliniert: Ein herrlich sensibles und reaktives Nervensystem, das die Suzuki GSX-S 1000 GX da hat. Die Grenze der engagierten Turnerei scheint weit weg, nur die Bremsen werden ihrem großen Namen (Brembo) dabei nicht ganz gerecht: Sie benötigen viel Kraft für wenig Biss.

Kurvenverhalten Suzuki GSX-S 1000 GX

Apropos Kraft: Wie schon beim lockeren Dahinwuseln gibt es auch den wilden Kurvenritt nicht ganz ohne Mühe. Trotz Gewichtsvorteil und knackiger Geometrie will die Suzuki GSX-S 1000 GX für saftige Querdynamik ein wenig überredet werden. Das kennt man schon aus der GSX-S-Familie, und dieses etwas oldschool dimensionierte Hinterrad (190/50) ist da sicher nicht ganz unschuldig. Neu ist aber das leichte Aufstellmoment in Schräglage, das immer ein leichtes Gegenlenken erfordert. Nichts, woran man sich nicht gewöhnen könnte oder was nicht vielleicht sogar mit anderem Gummi kurierbar wäre. Aber ein MOTORRAD-Test bleibt halt ein MOTORRAD-Test.

Und Vorurteile oft nur Vorurteile. Ob nun also gar nicht so behäbiger Kraftwürfel oder gar nicht so agiler Athlet: Ein verzichtarmes und vergnügungsreiches Bike für alle Tage gibt es in jedem Fall.

Technische Daten
Kawasaki Versys 1000 SE (2024)Suzuki GSX-S 1000 GX (2024)
Motor4, Reihenmotor4, Reihenmotor
Leistung88,0 kW / 120,0 PS bei 9.000 U/min112,0 kW / 152,0 PS bei 11.000 U/min
Hubraum1043 cm³999 cm³
Sitzhöhe840 mm845 mm
Grundpreis17.245 €17.400 €