Schon in den Anfangsjahren des Motorrads gab es einige Versuche, W3-Triebwerke zu nutzen. Moto Guzzi hat vor 30 Jahren einen Prototyp gebaut – und jetzt BMW? Bevor möglicherweise BMW den Cruiser-Markt mit einem W3-Bike beleben könnte, lohnt ein Rückblick auf die Feuling W3, das erste wirklich käufliche Zweirad mit dieser Antriebskonfiguration. Kalifornien um die Jahrtausendwende. Dort traf MOTORRAD-Korrespondent Alan Cathcart Jim Feuling. Der hatte gerade die ersten Motorräder mit seinem W3-Antrieb produziert.
Nur eine spinnerte Idee oder wahre Ingenieurskunst? Wohl eine Mischung aus beidem. Allerdings: Feuling wusste genau, was er da machte. Seit 1974 arbeitete er als Entwicklungsdienstleister für die Automobilindustrie. Zudem verstand sich Feuling selbst hervorragend auf den Umgang mit dem Gasgriff. So stellt er zahlreiche Speedrekorde auf den Salzflächen von Bonneville auf. Fast 540 km/h mit einem Motorrad-Streamliner können sich sehen lassen. Feuling sagte: „Motorräder sind mein Hobby, Autos mein Geschäft.“
Bis 1998 Harley-Davidson auf den Tüftler zukam. Bei den Tests mit dem damals neuen Twin Cam 88-Motor gab es heftige Hitzeprobleme. Feuling schloss sich in seine „Garage“ ein und löste das Problem durch größere Kühlrippen, geänderte Auslassventile und modifizierte Kanäle. Und wo gerade der Harley-V2 geöffnet vor ihm lag, kam ihm die Idee: Warum nicht einen Zylinder mehr dranschrauben, aus dem 45-Grad-V- ein W3-Triebwerk mit 90 Grad Zylinderwinkel bauen? Eigentlich keine schlechte Überlegung. Mit dieser wurde Feuling auch direkt bei Harley vorstellig. Dort zeigte man zwar Interesse, allerdings deckte das Angebot aus Milwaukee nicht einmal die Grundinvestitionen durch Feuling. Der sagte ab, die Beziehung zu Harley war gestorben. Und Feuling machte sich selbst ans Werk. Schließlich hätten bei der Harley-Lösung nur zehn neue Teile genügt, um aus dem V2 einen W3 zu konstruieren.
Da Feuling nun selbst ranmusste, war der Aufbau zwar aufwendiger, folgte aber weiter der Maxime, alles möglich einfach zu halten. So sind die Einzelhubräume quadratisch aufgebaut. In Laufbuchsen mit 101,6 mm Durchmesser macht das Hauptpleuel 101,6 mm Hub, die Hilfspleuel minimal weniger. Damit der Motor nicht zu breit baut, vertraute Feuling einer Lösung mit nur einem Hubzapfen und nur einem Hauptpleuel, an dem die Pleuel für die Zylinder eins und drei direkt befestigt sind. Eine Lösung, wie sie bei Sternmotoren zum Einsatz kommt. Dass das Gesamtpaket stimmte, belegen schon die Leistungsangaben: Aus 2472 cm³ entwickelt die Feuling W3 mehr als 150 PS und 236 Nm.
Und, wie fährt sich das? Wie der Ritt auf Münchhausens Kanonenkugel! Wenn die linke Hand erst einmal die nicht gerade leichtgängige Kupplung gezogen und der linke Fuß den ersten Gang reingedrückt hat, gibt es kein Halten mehr. Dragsterähnlich pusht die Feuling dich vorwärts. Und das sehr nachdrücklich. Trotz ellenlanger 1753 Millimeter Radstand tänzelt das Vorderrad beim vollen Durchladen in den unteren Gängen nur noch zart auf der Straße herum, verliert sogar mehrmals den Bodenkontakt. Da können Hayabusa und Co einpacken.
Jede Ampel wird zur neuen Herausforderung. Sobald das Licht auf Grün springt, wimmert der 200er-Hinterreifen um Gnade, bevor er nach einigen durchdrehenden Metern satten Grip aufbaut und die Fuhre vehement nach vorne schiebt. Ein Erlebnis mit hohem Grinsfaktor. Allerdings nicht ohne Schattenseiten. Zwar dämpfen und federn Upside-down-Gabel und Federbeine fast alles weg, was an Wellen und Stößen unter die Räder kommt. Und auch die Bremsanlage mit ihren drei 292 Millimeter messenden Scheiben ist immer bereit, die Beschleunigungsenergie in Wärme umzuwandeln.
An einer Stelle bekommt der Spaß dennoch ein Loch: Wenn es ums Eck gehen soll. Dann gibt sich die ganze Fuhre störrisch, zeigen sich die Nachteile von breitem Hinterreifen, langem Radstand, 60 Grad flachem Lenkkopfwinkel und nicht zu unterschätzenden 268 Kilogramm Trockengewicht. Nicht ganz unschuldig daran ist der Motor. Der baut durch den Zylinderwinkel sehr lang, benötigt daher viel Platz im Rahmen. Abseits digitaler Gas-auf-und-Gas-zu-Befehle verhält sich die Feuling lammfromm. Der W3 läuft geschmeidiger als ein Harley-V2, nimmt sauber Gas an und macht auch ein Alltagsleben jenseits des Dragstrips möglich. Zumindest eines ohne viele Kurven.
Die Feuling W3 hätte also ein durchaus ernst zu nehmender Konkurrent für die dicken V2s aus Milwaukee werden können. Der Konjunktiv sowie die Vergangenheitsform machen klar, dass es anders lief. Jim Feuling starb bereits 2002 an Krebs. Und mit ihm auch jeder Ansatz einer Serienproduktion der einzigartigen W3-Bikes. Bis zu 500 Stück wollte der innovative Tüftler im Jahr bauen. Es blieb bei einigen wenigen Exemplaren, die bis 2002 für 39.500 Dollar im Showroom standen. Viel Geld, aber nicht zu viel für ein handgemachtes Motorrad.
Nostalgiker oder Fans ungewöhnlicher Motorradkreationen können aber auch heute noch zuschlagen. Das Unternehmen Feuling Parts sorgte nach dem Tod des Gründers weiter für den Vertrieb. Für 75000 Dollar gibt es den Motor, um ihn in ein Harley-Chassis zu implantieren. Ganze W3-Zweiräder können für 250.000 Dollar geordert werden. Exklusivität garantiert.
So teuer dürfte ein Serienprodukt von BMW selbstverständlich nicht werden. Nachdem die R 1200 C und R 850 C nicht mehr produziert wurden, klafft bei den Bayern in diesem Segment eine große Lücke. Und das, obwohl immerhin mehr als 40 000 Stück der leicht barock anmutenden Modelle die Produktionsstraßen verließen.
Nun soll also etwas Neues kommen. Patentzeichnungen von BMW verraten, dass man hier anders als Feuling denkt. Im Gegensatz zum amerikanischen 90-Grad-Motor weisen die Zylinderwinkel nur 65 bis 75 Grad auf. Und noch etwas unterscheidet die Motor-Layouts: Um alle möglichen und unmöglichen Zündabstände in die Überlegungen mit einfließen lassen zu können, sind in den BMW-Patentzeichnungen zwei unterschiedliche Grundkonfigurationen der Hubzapfen zu sehen. Feuling machte es wie Harley mit einem einzelnen Hubzapfen, bei BMW sind es entweder zwei oder gar drei. Der BMW-W-Motor würde also in jedem Fall breiter bauen, die Zylinder wären versetzt.
Ob ein Bayern-W3 jemals Realität wird, ist jedoch fraglich, auch andere Bauarten und Konfigurationen für künftige Cruiser-Modelle werden in München diskutiert. Verdient hätte es das W3-Konzept allein schon, um das Erbe von Jim Feuling als echtes Serienprodukt zu erleben. Die Frage nach dem „Was wäre wenn?“ wird wohl in naher Zukunft geklärt.
Der Konstrukteur: Jim Feuling
Jim Feuling, Jahrgang 1945, war ein Motornarr. Direkt nach seiner Armeezeit gründete er sein R+D-Entwicklungsunternehmen und machte sich in der amerikanischen Automobilbranche schnell einen Namen. Dadurch wurde auch Harley-Davidson auf ihn aufmerksam. Bei den Big Twins löste er das Hitzeproblem des Twin Cam 88-Motors. Diese Arbeit inspirierte ihn zum W3-Motorrad, das er 2000 zwar noch vorstellen konnte, dessen Serienproduktion durch seinen Tod 2002 aber nie startete.
Feuling W3
Motor
Luftgekühlter Dreizylinder-Viertakt-90-Grad-W-Motor, untenliegende, zahnradgetriebene Nockenwelle, zwei Ventile pro Zylinder, Stoßstangen, Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe, Zahnriemen.
Bohrung x Hub
101,6 x 101,6 mm
Hubraum
2472 cm³
Verdichtungsverhältnis
9,5 : 1
Nennleistung
115 kW (156 PS) bei 5500/min
Max. Drehmoment
236 Nm bei 4000/min
Fahrwerk
Doppelrohr-Rahmen aus Stahl, Upside-down-Gabel, zwei Federbeine hinten, Doppelkolben-Bremszangen vorne/hinten, Scheibenbremse vorne/hinten, Ø 292 mm.
Aluminium-Räder
3.00 x 19; 6.00 x 16
Reifen
110/90-19; 200/60-16
Maße+Gewicht
Radstand 1753 mm, Lenkkopfwinkel 60 Grad, Sitzhöhe 690 mm, Leergewicht 268 kg, Tankinhalt 19 Liter.
Preis (2002)
39.500 Dollar
Preis Motor (2015)
75.000 Dollar
Preis Komplettfahrzeug (2015)
250.000 Dollar
BMW W3 – der nächste Versuch
Die Zeichen geben global eine Richtung vor: Wachstum. In Deutschland sowie vielen weiteren Ländern steht BMW schon weit vorne in den Zulassungsstatistiken, allen voran die R 1200 GS. Mehr geht aber immer. Gerade in Amerika möchte BMW neue Marktanteile gewinnen. Und hier gehören Cruiser-Modelle nach wie vor zu den beliebtesten Motorrädern. In diesem Segment bietet BMW aber zurzeit kein typisches Motorrad an. Noch nicht. Sollte BMW den Einstieg wieder wagen, ist aber eines wohl ausgeschlossen: das Kopieren anderer Marken. Der Boxer wäre daher als Antriebslösung eine Möglichkeit. Ob er aber diese Rolle nach der eher unglücklichen R 1200 C und der R 850 C übernehmen wird, ist fraglich. Näherliegend, wenn auch sehr theoretischer Natur, wäre da schon ein W3-Motor. Der nimmt grundsätzlich typische Merkmale von Cruiserantrieben auf, wäre aber einzigartig im Markt, quasi ein Alleinstellungsmerkmal. Dass zudem vor Kurzem Patentzeichnungen von BMW zu eben dieser W3-Konfiguration aufgetaucht sind, nährt die Spekulationen zusätzlich. Auch wenn man sich bei BMW ziemlich bedeckt hält: Eine diskussionswürdige Antwort auf die Frage nach dem richtigen Motorrad für das größte Zweiradsegment in BMWs wichtigstem Exportmarkt wäre der W3-Cruiser allemal.