Top 10: Die besten Motorräder 2019
MOTORRAD-Test-Redakteure nennen ihre Favoriten

Hier zählen keine 1.000 Punkte oder Prüfstandskurven. Hier geht es um große Gefühle: Welche Motorräder aus dem Testjahrgang 2019 haben sich in die Herzen der Redakteure gefahren?

Aprilia Tuono V4 1100 Factory, KTM 790 Adventure R und Indian FTR 1200.
Foto: Hersteller.

Wenn die MOTORRAD-Tester ihre Favoriten des Jahres küren, ist viel Gefühl im Spiel. Denn niemand lernt sein „Bike of the Year“ daheim auf der Couch lieben. Nein, diese zehn nahmen uns bei der Kupplungshand und ließen uns emotionale Momente in einer faszinierenden Welt erleben. Den Anfang macht Test-Redakteur René Correra.

Aprilia Tuono V4 1100 Factory (René Correra)

Was soll man über Aprilia im Allgemeinen und die Tuono im Besonderen noch schreiben? Sich mit den Bikes aus Noale professionell zu beschäftigen, ist trotz kollektiver Testerliebe ein Kampf gegen Windmühlen: „Wie, die bauen doch nur Roller?“ „Aaaaach, Italiener … das hält doch eh nicht!“ „Was soll das sein, ein Motorrad namens Thunfisch?“

Unsere Highlights
Aprilia Tuono V4 1100 Factory.
Aprilia, Jörg Künstle
René Correra (Testredakteur): "Tuono heißt Donner, und der Name ist Programm!"

Ja, sie bauen seit gut 20 Jahren Motorräder, in schöner Regelmäßigkeit sogar herausragende. Und ja, sie halten und sind offensichtlich mit mehr als nur routinierter Großserienkompetenz zusammengebaut. Und nein, aller Italiener-um-die-Ecke-Diktion zum Trotz: „Tuono“ heißt Donner, verdammt und zugenäht, und der Name ist Programm! Bezüglich Power, bezüglich Sound, bezüglich Fahrdynamik, bezüglich allem. Ja, ich bin schon stärkere/schnellere/teurere Motorräder gefahren. Aber diese Kombi aus schierer und dennoch höchst kultivierter Motorengewalt, messerscharfem Handling, effizienter, aber nicht bevormundender Elektronik und MotoGP-tauglichem Röhren ist auch nach vielen Jahren Motorradtesten noch einmalig. Das gilt für die erste 1100er-Tuono, auf der ich 2015 meinen Rookie-Hintern platzierte, genau wie für die diesjährig gefahrene Factory. Trotz etwas weniger Akustikterror, etwas mehr Sitzkomfort und bislang unerreichter Gnädigkeit im nun semiaktiven Fahrwerk. Es reicht immer noch dicke. Fürs Herz, die Nerven und den Rest der Zweiradmeute. Tuono bleibt Tuono, egal wie kultiviert die Tischmanieren werden. Und dafür muss man sie einfach lieben. Zum Fahrbericht der Aprilia Tuono V4 1100.

Ducati 916 (Jens Möller-Töllner)

Als Ducati die 916 im Jahr 1993 vorstellte, war nichts mehr so wie zuvor. Die Motorradgeschichte lässt sich im Segment der Supersportler in eine Ära vor und nach ihr einteilen. Und genau dieser Stellenwert kann ein Problem sein. Ich kannte die 916 nur von Bildern und aus Testberichten. Eine 916 gefahren bin ich nie. Dieses Jahr sollte es anders sein. Dennoch hatte ich ein mulmiges Gefühl. Kann die 916 überhaupt bestehen in dieser Motorradwelt, die sich unermüdlich weitergedreht hat? Leistungen wuchsen, Elektronik herrscht heute über alles. Taugt das nicht, um die 916 zu entzaubern? Die eigenen alten Heroen zu treffen, kann ihnen alle Faszination rauben. Dennoch siegte die Neugier.

Ducati 916.
Tyson Jopson, fact
Jens Möller-Töllner (Testredakteur): "Ver- oder entzaubert - das ist hier die Frage".

Da stand sie nun vor mir, über 25 Jahre alt. Und immer noch begeistert die scheinbar mühelose Sinnhaftigkeit ihres Layouts. Kein Schnellverschluss, der nicht genau da sitzt, wo er auch sitzen muss. Schon allein damit hat der damalige Duc-Chefentwickler Massimo Tamburini etwas Einzigartiges erschaffen. Das Faszinosum 916 bleibt auch in Fahrt erhalten. Allerdings nicht wegen des Motors, weil er das einzige Bauteil ist, das Tamburini nicht neu konstruieren durfte. Aber alles andere und insbesondere das Fahrwerk schiebt selbst heute noch die Mundwinkel nach oben. Rückmeldung, Fahrpräzision, unerschütterliche Stabilität: Diese Merkmale, die die 916 schon 1993 auszeichneten, sind auch heute noch spür- und mit jedem Meter erlebbar. Schlicht der Wahnsinn. Daher: Danke, Ducati 916 – du bist mein persönliches Motorrad-Highlight 2019!

Ducati Hypermotard 950 (Volkmar Jacob)

Um näher auf mein persönliches 2019er-Highlight einzugehen, zunächst ein kurzer Blick zurück zur ersten MOTORRAD-Ausgabe dieses Jahres: Auch damals sollten wir schon unseren Hit des (Vor-)Jahres benennen. Da schwärmte ich von einer imaginären Maschine und stellte sie gedanklich zusammen. Als Antrieb sollte ein 1000-Kubik-V2 mit gut 130 PS und rund 110 Nm dienen. Dieser müsste in einem Funbike-Fahrwerk à la Husqvarna Nuda stecken, allerdings mit erstklassigen Federelementen, Mörderbremsen und Karbonrädern ausgestattet sein. Das Bike dürfte außerdem nicht mehr als 180 Kilo wiegen und wäre damit der ultimative Landstraßenbrenner.

Ducati Hypermotard 950.
Aprilia, fact
Volkmar Jacob (PS-Redakteur): "Genialer Landstraßenfeger, ideal zum Toben".

Im Frühjahr kam dann die frisch überarbeitete Ducati Hypermotard 950. Wir erinnern uns: Seit dem Stapellauf dieser Modellreihe anno 2007 verhielten sich die Maschinen beim Einlenken und in Schräglage kippelig und forderten permanent Lenkkorrekturen – je nach Jahrgang mehr oder weniger stark ausgeprägt. Und die Neue? Keine Spur mehr vom eigenwilligen Fahrverhalten. Sie lenkt plötzlich supereasy ein und wetzt herrlich neutral um die Ecken. Die aufrecht-aktive Sitzposition hat mir schon immer getaugt, und der typische Ducati-V2-Bollersound ist ja ohnehin mega. Abseits von Rennstrecken kommt die „Hymo“ meinem Ideal also schon ziemlich nah. Jetzt müsste sie nur noch einige ihrer 202 Kilo abspecken, deutlich mehr Power als 111 PS (Messwert) drücken, Bodenwellen etwas sensibler schlucken, ihre Räder aus Karbon bestehen …

Honda Fireblade SP (Ralf Schneider)

Beim großen Vergleichstest der Supersportler im Frühjahr ist es wieder passiert: Von einer anderen Maschine auf die Fireblade umgestiegen, bin ich gleich in einer der ersten Kurven über die inneren Curbs gerumpelt. Doch was mir dieses eine Mal die Linie verdorben hat, entspringt einer der größten Qualitäten der Fireblade. Sie lenkt viel leichter ein als die anderen Motorräder ihrer Klasse. Und wenn sich der Fahrer nach ein, zwei Runden daran gewöhnt hat, kann er diese Fähigkeit nutzen. Lässt einen Lidschlag länger das Gas stehen, tanzt flink durch Wechselkurven oder taucht in die eine oder andere Kurve einen Tick später, um das Motorrad schon am Scheitelpunkt so weit in die richtige Richtung gelenkt zu haben, dass er es früher aufrichten und das Gas aufreißen kann. So kann die Fireblade einige PS aufholen, die ihr auf die überlegen motorisierte Konkurrenz fehlen. Dabei wirkt sie keinesfalls kippelig, sondern findet die richtige Linie mit bestechender Präzision. Ungemein präzise lässt sie den Fahrer auch spüren, was der Vorder- und Richtung Kurvenausgang der Hinterreifen gerade machen.

Honda Fireblade SP.
Honda, Tyson Jopson
Ralf Schneider (Autor): "Handlichkeit und Lenkpräzision der Blade begeistern mich immer wieder".

Damit nicht genug. Ich fahre auch abseits der Rennstrecke gerne Fireblade, denn abgesehen von ihrer Kaltstartschwäche an kalten, feuchten Herbst- und Wintermorgen ist sie eine sehr alltagstaugliche Sportlerin. Auf Strecken mit sehr engen Kurven fällt zwar auf, dass ihr Motor nicht der drehmomentstärkste ist, doch das lässt sich mit dem perfekt funktionierenden Schaltassistenten kompensieren.

Indian FTR 1200 (Rolf Henniges)

Schwein gehabt, denn ich durfte zur Weltpräsentation der FTR 1200 in die USA. In den Hügeln rund um Los Angeles konnte die FTR zeigen, was sie draufhat. Gefahren wurde ausschließlich auf den Modellen „Race Replica“ und „S“. Mit drei Fahrmodi und Traktionskontrolle. Tolles Erlebnis. Große Überraschung dann, als die Standard-FTR Monate später in der Redaktion eintrudelte. Über das ärgerliche, absolut miserable Kaltlaufverhalten des Motors. Und über den spannenden Mix aus druckvollem V2, kurzer Übersetzung, fehlender Traktionskontrolle und Reifen, die bei Regen mal so gar nicht funktionieren wollen. Das sorgte auf der ersten Ausfahrt für ordentlich Adrenalin – bei Nässe hast du bis in den sechsen Gang Wheelspin.

Indian FTR 1200 SP.
Indian, Jörg Künstle
Rolf Henniges (Autor): "Wheelspin bis in den sechsen Gang - verrückt!"

Der Regengrip ist so gering, dass man vorsichtshalber Glatteislinien statt Regenlinien fährt. Das muss man mögen. Aber auch im Trockenen driftet die FTR beherzt aus den Kurven, wenn man es provoziert. Die montierte Dunlop-DT3-Bereifung ist echten Flat-Track-Pneus täuschend ähnlich nachempfunden. Wer den potenten Motor richtig auspresst, hat höllisch Spaß, denn die FTR slidet sehr kontrolliert. Darüber hinaus stimmt für mich die Ergonomie („Oje!“, Anm. d. Red.), ich mag den kraftvollen Schub des Antriebs und sitze perfekt auf der Maschine. Gerade weil die US-Boys bei der Standardversion auf die Traktionskontrolle verzichtet haben, hat mir dieses Bike unglaublich viel Fahrspaß geschenkt. Weil es mich ständig fordert und nachdrücklich zur absoluten Konzentration zwingt. Das kann auch sehr sexy sein.

Kawasaki H2 SX SE+ (Thomas Schmieder)

Ergeben 200 PS in einem Sport-Tourer wirklich Sinn? Oh ja! Weil es hier nicht um schiere Motorleistung geht, sondern um ein System, bei dem alles zusammenpasst, ein echtes Gesamtkunstwerk. Dieses Motorrad ist handzahm, fast lammfromm, lässt sich total easy dirigieren, fährt wie telepathisch gesteuert. Vom ersten Meter an verschmilzt du mit der Kawa. Sie integriert dich perfekt, Lenkerstummel und Fußrasten sind genau dort, wo sie hingehören. Sanft, nicht überfallartig, nimmt der per Kompressor zwangsbeatmete Motor Gas an. Herrlich sämig federn und dämpfen die semiaktiven Federelemente, sprechen fantastisch feinfühlig an. Brembos neueste Monoblocs bremsen wie der Teufel, gesegnet mit himmlischer Transparenz.

Kawasaki H2 SX SE+.
Kawasaki, Erica Barraza Torres
Thomas Schmieder (Autor): "Eines der besten Motorräder aller Zeiten. Basta!"

Kristallklar zeigt das kontrastreiche TFT-Display an, ausgeklügelt gibt sich das Kurvenlicht, umfangreich und durchdacht die Ausstattung bis hin zu Heizgriffen, Hauptständer und den schnellsten serienmäßigen Koffern aller Zeiten. Gut funktionieren die Reifen, Bridgestone S 21. Selbst auf Alpenpässen findet die handliche Kawa wünschelrutenartig die richtige Linie. Kurven, Kehren, Kawasaki! Aber auf deutschen Autobahnen, da wird sie zum Tier. 140 Newtonmeter aus „nur“ 1000 Kubik. Wie der Motor in der zweiten Drehzahlhälfte anreißt, die Drehzahl hochschnellt, der Vortrieb jenseits von Tempo 250 bis knapp 300 niemals erlahmen will, das ist schon ein großes Erlebnis. Leider vermelden der viel zu kleine Hauptscheinwerfer samt zierlicher Frontsilhouette kaum, was da für ein Geschoss auf Rädern im Rückspiegel auftaucht – das Überholprestige ist mäßig. Unerschütterlich und präzise wie ein Laserstrahl hält die Ninja mit der sperrigen Modellbezeichnung den Kurs. Nur Kawasakis futuristisches Manga-Design polarisiert, der hohe Preis schreckt ab. Schade, so können nur wenige Menschen eines der besten Motorräder aller Zeiten fahren.

KTM 790 Adventure R (Karsten Schwers)

Lachen Sie jetzt nicht, auch wenn das Wort „Beulen“ in einem Text über die 790er Adventure nicht fehlen darf. Zur Erinnerung: Der berühmtesten Reiseenduro der Welt, der GS, wachsen an dieser Stelle sogar Zylinder. Das sollte uns daran erinnern, dass es auch gute konstruktive Gründe gibt, die beiden Tankfortsätze rechts und links der Kurbelwelle zu platzieren. Der Schwerpunkt wandert nach unten, die Sitzhöhe auch. Dass hat handfeste Vorteile – und schon sind wir im Thema.

KTM 790 Adventure R.
KTM, fact
Karsten Schwers (Top-Tester): "Meine Schwester im Geiste".

Denn diese KTM und ich – wir müssen denselben Projektleiter gehabt haben. Oder zumindest ein identisches Lastenheft. Priorität eins: offroad, Priorität zwei: ebenfalls. Und drittens: Wir beide wollen auf Achse an- und abreisen, nicht auf dem Hänger. Schließlich sind wir Reisende, nicht Spediteure. Und wir wollen trotzdem fit sein für die Prüfungen, die auf uns warten. Wie bei unserem ersten gemeinsamen Einsatz in diesem Jahr beim großen Reiseenduro-Vergleich im italienisch-französischen Grenzgebiet nahe Turin. Plötzlich stand sie vor mir, diese Wand hinauf zur Jafferau-Festung in 2.815 Metern Höhe. Im Winter eine Skipiste, jetzt ein Meer aus Fels und Geröll. „Da hilft nur Gas“, dachte ich. „Jetzt bloß nicht zucken. Wenn du einmal stehst, geht es nicht weiter.“ In so einer Situation ist kein Platz für Selbstzweifel. Und auch keiner für Zweifel am Material. Beides kam auf der Adventure R niemals auf. Warum auch, bei diesem Fahrwerk, diesem Motor und dieser Ergonomie? Auf der Straße war sie mitgefahren, hier oben blühte sie auf. Bald standen wir auf dem Gipfel. Ich war stolz, sie vermutlich auch. Sie knisterte zufrieden.

Triumph Speed Twin (Andreas Bildl)

Eines vorneweg: Für mich braucht ein Motorrad zuvorderst ein gutes Fahrwerk, damit es mich begeistern kann, denn ich steh auf Kurvenräubern und Dynamik. Und die gibt’s nicht ohne ordentliches Fahrwerk. Mit einem mäßigen Motor kann ich mich arrangieren, mit einem schwachen Fahrwerk nicht. Punkt. Damit wäre das Kapitel Speed Twin eigentlich auch schon erledigt. Denn die Speed Twin kann vieles richtig gut, sportlich fahrwerken eher nicht. Zu weich, zu wenig verbindlich, bestenfalls zufriedenstellend, auch angesichts des Preises. Dabei wäre das mit wenig Aufwand zu richten. Warum dennoch Speed Twin? Weil mir die Richtung, die sie einschlägt, einfach taugt. Ein knuffiger Twin, der auf Samtpfoten daherkommt.

Triumph Speed Twin.
Triumph, Yvonne Hertler
Andreas Bildl (Testchef): "Entspannt, dezent und doch wuchtig".

Mit fleischigem Drehmoment bereits untenrum schön wuchtig zupackt, wundervoll klingt, nicht stresst und dennoch den Adrenalinausstoß ankurbelt. Alles verpackt in ein bemerkenswert zierliches Straßengewand. Nicht überkandidelt, ohne Ausstattungs-, Styling- oder Elektronikexzesse, glänzt sie mit der Tugend des Maßhaltens. Von allem genug, vor allem an Druck, Sound, Wohlfühlambiente. Garniert mit entspannter Sitzposition. Über 600 Infizierte sahen das zumindest ähnlich und machten die Speed Twin in diesem Jahr knapp zum Bestseller im Triumph-Programm. Die Retro-Optik bräuchte ich gar nicht, sie stört mich aber auch nicht. Würden die Federelemente nun noch auf Augenhöhe zum Rest agieren, dann wäre sie eine echte Sahneschnitte.

Yamaha Ténéré 700 (Stefan Kaschel)

Sie wollen das nicht hören? Niemand will das hören. Dabei trifft es uns alle früher oder später. Was genau? Na, diese Phase im Leben, die so erschreckend viele Fragen und kaum Antworten für uns parat hat. Zum Beispiel die, ob es wirklich 200 PS sein müssen? Und wenn nein, was man dann mit dem ganzen Elektronik-Hokuspokus soll, wo doch die Showkurve früher mit Holzreifen und ohne Assistenzsysteme auf dem Knie ging – und heute ums Verrecken nicht mehr. Wenn ein Mann in dieser kritischen Phase seines Lebens auf das falsche Motorrad steigt, kann ganz schnell ganz viel schiefgehen. Im schlimmsten Fall fährt er fortan nur noch Auto. Oder Fahrrad. Ist alles schon da gewesen.

Zero SR/F.
Flash Art, Peter Mayer
Stefan Kaschel (Autor): "Yamahas Antwort auf die Fragen des Lebens".

Ich hingegen hatte Glück, stieg mit meinem Rucksack voller Fragen auf die neue Ténéré. Und kam mit einer eigentlich banalen Antwort vom Alpentripp mit ihr zurück. Sie lautete: Keep it simple! Die schönsten Dinge im Leben sind herrlich einfach. So wie auf diesem Motorrad. Anbremsen, Einlenken, Abwinkeln, Gas geben, Aufrichten, Beschleunigen: Dafür brauchte es keinen komplexen Algorithmus und keine Sechs-Achsen-Peilung – und auch kein spezielles Kehren-Mapping. Alles, was es brauchte, war in mir drin, die Yamaha holt es heraus. Das war so leicht, weil sie es mir leicht machte. Und so saß ich gegen Abend nach herrlichen Schotterwegen und Höhenmetern vor einer Hütte in den Bergen, zu der ich auf einem anderen Motorrad nie gefunden hätte. Ich blickte ins Tal, dort unten tobte das Leben. Hier oben war Ruhe. Und ich hatte meine Antwort.

Zero SR/F (Peter Mayer)

Selten hatten wir heftigere Leserreaktionen als beim Top-Test der Zero SR/F. Denn so omnipräsent die Elektromobilität und die wohlwollende Diskussion darüber im Automobilsegment auch ist, in die Gemeinde der Motorradfahrer dringt sie derzeit nicht tiefer ein. Und die Argumente der Elektro-Gegner kann auch die Zero nicht entkräften. Zu teuer! 24.000 Euro – diese Zahl steht sonst bestenfalls unter einem Kaufvertrag für eine Sechszylinder-BMW. Geringe Reichweite! 140 Kilometer auf der Landstraße, 65 Kilometer auf der Autobahn sind ernüchternd. Zu lange Ladezeit! Vier Stunden an der Haushaltssteckdose, zwei Stunden an der Schnellladesäule. Okay für Biker, die in der Zwangspause Tolstoi lesen. Kein Sound! Stimmt.

Yamaha Ténéré 700.
fact, Arturo Rivas
Peter Mayer (Autor): "Die Zero ist nicht emotionslos - sie definiert den Begriff nur anders".

Unterm Strich spricht tatsächlich nicht viel für die Zero. Zumindest nicht die Vernunft. Doch Motorradfahren ist Emotion – die von der Zero nur anders definiert wird. Denn Emotion ist auch, wenn man beim lautlosen Dahingleiten niemanden stört. Emotion ist, wenn man erlebt, wie Passanten dem flüsterleisen E-Biker den nach oben gereckten Daumen zeigen. Emotion ist, wenn Menschen freundlich nach der Technik der Zero fragen. Und Emotion ist auch, wenn der Rest der mobilen Welt beim Ampelsprint gegen den kupplungs- und getriebelosen Stromer keine Chance hat. Übrigens: Mit Elektro-Bikes wäre der Begriff Streckensperrung unbekannt. Höchste Zeit also, dass irgendwer günstigere, leichtere und leistungsfähigere Akkus erfindet. Dann werde nicht nur ich die ungeliebte Zero mögen.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023