450 cm³-Motocrosser Jahrgang 2006 im Test

450 cm³-Motocrosser Jahrgang 2006 im Test Donner und Gloria

Der grollende Donner der Viertakt-Hämmer hat im Motocross nun endgültig Einzug gehalten. Mit der KX 450 F schließt Kawasaki die allerletzte Lücke im Angebot der Ballermänner – und feiert einen erstaunlichen Einstand.

Donner und Gloria Saugar

Sollte irgendwann einmal die Geschichte des Motocross niedergeschrieben werden, dann wird die Saison 2006 zu einer der Epoche machenden
dieser Historie zählen. Dann wird in einer
fetten Überschrift zu lesen sein: 2006 – die Wende ist endgültig vollzogen. Und darunter die passende Erklärung: Endlich bieten alle Hersteller Viertaktmaschinen für diesen Sport an.
In der Tat, der Viertakt-Boom, der 1998 mit der ersten Yamaha YZ 400 F begann und in der Saison 2001 mit der Yamaha YZ 250 F auch auf die kleinste Klasse überschwappte, setzte die Hersteller unter gewaltigen Innovationsdruck. Denn der Hubraumvorteil einerseits und die exzellente Fahrbarkeit andererseits kristallisierten die Viertakter schnell als das Motorenkonzept der Zukunft heraus. Während KTM in der so genannten MX2-Klasse zur Saison 2006 (siehe Vergleichstest in MOTORRAD 24/ 2005) mit der 250 SX-F als letzter Hersteller auf den Viertakt-Zug aufsprang, steht nun auch die Viertakt-Front in der MX1-Kategorie. Kawasaki komplettiert mit der KX 450 F das bollernde Feld.
Und dort stellt Honda mit der CRF 450 R seit Jahren den Platzhirsch. Verständlich, dass die Mannen in Rot auf die Konkurrenz lässig warten können. Ein um fünf Millimeter tiefer gelegter Motor und Kühler sowie widerstandsfähigere Ventilsitze – der bislang einzige Schwachpunkt der Honda – werten den Sieger des 2005er-MOTORRAD-Vergleichstests (6/2005) für die kommende Saison moderat auf. Ebenfalls mit Feinarbeit begnügt sich KTM. Die 450 SX erhielt eine neue, leichtere Schwinge aus Alu-Guss, eine Hydraulik-Kupplungsarmatur von Brembo statt Magura, eine steifere Kurbelwelle und verschleißfestere Ventilführungen. Und auch Suzuki darf sich, nach einem sensationellen zweiten Rang im MOTORRAD-Vergleich 2005 im zweiten Modelljahr etwas zurücklehnen. Überarbeitete Kanäle und Vergaserabstimmung sowie ein neu programmiertes Zündkennfeld – das reicht für 2006.
Die Ärmel ganz nach oben krempelten allerdings die Yamaha-Techniker. Anstatt mit der fahrwerkstechnisch mittlerweile
etwas altbackenen YZ 450 F den von
Honda vorgegebenen Einheitsweg mit Alu-
Brückenrahmen einzuschlagen, zeigte sich die Yamaha-Crew kreativ. Ein Einschleifenrahmen aus einer aufwendigen Kombination von Guss- und Pressteilen aus Aluminium erhalten der Blauen ihre eigene Identität. Und wenn schon, denn schon, wurde an der restlichen Technik ebenfalls gewaltig Hand angelegt: Das Getriebe
erhielt einen fünften Gang, der externe
Motorölvorrat wurde gestrichen, der Auspuff überarbeitet sowie erstmals in der Cross-Technik eine Stoßdämpferfeder aus Titan verwendet. Kurzum: Die YZ 450 F, Modell 2006, geht nahezu als Neukonstruktion durch.
Wie eben auch die Kawasaki. Wo man – nach fehlgeschlagenen Versuchen im Lauf der Saison 2004 mit einem der neuen Yamaha ähnlichen Rahmenkonzept – nun auf das Honda-Fahrwerksdesign mit Alu-Brückenrahmen setzt. Im Gegensatz zur ebenfalls neuen, mit Showa-Federelementen ausgestatteten 250er-Kawasaki kommen in der 450er Federbein und Gabel
von Kayaba zum Einsatz. Liebe zum Detail
beweisen die braun eloxierten Gabelbrücken oder die Titanfußrasten samt
Halterung. Ebenso wie beim Fahrwerk gingen die Mannen von Kawasaki Heavy Industries beim Motor auf Nummer Sicher. Mit zwei oben liegenden Nockenwellen, vier Titanventilen, Ausgleichswelle, einem 40er-Flachschieber-Vergaser von Keihin und dem Bohrungs-Hub-Verhältnis der Honda schippert man in wohl bekannten Gewässern.
Warum auch nicht, schließlicht ist
nicht nur im Rennsport – ganz profan – entscheidend, was hinten rauskommt. Wonach MOTORRAD gemeinsam mit Motociclismo, unserer spanischen Schwesterzeitschrift, schaute. Die Tester: Offroad-
Dauergast und Motocross-Legende Didi Lacher sowie Wahlspanier und Proficrosser Mattias Nilsson. Die Orte des
Geschehens: drei hart gefahrene, staubtrockene Strecken in Nordspanien. Dazu passend der Einheitsreifen des Test-
Quintetts: Bridgestone M 602.
Endlich tuckern die Motoren. Die Honda als Titelverteidiger und bekannte Größe legt die Messlatte. Die falsche Wahl? Oder ist es noch zu früh? Fakt ist: Die CRF geht wie die Hölle. Sie besitzt nicht nur auf dem
Papier mit 55 PS die Höchstform, sondern demonstriert ihre Potenz tatsächlich immer und überall. Vor allem ab dem mittleren Drehzahlbereich haben selbst ausgebuffte Profis alle Hände voll zu tun, um die Rote unter Kontrolle zu halten. Brettharte Pisten verschärfen die Situation zusätzlich und machen die Suche nach Traktion insbesondere für Hobbycrosser zum Hauptjob. Dennoch reizt das Honda-Aggregat. Technisch, weil der Unicam-Ventiltrieb mit lediglich einer Nockenwelle die Dimensionen des Motors kompakt hält, und praktisch sowieso. Der Single dreht von Leerlaufdrehzahl bis in höchste Touren nahezu
vibrationsfrei, lässt die hochwertige Verarbeitung quasi erfühlen – und braucht beim Beschleunigungsduell, zumindest bei griffigen Bodenverhältnissen, mit Sicherheit keinen Gegner zu fürchten.
Die Neugier treibt uns weiter. Wie fühlt sich die neue Kawasaki an? Zunächst nervt leider der Chokeknopf, der sich hinter dem Profil des Alu-Rahmens schlecht erreichbar versteckt. Schwamm drüber, vergessen. Denn bereits nach wenigen Kurven begeistert dieser Motor. Einen Tick weniger Leistung als die Honda haben die Kawasaki-Techniker ihrem großen Baby in jedem Drehzahlbereich mit auf den Weg gegeben – und damit eine nahezu perfekte Dosierung erreicht. Die KX findet Traktion, wo die Honda bereits durchdreht. Und dies, ohne im Durchzug oder der Drehfreude gegenüber der Honda viel drangeben zu müssen. Für den Spurt aus engen Kehren ist genug Spritzigkeit vorhanden, auf kurzen Geraden lässt sich die Kawa problemlos überdrehen. Kein anderer Motor deckt die Spanne zwischen Amateur und Profi-Crosser so universell ab. Schaltung, die Bedienkräfte der Kupplung, Laufruhe – alles erste Liga.
Charakterlich eindeutig festgelegt hat sich die KTM. So direkt wie der 450er-Einzylinder – der übrigens auch nur mit einer einzigen Nockenwelle ausgestattet ist – packt keiner der Konkurrenz im Drehzahlkeller an. Obwohl ein kurzer Gasstoß
reicht, um knifflige Tabletops kurz nach dem Kurvenausgang zu überfliegen oder das Vorderrad völlig mühelos über Beschleunigungswellen zu heben, bleibt die Kraft immer gut dosierbar und lässt sich unabhängig vom fahrerischen Niveau auch im mittleren Drehzahlbereich ungemein effizient einsetzen. Erst bei Spitzendrehzahlen zollt die 450 SX dieser Auslegung mit
einer vergleichsweise verhaltenen Drehfreude Tribut.
Ebenfalls viel Spannung verspricht das frisch aufpolierte Yamaha-Aggregat. Der erste Kick: Der Fünfventiler klingt auffallend leise. Verständlich, schließlich wird ab der Saison 2006 die Lärmgrenze für Motocross-Maschinen von 98 auf 96 dB (A)
reduziert. Technisch kein einfaches Unterfangen, denn Viertakt-Singles reagieren auf reduzierte Geräuschpegel in aller Regel
mit verschlechtertem Ansprechverhalten im unteren und mittleren Drehzahlbereich. Yamaha scheint mit der neuen Auspuffanlage, die nur auf dem europäischen Markt eingesetzt wird, tatsächlich übers Ziel
hinausgeschossen zu sein und opfert für die gute Tat besagtes Ansprechverhalten. Der überarbeitete 450er besitzt nur noch wenig vom bekannten Druck seines Vorgängers, fühlt sich im unteren Drehzahlbereich schlaff an. Dennoch fällt der subjektive Eindruck negativer aus als das
objektiv messbare Ergebnis (siehe Zeiten
linke Seite). Denn der zwangsläufig sanfte Schub schont die Kondition des Fahrers und kostet die Yamaha auf der Jagd nach schnellen Rundenzeiten, wenn überhaupt, wenige Zehntel. Trotzdem: Der ursprüngliche Fahrspaß bleibt mit dieser Abstimmung weitgehend auf der Strecke.
So wie bei der Suzuki. Im vergangenen Jahr hatte das Aggregat beim besagten MOTORRAD-Vergleich noch brilliert, in dieser Saison gerät es trotz nur marginaler Änderungen in eine Formschwäche. Wenngleich der kräftige, gut kontrollierbare
Antritt aus dem Drehzahlkeller vor allem
Hobbycrosser begeistert, nervt der mechanisch laute, sehr rau laufende Motor über Gebühr. Ein Phänomen, das auch
die RM-Z des Mastercross (MOTORRAD 1/2006) zeigte, bei den 2005er-Maschinen aber unbekannt war. Wirklich schade um das verschenkte Potenzial der Suzuki. Denn fahrwerksseitig ist die Gelbe up to date. Der Alu-Rahmen zeigt sich handlich, die Gabel auf dem Stand der Konkurrenz, lediglich die Hinterhand könnte dem Piloten etwas mehr Komfort verschaffen.
Ein Thema, bei dem das Fahrwerk der Yamaha seine Stärke ausspielt. Passend zum sanften Motor, haben die Yamaha-Techniker die Federungsabstimmung sehr weich ausgelegt. Was im Zusammen-
spiel mit der neuen Kayaba-Gabel mit dem so genannten Closed-cartridge-System durchaus seine Vorteile hat. So rückstandslos wie die YZ bügelt kein anderer Crosser kleine Wellen platt. Natürlich mit dem Pferdefuß, dass sich die Yamsel bei forcierter Gangart spür-, aber doch kontrollierbar aufschaukelt. Der Alu-Rahmen bricht ebenfalls mit der bisherigen Tradition. Das typische, von den Yamaha seit Jahren gewohnte vorderradlastige Fahrverhalten hat sich endgültig neutralisiert. Die YZ wirkt – obwohl sie trotz aller Modifikationen gegenüber ihrer Vorgängerin sogar um ein Kilo schwerer wurde – ein deutliches Stück handlicher, ohne nennenswert an Geradeauslaufstabilität einzubüßen.
Ganz im Gegensatz zur KTM. Messerscharf biegt die SX um die Ecken weist aber wegen dieser flinken Geometrie eine gewisse Nervosität auf holprigen Geraden auf. An der die Abstimmung der Federelemente längst nicht mehr einen so großen Anteil besitzt wie bislang. Die Gabel spricht akzeptabel an, das PDS-Federbein lässt gegenüber den Hebelsystemen nur noch auf kleinen Beschleunigungswellen Komfort vermissen.
Beim Thema Bremsen setzen die Brembo-Stopper der KTM die aktuellen Maßstäbe im Offroad-Bereich. Was Kawasaki-
Piloten nicht aus der Fassung bringt.
Deren Nissin-Anlage hat mittlerweile sogar die der Honda überflügelt. Und neben
dem Motor liegen die Kawa-Techniker auch bei der Fahrwerksabstimmung auf Anhieb im Plan. Die ein wenig weicher
als bei der Honda ausgelegten Kayaba-
Federelemente der KX sprechen erstklassig an, bieten ausreichend Durchschlagsreserven und unterstützen das von der KX vermittelte Gefühl von geräumigem Platzangebot und ausgewogener Fahrwerks-
geometrie.
Was sich euphorisch anhören mag, beeindruckt die Honda wenig. Sie weiß, dass sie im Vergleich zu ihrer neuen Konkurrenz, der KX 450 F, den Vorteil der frühen Geburt besitzt. Ihr Motor ist ein Quäntchen stärker und eine Portion aggressiver. Ihr Fahrwerk eine Nuance straffer, die Federung einen Tick besser. Sie weiß, sie ist noch immer die Beste. Aber eben nur einen Hauch.

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