Aprilia Caponord 1200 Rally im Fahrbericht

Aprilia Caponord 1200 Rally im Fahrbericht
Adventure-Bike für unabhängige Freigeister

Zuletzt aktualisiert am 05.03.2015

Als Gott die Erde erschuf, blieben von jedem Teil der Welt noch einige Steine, Felsen, Erde, Bäume, Büsche und Blumen übrig. All dies habe er zur wunderschönen Insel Sardinien zusammengefügt, so heißt es. Etwas für alle Sinne. Auch Aprilia hat noch einiges in petto, die sportliche Marke mit 54 Weltmeistertiteln kann auch touristisch. Dies soll die Aprilia Caponord 1200 Rally hier beweisen. Sie basiert als dritte Modellvariante (neben der Travel Pack) auf der 2013 vorgestellten Standardversion mit 17-Zoll-Bereifung.

Ihre Drahtspeichenräder und der 19-Zöller vorn lassen die Aprilia Caponord 1200 Rally stimmiger wirken. Viele Goodies komplettieren den hübschen Tourer im Enduro-Look: Die Aprilia-typische Front mit drei Scheinwerfern schützt ein umlaufender Sturzbügel mit seitlichen LED-Zusatzscheinwerfern, den Fahrer die größere Scheibe. Für Abenteuerlust stehen Kunststoff-Motorschutz und Handprotektoren. Aluminium-Deckel machen die schmalen Hartschalenkoffer von Givi schick. Lange Autobahnetappen lassen sich mit dem Tempomaten stressfrei abspulen. Für 16.390 Euro tutto completti kosten nur Hauptständer und Heizgriffe extra.

Ein echter Wohlfühl-V2

Mit kernigem Schlag, sattem Stakkato erwacht der 90-Grad-V2. Hart hämmert’s aus der Airbox. Etwas Handkraft braucht die Hydraulik-Kupplung, lässt sich mäßig do­sieren. Unauffällig arbeitet das Getriebe der Aprilia Caponord 1200 Rally. Schon bei 2000 Touren läuft der 1,2-Liter-V2 trotz riesiger 106er-Kolben schön rund. ­Aprilia hat die Abstimmung von Doppelzündung, doppelten Einspritzdüsen und ­Ride-by-Wire gut im Griff. Ab 3000/min gibt’s Punch, Schaltdrehzahl 4000 passt auf Tour. Ein neuer Auspuffsammler soll das Drehmoment bei unteren und mittleren Drehzahlen fülliger machen, um bis zu zehn Newtonmeter.

Unverändert sind maximal 125 PS bei 8000/min und 115 Nm bei 6800/min. Bei rund 5000 Touren öffnet die Auspuffklappe: Der Klang wird nun prustend. Über der 6000er-Marke geht der Ultrakurzhuber rasant zur Sache. Dies ist ein emotionaler, charakterstarker Antrieb, ein echter Wohlfühl-V2. Ja, er pulsiert ein wenig, das gehört so! Drei Fahr-Modi steuern die beiden 52 Millimeter großen Drosselklappen: Der Touring-Modus der Aprilia Caponord 1200 Rally passt mit gleichmäßiger Gasannahme prima. Der Sport-Modus reagiert direkter auf Gasbefehle, der Regen-Modus mit auf 100 PS reduzierter Leistung sanfter.

Auch etwas für Leute unter 1,75 Meter

Die dreistufige, angepasste Traktionskontrolle der Aprilia Caponord 1200 Rally grätscht in Level 1 für losen Untergrund spürbar später ein. Zusätzlich kann man sie ganz ausstellen. Schnelle Regeleingriffe steuert die Bordelektronik über Zündkerzen und Einspritzdüsen. Wenn dies nicht reicht, schließt das Ride-by-Wire unmerklich die Drosselklappen. Der sehr breite und ­hohe Lenker liegt klasse zur Hand. Die komfortable Sitzbank ist im vorderen Bereich schön schmal geschnitten. So bekommen auch Leute unter 1,75 Meter sicher beide Fußsohlen auf die Erde. Trotzdem finden selbst lange Kerls guten Knieschluss. Per Rändelschrauben hochgestellt, schirmt die Scheibe ohne Verwirbelungen ab.

In den ungezählten Kurven Sardiniens kann man sich schwindelig fahren. Straßenorientierte Metzeler Tourance Next geben gute Rückmeldung und haften sicher. Gemessen am riesigen Hebelarm des Lenkers und den tollen Reifen ist die Aprilia Caponord 1200 Rally kein Handlingwunder. Man muss schon ein wenig arbeiten in schnellen Wechselkurven, merkt die 275 Kilogramm mit vollem 23,5-Liter-Tank. Beeindruckend dafür, wie stur und präzise die Aprilia auf Kurs bleibt. Sie pflügt so unbeeindruckt durch Wellen schlagenden Asphalt wie ein Tanker durch schwere See, das schafft Vertrauen.

Aprilia Caponord 1200 Rally wirkt ein wenig hecklastig

Sänftenartigen Federungskomfort bietet das tolle adaptive Fahrwerk. Sehr sen­sibel arbeiten die voll elektronisch gesteuerten Dämpfer (Aprilia Dynamic Damping, ADD). So macht die Aprilia Caponord 1200 Rally das Beste aus moderaten 170 und 150 Millimetern Federweg vorn/hinten. Selbst grobe Schläge und ­tiefste Bodenwellen absorbiert und planiert sie sicher. Die semiaktiven Sachs-Dämpferelemente an Front und Heck haben keine wählbare Voreinstellung, agieren automatisch. Sie reagieren selbsttätig auf Lageveränderungen und Fahrzustand: Beim Gasgeben erhöhen sie vorne die Zug-, hinten die Druckdämpfung, um die Balance zu halten. Umgekehrt beim Bremsen, da erhöhen sie vorne die Druck- und hinten die Zugdämpfung. Innerhalb einer Hundert­s­tel­sekunde von ganz offen auf ganz zu.

Vier Stufen – je nach Beladungszustand (Solo/Gepäck, Sozius/Gepäck) – kennt die elektronisch einstellbare Federbasis hinten. Und eine fünfte als automatische Niveauregulierung. Doch damit wirkt die Aprilia Caponord 1200 Rally ein wenig hecklastig, mit mäßigem Gefühl fürs Vorderrad. Per Knopfdruck im Stand hinten hochzupumpen hilft selbst im Solo-Betrieb: Eindrucksvoll nehmen dann Schräglagenfreiheit und Handling zu. Nun schleifen die Fußrasten später, wird die Aprilia agiler. Insgesamt wirkt die Front weich. Nach manuellem Vorspannen ist weniger Bewegung in der Front, die Rückmeldung besser.

Einteilige Brembo-Sättel verzögern sicher. Doch der Druckpunkt ist eher diffus. Mul­timedia: Ein Smartphone lässt sich an die Bord-Elektronik andocken, erweitert den Bordcomputer. Dann vermeldet das Display etwa aktuelle Leistungs- und Dreh­moment­abgabe, Schräglagenwinkel oder Verbrauch. Zudem kann das Handy zum Navi mutieren, samt Suchfunktion fürs geparkte Bike und Entfernungsanzeige zum namensgebenden Nordkap. Ein Rechner auf Rädern. Neue Horizonte erschließt die Aprilia Caponord 1200 Rally auch ohne solche Gimmicks.

Technische Daten Aprilia Caponord 1200 Rally

Aprilia

Was ist neu?

Aprilia
  • Speichenräder mit Aluminiumfelgen; 19-Zoll-Vorderrad (statt 17 Zoll); neue Formate: 19 x 3,0 und 17 x 4,5 Zoll
  • Schlauchlosreifen Metzeler Touring Next in den Formaten 120/70 R 19 und 170/60 R 17
  • Fahrwerk: Radstand 1575 statt 1555 Millimeter, Nachlauf 118 statt 125 mm, Lenkkopfwinkel 62,6 statt 66,0 Grad
  • semiaktives Fahrwerk und Tempomat serienmäßig
  • neuer Auspuffsammler als Helmholtz-Resonator zur Drehmomentoptimierung bei mittleren/niedrigen Drehzahlen
  • großer, höhenverstellbarer Windschild
  • Tankschutzbügel mit zwei LED-Zusatzscheinwerfern
  • dreistufige Traktionskontrolle, in defensivster Stufe nun auch auf moderate Offroad-Nutzung ausgelegt
  • Stahlrohr-Gepäckträger für 33-Liter-Givi-Koffer (Deckel mit Aluminium-Blende); bedienbar als Top- und Frontlader
  • Heck-Radabdeckung entfällt; neue Farbpalette