Zu einer echten Enduro gehört ein Offroad-Test? Na gut, dann reden wir zuerst mal über Schotter. Bei rund 17.000 Euro für die Basisversion einer Retro-Reiseenduro fällt es schwer, von einem Schnäppchen zu sprechen. Schon Schnappatmung? Dann empfehlen wir behutsames Klickverhalten im Konfigurator. Mit großzügig angewählten Paketen und Extras knackt die neue BMW R 12 G/S schnell die 20.000-Euro-Marke. Trotzdem – und völlig zu recht – dürfte sich die betörende Neuinterpretation einer deutschen Motorrad-Ikone verkaufen wie geschnitten Brot. Zu dieser Erkenntnis braucht es nur eine ausgedehnte Ausfahrt durch beide ihrer namensgebenden Elemente: im Gelände und auf der Straße. Wir hatten bereits die Gelegenheit.
Neue BMW R 12 G/S als Retro-Enduro
Mit der R 12 G/S erweitert BMW die Heritage-Produktfamilie um ein Modell, das mehr sein will als ein nostalgischer Design-Aufguss. Der technische Unterbau ist eng verwandt mit dem luftgekühlten R-12-Portfolio. Einzig im Bereich des Lenkkopfs wurde der ansonsten identische Gitterrohrrahmen verlängert, um Platz für eine Gabel mit mehr Federweg zu schaffen. Optisch lehnt die neue G/S sich klar an die legendäre R 80 G/S von 1980 an – inklusive klassischem Rundscheinwerfer, hoher Vorderradabdeckung und stilisierten Lackierungsoptionen. Doch auch fahrerisch soll die Neuinterpretation der BMW-Ikone alle Ehre machen. Die Bayern versprechen kernige Emotionen und echte Glücksgefühle – emotionaler und puristischer als mit jeder anderen aktuellen Großenduro aus eigenem Hause.
Luftgekühlter Boxer-Motor mit 109 PS
Stilechtes Herzstück der neuen BMW R 12 G/S ist der luft-ölgekühlte 1.170-Kubik-Boxer, der baugleich auch die Schwestermodelle R 12, R 12 nineT und R 12 S befeuert. Entsprechend stehen auch bei der R 12 G/S 109 PS bei 7.000 Touren und 115 Nm bei 6.500/min im Datenblatt. Die technisch für Euro-5+ modernisierte Version des früheren 1200er-GS-Aggregats präsentiert sich in der Praxis angenehm kernig und souverän – mit weichem Ansprechen und spürbarem, aber nie störendem Puls. Gleichmäßig und kraftvoll schiebt der Motor aus dem Drehzahlkeller an. Zwar ohne die überschäumende Vehemenz der modernen, wassergekühlten 1300er, aber doch mit Nachdruck und ordentlicher Drehfreude. Stets begleitet von sportlich-sonorem Boxer-Tröten und erfreulich wenig bauartbedingtem Kippmoment bei Lastwechseln.
229 Kilo – für GS-Verhältnisse schön leicht
Davon überzeugen wir uns zunächst bei einer kurvenreichen Asphalt-Testrunde mit der BMW R 12 G/S quer durch Mittelfranken. Hier sorgt das charakterstarke Antriebspaket für beste Unterhaltung, katapultiert die fahrfertig 229 Kilo schwere Retro-Enduro zackig von Radius zu Radius und bietet auch in höheren Gangstufen kräftigen Durchzug. Für zusätzliche Fahrfreude sorgt das Getriebe – bei unserem Testfahrzeug mit optionalem Quickshifter samt Blipper ausgestattet. Der Schaltassistent ist Teil des 1.010 Euro teuren Komfortpakets, das außerdem Griffheizung, Tempomat und die Berganfahrhilfe "Hill Start Control Pro" beinhaltet.
6-Gang-Getriebe mit Schaltassistent/Quickshifter
Selbst mit dicken Enduro-Stiefeln lässt das 6-Gang-Getriebe der BMW R 12 G/S sich präzise und mühelos schalten. Lediglich unter Teillast dürften die Schaltunterbrechungen noch etwas geschmeidiger und zügiger ablaufen. Mit klassischem Kupplungseinsatz gelingt der Gangwechsel spürbar "smoother" – die hydraulisch betätigte Trockenkupplung lässt sich fein dosieren, gehört aber nicht zu den leichtgängigsten ihrer Art. Zwei Finger am Hebel sollten es schon sein – authentisch alte Schule eben.
Leichtes Handling und entspannter Sitzkomfort
Auffallend flott und spielerisch gelingen die Richtungswechsel im serienmäßigen Straßen-Trimm der BMW R 12 G/S. Konkret bedeutet das: 17-Zoll-Hinterrad mit Metzeler Karoo Street im Format 150/70 R 17 sowie 21 Zoll vorn mit identischem Profil in 90/90-21. Beim Umlegen würde man der R 12 G/S glatt ein paar Dutzend Kilo weniger auf den (Kühl)rippen zutrauen. Dazu kommt eine große Schräglagenfreiheit und eine angenehm aufrechte, aber keineswegs passive Sitzhaltung mit entspanntem Kniewinkel – das Ergonomiepaket wirkt rundum gelungen.
Hinterrad in 17 Zoll oder 18 Zoll
Einziges Problemchen der BMW R 12 G/S, typisch für Boxer: Große Fahrer stoßen beim Angeln nach der Fußbremse mit dem Oberschenkel an den rechten Ansaugstutzen. Laut BMW soll hier die optionale, 20 Millimeter höhere "Rallye Pro"-Sitzbank Abhilfe schaffen – vor Ort konnten wir die allerdings nicht ausprobieren. Mit der serienmäßigen Sitzbank und 17-Zoll-Hinterrad liegt die Sitzhöhe bei 860 Millimeter, mit dem im Enduro-Paket enthaltenen 18-Zoll-Hinterrad steigt sie auf 875 Millimeter.
Solo-Sitzbank oder Sozius-Paket
Ohne das Sozius-Paket für 205 Euro Aufpreis reist man auf der BMW R 12 G/S gezwungenermaßen allein: Serienmäßig ist eine einteilige Solo-Sitzbank montiert – ohne vorgeschriebenen Halteriemen und ohne Sozius-Fußrasten. Nach ausführlicher Sitz- und Fahrprobe auf Solo- wie auch auf Soziusbank in Standardhöhe können wir der G/S eine hohe Bewegungsfreiheit und eine straffe, aber keineswegs unbequeme Polsterung attestieren. Sofa-artigen Langstreckenkomfort wie zuletzt auf der R 1250 GS bietet sie jedoch nicht – was zur insgesamt gestrafften, sportlicheren Ausrichtung der neuen BMW-Adventure-Familie passt.
Offroad-Test der BMW R 12 G/S im Stehen
Für eine verbesserte Steh-Ergonomie im Gelände lässt sich der Lenker der BMW R 12 G/S optional um 10 Grad nach vorn rotieren, wodurch sich die Griffposition um 12 Millimeter nach vorn und 25 Millimeter nach oben verschiebt. Zusätzlich enthält das Enduro-Paket 20 Millimeter hohe Lenker-Riser sowie verbreiterte, stark gezackte Offroad-Fußrasten und ein in zwei Positionen arretierbares Bremspedal – für maximale Kontrolle im Stehen. Sitzt – beziehungsweise steht, wackelt und hat Luft: Bei 1,89 Meter Fahrergröße ist das Steh-Arrangement eines der gelungensten im aktuellen Enduro-Segment.
Einstellbares Marzocchi-Fahrwerk mit Offroad-Reserven
Sportlich, aber nicht unkomfortabel zeigt sich die Grundabstimmung der BMW R 12 G/S mit voll einstellbaren Marzocchi-Fahrwerk. Mit 210 Millimeter Federweg an der Front und 200 Millimeter am Heck bietet es reichlich Reserven – ebenso wie die 240 Millimeter Bodenfreiheit, die für ambitionierte Geländeausritte locker ausreichen. Je nach Hinterrad-Setup werden die Gabelholme angepasst: Beim 17-Zoll-Hinterrad um 15 Millimeter, beim 18-Zöller um 3 Millimeter durchgesteckt, um die Geometrie je nach Ausstattungsvariante optimal abzustimmen.
Mit der neuen G/S im BMW Enduro Park Hechlingen
Entsprechend konfiguriert und mit geländegriffigen Metzeler Karoo 4 besohlt, wartet am Nachmittag eine zweite BMW R 12 G/S auf den Härtetest im BMW-eigenen Enduro Park Hechlingen. Die klassisch weiß-blau-rot gestylte G/S macht dabei schon im Stand ordentlich Eindruck. In der Sonderlackierung "Lightwhite uni" (300 Euro Aufpreis) erinnert sie verblüffend stark an ihre 45 Jahre alte Ahnin, die R 80 G/S – nicht nur farblich, sondern auch durch die bewusst an das Original angelehnte Linienführung, von den BMW-Designern mit viel Liebe zum Detail umgesetzt. Und: Die neue G/S liefert auf Trails und Geröll ebenso souverän ab wie zuvor auf der Straße.
Leichter zu beherrschen als andere Groß-Enduros
Gefühlsmäßig sortiert die BMW R 12 G/S sich im Gelände zwischen der angriffslustigen, etwas nervöseren BMW F 900 GS und dem unbeirrbaren Traktor-Fahrverhalten der großen Schwester R 1300 GS ein. Sie schiebt tapfer steile Anstiege hoch, kraxelt dank tiefem Boxer-Schwerpunkt spurtreu, aber dennoch agil über verblockte Singletrails – und bleibt dabei stets gut kontrollierbar. Entgegenkommend, vertrauenerweckend und leichter zu beherrschen als andere Maxi-Enduros der oberen Hubraumklasse.
Bremsen ebenfalls konzeptgerecht abgestimmt
Auch die Bremsen der BMW R 12 G/S fügen sich stimmig ins Gesamtbild: erstaunlich sportlich, dabei aber fürs Gelände angenehm unaufgeregt und nicht zu bissig abgestimmt. Der kurze Leerweg, ein klar definierter Druckpunkt und effektive, zuverlässige Stopping-Power sorgen für Vertrauen in allen Lagen. Schön: Sowohl der Serienhebel als auch das edle Frästeil aus dem Option-719-Paket sind in der Weite einstellbar. Letzteren gibt’s exklusiv im 1.900 Euro teuren Styling-Paket mit sandfarbenem Wüsten-Look, verchromten Krümmern und gesteppter Sitzbank samt Soziuspaket.
4 Modi mit "Enduro Pro"
Hilfreich: 4 Fahrmodi passen die Assistenzsysteme der BMW R 12 G/S an den jeweiligen Einsatzzweck an: "Rain", "Road", "Enduro" und "Enduro Pro". Je nach Einstellung variieren Gasannahme (zwischen soft und direkt), Traktionskontrolle, Anti-Wheelie-Regelung, Motorbremse ("Engine Drag Torque Control") und ABS-Charakteristik. Letztere sogar schräglagensensibel. Im Modus "Enduro Pro" lässt das ABS sich am Hinterrad vollständig deaktivieren.
BMW R 12 G/S – "Basic" ab 16.990 Euro
Auch beim Cockpit der BMW R 12 G/S haben künftige Besitzer und Besitzerinnen die Wahl: Serienmäßig angebaut ist ein klassischer, analoger Tacho mit integriertem Monochrom-Display zur Anzeige von Drehzahl, gewähltem Fahrmodus und Basisinformationen. Optional lässt das Kombi-Instrument sich für 125 Euro durch ein noch kompakteres Digital-Display ersetzen, das auf einem minimalistischen, aber gut ablesbaren TFT zusätzliche Infos wie Tageskilometer, Durchschnittsverbrauch und Motortemperatur bereitstellt. Kurios: Eine Tankanzeige fehlt bei beiden Varianten, sie ist konsequent durch eine einfache Reservelampe ersetzt. Motto: Gelände und Straße, Retro und Basic – bis auf den Funkschlüssel.