BMW R 1300 GS gegen den Rest: High-End-Reiseenduros im Vergleichstest

5 High-End-Reiseenduros im Vergleichstest
BMW R 1300 GS gegen den Rest

Veröffentlicht am 27.03.2025

Vorneweg: Trotz markanter Unterschiede dieser 5 Reiseenduros liegt man mit keinem der fünf High-End-Hochbeiner wirklich falsch, ganz im Gegenteil. Was macht die Faszination an über 250 Kilo schweren und bis zu 170 PS starken SUV-Bikes aus? Schnäppchenpreise sind es sicher nicht: Mindestens 20.000 Euro werden für die Straßen- und Geländekreuzer fällig – je nach Konfiguration und bestellter Ausstattung sogar deutlich mehr. Dafür muss einiges geboten werden – Vielseitigkeit lautet das Erfolgsrezept. High-End-Reiseenduros haben keinen geringeren Anspruch, als das Schweizer Taschenmesser unter den Motorrädern zu sein, wollen das zweite oder dritte Motorrad in der Garage überflüssig machen.

Dazu müssen sie bei jeder erdenklichen Gangart brillieren: betont komfortabel im Alltag und auf der Langstrecke, aber auch richtig sportlich im Kurvengeschlängel und pfeilschnell auf Autobahnetappen. Perfekter Wind- und Wetterschutz inklusive, versteht sich. Dazu sind spielerisches Handling trotz üppiger Abmessungen und stattlichem Gewicht ebenso gefragt wie eine Elektronikausstattung, die sich zunehmend den Standards der Automobilbranche annähert. Anpassbare Ergonomie, um möglichst vielen Fahrertypen ein Willkommen-zu-Hause-Gefühl zu ermöglichen, gehört ebenfalls zum guten Ton. Auch der Kerngedanke hinter den langen Federwegen sollte nicht in Vergessenheit geraten – Schottereindrücke reichen wir bei Gelegenheit nach.

BMW R 1300 GS: Kassenschlager wurde nachgeschärft

Heißester Anwärter auf den Titel der besten Maxi-Enduro: eine neue, alte Bekannte. Mit der BMW R 1300 GS haben die Münchner ihren Kassenschlager zum Jahresbeginn gründlich nachgeschärft. Ob das Rezept weiterhin stimmt, um sich gegen die kaum minder athletischen Vertreter in Orange und Rot zur Wehr zu setzen? Und dann wäre da noch die jüngst überarbeitete Triumph Tiger 1200 GT Pro, die neben der Harley-Davidson Pan America 1250 Special ebenfalls ein Wörtchen mitzureden hat. Hand zum Gruß – lassen wir die Straße entscheiden.

BMW R 1300 GS: sportlich, kompakt und drahtig

Vorbei sind die Zeiten biederer Asymmetrie – die BMW R 1300 GS präsentiert sich sportlich, kompakt und drahtig und sticht damitimVergleichzurmassigeren Konkurrenz deutlich hervor. "Hat etwas von einem Naked Bike oder einer Supermoto", meint Testfahrer-KollegeJacko.Ermusseswissen, schließlich ist er normalerweise für die Sportgeräte im Testfuhrpark zuständig. Jedenfalls fühlt er sich auf der Neuauflage desmeistverkauftenMotorradsin Deutschland pudelwohl.

Nachvollziehbar, soviel wird schon beider ersten Tuchfühlung klar: Die BMW macht es einem schwer, das sprichwörtliche Haar in der Suppe zu finden – besonders, was die Ergonomie auf dem Fahrersitz betrifft. Die gemütliche Sofa-Atmosphäre der Vorgängerin musste zwar einer deutlich sportlicheren Note weichen, das Zusammenspiel aus wohlgeformter Sitzbank, schlanker Taille, angenehm gestaltetem Kniewinkel und breitem Lenker passt aber trotzdem wie angegossen. DieSitzposition ist für Reiseenduro-Standards bemerkenswert fahraktiv und bietet viel Bewegungsspielraum – lange Fernreisen sind dennoch gut vorstellbar, selbst ohne den optionalen Komfortfahrersitz für 50 Euro.

Spielerisch handlich und unbeirrbare Stabilität

Apropos optional: Hier sei angemerkt, dass München – entgegen bisherigen Gepflogenheiten – beim Testexemplar nicht alle Sonderausstattungsoptionen gewählt hat. Neben dem Dynamik-Paket Pro (1.660 Euro), das Sportbremse, elektronisches DSA-Fahrwerk, Schaltassistent und Fahrmodi Pro umfasst, wurden lediglich die Enduroschmiederäder konfiguriert. Abgesehen davon handelte es sich nahezu um eine Basis-GS, die den Weg in die Redaktion fand – ohne Hauptständer, größeren Windschild, komfortablere Unterbringung für Gepäck und Sozius und weitere Extras. Was Abweichungen in der Punktwertung zu vorherigen Tests, bei denen umfangreicher ausgestattete Fahrzeuge antraten, erklärt. In der Kategorie Alltag verschenkt die GS so wertvolle Punkte.

Während sich BMW in Bezug auf die Punktewertung selbst Steine in den Weg legt, macht die BMW R 1300 GS es ihren Piloten fahrerisch ausgesprochen leicht. Spielerisch handlich, neutral und doch mit unbeirrbarer Stabilität kurvt die 246-Kilo-BMW über die Schwäbische Alb. Erst wenn es wirklich sportlich zur Sache geht, muss sie die noch wendigere Ducati ziehen lassen.

BMW R 1300 GS: Präzision und Stabilität auf höchstem Niveau

Trotzdem: An die Urvertrauen stiftende Souveränität der Bayerin kommt die rote Raseenduro aus Bologna nicht heran. Ein Großteil davon ist dem neuen Boxermotor zuzuschreiben. Akustisch etwas zurückhaltender als bisher, dafür aber mit einem Antritt, der weiterhin Maßstäbe setzt. Unnachgiebiger Vorwärtsdrang, stets fein dosierbar und mit butterweichen Lastwechseln. Wie von der Vorgängerin bekannt, legt auch der 1300er von unten heraus kräftig los, kann sein beeindruckendes Drehmomentplateau jetzt aber noch länger und höher halten.

Achtung: Wer aus tiefer Schräglage heraus zu beherzt aufzieht, treibt den serienmäßigen Metzeler-Tourance-Next-2-Pneu schneller als gedacht an die Haftungsgrenze – umfassende Regelelektronik hin oder her. Präzision und Stabilität sind dabei auf höchstem Niveau, Kippeln oder unerwartete Kursänderungen sind der GS fremd. Zumindest, wenn man nicht in der Kurve schaltet: Die Schaltvorgänge via Quickshifter gehen nicht ganz so smooth vonstatten wie bei Ducati, KTM und Triumph. Insbesondere Hochschaltbefehle resultieren in einem spürbaren Ruck durchs Fahrzeug. Gangwechsel in die andere Richtung laufen da deutlich geschmeidiger.

Exellentes Ansprechverhalten bei der BMW R 1300 GS

Auch in der Fahrwerksabteilung geht es elektronisch und sportlich zu. Entsprechend dem gewählten Fahrmodus werden Federrate und Dämpfung automatisch an die Fahrsituation angepasst. Tendenziell bleibt die Abstimmung auf der straffen Seite, doch das durchweg exzellente Ansprechverhalten nimmt Holperstrecken ihren Schrecken. Ebenso souverän agieren die Brembo-Sättel, die allzu ambitionierte Beschleunigungen mit gewaltigem Biss einfangen, wenn auch mit etwas höherer Handkraft und nicht ganz so fein dosierbar wie die Vorzeigebremse an Tiger und Multi. Trotz Komforteinbußen ist die athletischste GS aller Zeiten eine Wucht.

Ducati Multistrada V4 S mit reichlich Wind- und Wetterschutz

Im Gegensatz zur schlanken BMW wartet die Ducati mit einer deutlich mächtigeren Präsenz auf. Schon der erste Blick lässt keinen Zweifel aufkommen: ausladende Front mit reichlich Wind- und Wetterschutz, höherer Tank, mehr reiseendurotypische Ausstattung. Dasselbe gilt übrigens auch für alle weiteren GS-Gegenentwürfe im Test, aber dazu später mehr. Teilweise von aerodynamisch geformtem Kunststoff verhüllt, steht das namensgebende Vierzylinder-Kraftwerk in V-Anordnung im Zentrum des Geschehens. Obwohl der V4-Gran-Turismo im Testfeld zweifellos die meisten Sportlergene in sich trägt, unterscheidet er sich technisch erheblich von den bedingungslos auf Power gebürsteten V4-Derivaten in Panigale und Streetfighter.

Mit Twin-Pulse-Hubzapfenversatz, erhöhter Schwungmasse, zahmeren Nockenwellen und Ventilsteuerung ohne Desmodromik läuft der V4 höchst manierlich und doch charakterstark. Im unteren und mittleren Drehzahlbereich bietet er jederzeit mehr als genug nutzbaren, linearen Schub. Zwar ohne den überwältigenden Punch à la BMW und KTM, dafür aber bei Bedarf mit einem feurigen Drehzahlfestival, das im Genre seit mittlerweile drei Jahren vergeblich seinesgleichen sucht. Dabei immer laufruhig, ohne Durchhänger und unabhängig vom gewählten Fahrmodus (Urban, Enduro, Touring oder Sport) sanft und auf den Punkt genau kontrollierbar. Schnell mit dem auffällig leichtgängigen, kurzhubigen Quickshifter die nächste Fahrstufe nachgelegt und weiter Richtung Horizont gezoomt – die nicht enden wollende Beschleunigungsparty wirkt auf einem komfortablen Reisemotorrad surreal. Und brennt sich in jedem Fall als unvergessliches Erlebnis in die Synapsen.

Multistrada beeindruckt in Kurvenfahrt

Kaum weniger beeindruckend als auf der Geraden zeigt sich die Enduro-Diva aus Bologna im Kurvengeschlängel. Schon bei moderatem Tempo lenkt die Multi willig und handlich ein, wenn auch nicht mit dem federleichten Selbstverständnis der GS. Bei schnellerer Gangart wird die Ducati immer besser. Acht Kilo schwerer als Team Bayern? Geschenkt. Wird es richtig schräg und verwinkelt, zieht niemand den Radius enger und zirkelt präziser ums Eck als die wohl heißeste Hochbeiner-Reisefeile des Planeten. Umso erstaunlicher, wie gut die Duc auch am anderen Ende des Fahrdynamik-Spektrums agiert.

Multistrada V4S mit All-Inclusive-Ausstattung

Angefangen beim Fahrwerk: Elektronisch angesteuerte Marzocchi-Federelemente ermöglichen eine beachtliche Spreizung zwischen enduristisch-komfortabel bis sportlich-straff. Auch ergonomisch taugt die V4 S gleichermaßen zum relaxten Cruisen wie zum beherzten Angasen. Sozius inklusive, übrigens. Denn dieser findet auf der beheizten, üppig gepolsterten und großzügig dimensionierten Beifahrersitzbank viel Freiraum und langstreckentaugliche Kniewinkel. Außerdem kümmern sich allerlei elektronische Helferlein darum, Reisen noch komfortabler zu gestalten: Abstandsradar, Totwinkelassistent und Handyfach mit Ladebuchse sind nur einige Bestandteile der All-inclusive-Ausstattung. Eigentlich will man nie wieder anhalten. Und wenn doch, nehmen edle Brembo-Stylema-Bremssättel mächtige 330er-Scheiben in die Zange und liefern dem Gesamtpaket angemessene Verzögerung. Exakt dosierbar und mit minimalem Krafteinsatz am Hebel. Biss und Wirkung könnten, gemessen an der starken Verzögerungsleistung von BMW, Triumph und Harley, noch etwas aggressiver ausfallen. Dafür bleibt die Multi aber auch ohne Telelever auf der Bremse stabil.

Ducati Multistrada für 25.300 Euro

Stabil sollte indessen auch die Finanzlage geneigter Interessenten sein. Saftige 25.300 Euro stehen für die V4 S in Testkonfiguration auf der Rechnung. Zudem genehmigt sich die Duc auf 100 Kilometern mindestens einen dreiviertel Liter Super mehr als der Rest des Quintetts. Gleichwohl: Gemessene 6,1 Liter auf der 100-Kilometer-Verbrauchsrunde sind 0,7 Liter sparsamer als beim Top-Test vor drei Jahren. Mit vollem 22-Liter-Tank sind so immerhin 361 Kilometer Reichweite drin.

Viel hilft viel? Auf die Multistrada trifft das im besten Sinne zu. Abseits monetärer Wermutstropfen zeigt sie kaum Schwächen. Damit manövriert sich die Ducati im Testfeld in eine denkbar starke Ausgangsposition, auch in Bezug auf die 1.000-Punkte-Wertung.

Harley-Davidson Pan America 1250 Special

Underdog, Außenseiter und zweifellos das exzentrischste Motorrad im Test – die Harley Pan America 1250 Special ist alles andere als gewöhnlich. Wer das Mad-Max-Bike aus Milwaukee jedoch vorschnell als Außenseiter abtut, tut ihr unrecht. Ihr Reiz liegt nicht in geschliffener, geschmeidiger Perfektion, sondern in ihrer Andersartigkeit und ihrem besonderen Charakter. Und für Individualisten in ihrer Exklusivität. Letztes Jahr fanden nur 424 Einheiten einen Erstbesitzer – deutlich weniger als in den ersten beiden Verkaufsjahren. Dass die Pan Am aus der Perspektive der absoluten Top-Performer nur schwerlich mithalten kann, überrascht kaum. Schließlich handelt es sich noch immer um den Erstaufschlag einer Marke, die bis vor einem halben Jahrzehnt mit modernen High-Performance-Reisemobilen so wenig am Hut hatte wie glutamatgetränkte Instantnudeln mit gesunder Ernährung. Lässt man jedoch Verkaufscharts, Datenblätter und Benchmarkwerte links liegen, hat die Harley einiges zu bieten – nicht nur im Maschinenraum.

142 PS bei 9.000 Umdrehungen

Dort zündet der wassergekühlte 1252-Kubik-V2-Motor, genannt Revolution Max, dank Hubzapfenversatz im 90-Grad-Puls, obwohl er seine Zylinder im 60-Grad-Winkel spreizt. Ein Arrangement, das der Laufruhe bei hoher Drehzahl dienen soll. Gute Idee, denn obwohl die Harley schon ab knapp über 3.000 Touren anständige Drehmomentwerte auf die Kurbelwelle presst, scheut sich der Twin nicht vor markenuntypischen Regionen jenseits der 8.000er-Marke. Gemessene 142 PS bei 9.000 Umdrehungen sind beachtlich, ebenso wie satte 118 Nm, die bei 8.000 Touren anliegen. Begleitet von niederfrequenten, aber nicht störenden Vibrationen sorgt der Twin so in fast jeder Lebenslage für gehobene Unterhaltung. Schade, dass die gewöhnungsbedürftige Kraftübertragung den Eindruck trübt. Als einziges Bike im Vergleich muss die Harley ohne Quickshifter auskommen. Zwar rasten die Gänge präzise, Schaltwege und erforderlicher Kraftaufwand sind aber bestenfalls Mittelmaß. Zudem nervt die rupfige Kupplung mit sehr knappem Schleifpunkt. Beim Rangieren und Schleichfahrt ist dazu das taumelige Handling wenig hilfreich; erneut konnte ein zu strammes Lenkkopflager als Teil des Problems identifiziert werden.

Pan America ultrastabil in weiten Radien

Kurze Beine? Vergleichsweise breiter Knieschluss und mindestens 860 Millimeter Sitzhöhe machen die Pan Am zum Endgegner für kleine Piloten. Gut, dass sich die Fuhre via Ride-Height-Device um 15 Millimeter absenken lässt. Und gut, dass Harley anscheinend hinter den Kulissen an kleinen Nickeligkeiten feilt: Im Vergleich zu unserem früh produzierten Dauertest-Exemplar fällt der weniger bemühte Starter auf – die Harley springt zuverlässig und fix an. Im Anschluss gleitet sie am liebsten bei Landstraßentempo durch weite Radien, liegt dabei ultrastabil.

Eng und ambitioniert geht auch. Doch so richtig wohl fühlt sich die Amerikanerin mit beachtlichen 1.585 Millimeter Radstand dabei nicht. Die Vorderhand wirkt vergleichsweise entkoppelt und diffus, tiefe Schräglagen erfordern Überredung. Ab einem bestimmten Neigungswinkel tendiert die Harley dann zum Abkippen. So entsteht wenig Lust auf extreme Schräglage, obwohl die restlichen Voraussetzungen passen: Kein Bike im Test setzt später auf, und die Michelin-Scorcher-Reifen kleben zuverlässig. Darüber hinaus: formidable Brembo-Verzögerung, die sich vor den Europäern nicht verstecken muss. Und semiaktive Fahrwerkskomponenten, die nie überfordert, aber auch nie besonders komfortabel wirken – unabhängig vom gewählten Fahrmodus.

KTM 1290 Super Adventure: Komfort und Alltagsqualität

Auch Mattighofen hat ein Faible für polarisierendes Design und mächtige Zweizylinder. Anders als Harley zählt KTM mit seinen Adventure-Modellen zu den wichtigsten Größen im Segment. Zuletzt 2021 technisch überarbeitet, bildet die KTM 1290 Super Adventure S zusammen mit der noch sportlicheren und offroadorientierteren R-Variante die Speerspitze des Sortiments. Dabei setzen die Österreicher auf eine kräftige Portion V2-Urgewalt, typisch orangefarbene Motorsport-Attitüde und zeitgemäße All-inclusive-Elektronik. Im Grunde nähert sich die KTM dem hehren Ziel des ausgewogenen Universalmotorrads aus der entgegengesetzten Richtung wie die BMW. Während München jüngst in Sachen Sportlichkeit nachlegte, lag der Fokus beim letzten Super-Adventure-Update darauf, Komfort und Alltagsqualitäten zu verbessern. Dennoch gilt die Super Adventure als rauer, straffer Zeitgenosse, ließ bei bisherigen Vergleichen gegenüber den Erzrivalen vor allem bei Komfort und Handling Federn. Unterdessen läuft die Entwicklung einer Neuauflage mutmaßlich auf Hochtouren, wie Erlkönig-Sichtungen belegen. Ob KTM dem kompromisslosen Sport-Credo treu bleibt oder die neue Adventure für einen breiteren Interessentenkreis softet, ist die spannende Frage.

Super Adventure S für 22.866 Euro

Aber zurück zum Hier und Jetzt: Mit 22.866 Euro liegt die KTM preislich auf Augenhöhe zur Konkurrenz. Im Testfahrzeug-Preis einkalkuliert: die 1.278 Euro teure Software-Erweiterung "Tech Pack" inklusive Rallye-Fahrmodi, Quickshifter+, erweiterten Einstellmöglichkeiten am elektronischen WP-Fahrwerk, einstellbarem Motorschleppmoment, Berganfahrhilfe und adaptivem Notbremslicht. Der von Bosch gelieferte, radargeregelte Tempomat und alle klassenüblichen Fahrassistenzsysteme wie Traktionskontrolle gehören zum Serienumfang. Insgesamt kann sich die Ausstattung mehr als sehen lassen und wird mit dem Punktesieg in der Kategorie Alltag belohnt, den sie sich mit der ebenfalls hervorragend bestückten Triumph teilt. Doch viel Schnickschnack macht bekanntlich noch kein Meisterstück. Also, schnell den 1301-Kubik-Zweizylinder im 75-Grad-V-Format mit einem Druck aufs Startknöpfchen zum Leben erweckt und ab auf die Landstraße.

Rappelige Laufkultur im unteren Drehzahlbereich

Zunächst zur Ergonomie: So eigenständig wie das Design präsentiert sich auch die Sitzposition. Breite Tankflanken drücken die Knie auseinander, ein vergleichsweise schmaler Lenker reckt sich dem Fahrer entgegen. Die Sitzbank auf der unteren Position arretiert, misst die Sitzhöhe 855 Millimeter – für Kurzgewachsene gerade noch handlebar. Insgesamt sitzt man tiefer im als auf dem Fahrzeug, das Gebirge aus Tank und mächtiger Frontverkleidung füllt das Blickfeld. Das Gefühl, auf einem verdammt großen Motorrad zu sitzen, ist omnipräsent und setzt sich auch bezogen aufs Handling fort. Der schmale Lenker erfordert etwas mehr Zupacken beim Einlenken; Ducati und BMW verlangen dem Fahrer deutlich weniger Einsatz ab, um in Schräglage zu kommen. Einmal auf Kurs gebracht, kann die KTM durchaus schräg und sportlich fahren, stabil und mit etwas Konzentration auch präzise. Dazu bietet das Fahrwerk mit 200 Millimeter Federweg vorn und hinten zwar die längsten Federwege im Test, doch Unebenheiten werden nicht ganz so feinfühlig herausgefiltert wie bei Triumph, BMW und Ducati. Änderungen am Fahrwerks-Setup zeigen spürbare Effekte, aber an den ultraweiten Einstellbereich der Multistrada kommen die WP-Dämpfer nicht heran.

Und motorisch? Der unbeugsame Vortriebsdrang des dicken V-Aggregats beeindruckt nach wie vor. Charakterlich sortiert er sich zwischen brachialem Boxer-Punch und unendlicher V4-Drehfreude ein. Harley und Triumph sehen dagegen in keiner Drehzahlregion Land. Der spontane, kompromisslose Antritt ist stärker, als das Leistungsdiagramm vermuten lässt, rappelige Laufkultur muss aber vor allem im unteren Drehzahlbereich hingenommen werden. Erlebniswert? Hoch. Zur universellen Brillanz fehlt der KTM aber das letzte Quäntchen Feinschliff.

Triumph Tiger 1200 GT Pro: Mehr Schwungmasse und Absenkautomatik

Apropos Feinschliff: Dachten Sie bis hierhin, dass das frischeste Motorrad im Vergleich aus München kommt? Think again! Tatsächlich gehört die Ehre der neuesten technischen Upgrades im Feld der erst im Mai behutsam modellgepflegten Triumph Tiger 1200 GT Pro. Zunächst haben die Briten am 1160-Kubik-Triple Hand angelegt. Mehr Schwungmasse soll für ein weicheres Anfahr- und Ansprechverhalten sorgen. Und damit der erste Gang sanfter flutscht, gibt es ein neues Kupplungsdesign. Triumph verspricht sich davon vor allem im untertourigen Offroadeinsatz Vorteile, da der Triple hier bisher zum Absterben neigte. Wir setzen es auf die Checkliste für die nächste Schotterfahrt. Bewusst unsanft belässt man hingegen den Puls des Reihendreiers.

Anstelle von klassischem 120-Grad-Triple-Takt kommt in der Tiger eine Kurbelwelle mit zweimal 90 und einmal 180 Grad Hubzapfenversatz zum Einsatz. Resultat: kernigerer und spürbar rumpeligerer Lauf für mehr Abenteurer-Feeling. Neben dem Motor-Feintuning spendiert Hinkley eine Absenkautomatik, genannt Active Preload Reduction, die Auf- und Abstiege erleichtert. Auf Knopfdruck geht es im Stand 20 Millimeter abwärts, kleinere Triumph-Freunde wird es freuen. Und damit es auch in Schräglage weiter runtergeht, versieht Triumph die Fußrasten mit kürzeren Angstnippeln. Zu guter Letzt zwei Komfort-Upgrades: stärker entkoppelte Lenker-Riser gegen Kribbelhände und eine flacher geformte Sitzbank – weiterhin zweifach zwischen 860 mm und 880 mm Sitzhöhe einstellbar. Reicht das, um die Lücke zur Holy-Enduro-Trinity (BMW, Ducati und KTM) zu schließen? Wir machen den Praxisversuch.

119 Nm und 145 PS aus mächtigem Dreizylinder

Können sich 119 Newtonmeter und 145 PS aus einem mächtigen Dreizylinder bei einem Motorrad, das vornehmlich zum Reisen konzipiert ist, tatsächlich unspektakulär anfühlen? Wir sind ehrlich: eigentlich nicht. Eigentlich. Hat man es sich zufällig davor für einige Kilometer auf den fahrbaren Boden-Boden-Raketen aus Mattighofen, Bologna und München bequem gemacht, sind ausgesprochen unvernünftige Verschiebungen in der persönlichen Beschleunigungswahrnehmung aber nur schwer vermeidbar. Keine Frage, der Schub der Tiger ist zu jeder Zeit mehr als adäquat. Aber er kickt nicht auf dieselbe Art und Weise in den Allerwertesten wie bei der im Grunde genommen überflüssig starken Festland-Elite. Und das ist okay. Keines der fünf Bikes hat legitimeren Anspruch darauf, sich in der Modellbezeichnung mit dem Titel Grand Tour zu schmücken. Soll es mal so richtig weit weggehen, mit endlosen Stunden im Sattel?

Hoher Reisekomfort mit der Triumph

Die überwältigende Mehrheit der Testcrew würde dafür ohne zu zögern zum Keyless-Transponder der Triumph greifen. Spätestens seit dem Athletiktraining der GS kann der Britin beim Thema Reisekomfort keiner das Wasser reichen. Die Ergonomie: tiefenentspannt. Der Sitzkomfort: flauschig. Die Dämpfung des semiaktiven Fahrwerks: je nach Einstellung komfortabel bis butterweich. Dabei opfert die Triumph aber nicht sämtliche Dynamikqualitäten. Zackig einlenken kann sie auch, wenngleich sie nicht so präzise, gleichmäßig und spielerisch den Kurs hält wie Ducati und BMW. Allerdings kostet die weiche Grundabstimmung Feedback, Bremsstabilität und in der Folge Selbstvertrauen. Spätestens wenn die gekürzten Schräglagenfühler an den Rasten das Limit signalisieren, lässt man es freiwillig gut sein, legt via cremig-leichtgängigem Schaltautomat einen höheren Gang ein und besinnt sich wieder darauf, entspannt die Reise zu genießen. Und was kostet die feine britische Art zu reisen? Vergleichsweise faire 21 080 Euro, Sonderfarbe und Kofferträger inklusive.

Ducati Multistrada V4 S überzeugt mit Ausstattung

Das Blatt hat sich gewendet: Lag die R 1300 GS im frühjährlichen Dreikampf mit Multi und KTM noch vorn, muss sie im Test-Quintett die Krone nach Bologna weiterreichen. Ausschlaggebend: die Ausstattung der Testmaschinen – ein Umstand, auf den die Redaktion kaum Einfluss hat. Ohne volles Ornat hat die BMW es schwer; Purismus wird in der Punktewertung gnadenlos abgestraft. Zudem zeigte sich die Ducati auf der sommerlichen Verbrauchsfahrt effizienter als zuvor. Einmal mehr wird deutlich, dass die 1.000-Punkte-Wertung zwar eine faire Benchmark, aber auch nur eine Momentaufnahme darstellt.

In jedem Fall zeigt sich, wie eng es ganz oben in der Motorrad-Nahrungskette zugeht. Bestes Beispiel: Harley Pan America. Sie leistet sich in keiner Kategorie einen Totalausfall, kann aber auch nirgendwo brillieren. Genug Fauxpas, um den Anschluss zu verlieren. Abseits von Punkten und Platzierungen gilt jedoch: Wichtiger als Erbsenzählerei sind die unvergesslichen Fahrerlebnisse, die man auf allen Großenduros haben kann, ganz nach persönlichem Gusto. Und überhaupt: Am Horizont zeichnen sich bereits Euro 5+, boomende Automatikgetriebe und neue Modellgenerationen ab. Spätestens dann werden die Karten ohnehin neu gemischt.