Schluss mit sanften Probefahrten und ersten Eindrücken, jetzt geht’s mit der BMW R 1300 GS ans Eingemachte. Design und Datenblätter wurden in den vergangenen Monaten zur Genüge diskutiert. Die erste Test-BMW R 1300 GS rollt ohne Umschweife in den Transporter, der sie zum MOTORRAD-Wintertestquartier bringt. Mit im Gepäck auch die "alte" R 1250 GS. Bevor es in den Klassenvergleich mit der direkten Konkurrenz geht, steht nämlich folgende Frage im Fokus: Wie groß ist der Schritt von der 1250er zur 1300er wirklich? Waage und Prüfstand, Fahrleistungs- und Bremsmessungen sowie der Handling-Test werden sie im direkten Vergleich kompromisslos beantworten.
BMW R 1300 GS weniger "Tanker" als Vorgängerin
Beginnen wir beim Gewicht, das laut BMW um ganze 12 Kilogramm geringer ausfallen soll als bisher. Schon beim Studieren der Eckdaten fiel aber auf, dass etwa der Hauptständer neuerdings nicht mehr Serie ist, ergo im Datenblatt abgezogen werden kann, und der Tank um einen Liter schrumpfte. Bedeutet in der Praxis? Dass die neue BMW R 1300 GS auch bei vergleichbarer Ausstattung etwas leichter ist als die Alte, allerdings nur marginal. 255 Kilogramm bei der BMW R 1300 GS zu 262 Kilogramm bei der zum Test gelieferten BMW R 1250 GS (Letztere mit Vollausstattung inklusive Zusatzscheinwerfern und Motorschutzbügeln) zeigt die Waage an. Das 2018 von uns getestete Exemplar brachte ohne dieses angeschraubte Extragewicht 258 Kilogramm auf die Waage – wir notieren also eine Einsparung von 3 Kilogramm.
Neue R 1300 GS um 30 mm absenkbar
Schon beim Rangieren in der Tiefgarage fühlt sich die Differenz aber größer an. Viel größer. Zum einen, weil die neue BMW R 1300 GS sich dafür um 30 Millimeter absenken lässt. Im Automatik-Modus fährt das Fahrwerk selbstständig ab 50 km/h wieder nach oben und beim Abbremsen auf Schritttempo erneut herunter. In den Enduro-Fahrmodi lässt es sich auch dauerhaft absenken, was die Sitzhöhe entsprechend reduziert. Eine Höhenverstellung der Sitzbank wie bei der 1250er gibt’s dafür nicht. Aber zurück zum Rangieren. Ein kleines Motorrad ist die BMW R 1300 GS freilich nicht, doch weniger Tanker als ihre Vorgängerin. Vor den blanken Ausmaßen der 1250 schreckte so mancher bislang sicher zurück, auch wenn sie ihre Pfunde während der Fahrt bekannt gut kaschiert.
Um herauszufinden, ob die neue BMW R 1300 GS ihre 255 Kilo in Bewegung noch besser überspielen kann, brechen wir frühmorgens auf. Mit der ersten Kurbelwellenumdrehung erwachen R 1250 GS und R 1300 GS. Die 1250er mit selbstinszenierendem, kernigem Gasstoß, die 1300er mit weniger sonorem Bass, dafür mechanisch rauerer Klangkulisse. Obwohl nun 90 dB(A) statt vorher 88 als Standgeräusch (also bei halber Nenndrehzahl) im Fahrzeugschein eingetragen sind, schont die BMW R 1300 GS beim lockeren Cruisen die Umwelt im Vergleich, wirkt weniger präsent. Der erste Gang rastet wie gehabt knochig ein – los geht’s.
BMW R 1300 GS auf dem Prüfstand
Mehr Power und mehr Drehmoment verspricht die BMW R 1300 GS. Beides bescheinigt ihr auch der MOTORRAD-Prüfstand. Plus 16 PS und plus 15 Newtonmeter. Wow. Das Testbike übertrifft damit sogar seine Werksangaben deutlich. Doch auf den ersten Kilometern über kleine Landsträßchen bleibt der Gewinn zunächst nicht spürbar. Beim Beschleunigen aus engen Kurven oder nach Ortsschildern tritt der 1250er subjektiv sogar beim Öffnen der Drosselklappen mächtiger an. Ein Nebeneffekt der etwas längeren Übersetzung der BMW R 1300 GS, die objektiv bei den folgenden Durchzugs- und Beschleunigungsmessungen trotzdem mindestens gleichauf liegt und aus der Mitte so mächtig andrückt wie nie zuvor.
Sie muss sich aber den Gesetzen der Physik beugen, genauer: dem nahenden Wheelie, und kann ihre Extra-Power deshalb erst ab gut 100 km/h wirklich ausspielen. Von hier bis 200 km/h erarbeitet sich die BMW R 1300 GS ein signifikantes Polster auf die 1250er, das ihr in der Endabrechnung alleine 3 Punkte sichert. Auf der Landstraße bleibt dieses Plus aber irrelevant. Hier zeigt sich vielmehr, dass die BMW R 1300 GS bessere Laufkultur zu bieten hat, sie entwickelt über das gesamte Drehzahlband weniger Vibrationen. Und auch, dass ihr Getriebe zäh bleibt. Zwar wurden die Schaltwege kürzer, doch es bleiben die erwähnt knochige Betätigung und der hohe Kraftaufwand im Schaltfuß.
Handling der neuen BMW R 1300 GS
Das Gegenteil beim Handling. "Zäh" wird beim flotten Wedeln auf dem Handling-Kurs zum Fremdwort. Mit ihrer spürbar aktiver gewordenen Ergonomie (Lenker tiefer, Kniewinkel spitzer) macht die BMW R 1300 GS Lust auf ambitioniertes Abwinkeln. Mangelndes Feedback über die Vorderradführung ist beim neuen Evo-Telelever kein Thema, das Gefühl klar und vor allem deutlich transparenter als bei der 1250er.
Auch die Bremse (jetzt Brembo-Zangen statt Hayes) wurde nochmals knackiger. Ihre Dosierung wäre auch etwas präziser, wäre da nicht eine Eigenheit des neuen Integralsystems. Weil die Bremskraft nun beim Betätigen der Hinterradbremse immer auch auf das Vorderrad wirkt, beeinflusst der Fußhebel den Druckpunkt im Handhebel – gewöhnungsbedürftig. Aufstellmoment beim Bremsen war dagegen schon bei der R 1250 GS kein großes Thema, bei der BMW R 1300 GS ist es fast vollkommen verschwunden. So schafft die BMW R 1300 GS auf der Handling-Strecke schnell Urvertrauen, an dem auch die Bereifung (Metzeler Tourance Next 2) nicht unbeteiligt ist.
Nach wenigen Kurven auf Betriebstemperatur finden die Pneus reichlich Grip und ermuntern, die üppige Schräglagenfreiheit der BMW R 1300 GS zu nutzen. Beim Beschleunigen baut sie auch dank der jetzt längeren Schwinge spürbar mehr Traktion auf als ihre Vorgängerin. Was auf trockener Fahrbahn deutlich ist, wird beim Nasstest eklatant. Der auf der 1250er serienmäßige Bridgestone A41 "G" hat hier Mühe, die Richtung zu halten. Anders als der Metzeler, der weiterhin gutes Feedback und mehr Haftung liefert. Auch deshalb liegen Agilität, Präzision und Stabilität bei der BMW R 1300 GS auf einem neuen GS-Niveau.
Deutlich aktivere Ergonomie, weniger sanft
Nicht aber der Komfort. Wie erwähnt fällt die Ergonomie des Testbikes deutlich aktiver aus (unterschiedliche Optionen von Sitzbank, Lenker und Rasten ermöglichen es aber, das Sitzdreieck der 1250er in die 1300er zu konfigurieren). Die Komfort-Sitzbank der BMW R 1300 GS ist zudem straff gepolstert. Nicht unkomfortabel, aber weniger sanft gebettet fällt das mit fortlaufender Testdauer stärker ins Gewicht. In zweiter Reihe noch mehr. War der Soziusplatz bislang ein Sofa, schrumpft er nun auf Küchenstuhl-Format. Schmales, nach hinten zulaufendes Polster, immerhin beheizt. Wenn man vorrangig zu zweit unterwegs ist, ein Minuspunkt im Vergleich zur 1250er. Doch der Komfort bleibt bei der BMW R 1300 GS nicht vollkommen auf der Strecke. Der Windschutz wurde besser, die optional elektrisch verstellbare Scheibe selbst verzerrt die Sicht nicht mehr unangenehm und die Handprotektoren leiten den Fahrtwind effektiver an den Händen vorbei als zuvor.
Weiter geht’s mit der BMW R 1300 GS zur Buckelpiste. Fiese Asphaltrisse und Bodenwellen bei rund 100 km/h machen der R 1300 GS nichts aus. Das Ansprechverhalten des Fahrwerks verdient das Prädikat "brillant", besonders das Vorderrad rollt im Fahrwerksmodus "Road" (er verwendet die niedrige Federrate des neuen SAF-Next-Fahrwerks) locker über sie hinweg und auch hinten gelangen keine harten Schläge in die Bandscheiben. Wechselt man auf das "Dynamic"-Setting mit härterer Federrate und justiert die Dämpfung straff, wird das Gefühl sportlich direkt. Dank der Federratenanpassung, sie funktioniert über eine Gasfeder in einem Ausgleichsbehälter des Federbeins, die elektronisch zugeschaltet oder umgangen werden kann, arbeiten die Fahrwerksmodi noch harmonischer als bisher. In Richtung Komfort verlor die BMW R 1300 GS aber. Auf schlechtem Terrain sticht die 1250er, schwebt im weichen Setting über Berge und Schluchten im Asphaltband hinweg. Im Dynamic-Modus fällt bei ihr wiederum auf, dass die Erhöhung der Dämpfung allein ein nicht so knackiges Feeling gibt.
Komfort auf Schlechtweg-Strecken
Wo wir gerade auf der Buckelpiste sind: Auch der Feinschliff an den Assistenzsystemen wird bei den Bremsmessungen unter widrigen Bedingungen sichtbar. Die Vollintegralbremse der BMW R 1300 GS ermöglicht in Verbindung mit dem spät und fein regelnden ABS grandiose Verzögerungswerte. Die ebenfalls gut stoppende 1250er kann hier nicht mithalten, was auf nasser Fahrbahn zum Teil auf den weniger griffigen Reifen zurückzuführen ist. Und auch beim Beschleunigen trägt die BMW R 1300 GS ihren Anspruch an die Sportlichkeit vor. Ihre Traktionskontrolle lässt schon im Road-Modus leichten Schlupf am Hinterrad zu, bevor sie das Heck zuverlässig einfängt. Eine konsequentere Reglementierung des Schubs, bevor die Haftung abreißt, wäre fürs lockere Touren wünschenswert. Sportlich ambitionierte Fahrer freuen sich dagegen über diese Auslegung.
Bedienung logisch, aber gewöhnungsbedürftig
Wer es weniger sportlich mag, wechselt im Menü auf den Modus "Rain" oder konfiguriert den (aufpreispflichtigen) "Dynamic Pro" selbst auf moderat. Die Navigation durch das bestens ablesbare 6,5-Zoll-TFT-Cockpit bleibt intuitiv, nur die neue Multifunktionswippe auf der linken Lenkerseite birgt anfangs Verwirrungspotenzial. Das Prinzip ist simpel: Gewünschte Funktion, zum Beispiel Höhenverstellung der Scheibe oder Einstellung der Griff- und Sitzheizung, auswählen und dann per Wippe justieren. Die zweite Funktion lässt sich zusätzlich durch längeres Betätigen der Auswahltaste über der Wippe aktivieren. Und hier wird’s in der Praxis tricky. Ein Beispiel: Wippe nach oben – Scheibe hoch, Wippe nach unten – Scheibe runter. Auswahltaste halten, dann Wippe nach oben – Griffheizung an, Stufe drei. Noch mal kurz nach oben – Griffheizung Stufe zwei. Jetzt kurz nach unten – Sitzheizung an, Stufe drei. Schon verwirrt? Bei genauer Betrachtung ist die Bedienung logisch, während der Fahrt mit der BMW R 1300 GS gibt’s zu Beginn immer wieder kleine Knoten in den Gehirnwindungen des Bedieners.
Die Benutzerfreundlichkeit der GS aber steigt insgesamt mit der BMW R 1300 GS. Zum Beispiel durch das praktische und große Fach auf dem Tank, in das auch große Smartphones locker hineinpassen. Oder durch die elektronische Zentralverriegelung des optionalen Koffersystems. Kleinigkeiten, die einem das Leben im Alltag und auf Tour leichter machen. Nicht zu vergessen, die erwähnte Höhenanpassung des Fahrwerks und der Abstandsregeltempomat mit Totwinkelwarner. Dessen Abstandsregulierung funktioniert ebenfalls über die Multifunktionswippe. Und spätestens bei der ersten Nachtfahrt werden auch die Design-Kritiker vom "Headlight Pro" (im Innovationspaket enthalten) des Matrix-LED-Scheinwerfers überzeugt sein. Es erhellt die Fahrbahn stärker als das 1250er-Licht, der Lichtkegel ist sehr breit. Bei Fernlicht wird die Nacht sogar zum Tag – Wahnsinn.
Zurück im Basislager werfen wir noch einen Blick unter die Sitzbank. Bordwerkzeug? Nein. "Eine GS geht nicht kaputt", wird man in München jetzt sagen, also weiter zur Auswertung der Verbrauchsmessungen. Der 1300er-Boxer genehmigt sich auf der Landstraße ein Gläschen mehr Benzin pro 100 Kilometer, bei Tempo 130 dank längerer Übersetzung dafür einen Schluck weniger. Angesichts der deutlich gestiegenen Power nicht überraschend und im Klassenvergleich wird die BMW R 1300 GS noch immer als sparsam durchgehen. Apropos Klassenvergleich: Ducati Multistrada V4 S Grand Tour und KTM 1290 Super Adventure S haben ebenfalls das Testcamp erreicht. In MOTORRAD Ausgabe 2/2024 (ab 5. Januar 2024 hier erhältlich) geht’s um nicht weniger als die Reiseenduro-Krone. Es bleibt spannend.
BMW R 1300 GS (2024) | |
Motor | 2, Boxermotor |
Leistung | 106,0 kW / 144,0 PS bei 7.750 U/min |
Hubraum | 1300 cm³ |
Sitzhöhe | 850 mm |
Sitzhöhe von/bis | 820 mm / 850 mm |
Grundpreis | 19.880 € |