Der Fahrplan: Start mit 4 neuen BMW R1300 GS auf Meereshöhe in Bahía Inglesa um 15:00 Uhr, direkter Aufstieg nach Laguna Verde über die Ruta 31. Am Morgen darauf um 8:00 Uhr die Nordflanke hoch – mit dem festen Ziel 6000+ bis spätestens 15 Uhr am Tag darauf.
Die Idee: 0–6000, vom Pazifik auf den Vulkan
Ideengeber hinter diesem Abenteuer mit der neuen BMW R 1300 GS war MOTORRAD-Cheftester Karsten Schwers, der seine Gedanken zu diesem Projekt schon vor Jahren platzierte, was in der ersten Chile-Expedition 2017 mit einer Honda Africa Twin mündete. Der Plan fußt auf Erfahrung und Realitätssinn: Eine große, absolut serienmäßige Zweizylinder-Enduro, ohne spezielle Sandreifen, kann hier nicht den maximalen Höhenrekord brechen. Den hält seit 2021 ein Schweizer Kraxler mit einer 450er-Sportenduro und beachtlichen 6.646 Metern.
Motivierte Nachahmer sollten sich im wahrsten Sinne des Wortes warm anziehen, wochen- oder gar monatelang vor Ort jeden Stein umdrehen und bei besten Wetterbedingungen eine neue Spur suchen. Für unsere 4er-Bande heißt es im November 2023: Von 0 – 6.000 Höhenmeter in unter 24 Stunden, mit Serienmaterial und einer einzigen Tankfüllung!

In 380 Kilometer 6.000 Höhenmeter erklimmen
Die Grafik (oben) veranschaulicht sehr deutlich, wie der Anstieg von Meereshöhe bis zum Vulkangipfel für die neue BMW R 1300 GS erfolgen soll: Erst sehr langsam, dann beständig steil bis über 4.000 Meter, dann direkt den Vulkan hoch. Der Körper muss mit einer längeren Akklimatisierung auf diesen Anstieg vorbereitet sein. Dazu die Klimawechsel, von feucht-warmer pazifischer Meereslage in die trockene Atacama-Wüste, um dann hochalpin bei Minusgraden zu übernachten.
Spannend ist auch der kulturelle Wechsel: Um 15:00 Uhr erfolgt der Start in Bahía Inglesa, einem belebten Badeort, am Strand, danach huscht mit Copiapó eine Bergbaustadt vorbei, gefolgt von Wüsten, riesigen Minen und Oasen. Schließlich taucht eine Grenzstation auf, die 120 Kilometer von der eigentlichen Grenze entfernt liegt. Wer keinen Stempel benötigt, öffnet und schließt die Kette selbst.
Erkundungstag bis zur Schlüsselstelle
Grauer Lavasand, dunkle Gesteinsformationen in rund, eckig und scharfkantig. Sauber durchmischt von putzig klein bis XXL-Format. Eis -und Schneefelder gesellen sich dazu. Wir sind mittendrin im "Rocky Channel" – einer felsigen Rinne exakt an der Nordflanke des Vulkans. Die klassische Schlüsselstelle für jeden, der mit einem Fahrzeug an der 6.000er-Höhenmarke kratzt. Vereinfacht ausgedrückt: Bis 5.900 Meter kraxelt ein stabil und gut gemachtes 4x4-Offroad-Auto ohne nennenswerte Probleme – dann ist schlagartig Schluss. Von unten gut sichtbar ist ein einzelner, eckiger, riesiger Felsbrocken in der Rinne. Wer daran vorbeikommt, knackt die 6.000er-Marke definitiv, selbst mit einem Serienmotorrad und Serienreifen.
So fühlt man sich auf 6.000 Meter
Wer auf 6.000 Metern Höhe am Berg steht, spürt unweigerlich, was für eine wurmhafte Kleinigkeit der Mensch doch gegenüber der mächtigen Natur darstellt. Kurz bücken und schnell hochkommen? Schlechte Idee! Sofort meldet sich der Kopf als schwindlig gewordene Warnlampe. Gemächliche Bewegungen sind ratsam. Und trotzdem keucht die Lunge wie bei einem Hobbyradler, der die Tour de France kapert. Genug für heute! Zurück ins Basislager, auf einen warmen Tee und ordentliches Essen. Erkenntnisse gibt es genug, jetzt braucht es einen sauberen Plan für das Abenteuer 0–6.000 Meter innerhalb von 24 Stunden!
Basislager Laguna Verde auf rund 4.400 Meter
Das Basislager Laguna Verde ist ein magischer Ort. Europäisch urban versaute Gemüter können sich nicht satt genießen an menschenleerer Landschaft, beruhigender Landschaftsschönheit, faszinierendem Sternenhimmel und einem kuriosen, warmen Naturplanschbecken in einer rustikalen Wellblechhütte. Auf nicht ganz 4.400 Meter Höhe bietet es eine gute Basis: Wer es bis hier gesundheitlich in Etappen hoch schafft, kann sich, wie die meisten Bergwanderer, langsam bis zum Gipfel des Ojos robben. Nebenbei bemerkt: Es ist Hochsaison, weil Sommer auf der Südhalbkugel, und auf der direkt hinter dem Basislager gelegenen "Hauptverbindungsstraße" zwischen Chile und Argentinien fahren gefühlt 3 Autos am Tag.
Ausfälle wegen Höhenkrankheit
Schweift der Blick über die Lagunenbucht, – einem der "Salzaugen", die dem Vulkan den Namen geben – fällt auf, welche Wagenburg Metzeler hier an den Berg nach Chile bringt. Der Aufwand, solch eine Expedition zu starten, ist gewaltig. Über 20 Menschen in diesem Expeditionstross, bei dem möglichst niemand ausfallen sollte. Trotzdem erwischte es 2, die mit der Höhe nicht zurechtkamen. Beide mussten vor dem eigentlichen Start den Weg talwärts zurück antreten.
Nicht von 0 auf 100 starten
Um noch eine Einordnung bezüglich der Herausforderungen beim Vulkanaufstieg zu geben: Für eine Höhe von 5.000 Meter sollten grob 2 Wochen Akklimatisierung eingeplant werden. Möglichst schrittweise, so, wie es hier lief: eine Nacht auf 2.500, dann zwei Nächte auf 3.500, dann weiter auf 4.500 Meter. Kein Alkohol, kein Kaffee, so viel Wasser trinken wie möglich. Viel Essen und Erholung. Nichtraucher und Sportler im Vorteil – allerdings ohne Gesundheitsgarantie. Über 5.500 Meter kann sich der Körper nicht mehr weiter anpassen, da zehrt er aus. Deshalb sind auch die Basislager der allerhöchsten Berge immer unterhalb von 5500 Metern. Über 7.500 Meter überlebt der menschliche Organismus keine 48 Stunden. Es muss wieder nach unten gehen, sonst drohen langfristige Schäden an Lunge und Hirn, bis zum Tod.
Zurück ans Meer, dann auf den Vulkan
Aber eine sehr positive Langzeitwirkung sollte nicht unerwähnt bleiben: Höhe macht ruhig, süchtig und glücklich. Die Abfahrt Richtung Meer gleicht fast einer Spazierfahrt. Vorbei an endloser Weite und riesigen Minen kehrt mit Copiapó und der Atacama-Wüste die Hitze wieder zurück. Weiter Richtung Meer und zurück im Trubel eines Badeortes. Motorräder randvoll tanken, nochmals ausgiebig duschen. Dann kann es losgehen.
Noch einmal schlafen
Die 4 BMW R 1300 GS schnurren über die Ruta 31. Ankunft im Basislager bei Tageslicht. Die Fahrer haben sich gut akklimatisiert, läuft bisher alles wie am Schnürchen. Jetzt heißt es schlafen, fit machen und morgens wieder los. Allerdings nicht zu früh, denn die Minusgrade in der Nacht stressen auf dem Motorrad. Die wärmende Sonne am Morgen hilft, alles etwas durchzuwärmen. In der Mannschaft steigt die Anspannung. Gelingt ein sauberer Aufstieg?
Schon die ersten Sandfelder sind nicht ohne. Zwischen der Atacama und der Tejos-Hütte liegt eine richtig fiese Passage. Es gilt: Vor den aufgereihten Bergsteigerzelten Schwung holen und den nicht mehr verlieren. Körperschwerpunkt nach hinten, Blick weit nach vorn. Der BMW R 1300 GS gehen am Berg wegen des geringen Sauerstoffgehaltes 30 bis 40 Prozent Leistung verloren. Aber die Power reicht. Die Kunst besteht darin, im Sand durchzupflügen, den Steinen auszuweichen. Wenn es klappt, läuft alles easy, wenn nicht, wartet ein ewiger Albtraum auf über 5.500 Meter Höhe. Die Lunge leistet Schwerstarbeit, rasselt am Limit. Trinken! Erste große Hürde geschafft! Das Quartett erreicht 5.900 Meter. Durchschnaufen. Blick nach oben. Rocky Channel.
Enduromeister tanzt auf dem Vulkan
Jetzt kommt der große Moment von Michele Pradelli, R-1300-GS-Fahrer Nummer 4. Der ruhige Italiener sammelt seit früher Jugend Meisterschaften und Pokale. Anfänglich im Trialsport, jetzt bei Rallyes und Extremenduro-Events. Er ballert los, lässt das Gas am Boxer stehen, arbeitet mit dem ganzen Körper. Sand und Steine spritzen zur Seite, nichts hält ihn auf. Er meistert die engste Kurve der Schlüsselstelle, findet noch eine Linie, klettert immer weiter. Scheint unbesiegbar – bis die GS fliegt. Und er auch. Getrennt, aber unkaputtbar. Michele beherrscht es, unversehrt zu landen. Nahezu im Alleingang knackt er die magische Marke von über 6.000 Metern. 6.026, um präzise zu sein. Es ginge noch weiter, aber das war nicht der Plan. Fini. Die anderen rücken nach, Kräfte schwinden, Motorräder fallen, die Sherpas retten und helfen. Sauerstoff kreist wie ein Joint. Es ist vollbracht.
Wie MOTORRAD-Tester Karsten Schwers die Challenge persönlich erlebt hat, und jede Menge interessante Anekdoten, erfahrt ihr im Video (ganz oben).