»Bei den Japanern wäre so etwas streng verboten«, flüstert Masanori Hiraide hinter vorgehaltener Hand, als wenn er glücklich wäre, ohne Harakiri den Klauen seines ehemaligen Arbeitgebers Yamaha entronnen zu sein. Richtig ist sicherlich, daß die Zwänge eines Großkonzerns die Kreativität der Designer stark beschneiden. Nun jedoch kann sich Masanori nach Herzenslust austoben, bei seinem neuen Arbeitgeber MuZ wird ihm jeder Wunsch von den Lippen abgelesen - beinahe jedenfalls.
Daß bei MuZ plötzlich Kreativität und Phantasie eingezogen sind, ist der »zweiten Wende« zu verdanken. Nachdem der erste Versuch, mit biederen Motorrädern an alte DDR-Tradition anzuknüpfen, gründlich in die Hose ging, hat die Übernahme durch Hong-Leong (siehe Kasten Seite 40) ungeahnte Perspektiven eröffnet. Nun will MuZ die Imagewende mit peppigen Nischen-Motorrädern einläuten.
Dabei hatte es die deutlich geschrumpfte, aber hochmotivierte MuZ-Mannschaft ausgesprochen eilig. In nur sieben Monaten wurden die beiden neuen Modelle von der ersten Skizze bis zu den Prototypen aus dem Boden gestampft. Die Mühen haben sich gelohnt. Die in Sachen MuZ eher skeptische Fachpresse rieb sich erstaunt die Augen, als in der Abgeschiedenheit spanischer Berglandschaften zwei wirklich originelle Prototypen präsentiert wurden.
Die Basis, der bewährte Fünfventil-Einzylinder der Yamaha XTZ 660, ist MuZ-Fahrern aus der Skorpion bekannt. Dank freier Atemwege sollen ihm jetzt 50 PS entlockt werden, zwei mehr als in der Skorpion. Trotz fülliger Drehmomentkurve wirkt er allerdings weniger spritzig als mancher Konkurrent, was zum Teil an den zögerlich ansprechenden Gleichdruckvergasern liegt. Der schwergängige Gasgriff trägt ebenfalls nicht gerade zu einem Gefühl von Leichtigkeit bei. Drehzahlorgien scheut der wassergekühlte Yamaha-Mono, urplötzlich mahnt der Begrenzer zur Besonnenheit, trotzdem kann das gleichmäßig und ruckfrei aus niedrigen Drehzahlen durchziehende Triebwerk insgesamt überzeugen. Schade nur, daß die unterdimensionierte Kupplung so viel Handkraft erfordert.
Außer dem Motor sind auch Rahmen und Ausstattung beider MuZ in vielen Teilen identisch. Ganz unterschiedlich ist aber die Zielrichtung. Spektakulärer ist zweifelsohne das Funbike Mastiff , benannt nach dem martialisch dreinschauenden, vom Naturell her aber gutmütigen Kampfhund. Der Name scheint Programm zu sein, wie des Mastiffs Kern ist auch das Funbike vom Wesen eher sanft, vergleicht man die MuZ mit der aggressiveren KTM Duke. In Sachen Publikumswirksamkeit steht die bullige Mastiff der hornissenartigen Duke aber in keiner Weise nach, die kleinen, freistehenden Doppelscheinwerfer erinnern an einen aggressiven Streetfighter. Gewöhnen muß der Betrachter sich an die dominante Linie der über dem Lenker in den Tank hineinlaufenden Rohrbügel. Mutige Stilelemente, die polarisieren und reichlich Stoff für Diskussionen bieten.
Über Geschmack läßt sich bekanntermaßen trefflich streiten, daher hier lieber Fakten: Schon auf den ersten Metern fällt die direkte Lenkung auf. Spielerisch wirft sich das Funbike in Schräglage, ohne aber übertrieben nervös zu wirken. Bedenken in Sachen Geradeauslauf werden schnell zerstreut: Selbst auf mutwillige Provokationen am Lenker bei Tacho 150 reagiert die Mastiff ohne Pendeltendenzen, in stoischer Ruhe zieht sie ihre Bahn. Allenfalls in welligen Kurven sind leichte Schlangenlinien zu notieren, hier fordert die breite Bereifung ihren Tribut.
Daß die Fahrwerksauslegung für den Straßenbetrieb so gut paßt, ist kein Zufall. Im letzten Augenblick hat sich die MuZ-Abteilung um den ehemaligen Enduro-Weltmeister Mike Heydenreich und Versuchsleiter Rainer Reuter entschieden, den Rahmen der Enduro für das Funbike zu modifizieren, und das war ein guter Entschluß. Der Lenkkopfwinkel wurde um zwei Grad steiler angesetzt, Schwinge und Radstand verkürzt.
Obwohl der einzig existierenden Prototyp extrem vorsichtigen Umgang gebot, fiel die nicht allzu hohe Schräglagenfreiheit des Funbikes auf. Zwar setzen die wegklappenden Fußrasten nicht gefährlich auf, doch hat man Mühe, die Stiefel so zu verstauen, daß sie nicht binnen kurzer Zeit durchgeschliffen sind. Wie es um die Bodenfreiheit im Zwei-Personen-Betrieb bestellt ist, wird der erste Test zeigen.
Damit hat die hochbeinige, ebenfalls recht ungewöhnlich gezeichnete Enduro »Baghira« - benannt nach dem Panther in Disneys »Dschungelbuch« - kein Problem. Sie peilt das sportlich orientierte Marktsegment zwischen Soft- und Hard-Enduro an, das zur Zeit nur durch wenige Modelle à la Suzuki DR 650 oder Yamaha TT 600 E besetzt ist. Sportlich straff ist daher das Fahrwerk abgestimmt, im Gelände tendiert es jedoch schon zur vielzitierten »gesunden Härte«. Das Federbein von Technoflex, das in der Serie wohl noch einem anderen Produkt weichen wird, bietet derart viele Einstellmöglichkeiten, daß eine optimale Einstellung während der Präsentation nicht ausgetüftelt werden konnte. Zumal die MuZler selbst nicht wußten, welches Einstellschräubchen wofür zuständig ist. Sportiven Off Road-Ambitionen sind durch das hohe Gewicht und den zahmen Motor aber ohnehin Grenzen gesetzt. Eine etwas weichere Auslegung von Federung und Dämpfung käme daher den Ansprüchen der Zielgruppe wohl näher.
Zugute halten muß man der MuZ-Enduro allerdings, daß der Prototyp auf der Straße einen wirklich hervorragenden Eindruck hinterläßt. Anders als weich ausgelegte Japan-Enduros wirkt die Baghira überhaupt nicht schwammig, das tiefe Eintauchen beim Bremsen ist ihr vollkommen fremd. Sehr präzise und ohne jegliches Hochgeschwindigkeitspendeln zieht die Nahost-Enduro ihre Bahn.
Wie beim Funbike wird das Vergnügen durch die extrem weiche und im vorderen Bereich zu flache Sitzbank stark gedämpft. Die Spritzform war nicht rechtzeitig fertig geworden, so daß kurzerhand ein Schaumkern von Hand geschnitzt werden mußte. Handgearbeitet, formal aber bereits im Serientrimm, sind auch sämtliche Kunststoffteile. Die Laminate werden in der Serie durch Spritzteile ersetzt, bei der Enduro durchgefärbt, beim Funbike lackiert.
Weiteres wird sich bis zur Auslieferung einer ersten Serie für die Händler Ende April noch ändern: Die Farbgebung ist im Detail noch nicht endgültig, beispielsweise sollen die Cockpit-Rohrbügel der Mastiff aus blankem Aluminium gefertigt sein, die hinteren werden verchromt. Glänzen soll auch die komplette Auspuffanlage, die aus hochwertigem Edelstahl angefertigt wird. Gußräder will der Designer bei der Mastiff im Serientrimm sehen, die schönen Speichenräder soll es nur gegen Aufpreis geben. Apropos Preis, der soll bei beiden Modellen zwischen 11 500 und 12 000 Mark liegen. Für´s Funbike, das sich allein an der deutlich darüber angesiedelten Duke orientieren muß, recht günstig. Wenn die Serienmaschinen, die ab Mitte Mai ausgelöiefert wefrden sollen, den präsentierten Prototypen entsprechen und einige Kleinigkeiten noch modifiziert werden, gibt es keinen Grund, die Euphorie der MuZ-Mannschaft zu dämpfen.
Zur Situation bei MuZ - Froher Osten
Als Hersteller ausgewachsener Motorräder war MuZ in den neuen Bundesländern einzigartig. Jetzt ist MuZ eine von 200 Abteilungen - und viel besser dran. Trotz Bankbürgschaften aus Bonn und Dresden war es der Firma und ihrem Geschäftsführer Petr-Karel Korous nämlich nicht gelungen, mit Skorpion, Silver Star und Co in die schwarzen Zahlen zu fahren. Resultat: Im Sommer vergangenen Jahres mußten die Sachsen Konkurs anmelden. Doch wenige Wochen später hatten sie einen Übernahmevertrag mit dem hierzulande wenig bekannten Hong Leong-Konzern aus Malaysia unter Dach und Fach, im September 1996 gründete sich die Firma neu, und mittlerweile sind in den Hallen des Zschopauer Vororts Hohndorf wieder rund 130 Mitarbeiter tätig. »Hong Leong ist ein riesiger Mischkonzern«, erklärt MuZ-Pressesprecher Michael Kleymann, »mit einigen der bedeutendsten asiatischen Banken, Industrie-Aktivitäten in Asien, Europa und Amerika, mit Zeitungen und Zeitschriften.« Es muß noch weitere Tätigkeitsfelder geben, denn weltweit schaffen rund 40000 Menschen bei mehr als 200 Gesellschaften für die Malaysier. Einige dienen in den noblen Hyatt-Hotels, andere schrauben in eher unbekannten Motorradfabriken im Stammland oder in Vietnam und China. Die Stückzahlen sind jedoch beachtlich: Mit 300000 Einheiten liegt Hong Leong als Produzent kleinvolumiger Krafträder - mal abgesehen von Piaggio - weit jenseits europäischer Maßstäbe. Als Beweis schierer Größe mag zudem gelten, daß der verantwortliche Manager, Ron Lim, 49, längst nicht zum engsten Kreis der Konzern-Führungsriege zählt. Der Bereich Motorräder rangiert nämlich unter Industrie-Aktivitäten und startete 1979 mit ersten Lizenz-Nachbauten von Yamaha-Modellen. Später kamen einige Honda-Typen hinzu und - strategisch sehr wichtig - ein Joint-venture mit Maos Erben. Der Umweg über die Fabrik in China erlaubt Hong Leong nun trotz eng gefaßter Lizenz-Verträge mit den Japanern, eigene Produkte in den Export zu schicken. Doch Ron Lim, global denkend, scheute wohl ein Einbahn-Verhältnis und erkor deshalb MuZ zum Brückenkopf: Die Sachsen werden in die Qualitätskontrolle für alle Importe aus Asien eingebunden und liefern Ideen, gleichzeitig möchte Hong Leong von Sachsen aus in den Motorradbau einsteigen. Michael Kleymann: »Wir haben definitiv den Auftrag, einen eigenen Zweizylinder zu entwickeln. Außerdem werden wir so schnell wie möglich mit einem 125er Roller und mit der 125er Bantam kommen.« Wie die bestehenden MuZ-Modelle mit dem Yamaha-Fünfventiler sollen diese Neuentwicklungen dann auch in den Export nach Asien oder sonstwo gehen: »Überall, wo sich ein für uns sinnvolles Vertriebsnetz installieren läßt, wo Interesse an einem europäischen Produkt besteht.« So darf wohl schon der erfolgreiche Einsatz zweier Werksrenner in Daytona als stratgisch geplant gelten. »Natürlich«, entgegnet der MuZ-Sprecher, »aber mit aller Vorsicht und wirklich sehr langfristig angelegten Zielen.« Immerhin verdeutlichen bereits die neue Enduro und das Funbike, wo die MuZ-Geschäftsführer - das sind gleichrangig Ron Lim, der alle paar Wochen in Zschopau logiert, und Petr-Karel Korous, der häufig nach Malaysia jettet - ihre Chance wittern: als Nischenhersteller mit ebenso eigenwilligen wie eigenständigen Produkten. Der Mann, der für deren Stil bürgt, heißt Masanori Hiraide, ist Designer und kann trotz seiner gerade mal 28 Jahre schon auf Erfahrungen mit diversen Yamaha-Produkten verweisen. Weil in Europa mutigere Entwürfe möglich seien, verließ er sein Mutterland, heuerte im vergangenen Mai bei MuZ an und erfreut sich mittlerweile deutsch-malaysischen Wohlwollens. Die Fotos auf dieser Doppelseite belegen es: Vom ersten Entwurf ziehen sich seine mutigen Linien mit dem angedeuteten Überrollbügel bis hin zum fertigen Produkt. »Der hohe Kühler legte diese Lösung nahe«, begründet er und verweist auf den gewollten Nebeneffekt: »Darüber reden die Leute, das finden sie interessant. Oder auch lustig.« Mit Lust in die Nische also, man darf wieder gespannt sein.