KTM 790 Duke Adventure R im Härtetest

KTM 790 Duke Adventure R im Intensivtest
Ist sie die offroad-taufglichste Reiseenduro?

Veröffentlicht am 31.12.2020
 KTM 790 Adventure R
Foto: KTM

Freitagmittag in Ursensollen, 40 Kilometer östlich von Nürnberg: Sitz von KTM Deutschland. "Mach dir keine Sorgen, wir haben das Motorrad für diesen Anlass extra gut versichert." Nachdem im Vorfeld schon der Begriff "Bergung" gefallen ist, bewirken die beruhigend gemeinten Worte, mit denen ich den Schlüssel zur KTM 790 Adventure R bekomme, eher das Gegenteil. Aber der Plan steht: zweieinhalb Fahrtage Schweinsgalopp bis kurz vor Sarajevo. Kleinste Sträßchen, Autobahn minimieren, Offroad maximieren – durch Slowenien, Kroatien und den Westen Bosniens lockt der Transeuro-Trail mit viel Schotter und leichtem Gelände. Vor Ort in Bjelasnica, bei der KTM Adventure Rally, umbereifen auf Conti TKC 80, drei Tage härteres Terrain, danach 1.100 Kilometer möglichst zügig zurück. Adventure-Riding heißt das Neudeutsch – der ideale Anlass, die 790 Adventure R in ihrem Element zu testen. Ein hochverdichteter Intensivtest also.

Den kompletten Intensivtest der KTM 790 Duke Adventure R in ausführlicher Beschreibung, inkl. des KTM Adventure Rally Berichts, gibt es als PDF zum Download.

Beim Gepäck beschränke ich mich auf das Wesentliche, solo und ohne Campingausrüstung besteht kein Anlass für ausladende, schwere Koffer. Also findet allein die Gepäckrolle bombenfesten Halt auf dem an der KTM 790 Adventure R verbliebenen Topcase-Träger. Tipp: ROK-Straps haben sich dazu bewährt. Auch als Navilösung soll das kleine Besteck reichen: Smartphone im Hardcase mit Offline-Karten und spezieller Offroad-Navigationssoftware. Die "KTM My Ride"-Navigations-App (8,99 Euro), die sich per Bluetooth mit dem TFT-Display des Motorrads koppeln lässt, deckt Alltag und Nachhausekommen durchaus zufriedenstellend ab, reicht für ernsthafte Aufgaben wie diese aber nicht. Zwölf Volt für den USB-Adapter finden sich im Cockpit serienmäßig, und damit klack, zisch und weg.

Schon vor dem Ortsausgangsschild Ursensollen ist klar: Die für ein "Abenteuermotorrad" ausgesprochen zugängliche, niedrige Ergonomie, der große Bonus der zivileren Nicht-R, geht der KTM 790 Adventure R mit 880 Millimeter Sitzhöhe ab. Grund dafür sind die langen Federwege (240 Millimeter vorne und hinten, ein Plus von 40 zur Basis) sowie die durchgehende Sitzbank. Das Alleinstellungsmerkmal der 790 als Reiseenduro auch für kleinere Fahrer*innen ist somit dahin. Der Gewinn: ein deutlich offenerer Kniewinkel, mehr Bewegungsfreiheit und natürlich viel höhere Reserven im Gelände. Was sich später zeigen wird.

KTM 790 Duke Cockpit
KTM

Eher sprudelnd und drehfreudig als satt

Zunächst aber vermittelt die KTM 790 Adventure R im Bayerischen Wald nicht "ready to race" sondern Freude am Fahren. Bekanntlich rackert KTMs 790er-Reihenzweizylinder auch in der 95-PS-Ausbaustufe, wie sie in beiden Adventure-Modellen gleichermaßen Verwendung findet, eher sprudelnd und drehfreudig als satt. Ein überaus warmblütiger, lebendiger Antrieb, der in Sachen Leistung ein gutes Maß findet. Schön: moderates Vibrationsaufkommen, akkurate Gasannahme, insgesamt sehr akzeptable Manieren. Zusammen mit dem wunderbaren Quickshifter/Blipper, der die Gänge ruckfrei jongliert, und vor allem dem angenehm geringen Gewicht von 215 Kilo ist für Fahrspaß jedenfalls bestens gesorgt. Die 790 R macht richtig Laune. Konstantfahrruckeln? Für mich nicht auffällig. Beim Streckemachen auf Asphalt allerdings bringt die R-Gonomie Nachteile: Für meine gut 1,70 Meter liegt der Lenker zu hoch. Das Schwestermodell positioniert im Sitzen auf Dauer angenehmer. Es vermittelt auch das bodenständigere, asphaltverbundenere Fahrgefühl.

Es ist heiß und trocken. Bedingungen, unter denen die Erstbereifung Metzeler Karoo 3 überzeugt: Für einen Mischreifen ist die Haftung einwandfrei, gar reichlich. Das Einlenken erfolgt angenehm neutral und gleichmäßig, sogar Rückmeldung existiert. Allein mit dem enorm lauten Abrollgeräusch muss man leben.

KTM 790 Adventure R verbraucht 4,3 Liter

Nach rund 300 Kilometern erreichen wir die österreichische Grenze. Zeit für einen vorsorglichen Tankstopp, bei dem der 790er erneut seine zurückhaltenden Trinksitten dokumentiert. Keine 14 Liter passen in den tief nach vorne und unten gezogenen, optisch noch immer gewöhnungsbedürftigen Tank der KTM 790 Adventure R. Macht im Schnitt 4,3 Liter bei nicht gerade sparbetonter Fahrt.

Die Zeit drängt, also Autobahn durch die Alpenrepublik. Auch hier gibt sich die KTM 790 Adventure R als maßvoll reduziert, die für ein Motorrad dieser Kategorie schlanke Bauweise stellt Komfort hintenan, vergisst ihn aber nicht. Kaum überragend, doch akzeptabel der Windschutz, auch in der höheren Position der mittels zentraler Schraube verstellbaren Scheibe. Auch die Sitzbank verlangt zumutbare Zugeständnisse. Die Polsterung wirkt zuerst spartanisch, hat nach langen Stunden aber Vorteile. Zugestanden, diese Aspekte stehen bei der Konkurrenz im Lastenheft weiter oben. Die Sache mit dem Komfort verhält sich in etwa so, wie bei diesen Hightech-Campingsachen: Die leisten angesichts von Packmaß und Gewicht Erstaunliches. Ein Hotelbett ist aber immer geruhsamer.

Auf Waldwegen Richtung Süden

Weil es bei der KTM 790 Adventure R ja genau darum gehen soll, dass sie, um im Bild zu bleiben, kein Hotelbett ist, verlassen wir am Folgetag frühmorgens hinter Ljubljana den Asphalt, um ganz zivil auf Waldwegen Richtung Süden Strecke zu machen. Hier bietet sich der Fahrmodus"Offroad" mit sanfter Gasannahme und entspannter Traktionskontrolle an. Umständlich: Das ABS muss separat in die Offroad-Einstellung (hinten deaktiviert, vorne späteres Regeln) gebracht werden. Warum? Immerhin, die Bedienbarkeit per Vier-Weg-Schalter erschließt sich intuitiv, wie überhaupt die Menüstruktur wenig Fragen aufwirft.

 KTM 790 Adventure R
KTM

Bar jeglicher Kritik ist das Fahrverhalten der KTM 790 Adventure R unter diesen Bedingungen. Das Motorrad gibt sich angenehm ausbalanciert, wirkt leicht und neutral. Von Trägheit oder Kopflastigkeit keine Spur. Die Rad-/Reifendimension fällt endurotypisch aus, vorn 21 Zoll, hinten ein mit 150 Millimetern relativ schmaler 18-Zöller. Das bringt spürbar gute Fahrstabilität, ein anständiges Überrollverhalten. Ganz klar, schon unter solch einfachen Bedingungen liegen die konzeptionellen Stärken der 790-Baureihe auf der Hand. Auf keinem anderen Motorrad würde ich an dieser Stelle lieber sitzen. Ein Ungleichgewicht besteht jedoch beim Karoo 3. So fällt die Traktion in Längsrichtung, also beim Beschleunigen und Bremsen, sehr gut aus. Die Seitenführung insbesondere des Vorderreifens fällt dagegen ab. Zur Klarstellung: Um auf Schotter von A nach B zu kommen, zum Wandern, genügt das vollkommen. Gröberes, Nässe oder Schlamm, mutige Einlagen, offenbaren Grenzen.

ABS und TC im Gelände

Ein Segen ist die sauber applizierte Elektronik auf und besonders abseits der Straße: Im Offroad-Modus verzögert es sich auch auf Schotter absolut verlässlich. ABS vorne locker, hinten aus, genau so braucht man das. Gleiches bei der TC: Der Schlupf, den sie zulässt, ist notwendig – schon Anfahren am Berg wäre andernfalls unmöglich –, das Netz, das sie spannt, stellt eine unbedingte Bereicherung dar.

400 km Reichweite möglich

Als besondere Stärke der KTM 790 Adventure R fällt bald die hohe Reichweite auf. Morgens mit vollem 20-Liter-Tank losgefahren, besteht den lieben langen Tag kein Anlass, über Sprit nachzudenken. 400 Kilometer sind unter allen Umständen möglich, mehr als genug. Übrigens: Durch die tiefe Lage des Kraftstoffs leidet das Handling tatsächlich spürbar weniger unter einem vollen Spritfass. Bedenken ob der Dauerhaltbarkeit dieser Lösung? Besonderen Anlass gibt es dazu keinen, die Tanks wirken extrem robust. Außerdem gab es das Gleiche ja auch bei 950/990 Adventure. Zweifelsfrei wird die Zeit das zeigen.

Und wieder das Konzeptionelle: Als nach vielen vergnüglichen Stunden am frühen Abend klar wird, dass das Etappenziel nur noch auf der, wie sich zeigt, sensationellen E 65 von Karlobag nach Zadar packbar ist, biege ich zurück auf die Straße, und die KTM 790 Adventure R verwandelt sich zurück in ein Eins-a-Asphaltmotorrad. Mit Kurven-ABS, Quickshifter und wieder ganz viel Fahrspaß. Ein enorm breiter Einsatzbereich. Kehrseite der Leichtigkeit: Ohne Hauptständer und dank ungünstiger Zugänglichkeit der Kette gerät die Pflege selbiger, die auch ungewöhnlich stark gelängt ist, am Abend zur zünftigen Sauerei.

Ankunft Adventure Rally

Am letzten Anreisetag bestätigen sich drei Erkenntnisse. Motorrad kann so ziemlich alles, Reifen manches, und offroad bis fast Sarajevo is’ weit. Außerdem: Der Pass von der Küste nach Sveti Rok ist ein Highlight, die von Verkleidungsbruchstücken gesäumte Bergab-Geröllpassage dort definitiv die Schlüsselstelle meiner Anreise. Merke! Wenn’s wirklich heikel wird, ist jedes Pfund (egal ob Motorrad oder Gepäck) zu viel, und allein riskiert es sich nicht gut. Doch auch diese Stelle lässt sich (irgendwie) bewältigen, womit wir nach rund 1.300 Kilometern in Bosnien-Herzegowina bei der Adventure Rally angelangt wären.

Mit dem TKC 80 wandert der passende Reifen auf die Felgen der KTM 790 Adventure R, das Gepäck bleibt im Hotel, die Anpassung der Federbasis auf den geänderten Beladungszustand erfolgt im Handumdrehen und stufenlos per Innensechskant – sehr gut! Das Terrain wird zunehmend ruppig, in Gruppe mit motiviertem Guide steigt das Tempo. Wir gehen ans Eingemachte.

 KTM 790 Adventure R
KTM

Rastengummis lassen sich leicht entfernen

Für das Fahren im Stehen passt die Ergonomie prima, nun liegt der hohe, angenehm breite Lenker ideal zur Hand. Zwischen den Knien wirkt die KTM 790 Adventure R wunderbar schmal, es herrscht eine sehr gute Bewegungsfreiheit. Auch gut: Unter den Rastengummis, die sich leicht entfernen lassen, kommen breite, griffige Endurofußrasten zum Vorschein. Wir testen den "Rally"-Modus, in dem sich die Traktionskontrolle achtstufig während der Fahrt vom Lenkerende justieren lässt und der außerdem die Gasannahme des Motors ins Schnippische verschiebt. Hübsch, um das Vorderrad zu entlasten, aber kein zwingender Kaufgrund. Auch die Serienausstattung "Offroad" der Basis-790 reicht für fast alles. Die scharfe Gasannahme im Rally-Mode empfiehlt sich seltsamerweise eigentlich eher im Straßenbetrieb.

Unglaubliche Fahrwerksreserven

Was die KTM 790 Adventure R der zivilen Verwandtschaft allerdings zweifelsfrei voraushat, sind diese kaum ergründlichen Fahrwerksreserven. Gröbste Schläge auf schnellen Passagen – die Sorte, bei der man um Reifen und Felge bangt – bringen Gabel und Federbein nie in Bedrängnis. Auch freuen uns die nur dem R-Modell vorbehaltenenen Setup-Optionen. Per Schnellversteller auf den Gabelholmen könnte ein Schelm sogar während der Fahrt Zug- und Druckstufe anpassen.

Gegenprobe mit der KTM 790 Adventure

Dann die Gegenprobe mit der 790, deren Ergonomie sich im direkten Vergleich fast nach Straßenmotorrad anfühlt, in gleichem Gelände. Auch leicht und balanciert, mit großen, aber im Vergleich endlichen Reserven versehen. So beherzt geritten wie die R-Schwester, schlägt die Gabel irgendwann durch. Den unter diesen Umständen extrem sinnvollen Lenkungsdämpfer haben beide. Die Standard-790-Adventure ist eine überaus fähige Reise-"Enduro", mit weicherem, durchaus gut abgestimmtem Fahrwerk. Für Endurowandern und Reiseendurieren bietet sie mehr als genügend Potenzial. Auch forsches Tempo geht sie lange mit, bevor sie spät, aber klar zur Mäßigung mahnt. Eben genau diese Mahnung zur Mäßigung ist der R-Variante fremd, und genau das zeichnet sie aus. Kein einziges Mal wird sie durchschlagen, kein einziges Mal wird das Material die Grenze setzen. Was also geht? Im Prinzip alles, was man sich traut, einer Reiseenduro vorzusetzen.

Gesamtbilanz zurück in Ursensollen: exakt 3.006 Kilometer in sieben Tagen, ungefährer Drittelmix aus Offroad/Landstraße/Autobahn (musste auf dem Rückweg sein). Verbrauch: 4,3 Liter Super durchschnittlich sowie eine große Dose Kettenspray. Die beiden Rückspiegel wurden im Servicetruck vergessen und nicht abgestürzt. Ein Scheitern an schwieriger Stelle in Slowenien knickte nur das Ego. Versicherungsschäden und Bergungen: Keine.