Moto Guzzi V11 Sport oder V 100 Mandello?

Moto Guzzi V11 Sport und V100 Mandello S in Fahrt
V11 gegen V100 - Alles anders und trotzdem Guzzi

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Veröffentlicht am 30.12.2023

Kommt die Sprache auf Moto Guzzi, wartet der Vergleich mit einem Betonmischer als flottem Bonmot meist nicht lange. Nicht selten untermalt eine große Portion Ulk, basierend auf Unwissenheit oder schlichtem Desinteresse, den Ton des Gesprächs, sobald die italienische Traditionsmarke vom Comer See, speziell unter uns Rennsportbegeisterten frischerer Geburtenjahre, zur Diskussion steht. Nun gut, eines angestaubten Images kann sich der Adler nicht erwehren. Aufgeklärte Geister wissen aber um die Weisheit der in juvenilen Kreisen teils verlachten Silberrücken, und daher sollte doch was dran sein, wenn der einstmals lederbehelmte Rennopa ehrfürchtig sagt: "Moto Guzzi – tolle Motorräder!"

Egal wie alt, der V2 lebt

Ein Druck auf den Startknopf der fast 22 Jahre alten V11 Sport Scura, großzügige Leihgabe eines PS-Lesers aus dessen privater Sammlung, intensiviert sogleich den Respekt: Der 1064 Kubik große 90-Grad-V2, wohlgemerkt längs eingebaut, denn die Kurbelwelle zeigt längs in Fahrtrichtung, reißt die Maschine geradezu aus dem Schlaf. Schreck lass nach, was ist das denn? Carlo Guzzi, einer der drei Firmengründer und Namensspender der Marke, war im Ersten Weltkrieg als Motorentechniker bei der italienischen Royal Navy beschäftigt.
Mit diesem Hintergrundwissen erlebt man das Spektakel des Startvorgangs der auf 600 Stück limitierten Scura gleich noch fantastischer – die Maschine erwacht schwermaschinistisch wie das derbe Geschütz einer vergangenen Epoche, kraftvoll, in jedem Fall Urviech-mäßig, zum Leben.
Die Lenkerenden zittern, mehr noch: das ganze Motorrad und der Boden darunter gleich mit. Kurze Gasstöße bringen den stabilen Twin auf Temperatur, die Scura bollert dabei tief aus ihren Euro-garnichts-Doppel-Lafranconis und wirft sich animalisch hin und her. Wobei das leiser ist, als man zunächst dachte. Ein spannendes Theater und eine Show, der man kaum entsagen kann, sofern man die grundehrlichen Lebensäußerungen eines schweren V2 zu schätzen weiß.

Einfach zu fahren war eine Guzzi nie

In Fahrt stabilisiert sich die Scura und rollt mit hoher Souveränität ihrer Wege. Dass der italienische Begriff "Scuro" auf Deutsch so viel wie "Finsternis" bedeutet, passt, zwar zur flächendeckend pechschwarzen Farbgebung der Guzzi, ergibt aber weder ein stichhaltiges Bad-Boy-Image noch passt es zur Kulisse. Es ist ein milder Tag im Winter unweit der Mittelmeerküste im Süden Frankreichs, und die V11 Sport Scura cruist so unaufgeregt lässig dahin, als wäre die Welt tatsächlich in Ordnung. Schwungmassig gibt sich der Zweiventiler, verwaltet das Gas einmal in Fahrt recht weich, aber bärig und wirft eine opulente Drehzahlmitte als handfestes Pfund in den Ring. Nur drehen mag der luft-/ölgekühlte V-Zwo nicht gerne, schon nach 7.500/min wird er zäh. An die Schläge, die der Kardan trotz Momentabstützung am Rahmen in die ganze Fuhre bei jedem hakelig-vollmechanischen Schaltvorgang hämmert, muss man sich ohnehin gewöhnen. Generell tut man gut, die Gänge rechtzeitig zu sortieren, wenn Kurven auftauchen, denn Hektik mag der Gentleman-Sportler nicht.

Lange läuft das Drehmoment

Dafür liefert er durch seinen satten Radstand sowie das stabile Fahrwerk eine unerschütterliche Kurvenlage: Früh und konstant Gas aufziehen, schön auf der mächtigen Drehmomentwelle surfen – so geht’s, und zwar recht sportiv. Macht Laune! Trotz ihres hohen Gesamtgewichts von über 240 kg bereitet die Scura beim Umlegen kaum Mühe und verhält sich trotz der eher niedrigen und defensiven Sitzposition regelrecht geschmeidig. Die frisch aufgezogenen Metzeler-Tourensportreifen werden diesen Effekt begünstigen.

Alte Guzzi als Zeitmaschine

Was die Scura in der Summe ihrer Eigenschaften abliefert, wirkt wie ein Realitätsfilter. Und spült zurück in eine Phase, als Computer noch die Größe eines halben Nachtschränkchens hatten und kein Heranwachsender später mal Influencer auf Social Media werden wollte, weil es das noch gar nicht gab. Dieses Gefühl einer Zeit, die analoger war und sogar im Verdacht steht, hier und dort herzlicher gewesen zu sein als heute, bringt die V11 Sport Scura zurück.

Die V11 kam aus einer anderen Zeit

Mehr als zwei Jahrzehnte nach den ersten V11-Modellen umfasst die Moto-Guzzi-Vita weitere Episoden. Die fundamentalste davon beläuft sich auf das Jahr 2004, als die Marke mitsamt der vorherigen Eignerin Aprilia Teil des Piaggio-Konzerns wird und dadurch neues Geld an den Traditionsstandort Mandello del Lario fließt. Roberto Colaninno, patriotischer Geschäftsmann und damaliger Piaggio-Chef, mittlerweile selig, spricht sich pro Guzzi allgemein und für die weitere Fertigung im Stammwerk aus. Es entstehen neue Maschinen wie 2005 die Griso 1100 (ab 2007 auch als 1200er-Vierventiler), 2012 die – man kann sie nur "Eisenmonument" nennen – schwergewichtige California 1400 oder seit neuerer Zeit die Reiseenduro V85 TT sowie die V7-Modelle mit aktuell 853 Kubik. Am Ende der bisherigen Entwicklung steht aber seit Anfang 2023 die tourensportlich ausgelegte V100 Mandello S.

V100 Mandello – Kann Effizienz denn Sünde sein

Frisch konstruiert, fährt sie so viel Technik auf wie noch keine Serien-Guzzi. Im Fall der S-Version umfasst das ein semiaktives Öhlins-Fahrwerk. IMU-gestützte Elektronik mit Fahrmodi, Traktionskontrolle und Quickshifter/Blipper – klar. Klimax der ganzen Arie: sogenannte Flaps. Eine Art elektrisch ausfahrbares Flügelsystem links und rechts der oberen Tankflanken, um den Winddruck vom Fahrer abzuleiten. Im Praxistest wirken sie eher esoterisch – spürbar dann, wenn man es unbedingt will.

Neue Guzzi, neuer Stil

Auch in weiteren Unterscheidungsmerkmalen wie der Sitzposition hebt sich die V 100 Mandello S von der Scura ab. Im Fall der modernen Guzzi longiert man höher und thront an der breiten Segelstange betont aufrecht über der Straße. Gleichwohl der Wetterschutz bei der V100 besser ausfällt, begünstigt ihre flüssigere Seitenpartie und Tankform das Gefühl, auf einem schlankeren, athletischeren Motorrad zu sitzen. Wenn nur diese olle Sitzmulde nicht wäre: Sie limitiert die Bewegungsfreiheit und erlaubt kein Zurückrutschen auf der Bank.
Obwohl der Scura-Sitz viel breiter baut, kann man sich darauf besser bewegen. Aus sportlicher Sicht schade für die V100. Was ihren kompakten 90-Grad-V2 mit 1.043 Kubik, 115 PS, Wasserkühlung sowie Ventilbetätigung über Schlepphebel angeht, manifestieren sich die Unterschiede auf vielfältige Weise. Die V100 Mandello zuckt beim Anlassen kein Stück, läuft gefühlt "trockener" als die alte V11. Doch bewahrt sich trotz ihres dünnen Hubraumnachteils von 22 Kubik die Präferenz zum saftigen Schub aus der Mitte. Allerdings dreht sie viel williger Richtung fünfstelliger Bereich als die Scura, fährt spritziger, hängt verlustfreier am Gas. Bei Attacke gibt sich der aktuelle V2 ungehemmter als der alte – darf ich Betonmischer sagen? – na ja, der Antrieb der V11 eben.

Neu heißt leichtfüßiger

Zwar gelingt der Scura ein authentisch-rustikaler Auftritt, sie erreicht durch ihren gefühlt niedrigeren Schwerpunkt aber nicht die Leichtfüßigkeit der V100 Mandello S, die übrigens auch eklatant besser bremst. Obwohl die V100 mit ihren exakt nachgewogenen 240 Kilo keineswegs als Leichtgewicht durchgeht, kaschiert sie ihre Pfunde galant. Durch den Knickgelenk-Kardan verursachte Schläge spürt man auch bei der hochtechnologischen aller bisherigen Guzzis, das jedoch vergleichsweise milde.