Na fabelhaft! Heute Morgen noch trällert der Radio-Guten-Morgen-Show-Heini ungeniert in sein Mikro, was für ein „traumhafter Tag mit so viel Sonne und nur klitzekleinen Wölkchen“ vor uns liege, jetzt, keine zwei Stunden später auf dem Weg mit den Kollegen in den Naturpark Obere Donau, fallen die ersten Tropfen auf die Mütze. Die Brustwarzen stellen sich kühn in den Fahrtwind, künden trotz Winterspeck von viel zu dünner Kleidung. Das kleine, jedoch auskunftsfreudige Digitaldisplay im großen Analoginstrument der Moto Guzzi V9 Roamer bestätigt: kühle elf Grad Celsius. Das Visier ziert feinster Nieselregen, graue Suppe ringsherum. Nicht heiter, sondern weiter bis wolkig! Blinker setzen, Seitenständer runter, Helm ab, Frühstückspause. Müssen jetzt zur Sommerzeit ganz klischeehaft die drei Zweizylinder für wohlige Wärme sorgen? Warum eigentlich nicht. Sie bleiben von den widrigen Bedingungen gänzlich unbeeindruckt, breiten im Stand ihren wohltuenden tiefbassigen Klangteppich aus und beruhigen die schnappatmenden und fröstelnden Gemüter. Neben der Guzzi mit dem markant quer eingebauten 90-Grad-V2-Motor pumpen die Kolben des Reihenmotors der Triumph Street Scrambler, einen Meter weiter stampft dumpf der 60-Grad-V2 der Yamaha SCR 950.
Vor einiger Zeit schrieb eine kluge Dame: Das Motorrad ist die Handtasche des modernen Mannes. Recht hat sie. Denn wenn es rein ums Fahrerische ginge, sähen weder Triumph Street Scrambler, Moto Guzzi V9 Roamer noch Yamaha SCR 950 konzeptbedingt je Sonne. Es geht hier also um mehr als nur Fahrleistungen. Und doch reicht gutes Aussehen am Ende auch nicht aus. Wir wollen es daher genauer wissen: Welches Bike cruist am coolsten? Helme wieder auf und weiterbollern!
Video zum Retro-Klassiker-Vergleichstest:
Stefan schnappt sich die Britin. Aus gutem Grund! Schließlich verzückt die Street Twin als Basis der Scrambler schon seit einiger Zeit die Motorradfahrergemeinde. Erst lachten alle, als klar wurde, dass der Reihenzweizylinder mit seiner unrhythmischen Zündfolge aus immerhin 899 Kubik lediglich 55 Pferdchen mobilisiert. Doch wer je das Bein über die edel anmutende Sitzbank in 83 Zentimeter Höhe geschwungen, die leichtgängige Kupplung gezogen und den Starterknopf gedrückt hat, weiß es besser. Dieser Moment, wenn sich die Nackenhaare aufstellen, Passanten die Ohren spitzen und man sich vor Freude fast den Helm vom Kopf grinst, ist die pure zweirädrige Lebensfreude. Wenn dann die erste Stufe des etwas knochigen Fünfganggetriebes reinflutscht, das Bike aus niedrigsten Drehzahlen den Beat zurück ins Leben von Mann und Maschine presst und die stattliche Masse von 225 Kilogramm unter sonorem Blubbern aus den feinen Edelstahltöpfen voranprescht, weiß man: Nix rockt mehr als Motorradfahren. Außer Sex vielleicht. Also, guter Sex. Und da ist die Triumph verdammt nah dran, hat es nämlich faustdick hinter den Ohren. Nicht nur zündelt der Motor im landstraßen-relevanten Bereich vehement und liefert mit bis zu 75 Newtonmetern bei 3000 Umdrehungen mächtig Druck an den gripfreudigen Metzeler Tourance. Nein, die Telegabel und die Stereofederbeine mit je 120 Millimetern Federweg vertragen dank satter (nicht einstellbarer) Dämpfung auch einen flotten Strich, ohne es an Komfort missen zu lassen. Zudem fällt die Street Scrambler mit ihrem 19-Zoll-Drahtspeichenrad vorne nach einem beherzten initialen Impuls engagiert in Schräglage und lässt sich zielgenau ums Eck zirkeln, liegt dabei stets stabil und satt, bis die Rasten irgendwann feine Striche in den Asphalt malen. Dass die Britin gerne und häufig zu Fish and Chips greift, merkt man in Wechselkurven. Die 225 Kilogramm wollen engagiert zurechtgerückt werden. Da kommt es Stefan entgegen, dass die Sitzposition harmonisch ausfällt und im Vergleich zur Guzzi und Yamaha für alle Belange und Staturen passt. Der Lenker fällt nicht zu breit aus, kröpft sich angenehm dem Fahrer entgegen, die Knie winkeln kommod, der Auspuff gart im Stadtverkehr aber trotz ansehnlicher und detailverliebter Hitzeschutzbleche die rechte Wade. Löblich: Als Einzige besitzt die Triumph verstellbare Hebeleien für die Zweikolben-Schwimmsattel-Bremse von Nissin und die leichtgängige, drehmomentunterstützte Kupplung. Die Bremse hinterlässt dennoch einen zwiespältigen Eindruck. Ihr fehlt es in erster Linie an einem klaren Druckpunkt und Biss. Die Beläge packen zunächst derart stumpf zu, dass man kräftig reinlangen muss, um die Street Scrambler anständig zu verzögern. Nur wer den Schraubzwingengriff anwendet, erntet eine passable Bremswirkung. Dabei führt man die Triumph sowieso lieber aus, als mit ihr die nächste Bestzeit aufzustellen. Hohe Drehzahlen liegen dem Twin mit 270 Grad Hubzapfenversatz einfach nicht. Wer Kompaktwagen mit aufgepushten Turbomotoren ortsausgangs aufschnupfen möchte, sollte den Gegenverkehr gut im Auge behalten und den Zwischensprint zeitig beginnen. Nicht missverstehen: Flott geht es schon vorwärts, aber eben nicht brachial. Apropos: nächster Stopp bitte. Pipipause.
Das Wetter bessert sich allmählich, aus trist wird ein freundliches Grau. Die Triumph strahlt ohnehin. Da muss man der Hinckley-Truppe einfach Respekt zollen. So picobello verarbeitet, so clean und liebevoll gestaltet, das zeugt in Zeiten von Traktionskontrolle und Ride-by-Wire von Leidenschaft und Überzeugung. Toller Mattlack, wertige Scheinwerferhalterung, kühlverrippter Motor, Einspritzung in Vergaseroptik-Hülle, anschmiegsame Sitzbank, edle Speichenräder, robuster Motorschutz, glänzender Tankdeckel – das Leben kann schön sein. Mit dieser Triumph ist es das: Sie ist eine Handtasche für den modernen Mann, überzeugt außen wie innen mit tollen Details und praktischen Eigenschaften. Ein schönes Bike – bei dem das Fahren nicht erst an zweiter Stelle steht.
Kollege Jens begeistert sich hingegen total für die Yamaha, zeichnet gerade mit seinen Händen die charakteristische Tropfenform des rot-weißen Tanks nach, wirft dann einen musternden Blick auf die knackig-kurze Heckpartie und verweilt. Diese runde Trilogie aus zwei Blinkern und einem LED-Rücklicht hat was Spartanisches. Funktional, reduziert, aber ungemein stylish. So wie die ganze SCR 950. Dass ihre meisten Scrambler-Gene im Namen stecken, wissen sie auch bei Yamaha. Sie ist vielmehr ein Boulevard-Cruiser, eine Handtasche für den Catwalk. Dass der 54 PS leistende 60-Grad-V2 dazu dumpf und bassig tönt, passt wie der wartungsarme Riemenantrieb zum Wohlfühlkonzept. So detailverliebt und edel wie die Triumph steht die Yamaha aber trotzdem nicht auf ihren Bridgestone Trail Wing-Pneus. Die Sozius-fußrasten sind simpelster Natur, die Schweißnähte des massiven Stahlrahmens ordentlicher Durchschnitt. Das Digitalcockpit liefert im Gegensatz zur Fülle der Infos von Guzzi und Triumph nur das Wesentliche. Eine Traktionskontrolle wie die Kontrahenten besitzt sie auch nicht. Ist bei einem Gewicht von stattlichen 255 Kilogramm womöglich überflüssig. Was Jens wohl an der SCR 950 reizt? Auf geht’s zum Selbstversuch!
Der Kniewinkel taugt auf jeden Fall für lange Kerle, fällt entspannt aus. Der breite und mit einer Querstrebe versehene Lenker verlangt jedoch nach langen Armen oder einem nach vorn geneigten Oberkörper. Hm, Geschmackssache. Richtig überzeugen kann die Sitzposition nicht. Rechterhand stößt das Knie seitlich an den Luftfilterkasten, links verhindert ein Distanzdraht zwar den direkten Kontakt des Oberschenkels oder Knies mit dem hinteren Zylinder, drückt aber mitunter beim Sitzen. Dass man zudem an der Ampel keinen Platz findet, um seine Stiefel auf den Teer zu stellen, weil entweder die Fußrasten, Brems- oder Schalthebel im Weg sind, macht die Sache nicht besser. Aber hey: Handtaschen sucht man nicht nach ihrem Nutzwert aus. Eher sollte man sich am tief entspannten, mächtig verrippten Zweizylinder erfreuen. Der geht ab Leerlaufdrehzahl so smooth und sahnig zur Sache, dass der Blutdruck direkt in den Keller plumpst. Sollen die anderen doch angasen: Auf der Yamaha rehabilitiert man sich von der Leistungsgesellschaft! Und das sogar mit Charakter: mild, aber mächtig! Immerhin 80 Newtonmeter stehen bei 3900 Touren an der Kurbelwelle parat. Dank niedrigen Schwerpunkts lässt sich die SCR trotz ihrer Pfunde spielerisch handeln, fällt neutral in Schräglage und befreit den Fahrer so von allen Alltagssorgen. Zumindest so lange (oder so kurz), bis die Rasten Furchen in den Asphalt kratzen. Für Querdynamiker ist die Yamaha wirklich nix. Dafür packen die Bremsen beherzt zu, lassen sich gut dosieren und bringen die Reifen beim ABS-Einsatz mitunter fies zum Wimmern.
Endlich blinzelt mal die Sonne durch die Wolken hindurch. Kaffeepause, Teambesprechung. Das Thermometer der Guzzi ist mittlerweile auf 19 Grad geklettert. Sie verbreitet mit ihrer auffälligen Lackierung nicht nur Farbenfreude, sie ist wirklich eine Augenweide. Der wunderschön und ungewöhnlich designte 15-Liter-Tank ermöglicht selbst dem Fahrer einen tollen Blick auf die beiden Zylinder, die mit gebürsteten Kühlrippen und Moto Guzzi-Logo fein herausgeputzt sind. Wer noch nie den Charakter eines Mandello-Bikes kennenlernen durfte, erfährt ihn spätestens mit dem ersten Dreh der längs liegenden Kurbelwelle. Wenn der E-Starter den 90-Grad-V2 anwirft, lehnt sich die Roamer Guzzi-typisch kurz nach links, fällt dann wieder zurück in die Mittelposition: zu allem bereit, Herr Kapitän! Dazu donnert es in tiefen Frequenzen aus den beiden schicken Endschalldämpfern, ohne nachbarschaftsfeindlich zu hämmern. Was auffällt: Im Leerlauf klingt die Guzzi längst nicht so satt wie unter Last. Also schnell rauf auf die gesteppte Sitzbank in 80 Zentimeter Höhe. Ja, aus dieser Kommandozentrale heraus cruist es sich lässig. Die Sitzposition wurde zu diesem Jahr erfolgreich überarbeitet. Die Füße finden nun wie von selbst auf den höher und weiter hinten angeordneten Rasten Platz, die Knie beugen sehr entspannt, kollidieren zudem nicht mehr mit den ausladenden Zylindern. Die Arme müssen sich ähnlich wie auf der Yamaha in Richtung Lenker strecken, was insgesamt eine passive, aber keineswegs sonderbare Ergonomie ergibt. Sie passt zum rustikalen, traditionellen Charme des 853-Kubik-V2. Dieser hängt sehr direkt am Kabel, legt sich schon im Keller ordentlich ins Zeug und dreht agil durchs Drehzahlband, das diesen Namen im Falle der Italienerin auch verdient. Dort, wo Triumph und Yamaha die weiße Fahne hissen und nach der nächsten Gangstufe lechzen, dreht die Roamer erst richtig auf. Da die gemessenen maximal 58 PS und 70 Newtonmeter auf nur 216 Kilogramm treffen, kann sie das Tempo der anderen locker mitgehen, bietet bei Überholmanövern sogar am meisten Reserven. Mit einem solch quirligen Auftritt des Zweiventilers hat man nicht gerechnet. Und auch der Rest überzeugt: Aus der Neutrallage fällt die V9 leicht in Schräglage, will dann aber mit Nachdruck am kurveninneren Lenkerende auf der angepeilten Linie gehalten werden. Kommen in Schräglage ein paar Bodenwellen dazu, sollte man das Gas jedoch lieber etwas zudrehen, denn die Pirelli Sport Demon neigen nicht nur beim Bremsen zum Aufstellen, sondern auch auf Buckelpisten. Ansonsten führt einen die Guzzi unbeschwert durchs Leben. Mit ihr vergisst man die Trübsal, ihre Coolness überträgt sich sofort auf den Piloten.
Der kann sich unterdessen stets auf die kräftige, gut dosierbare Einscheibenbremse mit Vierkolbensattel von Brembo verlassen. Wendemanöver gelingen im Vergleich mit den Kontrahenten locker-lässig. Ihr Motor vibriert unter Last zwar kernig, im Schiebebetrieb aber nie nervig. Die Guzzi will eben kein gelacktes Accessoire sein, eher eine authentische Tasche aus Wildleder. Erfreulich, dass der Kardanantrieb seinen Dienst dennoch unauffällig und (im Gegensatz zum letzten Testmotorrad) sehr leise verrichtet. Was wiederum nicht für das exakt schaltbare, aber beim Gangwechsel stets laut krachende Sechsganggetriebe gilt. Das gehört zu dieser Guzzi offenbar genauso dazu wie der ab mittleren Schräglagen ohne Vorwarnung auf der Straße schrabbelnde Seitenständerausleger (links herum) und der Auspuff (rechts herum). Gas raus, ab auf den nächsten Parkplatz!
In der Handtaschenwertung spielt die Guzzi locker vorne mit, begeistert ähnlich wie die Triumph mit toller Verarbeitung und feinen Details. Wer skeptisch ist, muss sich mal die wertige, gefräste Fußrastenanlage anschauen oder die hochglanzgedrehten Felgenbänder. Tolle Handwerkskunst!
Für rund 10000 Euro kann man sich die Yamaha SCR 950 oder die Guzzi V9 Roamer zulegen. Die edle Handtasche aus Großbritannien schlägt sogar noch mit einem guten Tausender mehr zu Buche. Wolkige Aussichten? Ach was, nie hat jemand behauptet, Handtaschen seien billig! Und schöne schon gar nicht.
MOTORRAD-Fazit
Nein, keines dieser drei Bikes kann am Ende annähernd eine Bestzeit in den Asphalt der Hausstrecke brennen. Dafür gibt es geeigneteres Gerät. Wer aber Liebe und Geborgenheit in schönen Details sucht, dazu noch ordentlich und charakterstark motorisiert durch die Welt bollern möchte, liegt mit diesen Zweizylindern goldrichtig.