Egal, wie akkurat man die Schweißnähte gezogen und die Rahmenverstärkungen berechnet hat: Wenn bei der ersten Testfahrt der Eigenbau mit Vollgas über Bodenwellen bügelt, aus voller Fahrt die Bremszange nach der Scheibe schnappt, dass es nur so quietscht und raucht, bleibt ein mulmiges Gefühl nicht aus: Hält die Eigenkonstruktion der Praxis stand? Oder bricht unter Last, was nicht brechen darf? Allein am neuen Zentralfedersystem wuchten und drücken gewaltige Kräfte und Momente. Bedingt durch die Übersetzung zwischen Hinterachse, Federbeinaufnahme und Schwingenachse wirken auf die Aluminiumschwinge und die Rahmenrohre bei maximalem Einfederweg stramme 750 Kilogramm. Addiert sich jetzt noch der dynamische Faktor der Dämpferkraft hinzu, liegt der Wert bei rund einer Tonne. Deshalb empfiehlt es sich, ein sattes Sicherheitspolster einzubauen und auf gewagten Leichtbau zu verzichten.
Mit großem Respekt rollt der Pilot mit der Scracer 402 auf dem MOTORRAD-Testgelände in Neuhausen ob Eck gemächlich über die wellige Piste. Der Testfahrer steckt sicherheitshalber in einer modernen Rennkombi, für den Fall der Fälle rundum mit Protektoren und Hightech-Material abgesichert. Dann der erste Check, das Unikat wird penibel geprüft und begutachtet: Schweißnähte, Rahmenrohre, Schwingenlager – alles standfest und solide.
Ein seltener Fall: Jungfernfahrt ohne Basteln und Schrauben
Auch der aus zwei mehr oder weniger defekten Motoren zusammengesteckte Twin schnurrt überraschend leise und zuverlässig vor sich hin. Gelegentlicher zarter Blaurauch aus den Megafon-Schalldämpfern kündet zwar von leichtem Ölverlust, der jedoch noch nicht wirklich messbar ist und hingenommen wird. Er lässt aber die Idee gedeihen, das Unikat mit einem 50 PS starken Motor auf Trab zu bringen.
Das Tempo wird schärfer, das mulmige Gefühl weicht freudiger Neugier. Zum ersten Mal geht’s mit dem Volldampf aller 27 PS über die lange Gerade, rein in die Bodenwelle, ohne zu zucken über Trennfugen und Querrillen. Obwohl Gabel und Federbein komplett neu aufgebaut und nur nach den nackten Zahlen von Gewicht, Radlastverteilung und Übersetzungsverhältnis abgestimmt wurden, passen Dämpfung und Federrate sehr gut. Speziell das Wilbers-Federbein spricht extrem feinfühlig an, baut bei stark onduliertem Straßenbelag eine satte Dämpfung auf und hält das Heck jederzeit stabil.
Nächste Übung: Voll in die Eisen. Aufgrund der vorderradlastigen Gewichtsverteilung krallt sich der Reifen mächtig im Asphalt fest. Sanft, aber bestimmt hebt das Hinterrad vom Boden ab oder tanzt spektakulär quer aus der Spur.
Laut Datarecording verzögert der Mutant aus Scrambler und Dirttracker mit 9,8 m/s² mindestens so gut wie jedes neue Motorrad. Umso erstaunlicher ist, dass sich die zierliche 33er-Gabel unter der einseitig montierten Bremsanlage nur minimal verwindet und nicht durchschlägt. Ein massiver, vier Millimeter starker Aluminiumbügel, mit handgedengelten Schutzblech-Halbschalen verschweißt, wirkt der befürchteten Torsion nachhaltig entgegen. Erst als die Bremsstrecke mit schwarzen Streifen vollradiert ist, bekommt auch die vordere 320er-Scheibe eine leicht bläuliche Färbung, doch von Fading kein Spur. Bremsentest bestanden, zur nächsten Prüfung, bitte.
Kurven, das Salz in der Suppe
Der geschätze Leser möge entschuldigen, dass zur Beschreibung der Agilität wieder einmal der ewige Vergleich mit dem Fahrrad bemüht wird, aber im Fall der Scracer 402 kommen wir der oft missbrauchten, maßlosen Übertreibung ziemlich nahe. Auch wenn die gut 160 Kilogramm Gewicht kein Pappenstiel sind, wirft sich die Suzuki allein beim Gedanken an die nächste Kurve – schnipp! – in Schräglage. Was natürlich auch daran liegt, dass der breite Rohrlenker jeden noch so sanften Impuls in eine zackige Kurvenfahrt umsetzt.
Aber, um ganz ehrlich zu sein, hier ist der Konstrukteur übers Ziel hinausgeschossen. Handlichkeit hin oder her: Wenn das Bike ohne einen ernstgemeinten Befehl in Schräglage kippt und dieses Kippen nur mit einem entschlossenen Lenkimpuls zur Kurveninnenseite beendet werden kann, ist der Gaul ganz einfach krank.
Als weiteres Symptom derselben Malaise muss die Schräglage in der Kreisbahn ständig korrigiert werden. Bei mehr als 40 Grad geht jegliche Rückmeldung flöten, und das Vorderrad scheint endgültig einzuklappen. Flott angesetzte Wechselkurven gehen federleicht von der Hand, leiden aber ebenso unter der übernervösen Kippeligkeit.
Was ist schiefgelaufen? Die Lenkgeometrie mit dem extrem kurzen Nachlauf von rund 70 Millimetern und 66 Grad Lenkkopfwinkel könnte theoretisch die Ursache sein. Doch das Bauchgefühl widerspricht, auch deshalb, weil die Scracer sehr stabil geradeaus fährt. Und: Beim Einlenken und in mäßiger Schräglage bis rund 35 Grad fühlt sich die Scracer pudelwohl, erst danach wird’s kritisch.
Der Blick auf die Reifen bringt eine heiße Spur. Die Conti Supermoto-Gummis fallen ungewohnt spitz aus; ihre Kontur ähnelt den legendären Dunlop KR-Rennreifen der 60er- und 70er-Jahre. Es fehlt der weiche Übergang von Geradeausfahrt in Schräglage, der nur bei Reifen mit einer gleichmäßigen Krümmung zu spüren ist. Die aktuelle Besohlung kann entweder geradeaus oder volle Schräglage; dazwischen gibt’s nur nur haltloses Kippeln.
Die Erkenntnis fordert zum Handeln auf: Anstatt neuer Gabelbrücken mit geringerem Versatz für größeren Nachlauf werden neue Conti-Reifen geordert und mit großem Optimismus auch gleich der TÜV-Termin festgenagelt. Schließlich ist die Scracer 402 nicht für die Vitrine, sondern für die Ausfahrt gemacht. Ob’s tatsächlich an den Reifen gelegen hat? Oder taugt die ganze Fahrwerksgeometrie nix? Die Aufklärung über den abenteuerlichen Eigenbau folgt in MOTORRAD CLASSIC 6/2010. Bis dahin wird eventuell auch noch am Design Hand angelegt. So manches Detail und so manche Linie lassen noch Raum für Verbesserungen. Das sahen auch einige MOTORRAD CLASSIC-Leser so und meldeten sich via E-Mail zu Wort. Was die Leser von der Idee halten, Neues mit Klassischem zu vermischen? Das lesen Sie auf der nächsten Seite.
Materialkosten und Arbeitszeit
Viel Kleinkram wie Bremszange, Armaturen, Züge und Bremsleitungen entstammten dem privaten Werkstattfundus. Setzt man für die gebrauchten Teile ein Drittel des Neupreises an, kommt der Suzuki-Umbau auf rund 2200 Euro Materialwert.
300 Euro blieben beim Zubehör-Spezialisten Polo für Lichtanlage, Lenker, Elektrikzubehör, Dichtsätze und Simmerringe liegen. Bei Detlev Louis wurde die Megafon-Auspuffanlage für knapp 100 Euro eingekauft – zwar (noch) ohne Segen des TÜV, aber mit einer sehr guten Schalldämpfung. Die schlagfeste Götz-Pulverbeschichtung von Rahmen, Hauptständer und Kleinteilen verursachte Kosten von 360 Euro, die Lackierung von Tank und Sitzbank war mit 180 Euro abgegolten. Das speziell angefertigte Wilbers-Federbein schlug mit rund 450 Euro zu Buche.
Bis das Motorrad den Segen des TÜV erhalten hat und alle kleinen und großen Mängel behoben sind, haben sich für die für 650 Euro erstandene Suzuki GS 400 E rund 150 Arbeitsstunden aufsummiert.
Leser-Meinung
Freut mich, dass die Jungs die „originalen“ nicht mehr sehen können. In der Tat ist es so, dass Motorräder (wie ich finde) mehr als ein Auto durch kleine Umbauten sehr oft dem eigenen Geschmack individuell angepasst werden. Umbauten, die wirklich gelungen sind,stehen hoch im Kurs. Man sitzt aber auch entspannter ohne Stummel mit Superbike-Lenker, für ein Altherrengerät einfach prima. Individuelle Problemlösungen (wie verbaue ich was und wohin) sind richtig gefragt, werden sofort nachgemacht/nachgekauft.
Holger Mertens, per Mail
Sehr geehrter Herr Koch, hiermit möchte ich mich für die gute Idee und den Artikel bedanken! Gleichzeitig möchte ich Sie dazu ermutigen, mehr solche interessante Umbauten durchzuführen. Ich bevorzuge diese Art des Umbaus, und führe dies auf diese Weise selbst durch. Deshalb wünsche ich mir eine ausführlichere Vorstellung des Projektes mit viel mehr Detailbildern nach Fertigstellung in eurem Heft! Und vor allen Dingen: Wann und wo kann man das gute Stück live bewundern?
Rüdiger Müller, Ravenstein-Oberwittstadt
Die Scracer wird nach Fertigstellung auf einigen Klassik-Veranstaltungen zu sehen sein, wo und wann ist noch nicht ganz raus. Wir werden darüber im Heft informieren.
Hallo Werner! Also, ich finde es prima, wie unbekümmert du Alt und Neu verbindest. Daher bin ich schon gespannt, wie das fertige Motorrad aussehen wird und vor allem, wie es sich damit fährt.
Peter Hahn, per Mail
„Scracer“, das geht nicht nur, das muss! Sehr schönes Projekt – die Verbindung aus Phantasie und Budget. Die Vielfalt macht die Motorräder interessant; neu und alt, Topzustand und Wrack, original und irre umgebaut – das alles muss sein. Ich will auch wissen, wie genau Modell XY absolut original aussah, habe aber selbst kein einziges originales Gerät. Lasst uns deshalb die Leserbriefe genießen, Gott sei Dank haben nicht 80 Millionen Deutsche den gleichen Geschmack.
Christian Rolfs, Fredenbeck
Aus einem eher unspektakulären Motorrad so einen Hingucker zu machen, das hat was. Allerdings habe ich auch Kritik: Die Auspuffanlage ist hinten zu hoch gezogen. Das wirkt übertrieben und stört die Tank-Sitzbank-Linie. Wenn die Schalldämpfer knapp unter der Sitzbank enden würden, sähe das Ganze viel harmonischer aus. Auch die Front gefällt mir nicht uneingeschränkt. Die Idee mit den Scheinwerfern unter dem Lenkkopf finde ich genial, aber die Startnummerntafel wirkt unfertig. Bei dem Baujahr müssten doch Ochsenaugen als Blinker reichen. Die Startnummerntafel bräuchte nicht seitlich abgekantet zu sein, sondern könnte auch z. B. eine runde Form haben. Der klobige Tacho, der über die Startnummerntafel ragt, geht gar nicht. Zu dem Phallus-Rücklicht sage ich mal lieber nix. Meckerei auf hohem Niveau, die Tank-Sitzbank-Linie und besonders der Schwingenumbau und die Modifikationen am Rahmen machen schon was her. Daher rührt wohl auch der Kostenrahmen von 3.000 Euro. Das ist eine Menge Holz. Ob ich das in ein 400-cm³-Motorrad stecken würde, weiß ich nicht.
Jörg Schneider, per Mail
Mit Interesse verfolge ich die Umbaugeschichte der GS 400. Die Kombination von Technik verschiedener Motorradgenerationen finde ich persönlich in Ordnung. Zur Scracer eine Anmerkung von mir. Sie würde mir besser gefallen, wenn ihr Modell die Auspuffanlage als Underseatversion oder im Stil eines englischen Scramblers, hätte. Auch ich besitze eine GS 400 und trage mich mit dem Gedanken, ein persönliches Motorrad auf die Räder zu stellen. Da sich auch noch andere Komponenten verschiedener Motorräder in meinem Fundus befinden, werde ich mich demnächst daranmachen, diese zu kombinieren. Mal sehen was daraus wird. Ansonsten weiter so. Freue mich auf neue Informationen über die Scracer.
Bernd Ledig, per Mail
Wenn Ihr Umbau auf den Rädern steht, bitte melden!
Die glasperlgestrahlten Motorteile und den grauen Rahmen finde ich sehr gelungen, auch die Linienführung des Tanks mit dem Rahmen ist sehr stimmig. Als etwas störend finde ich allerdings diesen Bereich vor der Sitzbank über der Stoßdämpferbefestigung (und unter dem Tank), da fehlt in der Seitenansicht was. Wenn sich die obere Linie der Schalldämpfer am Rahmenrohr orientieren würde, dann denke ich, sähe das Hinterrad auch nicht so ganz nach hinten versetzt aus. Was mich aber wirklich stört, ist der Wurmvorsatz hinten – der passt gar nicht. Also entweder würde ich das Rücklicht um 180° drehen und in die Schräge des Bürzels integrieren oder es gleich mit diesen kombinierten Kellermann Brems-/Blink-LEDs versuchen. Und dann einen schönen Ausleger aus Alu (siehe z.B. Totti 250) für das leidige Nummernschild anbauen.
Roman Moser, Weilheim/Obb.
Wenn sie so oder ohne große Änderungen den TÜV schafft, ist sie ein Traum! Die meisten Mopeds, die mit großem finanziellen Aufwand und/oder ohne Straßenzulassung und/oder ohne Blick auf Fahrbarkeit gebaut werden, finde ich uninteressant – das kann jeder. Die Scracer ist wirklich klasse; ich bin sehr gespannt! Das Moped war ein Grund, die MOTORRAD CLASSIC zu kaufen.
Stefan Sauer, Mönchengladbach