Top-Test Yamaha TDM 900

Top-Test Yamaha TDM 900
... und zum Dritten

Zuletzt aktualisiert am 12.02.2002
... und zum Dritten
Foto: Jahn

Wäre die TDM zu Beginn ihrer inzwischen gut zehnjährigen Karriere bei Robert Lembkes heiterem Beruferaten aufgetreten, sie wäre garantiert mit einem prall gefüllten Schweinderl von dannen gezogen. Denn Yamahas Sonderling entzog sich gängigen Zweirad-Klischees. Für ein Funbike zu schwer, ein Showtalent zu pragmatisch, einen Tourer zu spartanisch. Und Enduro? Nix da, siehe Straßenpellen. Außerdem entstand die TDM anno dunnemals ja gerade als reiner Asphaltableger des Enduro-Schlachtrosses Super Ténéré. »Was bin ich?« schienen die Doppelscheinwerfer stets zu fragen. Nun, irgendwann sortierte man den unkonventionellen Twin unter »Allrounder« ein – und da blieb er bis heute. TDM-Fans schwören auf die Vielseitigkeit ihres Zweizylinderbrummers, der sich auf nichts festlegt und eigentlich alles kann. Okay, weniger Lastwechsel, geringeres Gewicht, einstellbare Federelemente und vielleicht noch einen G-Kat würde nicht schaden, aber sonst...
Yamaha hat reagiert und mit der dritten TDM-Generation ein neues Motorrad hingestellt, ohne am Ursprungskonzept zu rütteln. Was sich bereits in der Sitzposition manifestiert. Wie gehabt aufrecht und mit lang gestreckten Armen thront es sich auf dem erstaunlich straffen, kantigen Polster. Menschen der Größe »M« und kleiner fühlen sich etwas verloren hinter den langen Tank geklemmt, selbst mit nach hinten gedrehtem Rohrlenker müssen sie sich mächtig zu den Griffen strecken. »XL«-Zeitgenossen preisen hingegen die lichte Weite und den moderaten Beinwinkel. Doch genau der zwingt wegen der relativ weit vorn angebrachten Rasten die Piloten jeglicher Statur in eine höchst passive Haltung mit wenig Spielraum für Aktivität und Gewichtsverlagerung.
Okay, man muss nicht wild rumturnen, um mit der TDM ums Eck zu kommen. Immerhin speckte sie unter anderem dank des Aluminiumrahmens um XX auf XXX Kilogramm ab. Das zahlt sich aus; mit wenig Kraft am Rohrlenker wickelt sich die Neue nahezu von selbst durch vertrackte Kurvenkombinationen, bis die Angstnippel der Fußrasten zaghaft über der Asphalt britzeln. Selbst blitzartige Schräglagenwechsel bei hohen Tempi gehen locker von der Hand. Räder und Reifen, wie gehabt vorn 18 und hinten 17 Zoll im Durchmesser, legten in der Breite zu, trotzdem gerieten die Dreispeichenräder leichter. Was nichts am ziemlich unsensiblen Ansprechverhalten der Federelemente ändert. Obwohl die 43er-Gabel - in Zugstufendämpfung und Federbasis einstellbar - ausreichend Federungs- und Dämpfungsreserven sowie mit 150 Millimetern üppigen Federweg bietet, reagiert sie auf kurze Unebenheiten missmutig, sprich, sie gibt dieselben ungerührt weiter. Erst auf längere Wellen oder grobe Flickstellen reagiert die Front wunschgemäß. Hinten geht’s noch ruppiger zu. Zwar ist das neue Federbein an der 40 Millimeter längeren Schwinge voll einstellbar, die Druck- und Zugstufendämpfung sogar bequem per Drehrädchen, doch aller Herumjustierei zum Trotz erweist sich das Teil als unnachgiebiger Dickkopf. Sogar bei abgesenkter Federbasis spricht die Hinterhand nur widerwillig auf kleine und große Hindernisse an, ja selbst mit Zusatzballast in Gestalt eines Passagiers kopiert das TDM-Heck den Straßenzustand ungerührt in die Hinterteile der Besatzung. Nix ist’s mit komfortablem Luftkissenboot-Charme, die TDM-Reisenden fühlen sich der Straßenoberfläche stets innig verbunden. Abgesehen vom Komfort-Manko führt die unnachgiebige Haltung der Federelemente hin und wieder zu leichter Nervosität an der Front, zumal der Pilot wegen der gestreckten Sitzhaltung gezwungen ist, sich stärker als andernorts am Lenker festzuhalten. Vor allem Textilklamotten wirken anregend auf den Rohrlenker, egal, ob bei Maximaltempo oder schnellem Kurvenswingen auf ebener Bahn. Zum Trost trübt bei der mit Metzeler ME Z4 bereiften TDM weder Shimmy noch lästiges Aufstellen beim Bremsen in Schräglage den Fahrspaß.
Um den zu steigern, musste auch der bekannte Fünfventil-Reihentwin unters Messer. Etwas mehr Bohrung adelt ihn zum 900er, Leistung und Drehmoment legten im Vergleich zum Vormodell ebenfalls ein klitzekleines bisschen zu – so jedenfalls das Versprechen. Papier ist geduldig und gutgläubig, MOTORRAD nicht. So attestiert der Prüfstand statt nominell 86 lediglich 80 PS, und vom versprochenen Drehmoment von 89 Newtonmetern finden sich ebenfalls bloß 82 auf der Rolle ein. Keine Panik, die Fahrleistungen gehen trotzdem in Ordnung. Aus dem Stand stehen nach 9,0 Sekunden 160 auf der Uhr, Schluss ist bei Tempo 208. Angesichts des mäßigen Windschutzes ist TDM-Topspeeden aber ein anstrengendes und lautes Vergnügen. Immerhin, Yamaha bietet zwei verschieden hohe Nachrüst-Verkleidungsscheiben zu 84 beziehungsweise 98 Euro, die sich den Fahrer besser abschirmen sollen. Überhaupt ist die Marke mit den Stimmgabeln zubehörmäßig gut sortiert. Von Heizgriffen (273 Euro) über einen Hauptständer (155 Euro), Topcase (inklusive Montagekit 521 Euro) bis hin zu Koffern (Komplettset rund 750 Euro) reicht das Angebot für die TDM.
Ob mit oder ohne Vollausstattung, Lieblingsrevier des Allrounders ist die Landstraße. Cruisen statt speeden. Im fünften oder - jetzt neu - im sechsten Gang bei mittleren Drehzahlen dahingleiten, so schmeckt TDM-Fahren. Zumal ausgeglichene Fahrweise die deutlichen Lastwechselreaktionen in eine Nebenrolle verbannt. Als Belohnung winken Verbrauchswerte von knapp über vier Litern pro 100 Kilometer und eine Reichweite von gewaltigen 450 Kilometern – einmal pro Tag tanken reicht selbst für ausgedehnte Touren, zumal der Spritkonsum selbst bei höheren Tempi im Rahmen bleibt.
Wer’s eilig hat, kann durch die neue, exakt bedienbare Gangbox zappen und feststellen, dass die Nadel des Drehzahlmessers sich zwar ab 8000/min im Rotlichtbezirk befindet, aber erst jenseits der 9000er-Marke sanft vom Begrenzer gestoppt wird. Doch derartiges Pressing bringt wenig, bereits ab 6000 Touren geht’s mit dem Drehmoment bergab, die Leistungskurve folgt gute 1000/min später. Akustik-Fans sei der Bereich zwischen 5000 und 8000/min empfohlen. Einfach Drosselklappen auf Durchzug stellen und den Reihentwin Vauzwei spielen lassen. Hör- und spürbar. Unter freundlicher Mithilfe des ungewöhnlichen, weil technisch weitgehend sinnfreien Hubzapfenversatzes von 270 Grad. Er macht bereits seit den Tagen der Ducati-Herausforderin TRX 850 aus dem nüchtern staubsaugernden Paralleltwin einen trotz zweier Ausgleichswellen ungleichmäßig pochenden und vibrierenden Feierabend-Charakterdarsteller. Ansaugseitig ist ab sofort ein per elektronisch gesteuerter Klappe variabler Airbox-Einlass am Konzert beteiligt. Eigentlich soll dieser Trick jedoch bei niedrigen Drehzahlen die Strömungsgeschwindigkeit der Ansaugluft erhöhen, sprich die Schleuse ist zunächst geschlossen und öffnet in Abhängigkeit von der anströmenden Luftmenge. Überhaupt hat sich in Sachen Gaswechsel einiges getan. Einspritzung, Sekundärluftsystem sowie geregelte Katalysatoren in der komplett neuen Edelstahl-Auspuffanlage stempeln die TDM zum Greenpiece, siehe Homologations-Schadstoffwerte. Dafür spendiert MOTORRAD 29 von 30 möglichen Punkten.
Reichlich Punkte kassiert auch die Yamaha-typische Bremsanlage mit den einteiligen gegossenen Zangen. Bereits mit einem Finger am fünffach einstellbaren Handhebel lässt sich die Fuhre je nach Bedarf hart oder zart verzögern, das rückwärtige Pendant tritt ebenfalls bereitwillig in Aktion. Kurzum, ob Novize oder unerschrockener Spätbremser, die Yamaha-Stopper zaubern allen ein zufriedenes Grinsen ins Gesicht. Ein Grund mehr, Yamahas runderneuertem Allrounder den Zuschlag zu erteilen.

Was sonst noch auffiel

PlusSicherungen und Batterie unter der Sitzbank gut zugänglichBenzinleitung zwischen Tank und Einspritzung mit SchnellverschlussDämpfungsverstellung des Federbeins komplett per HandrädchenAbschraubbares RahmenheckWarnblinkanlagePraktische Gepäckhaken, teilweise ausklappbarUmfangreiches ZubehörangebotMinusÖlkontrolle per Peilstab, zum Nachfüllen ist ein Trichter nötigFummelige Verstellung der Federbasis am Federbein mittels HakenschlüsselUnkonventionelle Zugstufenverstellung an der GabelKein serienmäßiger HauptständerSpiegel ungünstig geformtSchlechte Kurvenausleuchtung bei AbblendlichtFahrwerkseinstellungenGabel: 6 Ringe der Federbasisverstellung sichtbar, Zugstufe Stufe 3Federbein: Vorspannung Position 3, Zugstufe 12 Klicks auf, Druckstufe 11 Klicks aufBereifung im Test: Metzeler ME Z4 »J«, Luftdruck 2,5/2,5 bar

Messungen

MOTORRAD-MesswerteBremsen und FahrdynamikBremsweg aus 100 km/h 39,7 mMittlere Verzögerung 9,7 m/s²Bemerkungen: Feinfühlig dosierbare, leistungsfähige Bremsen vorn und hinten. Keine Stoppieneigung, dafür vereinzeltes Bremsstempeln vorn mit Blockierneigung zum Ende der Messung. Bemerkungen Wirkungsvolle und gut dosierbare Vorder- und Hinterradbremse, Gabel taucht schnell und weit ein, wodurch das Gefühl für die Blockiergrenze etwas verloren geht.Handling-Parcours I. (schneller Slalom)Beste Rundenzeit 20,9 sekVmax am Messpunkt 102,3 km/h Bemerkungen: Die TDM lässt sich mit wenig Lenkkraft durch die Pylonen bugsieren und erreicht eine relative hohe Geschwindigkeit. Störend: die weiche Gabel beim Einbremsen in den engen Wendepunkt und das Lastwechselrucken.Handling-Parcours II. (langsamer Slalom)Beste Rundenzeit 28,7 sekVmax am Messpunkt 56,2 km/hBemerkungen: Auch hier flitzt die TDM 900 mit Leichtigkeit und guter Lenkpräzision durch die S-Kurven. Die Metzeler ME Z4 »J«-Bereifung liefert ausreichend viel Grip mit klarer Rutschgrenze, Rasten, Seitenständer und Auspufftöpfe setzten dabei auf. Kreisbahn 0 46 MeterBeste Rundenzeit 11,1 sekVmax am Messpunkt 50, 6 km/hBemerkungen: Für Tourensport-Ansprüche ausreichend große Schräglagenfeiheit und Kurvenstabilität, nur die ruckeligen Lastwechsel versetzen die weich abgestimmte Gabel in Unruhe, die auch das Gefühl für die Rutschgrenze vorn etwas verwässert.

Fazit

Die 900er ist wieder eine echte TDM geworden. Einfach zu handhaben, handlich, noch dazu sparsam, sauber und mit einer tollen Bremse gsegnet. Etwas Handlungsbedarf herrscht noch in Sachen Lastwechsel, Fahrwerksabstimmung sowie der etwas passiven Sitzposition