Die KTM 390 Duke ist ein gutes Beispiel, wie wenig Einfluss ein Motorradneukäufer zunächst auf die Auswahl der aufgezogenen Reifen haben kann. Das berühmte Stichwort lautet Erstbereifung. Auf diese, so haben wir in der Redaktion manchmal das Gefühl, können selbst top motivierte Motorradentwickler wenig bis gar nicht einwirken. Viel eher rotstiftorientierte Einkäufer, die sich schließlich für eine Paarung entscheiden, die sich besonders günstig beschaffen lässt. Gerade im preissensiblen Einsteigerbereich gilt die alte Rendite-Weisheit: Der Erfolg liegt im Einkauf. Je günstiger, desto mehr Plus unterm Strich.
Die Test-KTM rollte auf dem Continental ContiMotion an. Was der kann, und was die Alternativen aus dem Reifenhandel können, zeigt unser Test von Motorradfreifen für die Einsteigerklasse.
Motorradreifen für die Einsteiger-Klasse im Test
Landstraßen-Wertung
Wir wollen nicht verschweigen, dass das Landstraßen-Wertungskapitel im Regelfall kein Reifenmodell vor wirklich große Probleme stellt. Beim Touren und Kurven unter idealen Bedingungen – sonniges Wetter, warme Temperaturen – machen die meisten Gummis, selbst wenn es sich um extrem günstige No-Name-Modelle aus Fernost handelt, keine ernsthaften Probleme. Zumal unsere Gattung im Test – 125er und 48-PS-Einsteiger-Bikes – keine Leistungsorgien beim Be- und Entschleunigen entfachen, die mit wahnsinniger Performance am Hinterrad zerren oder das Vorderrad durch brutales Herunterbremsen gnadenlos zum Wimmern bringen. Und wenn man am Ende der Laufleistung auf einen anderen Satz Reifen wechselt, wird der – egal, welcher Herkunft oder Natur dieser ist – einen wohligen Aha-Effekt auslösen. Denn nichts bringt ein Motorrad wieder besser auf die Beine respektive um die Kurve als ein Satz frische Gummis im Austausch gegen ein runtergerittenes Pärchen.
Zugegeben: Auch bei einer Blindverkostung werden sich unter oben erwähnten Idealbedingungen und natürlich unter Einhaltung StVO-konformer Tempovorgaben selbst erfahrene Piloten schwertun, die tatsächlichen Unterschiede zwischen den einzelnen Gummis herauszuschmecken. Das als Bemerkung zu den Testergebnissen, die wir auf einem speziellen Handlingkurs zusammengefahren haben.
Nässe-Test
Regulär bewerten wir die Eigenschaften der Reifen auf nassem und trockenem Asphalt in einem austarierten 50/50-Mix. Die Fahreigenschaften bei idealen Bedingungen bewegen sich vor allem in der Gruppe der sogenannten Premiummarken auf Augenhöhe und unterscheiden sich meist nur graduell. So gesehen nachvollziehbar, dass unter dem Aspekt der bestmöglichen Sicherheit die Neubereifung vor allem bei widrigen Bedingungen bestmöglich funktionieren soll. Tatsächlich zeigen unsere Testergebnisse eine etwas weitere Spreizung – auch bei den Reifen, die bei eitel Sonnenschein nahezu identisch funktionieren.
Fairerweise muss aber eingeräumt werden, dass – auch wenn ein paar mehr Punkte Differenz zu verzeichnen sind – die neuesten Modellentwicklungen der „Big Six“ (Bridgestone, Conti, Dunlop, Metzeler, Michelin und Pirelli) auf einem Top-Niveau angekommen sind. Sprich: Sie leisten deutlich mehr, als sich manche Fahrer im Regen zutrauen. Unterm Strich profitieren auch die Einsteigerklassen davon, dass man sich in den prestigeträchtigen Segmenten der Touren-, Sport- und Reiseenduro-Reifen Jahr für Jahr eine regelrechte Entwicklungsschlacht um den Bau des besten Regenreifens liefert. Dieser Wissens- und Techniktransfer strahlt inzwischen in die Reifenmodelle für die kleinen Klassen ab. Oder man bietet auch die Topmodelle des jeweiligen Genres in den Dimensionen für Einsteiger-Bikes an. Bestes Beispiel in diesem Test: Bridgestones S 22, Metzelers M9 RR und Michelins Road 6.
Von diesem Entwicklungsplateau sind junge Marken aus Fernost – CST sei hier nur als Beispiel genannt – noch deutlich entfernt. Selbst wenn man die bereits angegrauten Vorvorgängermodelle der oben erwähnten Premiummarken ins Auge fassen würde: Auch diese sind in puncto Regen-Performance den deutlich jüngeren Modellen der No-Name-Marken immer noch weit überlegen. Ein Sicherheitsplus, in das man gerne investieren darf!
So testet MOTORRAD
Einen Reifentest mal schnell auf der Landstraße ausfahren? Nicht denkbar! Seriös sind solche Tests nur machbar auf speziell konzipierten Teststrecken der Reifenindustrie. In diesem Fall konnten wir das Gelände des japanischen Herstellers Bridgestone in Nettuno (bei Rom) nutzen. Für die Asphaltwertung ging es über die 2,2 km lange „Carrerabahn“ mit vielen Wechselkurven, für den Nasstest auf den permanent bewässerten, 1,6 km langen Handlingkurs. Diese Kriterien stehen im Fokus der MOTORRAD-Wertung:
- Handlichkeit ist die Lenkkraft, um das Bike in Schräglage zu bringen und es in Wechselkurven auf Linie zu halten.
- Grenzbereichverhalten* steht für die Beherrschbarkeit des Reifens am Limit. Tests auf nasser und trockener Fahrbahn.
- Lenkpräzision* in unterschiedlich schnellen Passagen mit komplizierten Kurvenradien. Gibt Auskunft, ob das Motorrad dem gewünschten Kurs folgt, der über die Lenkkräfte vorgegeben wird, oder ob deutliche Linienkorrekturen erforderlich sind.
- Kurvenstabilität testet das Aufschaukeln in (Wechsel-)Kurven und bei Bodenwellen. Wird in unterschiedlichen Modi und beim Beschleunigen in Schräglage getestet.
- Geradeauslaufstabilität wird bei Highspeed getestet. Bleibt das Motorrad stabil auf Kurs, oder stört Pendeln die Fahrt?
- Haftung Beschleunigung* bezeichnet die Seitenführung und Kraftübertragung in schnellen Kurven (nass/trocken).
- Haftung Schräglage* ist die Seitenführung in maximaler Schräglage (nass/trocken). Eine Gratwanderung, die nur auf abgesperrter Strecke möglich ist.
- Aufstellmoment bezeichnet das Aufrichten des Motorrads beim Bremsen in Schräglage. Diese Reaktion muss mit einer Gegenkraft (Drücken) am kurveninneren Lenkerende ausgeglichen werden.
- Fülldrücke**: Landstraße/Nässe (v/h): 2,0/2,2 bar.
* Die mit Stern gekennzeichneten Abschnitte sind auf Motorräder übertragbar, die eine ähnliche Geometrie wie die KTM 390 Duke besitzen.
**Angegeben ist die Preisspanne für einen Reifensatz (vorn/hinten) in der getesteten Version in gängigen Reifen-Onlineshops, Stand 1. März 2023
Freigaben: Worauf beim Umbereifen achten?
Keine lange Diskussion: Früher war die Sache einfacher. Dank der Reifenhersteller ausgestellten Reifenfreigaben und Unbedenklichkeitsbescheinigungen (UBB) war ein Wechsel auf das Wunschmodell sehr einfach und schnell, vor allem aber ohne Zusatzkosten erledigt. Ausdruck mitführen, Thema durch – egal, ob es sich um eine Verkehrskontrolle oder Hauptuntersuchung (HU) handelte.
Vor gut vier Jahren (2019) wurde aber diese Praxis durch eine entsprechende Verlautbarung im Verkehrsblatt 15-2019 kassiert. Die wesentliche Kernaussage hier: Bestehende Bereifungsempfehlungen oder UBB lassen sich nicht länger als alleiniger Nachweis über eine gefährdungsfreie Montage bei abweichender Dimension oder Bauart heranziehen.
Stattdessen gibt es nun einen Flickenteppich, der an verschiedenste Konstellationen gebunden ist: Handelt es sich um ein Motorrad ohne oder mit EU-Typgenehmigung (Letzteres gilt für die Mehrheit der Bikes ab Baujahr 2000)? Haben ältere Motorräder mit ABE (also ohne EU-Typgenehmigung) eine Fabrikatsbindung? Ändert sich bei der Reifenumrüstung die Größe oder Bauart (z. B. von Zoll auf metrisches Format)? In etlichen Fällen kommt man um eine Anbauabnahme nicht herum. Eine gut aufgestellte Werkstatt kann aber schnell für Klarheit sorgen.
Online oder Werkstatt: Wo Reifen kaufen?
Das Orakel von Google spuckt schnell den Preis der Wunschbereifung aus, und dieser ist zumeist noch mit dem berühmten Habenwill-Faktor versehen. Kontrollanruf beim Händler: Deutlich mehr, da kann er nicht mithalten. Also nichts wie draufgeklickt und in den virtuellen Warenkorb gelegt, dazu noch Lieferung frei Haus binnen 48 Stunden, ist doch prima!
Allerdings lässt sich ein Motorradreifen nicht so einfach und schnell wechseln wie der am Fahrrad – und mit den üblichen Hausmitteln schon mal gar nicht. Vom exakt austarierten Wuchten haben wir hier noch gar nicht gesprochen. Moment, wirft der gewiefte Onlineshopper nun ein, viele virtuelle Reifenläden bieten doch die Lieferung und Montage in Partnerbetrieben direkt im nahen Umkreis an. Das sogar zum vorab festgelegten Preis. Klingt prima. Bleibt aber die Frage: Kann der online angebotene Reifendienst vor Ort auch Motorrad? In dem Augenblick, wo der auf „Anlieferung der Räder im ausgebauten Zustand“ besteht, garantiert nicht.
Zusatzfrage: Wie sichern Sie zu Hause das Motorrad mit zwei ausgebauten Rädern? Wir haben unseren Schulpraktikanten Paul kurz recherchieren lassen: Wie viel mehr würdest du für deine neuen Reifen ausgeben, wenn es der Händler „all inclusive“ macht? Das Ergebnis verblüfft: bisweilen keine 30 Euro.