Ob kurvige Landstraße oder staubiger Schotterweg – wer mit seiner Reiseenduro gern beides erlebt, braucht einen Helm, der beides mitmacht: einen Adventure-Helm, der Komfort und Abenteuerlust unter eine Haube bringt.
Fragen zum Adventure-Motorradhelm-Test
BMW Motorradhelm GS Carbon Evo außer Konkurrenz getestet
Eigentlich hätte BMW auch in den Nicht-Teilnehmer-Kasten gehört, denn die Bayern wollten nicht beim Test mitmachen. Doch ein Adventure-Helmtest ohne BMW, ohne den Begründer der Reiseenduro-Klasse? Geht gar nicht! MOTORRAD beschaffte sich inoffiziell das aktuelle Modell und ließ es außer Konkurrenz in der Praxis mitlaufen.

BMW-Helm GS Carbon Evo: Das GS (Gelände und Straße) im Modellnamen ist eindeutig Programm.
Warum die Absage zum Vergleichstest? Man kann nur mutmaßen: Nachfolgemodell in der Pipeline oder Überarbeitung geplant? Egal! Unser Exemplar entspricht in Sachen Homologation (ECE-R 22.06) sowie Ausführung und Ausstattung (Carbon/GFK-Schale, Antibeschlag-Doppelscheibenvisier, Doppel-D-Verschluss, MIPS) dem aktuellen Stand der Helmtechnik. Auf eine Sonnenblende oder Ausstattungs-Chichi verzichtet der sehr (!) knackig sitzende Helm. Dafür gibt’s ein riesiges Sichtfeld, viel Platz für eine Motocross-Brille, eine Top-Belüftung, relativ wenig Gewicht und eine Helmform (Kinnteil), die klar macht, wo der Einsatz-Schwerpunkt liegen soll: auf losem Untergrund. Geräuschmäßig fährt der ab 670 Euro (Dekore 710/770 Euro) gehandelte Helm eher im etwas lauteren Mittelfeld, verarbeitungsmäßig dafür in der Oberklasse. Hätte u. U. für einen Test-Spitzenplatz gereicht
Warum ist der Helm von XY nicht dabei?
Die beliebteste Leserfrage zu einem Helmtest lautet üblicherweise „Warum ist der Helm von XY nicht dabei?“ Lesen Sie nachfolgend, warum der eine oder andere nicht mitmachen wollte, konnte oder durfte. Und das in alphabetischer Reihenfolge.
- AGV: keine Reaktion auf Einladung
- Airoh: keine Reaktion auf Einladung
- Arai: nach anfänglichem Teilnahme-Interesse und Testdurchführungs-Erklärung Absage ohne nähere Begründung
- Bogotto (FC-Moto): Teilnahme-Interesse nach Vorab-Anfrage im Juni 2024, auf konkrete Test-Einladung aber keine Reaktion
- Caberg: Nehmen grundsätzlich nur dann an Tests teil, wenn exakt nach ECE-Norm getestet wird
- Germot: keinen passenden Helm im Programm
- Givi: keine Reaktion auf Einladung
- Harley-Davidson: aktuell (und voraussichtlich auch zukünftig) keine ECE-R-22.06-Adventure-Helme im Programm
- Nolan: keine Reaktion auf Einladung
- Rocc (Büse): momentan keine Adventure-Helme im Sortiment
- Sena: Teilnahme-Interesse nach Vorab-Anfrage im Juni 2024, auf konkrete Test-Einladung aber keine Reaktion
- Shoei: homologationsbedingt kein passendes Modell im Programm
- Simpson: keine Reaktion auf Einladung
Die Helme auf dem TÜV-Prüfstand
Die Schlagdämpfungsprüfung auf dem Prüfstand des TÜV Rheinland in Köln war immer zentraler Bestandteil der MOTORRAD-Helmtest-Laborversuche. Und im Unterschied zur ECE-Prüfung fielen die Helme seit 14 Jahren immer auf einen echten Leitplankenträger („Sigmapfosten“) und nicht auf einen Kantenamboss. Daran hat sich nichts geändert. Der Aufprall auf die linke und rechte Seite erfolgt auch weiterhin sowohl bei Low- als auch bei Highspeed, nun aber mit niedrigeren bzw. höheren Werten: 5,0 bzw. 8,2 m/s (zuvor 5,5 bzw. 7,5 m/s).

Die Helmtest-Profis vom TÜV Rheinland testeten für MOTORRAD mal wieder härter, als es die ECE-Prüfung vorsieht.
Nach alter und auch neuer ECE-Norm war und ist beim Aufprall ein maximaler Beschleunigungswert von 275 g zulässig. Der mit Sensoren bestückte Prüfkopf leitet den g-Wert an einen Computer, der daraus unter Zuhilfenahme anderer Parameter (Dauer der Krafteinwirkung) den HIC-Wert berechnet. Das „Head Injury Criterion“ erlaubt Aussagen über mögliche Hirn-/Schädel-Verletzungen. Die alte Norm erlaubte einen maximalen HIC-Wert von 2400, die neue von 2880 (bei 8,2 statt 7,5 m/s) – abstrakte Zahlen jenseits von Gut und Böse. Die MOTORRAD-Expertencrew bleibt dabei: HIC 1000 sollte machbar sein.
Neu im Testprogramm: die Rotationsprüfung mit 8,0 m/s. Auch hier weicht der MOTORRAD-Helmtest vom ECE-Prozedere ab, da nach einschlägigen Studien 30 Grad Aufschlagwinkel in der Praxis realistischer sind als die 45 Grad der ECE-Prüfung. Der ECE-Grenzwert für die Winkelbeschleunigung beträgt 10 400 rad/s², für das analog zum HIC-Wert ermittelte „Brain Injury Criterion“ (BrIC) sind es 0,78.
Kein Verkaufsverbot für Helme mit ECE-R 22.05
Peter Schaudt ist amtlich anerkannter Sachverständiger für den Kfz-Verkehr und beim TÜV Rheinland als „Sachverständiger Technischer Dienst“ u. a. für Helmprüfungen zuständig. Und er ist seit vielen Jahren der MOTORRAD-Ansprechpartner, wenn es um Prüfstandversuche und Zulassungsfragen geht.
Der Leseranfragen-Evergreen: Was muss im europäischen Ausland bezüglich Helm-Zubehör (z. B. Kameras, Kommunikationssysteme) unbedingt beachtet werden?
Einige Helmhersteller haben ihr Zubehör als spezifisches Zubehör für ihre Helmmodelle bei uns prüfen lassen. Das heißt, der Helm ist mit „SA“ gekennzeichnet und das Zubehör mit „SAcc“. Die Kennzeichnung befindet sich bei der Genehmigungsnummer am Kinnriemen des Helmes bzw. auf dem Zubehörteil. In der jeweiligen Helmgenehmigung wird dann auf das Zubehör verwiesen, in der Zubehörgenehmigung auf die entsprechenden Helme. Wenn das dann beides passt, kann man getrost ins Ausland fahren. Bei allen anderen Kombinationen von Helm und Zubehör, also keine gegenseitige Verweisung auf eine Genehmigung nach ECE-R 22.06, ist davon dringend abzuraten.
Wie sieht das aktuelle Prüfgeschehen bei euch aus? Lassen Zubehöranbieter tatsächlich ihre Produkte als „universelles Zubehör“ für alle relevanten Helme prüfen?
Bisher haben wir nur einen Helmtyp als UA (Universal Accessory) genehmigt (Anm. d. Red.: Schuberth Concept). Das heißt, dieser Helmtyp darf mit universellem Zubehör gefahren werden. Der Helm hat als UA die Kennzeichnung S45 (Lautsprecher, 0 45 mm), M (Mikrophone) und L (seitliche Montage der Bedieneinheit). Anderes Zubehör ist auch hier nicht zulässig. Mit diesem Helm könnte nun jedes Zubehörteil, welches über eine ECE-R-22.06-Genehmigung verfügt, als UA verwendet werden. Bisher ist mir aber kein Zubehöranbieter mit einer UA-Genehmigung bekannt. Beim TÜV Rheinland wurde bisher auch keine Prüfung eines Zubehöranbieters beauftragt. Zubehör ohne Genehmigung ist grundsätzlich unzulässig.
Gibt es Neuigkeiten im Hinblick auf mögliches Verkaufsverbot für Helme, die nur nach ECE-R 22.05 geprüft worden sind?
Dazu haben wir vom Kraftfahrt-Bundesamt die offizielle Aussage, dass ein mögliches „Verkaufs- oder Verwendungsverbot“ für Helme, die nicht den neuen Vorschriften der Änderungsserie 06 entsprechen, nicht angedacht ist. Weiter ist mir auch kein Anwenderstaat der ECE-R 22 bekannt, der ein Verbot ausgesprochen oder geplant hat.
Ersthelfer-Tauglichkeit: Schnelle Bedienung im Notfall zählt
Im Ernstfall muss ein Motorradhelm schnell und unkompliziert abgenommen werden können – zum Schutz des Verunfallten. Besonders wichtig sind dabei:
- Einfaches Öffnen des Visiers, um Atmung zu prüfen.
- Schnelles Lösen des Kinnriemens.
- Wangenpolster-Schnellentfernungssysteme (WPS) zur erleichterten Abnahme.

Runter damit: Der Profi stabilisiert, der Laie zieht, die Motorradfahrer-Nase leidet etwas.
Fazit: Drei Rettungskräfte testeten die Helme aus Sicht von Ersthelfern. Positiv hervorgehoben wurden u. a. Craft (bestes Gesamtpaket), HJC RPHA 60 und Scorpion. Negativ auffällig war der LS2 MX701 – viele sicherheitsrelevante Details sind zu versteckt oder schlecht erkennbar. Die Ersthelfer-Tauglichkeit wird bei der Bewertung nicht bepunktet, ist aber für Käufer und Hersteller ein wichtiges Thema, das mehr Aufmerksamkeit verdient.
Motorrad-Adventure-Helme sollen 2 Welten vereinen
- Straßentauglichkeit: Komfort, geringes Windgeräusch, integrierte Sonnenblende, Pinlock-Visier, Vorbereitung für Kommunikationssysteme.
- Geländetauglichkeit: Geringes Gewicht, hohe Belüftung, großes Sichtfeld für MX-Brillen.
Problem: Diese Anforderungen widersprechen sich oft – was zu Kompromissen bei Aerodynamik, Lautstärke und Gewicht führt.
Technik-Check: Adventure-Helme im Windkanal klar unterlegen
- Große Helmschirme stören bei höheren Geschwindigkeiten (z. B. auf der Autobahn).
- Cross-typische Kinnteile erzeugen mehr Lärm.
- Klapphelme sind besonders schwer (300–500 g mehr als reine Offroad-Modelle).
Trotz technischer Schwächen: Warum sie so beliebt sind
- Optik & Lifestyle: Adventure-Helme sind Teil des typischen "Adventure-Bike"-Looks (z. B. BMW GS mit Alukoffern, Sturzbügeln, Zusatzscheinwerfern).
- Sichtfeld & Belüftung: Vorteile bei niedrigem Tempo, z. B. auf engen Landstraßen oder im Sommer.
Zwei Helm-Designphilosophien im Test
Straßenbasierte Konstruktionen (z. B. HJC RPHA 60, viele Klapphelme):
- Leiser, gut ausgestattet, weniger offroad-tauglich.
- Meist einfach zum "Straßenhelm" umrüstbar.
Offroad-orientierte Modelle (z. B. Nishua, LEATT, Scorpion):
- Leichter, besser belüftet, dafür lauter und zugiger.
- Kaum Komfortfeatures – Konzentration auf Geländetauglichkeit.
Sicherheitsnormen
- Getestet nach ECE-R 22.06 – strenger als die alte 22.05.
- In Deutschland keine Pflicht zu ECE-Helmen, aber Versicherung & Gerichte sehen das anders.
- Im EU-Ausland (z. B. Italien, Frankreich) drohen Strafen ohne ECE-konformen Helm.
- Zubehör wie Action-Cams kann zur Aberkennung der Zulassung führen, da es den geprüften Originalzustand verändert.