Die neue Moto Guzzi Stelvio kommt mit dem komplett neu entwickelten Motor der V100 Mandello. Auf den ersten Blick könnte man glauben, bei der Moto Guzzi Stelvio habe man primär die ohnehin nur mit zweifelhaftem Nutzwert gesegneten, beweglichen seitlichen Flaps der Mandello gestrichen und ein paar Michelin Anakee Adventure bestückte Kreuzspeichenräder in den Dimensionen 120/70 R 19 und 170/60 R 17 montiert, anstelle der üblichen 17-Zöller. Doch weit gefehlt!
Was sind die Unterschiede zwischen Moto Guzzi Stelvio und V100 Mandello?
Die Moto Guzzi Stelvio wurde zwar gemeinsam mit der Mandello auf Kiel gelegt, von Anfang aber an in Richtung Reiseenduro entwickelt, während die Mandello ein latent sportlich angehauchtes reines Straßenmotorrad ist. So ist die Sitzposition auf der Moto Guzzi Stelvio etwa deutlich aufrechter, der Lenker höher und weiter zum Fahrer hingeneigt. Der stufenlos elektrisch um 70 Millimeter verstellbare Windschild fällt deutlich größer aus
Auch hat die Moto Guzzi Stelvio einen eigenen Brückenrahmen aus Stahl, der neben einer anderen Geometrie durch 4 statt nur 2 vordere Aufhängungspunkte des Motors rund 20 Prozent steifer sein soll als der der Mandello. Die Federwege von 170 mm vorn wie hinten (Mandello je 130) liegen bei der Stelvio auf üblichem Reisenduro-Niveau. Die Gabelinnenrohre haben 46 statt 43 Millimeter Durchmesser. Die Abstimmung der jeweils in Vorspannung und Zugstufe einstellbaren Federelemente liegt zumindest im Werks-Setup auf der sportlich straffen Seite. Besonders das direkt angelenkte Federbein lässt sich von kurzen, harten Stößen nur mäßig beeindrucken. Wer also sänftengleichen Komfort sucht, wird hier eher nicht fündig.
Fahrwerk der Moto Guzzi Stelvio
Dafür gibt sich das Fahrwerk der neuen Moto Guzzi Stelvio keine Blöße, wenn es mal etwas fixer zur Sache geht. Das Einlenken geht nicht ultrahandlich vonstatten und auch das letzte Quentchen Rückmeldung fehlt. Im Gegensatz zu einer leichten, wenngleich spürbaren Aufstellneigung beim Bremsen in Schräglage. Was nun wieder schlimmer klingt, als es nach etwas Eingewöhnung ist. Inwieweit daran die oben erwähnte Serienbereifung beteiligt ist, muss sich zeigen. Aber die Anakees haben nun einmal recht große und somit walkfreudige Profilblöcke, die dafür abseits des Asphalts ihre Vorteile haben.
Antrieb der Moto Guzzi Stelvio
Der Antrieb ist bei beiden Modellen – Moto Guzzi Stelvio und Mandello – identisch, ein wenig Feinschliff am Getriebe sorgt dafür, dass der leider nicht serienmäßige Quickshifter/Blibber schneller und geschmeidiger ans Werk geht. Bei hoher Last und/oder Drehzahlen macht er seinen Job richtig gut, unter weniger kompetitiven Bedingungen schadet der Griff zum leichtgängigen und einstellbaren Kupplungshebel nicht, um die Gangwechsel ruck- und geräuschlos zu absolvieren.
Getriebe der Moto Guzzi Stelvio
Das Getriebe der Moto Guzzi Stelvio macht seine Aufgabe im besten Sinne unauffällig, von dem heftigen "Klonk" beim Einlegen des ersten Gangs – vor allem bei kaltem Motor – mal abgesehen. Die Gesamtübersetzung ist eher kurz, 3.000/min auf dem mäßig ablesbaren Drehzahlschätzer entsprechen im Sechsten rund 70 km/h. Der Motor selbst ist auf eine starke Mitte hin ausgelegt. Sein Drehmomentmaximum von 105 Nm erreicht er bei 6.750/min. Darüber lässt sein Elan spürbar nach, was bei StVO-kompatiblen Geschwindigkeiten aber zu vernachlässigen ist.
Fürs Protokoll: Die Maximalleistung von 115 PS liegt bei 8.700/min an. Für die Praxis deutlich relevanter: Ab 3.500/min stehen stets über 85 Nm zur Verfügung. Es ist kein Problem, mit der Moto Guzzi Stelvio mit 2.000/min im 6. Gang durch den Ort zu rollen, und danach durchaus souverän durchzuziehen. Wie energisch der Twin dabei zur Sache geht, lässt sich über insgesamt 5 Modi (Rain, Tour, Road, Sport, Offroad) einstellen. Die Maximalleistung ist jeweils dieselbe, nur das Ansprechverhalten sowie die Eingriffsschwellen von ABS, Motorschleppmoment und Traktionskontrolle sind variabel. Die einzelnen Profile lassen sich individuell anpassen, und die jeweils gewählte Einstellung bleibt auch nach dem Neustart erhalten.
Ausnahme: Im Offroad-Modus ist das ABS der Moto Guzzi Stelvio hinten per se deaktiviert. Dies lässt sich auch vorn einrichten, das muss aber nach jedem Neustart erneut gemacht werden. Auch die direkt im Motor- bzw. Getriebegehäuse gelagerte Einarmschwinge ist den geänderten Einsatzbedingungen angepasst. Eine von 5 auf 7 Millimeter erhöhte Wandstärke so wie eine stärkere Schwingachse sorgen für mehr Steifigkeit.
Elektronik-Paket mit Totwinkel- und Abstandswarner
Ebenfalls neu und derzeit exklusiv für die Moto Guzzi Stelvio ist das für 900 Euro Aufpreis erhältliche, PFF (Piaggio Fast Forward) genannte Elektronik-Paket. Es enthält derzeit einen Totwinkel-Warner (BLIS), einen von der Funktion im Prinzip identischen Spurwechsel-Assistenten (LCA), der vor sich schnell von hinten nähernden Fahrzeugen warnt sowie ein Frontradar (FCW) mit Abstandswarner bei zu dichtem Auffahren, allerdings nur passiv, will heißen, ohne Bremseingriff. Geplant, aber derzeit noch nicht lieferbar ist ein Adaptiver Tempomat (FCC) der es erlaubt, sich an vorausfahrende Fahrzeuge quasi anzuhängen.
Die Verarbeitung und Wertanmutung der Moto Guzzi Stelvio kann sich grundsätzlich sehen lassen, wenngleich diesbezüglich beim Antrieb noch Luft nach oben ist. So wirken die großen Flächen des Kurbelgehäuses etwas trist und wie mit der Spraydose lackiert. Dass aus den Gehäusefugen teilweise Dichtmasse herausquillt, schaudert dem Ästheten. Und dem wild wuchernden Kabel- und Leitungsgekröse rund um den Anlasser würde eine Abdeckung guttun. Denn mit 16.499 bzw. 17.299 Euro (mit PFF-Paket) kein Sonderangebot. Und mit 246 Kilogramm (Zuladung 210 kg) leider auch kein Leichtgewicht. Ab März 2024 soll die Moto Guzzi Stelvio bei den Händlern stehen.