Finale: Moto Guzzi V11 Le Mans

Finale: Moto Guzzi V11 Le Mans Wir haben Zeit

Du träumst immer öfter von früher, fragst dich, ob nervige Hektik und hochgestochene Hightech dein Leben bestimmen sollen? Wenn dir eine grundehrliche Mechanik und das Herumwerkeln mit Schraubenschlüssel und Fühlerlehre lieber ist als die Fehlerdiagnose mit dem Laptop, gäbe es was für dich: eine Moto Guzzi V11 Le Mans.

Wir haben Zeit Gargolov

Krachend wirft sich der Anlasser in die Verzahnung, bringt nur mit Anstrengung den massigen 1100er-Twin in Schwung. Einen Kolbenschlag später schüttelt sich der mächtige Antrieb wie ein nasser Hund, findet seinen Rhythmus, und ... Wie, das ist doch alles gähnend langweilig? Weil so jede, aber auch wirklich jede Geschichte über eine Moto Guzzi beginnt? Stimmt, da ist was dran. Aber wie bitte schön, soll eine Guzzi-Geschichte anfangen, wenn nicht mit dieser mechanischen Lautmalerei?

Die Mechanik ist es doch gerade, die das Ursprüngliche symbolisiert. Von ihr lebt die Faszination für Motorräder dieser Art. Eine Faszination, die um sich greift und die von einigen Maschinen ausgeht. Harley-Davidson hat da zum Beispiel auch noch ein paar kräftig wummernde Apparate im Programm. Wer danach sucht, der wird vielleicht bei Ebay fündig oder anderswo. Youngtimer für wenig Geld etwa, aber mit umso mehr Macken, sind ein großer Markt. Logisch, auch andere hängen vergangenen Zeiten und Träumen nach. Aber Vorsicht, wenn die Kiste erst einmal vor der eigenen Haustür steht, gibt es meist keinen Weg zurück mehr. Und auch keine Garantie für dauerhafte Freude, schließlich wollen die vielen konstruktiven Pannen verdaut und der spirituelle Zugang erkämpft werden. Man realisiert schnell, dass sich die Entscheidung nicht in einem überfallartigen Glücksgefühl breit macht, das den Kradfahrer etwa beim Ritt auf einer nahezu perfekten Honda VFR, einer gierigen Suzuki GSX-R 1000 oder dem softigen Yamaha-FJR-Tourer überkommt. Ein Anfall, der häufig allerdings genau so schnell verschwindet, wie er gekommen ist.

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Mit der Sonne im rücken neigt sich der Ritt auf der V11 dem Ende entgegen.

Nein, die Sehnsucht nach dem ursprünglichen Krad kommt schleichend. In manchen Fällen sogar in Form anfänglicher Abneigung. Speziell dann, wenn das urige Reiteisen eine gewisse Widerspenstigkeit an den Tag legt. Und just in diesem Stadium entscheidet sich die Lage. Entweder man stellt die große Liebe auf schnellstem Wege dem netten Händler zurück auf den Hof – oder man lernt mit ihren Flausen zu leben. Das dauert, so ganz grob gesagt, eintausendundeinen Kilometer. Warum? Das ist eine lange Geschichte, die wir hier nicht erzählen können. Jedenfalls sollte im Frühjahr 2003 eine Moto Guzzi V11 im schonungslosen MOTORRAD-Top-Test gestriezt und gemolken werden. Mit 1000-Punkte-Wertung, etlichen Bremsversuchen, Slalom-Wedeln – das volle Programm eben. Der Kelch ging an ihr vorüber.

Sehnsucht nach einfachen Motorrädern

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Raus aus der Alltagshektik, sich treiben lassen. Ein Motorrad wie die V11 hilft dabei.

Nun ist es Herbst, Intermot-Herbst. Neuheiten über Neuheiten. Glamouröse Videoclips und Computeranimationen zelebrieren die jüngsten Geniestreiche der Konstrukteure. Elektronische Schaltungen gehören dazu und noch mehr Fahrhilfen, damit’s beim Bremsen nicht blockiert und beim Gasgeben nicht aus der Spur rutscht. Halbnackte Mädels räkeln sich auf futuristischem Plastik, martialische Scheinwerfer glotzen böse aus der Verkleidung. Und plötzlich sehnt man sich nach einem ganz einfachen Motorrad. Eins mit rundem Scheinwerfer, aufgefächerten Kühlrippen und einem Motor, dem man bei der Arbeit noch zuschauen kann. Anders ausgedrückt: Gibt’s was Besseres, als ’ne rote Wurst vom Lagerfeuer? An den Zipfeln leicht angekokelt, mit Senf, frischem Bauernbrot und: pfump, ein kühles Bier aus der Flasche? Lecker. Genau so, wie die letzte Ausfahrt mit der Guzzi V11.

Was für ein Erlebnis. Unvergleichlich der Moment, wenn sich der riesige Elektrostarter mit Getöse in die Verzahnung der Schwungscheibe einklinkt und die Kurbelwelle herumwirbelt, der Motor das erste Mal zündet. Selbst gestandene Guzzisti kommen zu dem Schluss, dass dies das Beste an dem mächtigen Brocken ist. Auf einen Schlag erschüttern zügellose Massenkräfte die Erde, so dass selbst die nach oben offene Richter-Skala in Wallung gerät. Technisch einfühlsame Menschen können bei der metallischen Kollision der Zahnräder und der folgenden Eruption nicht glauben, dass im Jahre 2008 nach Christi Geburt solche ungehobelten Vorgänge konstruktiv geplant sind. Bei jedem Gasstoß bringen unsichtbare Kräfte und Momente die Guzzi ins Wanken, zerren an dem massigen Monument und lassen es kippen. Rückdrehmoment, kommentiert der technisch Versierte salopp dieses Spiel der Elemente und meint damit, die sich längs zur Fahrtrichtung drehende Kurbelwelle.

Machen wir uns nichts vor, das mehr oder weniger beherrschbare Spiel der Massenkräfte ist ein grund-legender Charakterzug aller echten Guzzis. Vielleicht deshalb, weil sie ursprünglich als Stationär-Motoren gedacht und jetzt von lästerlichen Mäulern gerne als Betonmischer verhöhnt werden. Ignoranten allesamt, denn wer den Aufstieg der Brummer aus Mandello del Lario erlebt hat, weiß, mit welcher Lässigkeit die erste Moto Guzzi V7 Sport Anfang der 70er Jahre das japanische Establishment in Grund und Boden fuhr. Der Autor selbst, der damals als Moto-Guzzi-Mechaniker sein Geld verdiente, nagelte im Höllentempo mit den soliden V7 Sport über zerfurchte Schwarzwaldstraßen. Auf denen leisteten japanische Fahrwerke den Offenbarungseid, so dass jedweder Versuch, der Guzzi zu folgen, scheiterte. Koni-Federbein hin, Metzeler-Reifen her – mit einem Nippon-Schaukelstuhl war hier nix zu machen. Die Italiener spielten zu dieser Zeit einfach in einer anderen Liga.

Modernisierung bis ins Detail

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"Sport-Guzzis sind der Versuch, aus einem Traktor einen rassigen Renner zu züchten."

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Allerdings spielt Moto Guzzi nicht mehr in der ersten, sondern eher in der Regionalliga. Während fernöstliche Ingenieure ihre Glückseligkeit im Streben nach der maximalen Funktion suchten, modernisierten die Italiener ihren Donnervogel zwar bis ins Detail, hielten jedoch am ursprünglichen Bauprinzip aus den 60er Jahren fest. Grundsätzlich ist dieses Prinzip mit der längs rotierenden Kurbelwelle und dem direkt angeflanschten Getriebe mit Kardanantrieb für ein Sportmotorrad aber nur bedingt tauglich. Oder, um ganz ehrlich zu sein: So baut man kein Sportmotorrad – nicht heute und früher auch nicht. Die Sport-Guzzis waren und sind allesamt nichts anderes als der hilflose Versuch, aus der Erbmasse eines pummeligen Traktors einen rassigen Renner zu züchten. Doch was nicht geht, geht nicht.

Dafür taugen die quer in den Wind gestellten Zylinder für das unvergleichliche Erlebnis einer handfesten Fahrmaschine, das in seiner schlimmsten Ausprägung zur Sucht führen kann. Schon damals, vor fünf Jahren, haben wir uns vom ersten Kolbenschlag an verstanden, die Guzzi und ich. Und heute immer noch. Man sieht es nicht zuletzt an meinen Klamotten. Nix mit Rennkombi, Schluss mit Knieschleifern. Im touristischen Anzug, den luftigen Jethelm übergestülpt, geht die Reise quer durchs Land, über die Hausstrecke zu den Lieblingsplätzchen, die man auf der Landkarte kaum findet. Nur keine Eile. Wir haben Zeit. Das ist auch gut so, denn die feuchte Nacht hat den Elektrostarter außer Kraft gesetzt. Er zeigt keine Reaktion, nicht mal ein zartes Klacken. Anschieben? Zwei Kolben, groß wie Bierkrüge, gegen die Kompression wuchten? Pfeifendeckel. Ein bisschen Wackeln, Klopfen und Schütteln hilft immer. Und schon wirft sich krachend der Anlasser ...

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