Post aus Milwaukee: Die völlig neue Del Mar stehe für eine exklusive Euro-Probefahrt plus Austausch mit Harley-Boss und LiveWire Präsident Jochen Zeitz bereit. "Du wirst sehen, zur Del Mar gibt es aktuell nichts Vergleichbares", machte Zeitz den Mund wässrig. "Dieses E-Motorrad baut auf unseren Erfahrungen seit Start des E-Projektes auf und wurde im Gegensatz zur One komplett von uns allein entwickelt und gebaut. Selbst die Batterie – wir kaufen nur noch die Zellen."
Modernstes Elektro-Konzept in Serie
Technisch muss man Zeitz schon recht geben, wenn man die S2 Del Mar im LiveWire-Headquarter nur umkreist. Bleiben wir doch gleich bei der Hochvoltbatterie mit 10,5 kWh Kapazität. Diese wird nur noch per J1772 TYPE 1-Stecker geladen, statt wie die One wahlweise per CCS/Schnellladesäule möglich. Die nötige zusätzliche Elektronik für Gleichstromladen hat LiveWire aus Gewichtsgründen gespart.
Der Clou ist: Die Batterie fungiert als zentrales Teil des Chassis und hängt damit nicht mehr nur als "tote" Masse im Rahmen. Die ausgeprägten Rippen kühlen den schmalen Akku und integrieren ihn schön in die sportliche Gesamtoptik. Im darunter angeflanschten Elektromotor mit der flüssiggekühlten Lade- und Management-Technik ist die Alu-Schwinge gelagert, an der sich das in Druckstufe und Vorspannung einstellbare Showa-Federbein per Umlenkung abstützt. Oben sitzt es an der Batterie, an der der Alu-Heckrahmen angeschraubt ist.
Elektrischer Leichtbau
Diese Konstruktion lässt die Live Wire Del Mar geradezu zierlich wirken und verspricht entsprechende Handlichkeit. Diese Hoffnung untermauert die Gewichtsangabe. Knapp 198 Kilo bringt die Del Mar auf die Waage, satte 57 Kilo weniger als bei der LiveWire One und genau das von MOTORRAD ermittelte Gewicht einer vollgetankten BMW S 1000 RR.
263 geregelte Nm Drehmoment
Laut Technik-Talk sollen gigantische 263 Newtonmeter Drehmoment am S2 getauften Antrieb der LiveWire Del Mar bereitstehen. Natürlich droht über die elektronische Regelung kein Salto im Stand, aber mit jeder leichten Drehbewegung am Gashahn schiebt die Del Mar derart zornig vorwärts, dass die schon erwähnte S 1000 RR mit ihrem Abzug wie eine dürre Wüstenziege gegen ein Rennkamel wirkt. Ganz besonders im Sport-Mode, einem von insgesamt fünf Riding-Modes. Bis auf den"Custom"-Mode sind jeweils die Traktionskontrolle und eine Art Launch-Control Eingriffswerte festgelegt. Stabilität ist dabei kein Thema. Wie Evel Knievel vor dem Sprung im Los Angeles Coliseum hockt man bei diesem Ritt auf der LiveWire. Der breite Lenker, die schmale Tankattrappe und der flache, lang gezogene Sitz erinnern an die legendäre Harley XR 750 – ein lässig-sportliches Sitzgefühl.
Bei 165 km/h ist Schluss
Bis in welche Topspeed-Regionen einen die 84 PS des permanenterregten E-Motors tragen würden, kann nicht gesagt werden. Zum einen ist mit den Ami-Cops beim Tempolimit überhaupt nicht zu spaßen, zum anderen ist elektronisch geregelt bei 165 km/h Schluss. Warum? Weil die Del Mar eben auch ein hauptsächlich auf urbanen Betrieb ausgelegtes Motorrad ist, das Vorstadt und nahe gelegene Landstraßen schnuppern soll, aber sich in Bezug auf Reichweite kaum für anhaltenden Autobahnsprint anbietet. Warum also beim Topspeed alles geben? Mit der Begrenzung verbläst man keine Ladung sinnlos und die bedeutete Reichweite. Bei angegebenen 113 Kilometern im Mischbetrieb nimmt man das dankend an.
Schneller laden – theoretisch
Wer dennoch Lust verspürt, mit der Del Mar Strecke zu machen, kann sich über deutlich zügigere Ladevorgänge freuen, als wir das bei der One feststellen mussten. An Level 2-Ladern soll die leere Batterie mit 7,6 kW Ladeleistung nach 78 Minuten wieder 80 Prozent haben, an der normalen Steckdose nach knapp sechs Stunden. Die One erzwingt in beiden Fällen (Wechselstrom) noch über zehn Stunden Pause!
Spielerisch elektrisch fahren
Gefahren ist sie wirklich sehr fidel, die S2 Del Mar. Das Cruisen durch die Stadt und das schnelle Wedeln im Speckgürtel von Milwaukee hat großen Spaß gemacht. Man spürt sofort, dass die Gewichtsverteilung besser gelungen ist als an der One, die Batterie mit ihrer Masse zentraler positioniert ist. Damit lässt sich die Del Mar spielerisch in alle Arten von Kurven und von einer auf die andere Seite legen. Gleichzeitig eilt sie zielsicher durch die Windungen. Leicht getrübt wird der Spaß nur von den dicken 19-Zoll-Dunlops, die dazu nagelneu aalglatt waren. Ich bin mir sicher, dass 17-Zoll-Reifen sportlicher Ausrichtung mit schmalerem 120er-Maß vorn der Handlichkeit gerade beim Einlenken und letztlich auf der Bremse zuträglicher wären. Coole Optik hin oder her – dann gäbe es aus meiner Sicht kaum etwas am Fahrverhalten zu kritisieren.
Fahrwerk straff
Okay, Gabel wie Federbein der S2 Del Mar sind vielleicht erst mal recht straff abgestimmt und sprechen etwas grob an. Die Straßen in und um Milwaukee sind aber auch ein brutaler Flickenteppich mit dickwülstigen Bitumen-Ausbesserungen, wohin das Auge reicht. Leider blieb für Einstellexperimente keine Zeit. Die Brembo M4 Monoblock, die radial angeschlagen auf die 300er-Scheibenbremsen packt, sind absolutes Sportniveau und fein dosierbar. Dazu hat das ABS Schräglagenerkennung.
Das kostet die neue Del Mar
Man wird sehen, ob die Zangen nach den ersten auf 100 limitierten Del Mar so erhalten bleiben. Deren Preis soll unter 20.000 Euro liegen, gut 5.000 Euro unter dem der One. Ab der 101. Del Mar könnte dann durch Abstriche an der Ausstattung der Preis weiter niedrig gehalten werden. Denn Jochen Zeitz erklärte uns noch, dass zu dem Kurs mit der Del Mar kein Geld zu verdienen sei. "Wir sehen die Del Mar als Investment, um die Kunden von der Qualität und den Fahreigenschaften unserer Auffassung von Elektromotorrad auf breiter Basis zu überzeugen." Nach meinem ersten Eindruck ein guter Plan.