Stark Varg Elektro-Motocross Fahrbericht

Stark Varg Elektro-Motocross Fahrbericht
Elektrischer Urknall: Der mit dem Wolf tanzt

Veröffentlicht am 11.06.2022

So muss man sich wohl den Urknall vorstellen: Plötzlich war sie da, die Maschine, die übersetzt "starker Wolf" heißt. Am 14. Dezember 2021 wurde das Erstlingswerk von Stark Future online präsentiert. In den ersten 24 Stunden gingen beinahe 1.000 Vorbestellungen ein, mittlerweile wurden daraus 9000. Nun sollen in Castelldefels bei Barcelona 10.000 Stück der ersten Generation der Stark Varg produziert und ab Oktober dieses Jahres ausgeliefert werden.

Stark Varg

Die Varg ist eine weitgehende Eigenproduktion. Motor, Chassis, die "Flying V"-Batterie und alle anderen Teile stammen aus der Feder des Duos. Lediglich das ­Kayaba-Fahrwerk, die Brembo-Bremsen und Großserienteile wie Kette oder Lenker werden zugeliefert. Motor und Batterie sind als tragende Teile in das Chassis integriert. Die Maschine gibt es in zwei Versionen, mit 60 oder 80 PS Spitzenleistung. Ein weiteres Novum: Jeder Kunde kann sich die Stark Varg individuell konfigurieren. Neben der Motorleistung lassen sich Hinterradgröße, Federraten, die Bedienung der Hinterradbremse per Fuß- oder Handhebel und die Farbe der Kunststoffteile wählen. In der 60-PS-Variante kostet die Maschine samt Ladegerät und Werkzeug-Kit 12.900 Euro, die 80-PS-Version ist 1.000 Euro teurer.

Besser als eine 450er

Doch genug der Theorie. Die Frage ist: Kann die Stark mit einem Verbrenner-Motorrad der Motocross-Königsklasse MX1 mithalten? Die Antwort ist eindeutig: ja! Für die Präsentation stand lediglich die 60-PS-Konfiguration des Motors zur Ver­fügung, die Test-Maschinen befinden sich noch in der finalen Entwicklungsphase. Der Motor der Varg besitzt, typisch ­E-Motor, ein enormes Drehmoment – und das ab der ersten Umdrehung. Selbst ohne Getriebe befindet man sich sinnbildlich immer im richtigen Gang. Der Motor schiebt permanent an. Dabei lässt sich der Krafteinsatz am Gasgriff feinfühlig dosieren. In der Serienversion wird man über das Display, ein im Lenkerpolster unter­gebrachtes Smartphone mit Stark-App, die Motorcharakteristik über verschiedene Fahrmodi selbst einstellen können. Der Plan: Im übertragenen Sinn soll aus der Stark ein sanfter 125-cm³-Welpe als auch ein aggressiver 500-cm³-Wolf konfiguriert werden.

Elektrisch einfach fahren

Mit weniger rotierenden Teilen im Motor als ein Verbrenner fühlt sich die Stark handlicher an als eine MX1-Maschine. ­Insbesondere beim Einlenken in Kurven wirkt sie deutlich agiler. Geht man beim Springen in der Luft ans Gas, schnellt das Vorderrad deutlich stärker nach oben als beim Verbrenner. Eine Folge der durch den hochdrehenden Elektromotor möglichen langen Sekundärübersetzung. Durch das nur leise Surren des Elektroantriebs nimmt man beim Fahren deutlich mehr Geräusche wahr. Dadurch hört man das Durchdrehen oder Blockieren des Hinterrades schon, bevor das "Popometer" den Traktionsverlust spürt. Das Fahrwerk arbeitet gut und zuverlässig, in manchen Fahrsituationen sogar besser als beim Verbrenner, da der Zug auf der Kette beim Rollen oder Bremsen entfällt. Dadurch sprechen die Federelemente spürbar feinfühliger an.

Besser bremsen

Die Bremsen funktionieren tadellos. Die Bedienung der Hinterradbremse am Lenker bringt sogar einige Vorteile: Mit den Fingern im dünnen Cross-Handschuh besitzt man mehr Gefühl als mit dem Fuß im dicken Cross-Stiefel. Zudem können die Füße beim Bremsen in einer optimalen, unverkrampfteren Position verbleiben. Am Kurvenausgang lässt sich die handbetätigte Hinter­radbremse sogar als Kupplungsersatz zur Feindosierung der Beschleunigung nutzen.

Elektrisch einfach schnell

Im direkten Vergleich mit einem 450- cm³-Verbrenner waren die jeweils schnellsten gefahrenen Rundenzeiten nahezu identisch. Mit der Stark ließen sich diese jedoch konstanter erzielen, da sie sich ­einfacher fahren lässt. Denn Entscheidungen wie Gangwahl und Kupplungseinsatz entfallen, auch der Spaßfaktor ist so hoch wie gewohnt. Motorsound, Kupplung oder Getriebe vermisst man nach der Eingewöhnungsphase nicht mehr.

Wie weit der Wolf tanzt?

Schade: Auf der Präsentation war es nicht möglich, die Batteriekapazität voll auszutesten und damit eine der wichtigsten Fragen zu klären: Wie lange hält der Akku? In den zehnminütigen Turns, die ­jeweils im Renntempo am Stück gefahren wurden, reduzierte sich der Ladestand des 6,5-kWh-Akkus von 95 Prozent auf 54 ­Prozent. Hochgerechnet entspräche das einer Fahrdauer von insgesamt etwas über 20 Minuten. Stark Future proklamiert, dass der Akku der Varg Energie für eine 30-minütige Renndistanz liefern würde. Ein Leistungsverlust war bis zum halben Ladestand nicht spürbar. Software und ­Regelung befänden sich noch in der Feinentwicklung, das Batteriemanagement soll bis zum Beginn der Auslieferung noch effi­zienter werden.

Die Varg ein Siegertyp?

In dieser Beziehung müssen die Karten spätestens im September auf dem Tisch liegen. Dann soll Stark-Testpilot und Ex-Weltmeister Sébastien Tortelli im Finale der italienischen Motocross-Meisterschaft in Malpensa bei Mailand mit einer Wildcard ans Startgatter rollen. Bis zur Saison 2023 sollen die Regelwerke aller Motorsportverbände die Teilnahme von E-Crossern auf allen Ebenen erlauben.