"Eine echte Duc hat Desmodromik – basta!" Diesen kompromisslosen Satz und einen entsprechenden Blick mussten sich die Multis daher in all ihren Varianten von Hardlinern unter den Ducati-Verehrern gefallen lassen.
Ducati Multistrada V4 RS Fahrbericht
Dieser Geringschätzung setzt der Hersteller nun ein Ende. Die Multistrada V4 hat tatsächlich den Desmosedici Stradale V4 der Panigale bekommen und damit die drehzahlfeste Desmodromik. Und obendrein eine Trockenkupplung, dass es nur so rasselt.
Damit ich die Tragweite dieser Maßnahme, die mit dem RS-Kürzel wie einst an der Monster S 4 RS versehen wurde, auch umreiße, lud mich Ducati zum exklusiven Test auf die Rennstrecke von Modena ein. Dort steht die RS auf Slicks mit dem Performance-Auspuff von Akrapovic aus dem Zubehörangebot ergänzt, der dem Desmo Stradale-V4 im Race Mode sogar zu 192 PS verhelfen soll .
V4 für die Landstraße neu abgestimmt
Für den Einsatzzweck einer Multistrada, so der Projektverantwortliche, sei der Supersport-Motor noch mal neu abgestimmt worden. Damit würde der Antrieb bei normaler Fahrt auf der Landstraße im unteren Drehzahlbereich gutmütiger zu Werke gehen als aus der V4-Streetfighter bekannt, aber bei hohen Drehzahlen entsprechend zornig loslegen, wie es sonst keine Multistrada hinbrächte. Ohne den Rennauspuff serviert der Motor mit der Akrapovic-Serienanlage mit Euro-5+-Zulassung dazu 180 PS bei 12.250/min. Das ist mal eine Ansage und ein ausgestreckter Mittelfinger auf die Vernunftfrage, ob ein Reisebike so etwas braucht.
Neuheit: Heckrahmen aus Titan
Die Frage mag angesichts des komplett neu gestalteten Hecks stellen. Der Hilfsrahmen ist aus Titan, und damit das jeder Betrachter mitbekommt, glänzt dieser nicht nur unlackiert unter der Sitzbank (stammt aus der Pikes Peak) hervor, sondern hat es Ducati vor dem unteren Haltepunkt ablesbar sogar draufgedruckt. Das Heck ist scharf geschnitten und die Haltegriffe für den Sozius sind in die nur für die RS konstruierten Heckverkleidungsteile integriert. Ein Topcase fällt allerdings damit flach. Dass die Titanteile allein 2,5 Kilogramm gegenüber den Rahmenteilen der anderen Multis einsparen, darf dabei nicht vergessen werden.
Mit einer "Enduro" auf die Rennstrecke
Mit den heißen Slicks geht es auf die Piste. Race Modus – na klar. Auf den 2,7 kg leichteren Marchesini-Schmiedefelgen in 17 Zoll (43,18 cm) wirbelt das "Dickschiff" sehr handlich, unterstützt vom straff agierenden Öhlins Smart EC 2.0-Fahrwerk. Zwar verlangen die Slicks einen entsprechend engagierten Einlenkimpuls, dann aber klappt die RS ab und liegt satt in Schräglage, dass man wie ein Bullenreiter den breiten Lenker an den Enden packt. Die Gasannahme ist superdirekt. Auf den ersten Sichtungsrunden offenbart der Motor in den vielen engen Passagen seine Gnade. Das muss die moderate Abstimmung in unteren Drehzahlen sein. Geht es dann auf die Gerade hinaus, dreht der V4 über 7.500/min und mehr, dann bricht tatsächlich die Hölle los. Die RS marschiert, als müsse sie Ducatis MotoGP-Weltmeister Pecco Bagnaia einholen. Bis über 13.000/min dreht der Motor, die Gänge flutschen per Schaltautomat, die Racing-Anlage brüllt. Dann rein in die Bremse – die hat Superbike-Niveau. Unter Teillast und im Schiebebetrieb hört man die Trockenkupplung schnarren, während man das hoch aufragende Bike von einer Seite zur anderen wirft. Ein bizarres Szenario, das aber mit jeder weiteren Runde mehr Spaß macht.
Moderater Roadmodus
Als mir die Puste ausgeht, schalte ich nicht nur im Kopf einen Gang zurück, sondern wähle den Road Modus. Und ja, jetzt lässt es sich gemütlich um den Kurs fahren, die Gasannahme ist deutlich moderater. Man kann sich tatsächlich vorstellen, so auf der Straße herumzurollen. Herumrollen? Nicht jetzt, solange die Reifen noch warm sind! Noch ein bisschen Saft fließt, also Race Mode wieder rein und angreifen.