Diese drei Retro-Motorräder haben nichts fälschlich Nostalgisches an sich, zumal sie mit aktueller Technik und aktuellen Komponenten aufgebaut wurden und diese prominent zur Schau stellen. Sie repräsentieren einfach ein klassisches ästhetisches Ideal.
Neues Fahrwerk bei der BMW R 12 nineT
Techniker und Designer von BMW wollen – so der Pressetext – mit einem einteiligen Gitterrohrrahmen das klassische Aussehen der neuen BMW R 12 nineT ab Modelljahr 2024 noch stärker betonen. Doch um den Unterschied zu den früheren, am Motor verschraubten zwei Hauptrahmenteilen zu erkennen, muss man schon sehr genau hinsehen. Insofern hat das mit der Betonung nicht richtig geklappt.
Funktional jedoch hat das neue Fahrwerk mit dem neuen Rahmen im Zentrum gegenüber dem früheren gewonnen. Vorn weich, hinten hart, das war einmal. Federung und Dämpfung arbeiten vorn und hinten jetzt schön synchron. Dieser Ausdruck ist streng genommen nicht korrekt, weil das Vorderrad immer einen Lidschlag früher über eine Bodenwelle rumpelt als das Hinterrad, aber er beschreibt treffend das Fahrgefühl, das die BMW bietet.
Kawasaki Z 900 RS fordert energische Lenkimpulse
Das Gefühl von Ausgewogenheit der Abstimmung prägt sich auf ihr sogar etwas stärker aus als auf der Kawasaki. Die Kawasaki Z 900 RS fordert energische Lenkimpulse und trifft Bodenwellen in Schräglage gefühlt öfter mit stärkerem Schräglauf des Vorderrads. So entstehen offenbar stärkere Lenkimpulse der unerwünschten Sorte als bei der BMW. Federung und Lenkimpuls – da vermischen sich zwei Vorgänge zu einem leichten Nachteil des Gesamtsystems.
Noch mehr Nachdruck bei der Triumph Speed Twin 1200
Insgesamt hinterlässt die Kawasaki Z 900 RS in puncto Fahrwerk jedoch immer noch einen besseren Eindruck als die Triumph Speed Twin 1200. Auch die Unterschiede zwischen diesen beiden sind keinesfalls dramatisch, im direkten Vergleich aber deutlich spürbar. Obwohl sich die Triumph mit der "handlichsten" Fahrwerksgeometrie in den Datenkasten einträgt, will sie mit noch stärkerem Nachdruck in Schräglage gebracht und gehalten werden als die Kawasaki. Bodenwellen kann sie vorn und hinten nicht so gut verarbeiten; Gabel und Federbeine sprechen von den drei Testmotorrädern am wenigsten sensibel an. Das beeinträchtigt den Federungskomfort stärker als die Lenkpräzision. Diese wird nämlich maßgeblich von den Eigenheiten der Serienreifen beeinflusst.
BMW R 12 nineT mit guter Serienbereifung
Die große Triumph Speed Twin 1200 rollt auf Metzeler Racetec RR vom Typ K3. Für ein klassisches Naked Bike eine ungewöhnliche Wahl, denn der Racetec ist ein ambitionierter Rennstreckenreifen, der bei Nässe und kühlen Temperaturen im Alltag noch halbwegs gut funktioniert, seine Bestform aber erst dann erreicht, wenn er auf trockenem, griffigem Asphalt richtig geknetet wird. Und tatsächlich, je engagierter man die Triumph bewegt, je energischer man sie vor der Kurve und in die Kurve hinein zusammenbremst, je schräger man sie legt und je härter man in Schräglage beschleunigt, desto geschmeidiger wird ihr Fahrverhalten.
Lässiges Dahincruisen ist nicht ihre Paradedisziplin. Trotzdem gewinnt die Triumph bei der Reifenfrage das Rückspiel gegen die Kawasaki Z 900 RS. Der Racetec bietet nämlich auf regennasser Fahrbahn – zurückhaltend formuliert – nicht weniger Grip als der Dunlop GPR-300 "J" der Kawasaki, doch bei guten Straßenverhältnissen viel, viel mehr. Zielsicher ausgewählt ist letztlich aber nur die Serienbereifung der BMW R 12 nineT. Der Michelin Road 6 erlaubt sicheres, sportliches Landstraßenfahren bei warmem Wetter, wenn es kühl ist und sogar wenn es regnet. Genau das muss ein Reifen auf solchen Motorrädern können.
Rasch ansprechbare Vorderradbremsen
Mit ähnlicher Verwunderung wie auf die Serienreifen blickt man bei der Triumph Speed Twin 1200 auf die Bremsen. Brembo Stylema M50 werden gewöhnlich an sehr sportliche und höherpreisige Motorräder geschraubt. Die BMW als teuerstes Motorrad des Vergleichs hat dergleichen feine Ware nicht zu bieten. Grundsätzlich einig sind sich die BMW R 12 nineT und die Triumph darüber, wie die Reibpaarung der Vorderradbremse beschaffen sein sollte: rasch ansprechend, mit einem kräftigen Initialbiss, der bei einer Vollbremsung aus höherer Geschwindigkeit nicht nachlässt, aber auch nicht überschießt. So wird eine Bremse präzise dosierbar und gewinnt das Vertrauen des Fahrers.
Seit Antiblockiersysteme bei Motorrädern obligatorisch sind, werden tendenziell schärfere Bremsbeläge eingesetzt, weil die Sturzgefahr durch ein lange blockierendes Vorderrad nahezu ausgeschlossen ist. Kawasaki scheint sich, wie andere japanische Hersteller auch, diesem Trend eher widerstrebend anzuschließen, oder die Entwickler hielten bissige Bremsen bei einem Naked Bike nicht für angebracht. Vielleicht wurde ja auch das ABS sehr defensiv abgestimmt. Wie auch immer, die Bremse der Kawasaki Z 900 RS gibt nicht die klare Rückmeldung, die einen gleichsam am Hebel spüren lässt, wie die Löcher in den Bremsscheiben an den Belägen vorbeistreichen. Wer danach strebt, auf den Punkt statt aufs Ungefähre zu bremsen, wird damit weniger gut bedient.
BMW R12 nineT: neu überarbeiteter Motor
Die Neugestaltung der nineT-Reihe von BMW umfasst nicht nur die Modellbezeichnung und das Fahrwerk. Auch der 1170er-Boxermotor, einer der wenigen heute noch produzierten luftgekühlten Motorradmotoren, wurde überarbeitet. Er erhielt eine größere Airbox, möglich gemacht durch den neuen Rahmen, eine neue Auspuffanlage, und er ist nach Euro 5+ homologiert. Seine Spitzenleistung erreicht er etwas früher als bisher, das maximale Drehmoment dagegen später. Es liegt erst bei 6.500/min an, nur 800/min vor der Spitzenleistung. Entsprechend ihrem längeren Hub und einem kleinen Hubraumplus drückt die Triumph Speed Twin 1200 ihr Drehmoment-Maximum bereits bei ausgeruhten 4.300/min, ihre Drehmomentkurve liegt bis 6.000/min durchgehend über derjenigen der BMW R12 nineT.
In diesen Zahlenwerten manifestiert sich der unterschiedliche Charakter der beiden großen Zweizylinder. Und was die Kurven zeigen, ist beim Fahren zu spüren. Der britische Reihenzweizylinder fühlt sich zwischen 3.000 und 6.000/min am wohlsten, der bayerische Boxer zwischen 4.500 und 7.000/min. Das verhilft der Triumph zwar nicht zu den besseren Durchzugswerten, ihrem Fahrer aber zu mehr Gelassenheit. Der Widerspruch zur Racetec-Bereifung, die nun gerade nicht zur Gelassenheit auffordert, lässt sich gut ertragen. Eile mit Weile – hier passt das alte Sprichwort wieder einmal ganz gut.
Hohe Laufkultur der Triumph Speed Twin
Zur Gelassenheit auf der Triumph Speed Twin 1200 trägt auch ihre hohe Laufkultur bei. Von zwei Ausgleichswellen gebändigt und mit vergleichsweise moderaten Verbrennungsdrücken beaufschlagt, pulsiert der bärige Reihentwin sehr sanft und brummt dazu in tiefen Tönen für den Fahrer gut hörbar, für die Umwelt angenehm leise. Auch der Boxer ist akustisch dezenter geworden als sein Vorgänger. Er verzichtet sogar auf das Anlassgebrüll beim Starten. Mechanisch allerdings ist er weniger zurückhaltend. Beim schnellen Hochdrehen macht sich das Rückdrehmoment des längs eingebauten Kurbeltriebs bemerkbar, und je nach Lastzustand und Drehzahl vibriert der Boxer hier und da eher massierend als pulsierend. Alles in allem aber nicht unsympathisch. Es soll ja Leute geben, die das Laufverhalten der neuesten 1.300er-Boxergeneration als langweilig perfekt empfinden. Ihnen sei der klassische 1170er wärmstens empfohlen.
Naturgemäß schwebt der einzige Vierzylinder des Vergleichs laufkulturell in höheren Sphären. Und weil er im Unterschied zu den wandstärkenoptimierten Hochleistungsvierzylindern nicht mit Material spart, ist ihm auch das hochfrequente, fettreduzierte Kribbeln weitgehend fremd, das diese beim Marsch durchs Drehzahlband hier und dort an den Tag legen. Dank gedämpftem Körperschall bleibt er auch mechanisch sehr leise.
Schnelle Überholvorgänge aus dem Handgelenk mit der Z 900 RS
Es möge bitte niemand die Tatsache, dass er das geringste Drehmoment drückt, dabei aber am meisten Leistung produziert und am höchsten dreht, als Beweis dafür anführen, dass alle Vierzylinder Drehorgeln seien. 222 beziehungsweise 249 cm³ weniger Hubraum als die Zweizylinder sind der Grund dafür, nicht die Zylinderzahl. Immerhin erreicht der Kawasaki-Vierzylinder als Einziger des Vergleichs die immer noch als Referenz geltende Marke von 100 Nm bezogen auf den Liter Hubraum. Wer jetzt zu Recht darauf hinweist, dass man ja mit dem fährt, was da ist, und nicht mit dem, was mit 1000 cm³ da sein könnte, sei trotzdem beruhigt. Es ist allemal genug da für schnelle Überholvorgänge aus dem Handgelenk. Und was tut es, wenn die Kawa dabei einen Gang tiefer unterwegs ist als die beiden Twins? Gar nichts, noch nicht einmal in Sachen Benzinverbrauch. Beim Mitschwimmen im Verkehr ist es sogar eher umgekehrt. Da gleitet die Kawasaki Z 900 RS im Sechsten noch gelassen dahin, wenn die Großkolbenmotoren untertourig unruhig werden.
Der fast schon sprichwörtliche "Dampf aus dem Drehzahlkeller" und schaltfaules Fahren gelten bei vielen immer noch als hohe Tugenden eines Motors, und alle drei Kandidaten sind in dieser Beziehung sehr tugendhaft. Man muss aber von keinem Motor verlangen, die Strecke von Flensburg bis Genua im höchsten Gang zurückzulegen. Die Getriebe aller drei Motorräder lassen sich so leicht und präzise schalten, dass "Schaltarbeit" geradezu zum Vergnügen wird. Vor einer Kurve mehr als zwei Gänge zurückzuschalten wird nur dann nötig, wenn man aus 150 km/h den U-Turn um eine Verkehrsinsel anbremst. Also eigentlich niemals.
Speed Twin 1200: Benutzer-unfreundliche Handhabung
In der 1.000-Punkte-Wertung von MOTORRAD gibt es ein Kriterium namens Handhabung. Die Triumph Speed Twin 1200 würde hier einige Punkte abgezogen bekommen. Zum einen wegen des Ausklapphebels am Seitenständer. Er liegt so dicht unter dem linken Auspuffkrümmer, dass er weder vom Sitz aus mit dem Absatz des Stiefels noch an der Seite des Motorrads stehend mit der Stiefelspitze gut erreichbar ist. Klar, nach einigen Fehltritten kriegt man den Ständer irgendwann herausgehakelt, aber ein so banaler und häufig nötiger Vorgang sollte selbstverständlich und ohne nachzudenken möglich sein. Gut wäre es auch, wenn man die Federvorspannung an den beiden Federbeinen variieren könnte, ohne dafür die Schalldämpfer demontieren oder wenigstens zur Seite drehen zu müssen, weil man sonst den Dorn nicht in seine Aussparung stecken kann. Auch die Lenkerendspiegel sind in Sachen Rücksicht und Einstellmöglichkeit nicht der Bedienfreundlichkeit letzter Schluss.
Die BMW R12 nineT und die Kawasaki Z900 RS vermeiden derartige Nachlässigkeiten, dafür hat das aufpreispflichtige Digitaldisplay der BMW uns nicht zu 100 Prozent überzeugt. Es ist sehr gut ablesbar, keine Frage, doch der Platz für Zusatzinformationen wie Tageskilometer, Uhrzeit, Durchschnittsverbrauch und Ähnliches ist so knapp, dass man sie nur einzeln nacheinander ins Display klicken kann. Was die serienmäßigen Rundinstrumente zu bieten haben, können wir nur anhand eines Fotos auf der BMW-Website erahnen, auf dem sie zu sehen sind.
BMW R 12 nineT mit Bluetooth-Kopplung
Geradezu befremdlich gestaltet sich bei der BMW R 12 nineT das "Benzinmanagement". Statt einer konstanten Anzeige des Benzinstands warnt das Display, wenn der Sprit zur Neige geht. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn die Elektronik nur warnen würde. Stattdessen verbreitet sie zumindest beim ersten Mal leichte Panik, indem sie plötzlich nur noch vier Kilometer Restreichweite anzeigt und diese getreulich weiter herunterzählt. Wer dann schleunigst die nächste Tankstelle anläuft, wird feststellen, dass er nur rund zwölf Liter in den 16-Liter-Tank quetschen kann. Wenigstens verzichtet die Elektronik auf die hämische Anzeige "Ätsch, reingelegt". Das Anzeigesystem der Kawasaki Z900 RS lässt solche Verwirrung nicht aufkommen. Ihre Rundinstrumente passen zum klassischen Design, das kleine Digitaldisplay dazwischen zeigt eine vernünftige Auswahl von Informationen. Rund und bunt präsentiert sich die Kontrollleuchtensammlung in den analogen Rundinstrumenten der Triumph Speed Twin 1200. Auch sie passen zum klassischen Ansatz.
Den Breitband-Anschluss an moderne Zeiten bietet von den dreien nur die BMW, zumindest mit der aufpreispflichtigen "Connected Ride Control" für 290 Euro. Sie ermöglicht die Bluetooth-Koppelung von Smartphone und Bordelektronik. Im Preis enthalten ist eine Smartphone-Halterung; zwei unterschiedliche Ladebuchsen links und rechts vorn unter dem Tank sorgen dafür, dass der Smartphone-Akku nicht leer gesaugt wird. Diesen Service bietet auch die Triumph. Moderne Funktionalität, die heutzutage auch dem klassischsten Motorrad gut zu Gesicht steht.