14-Länder-Tour nach dem Abi: "Muss es denn gleich Marokko sein?"

14-Länder-Tour nach dem Abi mit BMW F 650 GS
„Muss es denn gleich Marokko sein?“

ArtikeldatumVeröffentlicht am 28.12.2025
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Er wollte allein reisen, mit der günstigsten BMW F 650 GS, die er in den Kleinanzeigen finden konnte, sowie einem Zelt für 35 Euro, das vom letzten Trip drei Löcher hatte. Schon als Kind faszinierten ihn Weltreisen, also war klar, dass auch er selbst irgendwann einmal auf große Reise gehen würde.

Seine Tour möchte er zwar ganz sicher nicht als Weltreise bezeichnen, aber 14 Länder zu erkunden und mit dem Motorrad mehr als 16.000 Kilometer in zwölf Wochen zurückzulegen, ist nun wirklich keine gewöhnliche Reise.

Hält die BMW F 650 GS den Trip durch?

Lenny arbeitete schon seit er 15 Jahre war nebenbei, um solch eine besondere Tour finanzieren zu können. Nun, mit 19 Jahren, kurz nach dem Abitur, war er endlich frei und konnte tun und lassen, was er wollte. Hatte aber plötzlich Angst, tatsächlich in seinen Traum hineinzustarten.

Auch glaubte er nicht, dass die Billig-Ausrüstung und das betagte Motorrad durchhalten würden. Er wechselte deshalb vorsorglich alle Verschleißteile an der BMW F 650 GS, die er liebevoll "GS Gerda" nannte, und beantragte – seine Ängste verdrängend und sich frischen Mut zusprechend – einen Reisepass.

Richtung Süden irgendwie

Auf eine elaborierte Reisevorbereitung verzichtete er bewusst. Nur die grobe Route legte er fest: Richtung Süden irgendwie. In jedem Land wollte er zudem den TET (Trans Euro Trail) fahren und überall mindestens eine lokale Spezialität probieren. Mehr nahm er sich nicht vor. Und falls alles gut laufen sollte, könnte er sich vielleicht noch einen weiteren Traum erfüllen: den Wüstensand der Sahara spüren.

Im Oktober 2023 startete er in seiner Heimatstadt Oldenburg und erreichte am ersten Tag die Niederlande. Wie es weiterging, entnehmen wir Lennys ausgesuchten Reise-Notizen:

Lebensmittelvergiftung bei Minusgraden

Die ersten echten Probleme machte ich mir selbst: Statt Wasser zu kaufen, filterte ich es – um Geld zu sparen – aus Flüssen. In Luxemburg wurde mir das zum Verhängnis. Zum Glück durfte ich im Garten eines hilfsbereiten Ehepaars zelten, als mir nachts speiübel wurde.

Zwei Tage lang war ich völlig kraftlos, übergab mich mehrfach und wurde von starken Bauchkrämpfen geplagt – bei null Grad im Zelt. Doch ich überstand diese Härteprobe. Als ich wieder auf dem Motorrad saß, wusste ich: Jetzt hält mich nichts mehr auf!

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Lenny Schmalscheidt

Stürzen gehört dazu

Nachdem ich in Straßburg einen Freund besucht hatte, geschah mir in den französischen Alpen das nächste Missgeschick: Meine BMW F 650 GS und ich schlitterten in einem Kreisverkehr. Dies blieb, neben vielen kleineren Stürzen im Gelände, mein einziger wirklicher Unfall. Mir passierte, abgesehen von ein paar blauen Flecken und Schwellungen, nichts. Nur meine Gerda muss sich bis heute über einen schiefen Sturzbügel und einige Kampfspuren beklagen.

Umgang mit Einsamkeit

Mittlerweile fand ich meinen Reise-Rhythmus. Ich genoss das Wildcampen zunehmend und entdeckte in den französischen Alpen meinen bisher schönsten Ort. Auch die Einsamkeit lernte ich besser zu ertragen. Ich telefonierte täglich mit meinen Liebsten und hörte ansonsten oft Musik, sang mit und hatte – das klingt vielleicht etwas verrückt – dabei manchmal das Gefühl, ein echtes Gespräch zu führen.

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Lenny Schmalscheidt

Und dennoch wurde mir manchmal mulmig, wenn ich so ganz allein unterwegs war. Schließlich konnte jederzeit etwas passieren. Wer würde mir dann aus der Patsche helfen?

Reisefreund Ian

Nach einem aufreibenden ersten Tag in Marokko brauchte ich eine kurze Auszeit und blieb zum ersten Mal freiwillig zwei Tage am selben Campingplatz. Dort traf ich Ian (auf YouTube "One Man One Bike" – dort bin auch ich zu sehen), einen freundlichen und liebenswerten Schotten, 64 Jahre alt, unterwegs mit seiner Suzuki V-Strom 1000 nach Gambia. Er war gerade in Marokko angekommen, und wir verbrachten den Abend zusammen. Am nächsten Tag fuhren wir gemeinsam östlich an der Küste entlang, und wow, was für eine Route!

Lange und enge Kurven, Geraden mit Panoramablick, ständige Berg- und Talfahrten und immer die felsige Küste im Visier. Die Straßenverhältnisse waren erstaunlich gut, das Wetter perfekt – mein Marokko-Trip konnte nun endlich richtig starten. Ian und ich trennten uns zunächst, da wir unterschiedliche Ziele anvisiert hatten.

Fahren im Saharasand

Endlich wollte ich die echte Sahara erleben – mein großer Traum der Reise. Auf dem Weg nach Merzouga sah ich zunächst nur endlose Steinwüste, bis sich plötzlich eine gewaltige Düne vor mir auftat – ein atemberaubender Anblick. Am Rande der Dünen, im Schatten einer Palme, traf ich wie verabredet Ian wieder.

Zum ersten Mal spürte ich den feinen, weichen Sand der Sahara unter meinen Füßen. Ich erklomm die höchste Düne und erlebte einen der schönsten Sonnenuntergänge meines Lebens. Auch die Nacht war spektakulär – selten zuvor hatte ich einen so klaren Sternenhimmel gesehen. Endlich hatte ich meinen Traum verwirklicht!

Seltsamer Nachtbesuch

Wiedervereint mit Ian, verbrachten wir die nächsten Tage an einem idyllischen See und erholten uns vom Reisen. Trotz Urlaub: Es war doch oft anstrengend. Selbst die Nächte blieben abenteuerlich.

In einer besonders stillen Nacht im Zelt hörte ich plötzlich ein eigenartiges Brüllen, ähnlich dem der pelzigen Banthas aus der Filmreihe "Star Wars". Dann schlurfende Schritte, immer näher kommend – und schließlich minutenlanges Pinkeln, gefühlt einen Meter neben meinem Kopf. "Gefährliche Tiere gibt es hier doch nicht?", dachte ich. Vorsichtig spähte ich hinaus: Kamele! Eine wilde Herde von 17 Tieren streifte um unsere Zelte.

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Lenny Schmalscheidt

Auch Ian lugte heraus, und wie ich empfand auch er Ehrfurcht, Erstaunen und Faszination. Doch so magisch dieser Moment war, so nervig waren die darauffolgenden Stunden, denn die Kamele scheuten sich nicht, direkt neben unseren Zelten ihr Geschäft zu erledigen.

Die Haufen am nächsten Morgen hätte keine europäische Toilette bewältigen können. Doch wir mochten "unsere" Kamelherde, die auch an den Folgetagen wieder vorbeikam. Und zu meiner Freude entdeckte ich am See sogar Schildkröten – tierische Highlights dieser Reise!

Treffen mit meinen Eltern

Ich verließ den Atlas und erreichte Marrakesch, wohin meine Eltern extra für ein Treffen mit mir geflogen waren. Gemeinsam verbrachten wir dort und in der Küstenstadt Essaouira schöne Tage. Es tat gut, meine Liebsten zu sehen.

Doch durch die familiäre Zusammenkunft und dadurch auch viele Gedanken an zu Hause wuchs der Wunsch, in mein normales Leben zurückzukehren. Die Auszeit nach dem Abiturstress und die neue Freiheit waren zwar wohltuend, dennoch vermisste ich es, produktiv zu sein. So bewarb ich mich noch aus Marrakesch auf Studienplätze in Deutschland.

Nachdem meine Eltern abgereist waren, fuhr ich an der Westküste gen Norden. Richtung Heimat. Bei einer Pause sprach mich Said an, ein Marokkaner mit sehr guten Deutschkenntnissen. Wir stehen bis heute in Kontakt – eine dieser kleinen Begegnungen, die eine Reise lange nachwirken lassen.

Kurze Unterbrechung

Wieder zurück in Europa und in Barcelona angekommen, ließ ich Motorrad und Gepäck dort zurück und flog nach Deutschland. Weihnachten und Silvester allein in einem Zelt in Spanien zu verbringen, reizte mich wenig.

Nach zehn wunderbaren Tagen in der Heimat und emotionalem Wiedersehen landete ich wieder in Barcelona und sah meine GS Gerda wieder. Da wurde mir klar, dass ich noch nie so eine enge Bindung zu einem Gegenstand entwickelt hatte wie zu diesem Motorrad. Zum Glück sollte die Reise noch viele, viele Kilometer weitergehen, nach Frankreich und Italien und dann erst wieder Richtung Oldenburg.

Alpencross im Januar

Nach einer Nacht in Turin mit bester Pizza verließ ich Italien wieder westlich und fuhr durch die Alpen nach Frankreich. Vorbei am Mont Blanc sank die Temperatur nachts auf minus zehn Grad, tagsüber lag sie bei zwei bis drei Grad.

Täglich brauchte ich über eine halbe Stunde, um mich anzuziehen, denn ich trug nahezu alles, was ich dabeihatte, um der Kälte zu trotzen. Trotz fünf Paar Socken übereinander fror ich wie nie zuvor. Abends deckte ich mein Motorrad mit einer Wärmedecke ab, um die Motorwärme möglichst lange zu halten und die Batterie zu schonen.

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Lenny Schmalscheidt

Die kurvigen Strecken, die ich sonst enthusiastisch gefahren wäre, nahm ich oft im Schritttempo und genoss so umso mehr die Aussicht. In der Schweiz verbrachte ich eine Nacht; Liechtenstein durchquerte ich in weniger als einer Stunde und war bald in Österreich. Doch wärmer wurde es nicht.

Eigentlich wollte ich noch einige Tage bleiben, doch umso näher ich der Heimat kam, umso stärker zog es mich dorthin. Nicht zuletzt auch wegen der Kälte …

Stilllegung bei Stuttgart

Nach einer Tour durch München und einer Nacht bei der Familie in Augsburg lagen noch 800 Kilometer vor mir. Ich wollte es an diesem Tag nach Hause schaffen, aber so viele Kilometer am Stück war ich noch nie gefahren.

Anfangs lief es auf der BAB so gut, dass ich sogar ausnahmsweise teures Raststättenbenzin kaufte. Doch meine Reise fand ein abruptes Ende. Na ja, nicht ganz abrupt. Immerhin lotste mich das aufblinkende "Polizei – Bitte folgen" noch bis zur nächsten Abfahrt.

Die F 650 GS hatte es hinter sich: die hinteren Bremsbeläge komplett runter, triefende Gabel, verschlissene Kette und ein Zusatzscheinwerfer ohne E-Nummer. So stand ich bei Eiseskälte mit einem stillgelegten Motorrad irgendwo bei Stuttgart. Die Polizisten hatten Mitleid und brachten mich im Streifenwagen zu einem Gasthaus – ein weiteres kleines Highlight dieser Reise.

Schließlich blieb mir nichts anderes übrig, als meine Eltern an einem Sonntagnachmittag zu bitten, mit Anhänger 600 Kilometer anzureisen. Die Begeisterung war verständlich gering, aber sie kamen. Und weil ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist, wurde mir erneut klar, was für großartige Eltern ich habe.

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Lenny Schmalscheidt



Im Auto, meine Gerda hinten auf dem Anhänger, hatte ich Zeit, die vergangenen Monate Revue passieren zu lassen. Ich empfand es als unfair, meine dreimonatige Reise so enden zu lassen. Doch ohne hintere Bremsbeläge und mit stark abgenutzter Kette hätte auf der Autobahn leicht etwas Schlimmes passieren können.

Der Vermieter des Anhängers sagte zu meinen Eltern, dass das Erscheinen der Polizei ein Zeichen Allahs gewesen sei, um mich vor einem Unfall zu bewahren. Aber was mein Fahrlehrer sagte, als ich ihm davon und allen anderen Strapazen erzählte, traf es am besten: "Langweilig kann jeder."

Fazit