Kawasaki Ninja ZX-4RR: Erlebnis mit 15.000 Touren

Kawasaki Ninja ZX-4RR im Rennstreckentest
15.000 Touren - Hohe Drehzahlen für höchste Gefühle

Zuletzt aktualisiert am 05.10.2023

Vierzylinder mit kleinem Hubraum und aberwitzigen Drehvermögen, das gab es in den 1990er-Jahren schon einmal. Was Maschinen wie der Kawa ZXR 400 damals den Garaus machte, waren die Kosten. In Herstellung und Entwicklung kein bisschen günstiger als voluminöse Motoren mit Dampf aus der Mitte kaufte die kleinen Drehorgeln damals keiner mehr. Zumindest nicht in Europa, wohin einige der spaßigen 400er zum Schluss nicht einmal mehr importiert wurden.

Kawasaki ZX4-RR

Kawasaki wagt mit der neuen ZX-4RR einen mutigen Neuanfang dieser Geschichte und bietet wieder so einen exotischen Pocket-Racer an. Die Eckdaten: 399 Kubik, 77 PS (80 mit Ram-Air), 189 Kilogramm und knapp 15.000 Touren maximales Drehvermögen zum Preis von 9.595 Euro plus 400 Euro Nebenkosten. Wie das fährt, konnte MOTORRAD fünf Turns lang auf der spanischen Rennstrecke Calafat ausprobieren. Serienmäßig kommt die Maschine zwar mit Dunlop GPR-300-Bereifung anstatt des gezielt für die Präsentationsfahrten montierten Pirelli Rosso III (120/20 und 160/60 auf 4,5-Zoll-Felge), ansonsten befindet sich die ZX-4RR aber mit Ausnahme des straßenzugelassenen Akrapovic-Endschalldämpfers im Serienzustand – inklusive Blinker, Spiegel und Kennzeichenträger.

Kleines Krad für große Leute

Erwartungsgemäß fällt die Sitzposition auf der Ninja nicht zu sportiv aus, das Arrangement aus niedriger Sitzhöhe, relativ hoch angebrachten Lenkerstummeln und recht tiefen Fußrasten ergibt hohe Alltagstauglichkeit und rückt zierlichere Fahrer und Fahrerinnen in den Fokus. Für Menschen über 100 kg ist die schlanke ZX-4RR eher ungeeignet. Sportliche Personen kommen bei einer Körpergröße über 180 cm mit der kommoden Ergonomie der Kawa und dem begrenzten Platzangebot zurecht. Vor allem deshalb, weil sofort die zwei fabelhaftesten Eigenschaften der Ninja in den Vordergrund drängen, nämlich ihr unvergleichlich toller Motor und ihr sagenhaft spritziges Handling.

Neuer Motor der 4er-Ninja

Der 399-Kubik-Reihenvierzylinder erwacht zwei Augenblicke nach Knopfdruck zum Leben und läuft direkt kuschelweich, völlig vibrationsfrei und leise. Daran ändert sich grundsätzlich nichts, wenn er sich durch Drehzahlband arbeitet. Unter 10.000/min geht wahrlich nicht viel, bis 12.000/min dann schon mehr und darüber hinaus knallt er den 15.000 Touren entgegen wie eine schlanke Peitsche – zack!

Vierzylinder alter Schule

Es drängt sich der Vergleich mit dem ebenfalls sehr drehfreudigen Motor einer Yamaha R6 auf: Beide Motoren sind lupenreine Drehorgeln, aber der Vierhunderter läuft sensationell smooth. Gegenüber dem Yamaha-Sechshunderter fehlt dem kleineren Kawa-Vierer zwar schon auf dem Papier einiges an Leistung, aber für den Fahrspaß ist das irrelevant. Wenn die ZX-4RR zwischen 12.000/min und knapp 15.000/min orgelt, jubiliert man unterm Helm – es macht einfach Laune!

Devise: Schwung halten

Calafat ist eine mittelschnelle Strecke mit vornehmlich kurzen Geraden und eng aufeinanderfolgenden Kurven. Man muss die Kawa also immer im fünfstelligen Drehzahlbereich halten, damit die Anschlüsse der verschiedenen Sektionen passen. Wenn das gelingt, huscht die ZX-4RR mit begeisternder Leichtfüßigkeit von Kurve zu Kurve und wird dabei unterstützt von einem astreinen Quickshifter mit Blipperfunktion. Wer das Leistungsfenster der Ninja nicht genau trifft, verhungert. Die Aufgabe besteht also darin, den Schwung nicht zu verlieren und die Linie sauber zu treffen.

Einfach schnell fahren können

Glücklicherweise macht es die 400er ihrem Piloten einfach. Trotz ihres im unteren Bereich eher breiten Tanks wirkt sie insgesamt schmal wie ein Pfeil und lässt sich mit verwegenen Geschwindigkeiten in die Kurven steuern. Darin besteht eine ihrer größten Stärken auf der Rennstrecke – ihr hoher Kurveneingangsspeed. In der Kurve selbst liegt sie stabil, lässt sich problemlos auf engere Linien dirigieren und legt beim Kurvenwechsel um wie ein Derwisch. Spritzig ist sie, die ZX-4RR – haarscharf an der Grenze zur Kippeligkeit.

Fahrwerk darf straffer sein

Was das Fahrwerk betrifft, dämpfen vorn wie hinten Komponenten von Showa. Während sich die Einstellmöglichkeiten der sogenannten SFF-BP-Gabel auf die Vorspannung beschränkt, kann man am BFRC-Lite-Stoßdämpfer Zug- und Druckstufe anpassen. Speziell die Front der Kawa steht im Verdacht, ganz ordentlich anzusprechen. Genau sagen lässt sich das auf einer weitestgehend topfebenen Rennstrecke aber nicht. Fest steht, dass sie etwas straffer abgestimmt sein dürfte. Obwohl die Front recht soft ist, fällt das Gefühl fürs Vorderrad okay aus. Beim Federbein verhält es sich andersherum – es ist straffer abgestimmt als die Gabel, spricht allerdings etwas hölzern an. Wer zukünftig mit einer ZX-4RR ernsthaft schnell auf abgesperrter Strecke fahren möchte, sollte wohl in ein Fahrwerks-Upgrade investieren. Und danach in eine höhere Rastenanlage, denn die originalen Teile sitzen für harte Manöver und tiefe Schräglagen doch etwas zu weit unten und können aufsetzen.

Altes Konzept mit neuer Technik

Weitere Beobachtungen betreffen die Bremse beziehungsweise die Elektronik und das ABS. Die Ninja ZX-4RR verfügt über ein ordentliches LCD-Cockpit mit Bluetooth-Konnektivität, vier Fahrmodi (Rider, Sport, Road, Rain) sowie eine einfache Traktionskontrolle mit drei Stufen (sie ist zudem abschaltbar). "Einfach" deshalb, da die Elektronik nicht auf eine IMU-Schräglagensensorik zurückgreift, sondern etwas rudimentärer mit Parametern wie Abgleich der Raddrehzahlen, Motordrehzahl, gefahrene Geschwindigkeit, Gangstufe usw. arbeitet.

Traktionskontrolle zu defensiv

Für die Traktionskontrolle bedeutet das: Wenn man flott auf der Rennstrecke fahren möchte, sind die Stufen zwei und drei zu defensiv. Auf Stufe eins regelt die TC dafür recht fein und spät genug für einen zornigen Ritt mit Straßenreifen. Beim ABS müssen versierte Fahrer und wilde Spätbremser aber zu rigorosen Methoden greifen. Da es auf der Rennstrecke zu früh interveniert und man es nicht elektronisch einstellen oder abschalten kann, hilft nur, die Sicherung zu ziehen. Danach bleibt eine Bremse, die mechanisch klasse dosierbar ist und kräftig zupackt; so kann man mit der ZX-4RR in Calafat regelrecht gemein in die Kurven stechen – wie bereits erwähnt eine große Stärke der quietschvergnüglichen 400er.