Rennstreckenvergleich: Ducati-Superbike gegen STW-Audi
Hase und Igel

Sie könnten unterschiedlicher kaum sein, Andy Meklaus Superbike-Ducati und der Audi A4 quattro von Christian Abt. Aber ihre Rundenzeiten sind fast gleich.

Aus der Zielkurve in Hockenheim beschleunigt Andreas Meklau seine Ducati 996 voll und zieht souverän, gar ein freudiges Wheelie andeutend, an einem ungewöhnlichen Gegner vorbei, an Christian Abt in seinem Audi A 4 quattro. Sehr zur Gaudi der bei diesem freundlichen Streit der Motorsportwelten anwesenden Zweirad-Fraktion.
Etwas verwundert reagierte Meklaus Crew allerdings, als ihr Held am Ende der gemeinsam in scharfem Renntempo gefahrenen Runde auf dem kleinen Kurs erneut aus dem Windschatten des gelben Audi die Zielgerade in Angriff nehmen muss. Wo büßt der Weltklasse-Superbiker die Zeit auf den deutschen Supertourenwagen-Meister ein, obwohl die Duc das Auto um 30 km/h ausbeschleunigt? Während meklau mit 238 km/h auf die Nordkurve zudonnert, hinkt Abts Allrad-Renner mit 208 km/h deutlich hinterher.
Vor dem Rechtsknick kommt das Auto dann aber gewaltig. Die Erklärung beschreibt Andy Meklau, der inzwischen mit Christian Abt, zu Beginn seines Motorsportlebens als Moto Crosser aktiv, Renngerät und Anzug getauscht hat: »Es ist immer wieder unglaublich, wie ein Rennauto bremst. Du kannst den vom Motorrad her vertrauten Bremspunkt vor der Kurve problemlos überfahren und wirfst erst rund 80 Meter später den Anker, dafür aber ganz brutal. Wenn du am Kurvenausgang aufs Gas gehst, passiert dagegen nicht so viel.«
Tatsächlich sind es weniger die 309 PS des Zwei-Liter-Vierzylindermotors, die bereits bei vom STW-Reglement beschränkten recht zivilen 8250/min vollzählig versammelt sind, sondern die mächtigen Bremsen, welche den nicht unerheblichen Topspeed-Nachteil des Renntourenwagens gegenüber dem Superbike in heiße Luft auflösen. An der Vorderachse des Abt-A4 arbeiten zwei innenbelüftete Stahlscheiben mit 380 Millimeter Durchmesser und Achtkolbensätteln. Und die 330er-Scheiben mit Vierkolben-Sättel, die hinten bei der Verzögerung des Audi mithelfen, würden dem Vorderrad jeder supersportlichen Straßenmaschine zur Ehre gereichen. Darüberhinaus erhöht eine spezielle Wasserkühlung den Wirkungsgrad der Audi-Bremsanlage noch weiter.
Die zwei 320er-Scheiben im Ducati-Vorderrad mit radial verankerten Vierkolbensätteln – das Feinste, was der Bremsengigant Brembo für Rennmotorräder derzeit anbietet – wirken zusammen mit der 200er-Scheibe mit Doppelkolben hinten dagegen doch ziemlich schüchtern. Obwohl Andy Meklau mit den italienischen Zangen nach der Zielgeraden in Hockenheim immerhin mit 11,2 m/s² verzögert – für Nichtrennfahrer gelten bereits 9,8 m/s² als Idealwert.
Fast unglaubliche 15,7 m/s² hindern an dieser Stelle aber die vier Antriebsräder des Audi am unkontrollierten Vorwärtsdrang. Auch nach dem Bremsvorgang ist der Vorteil des Autos noch nicht vorbei. Mit 145 km/h ist der Audi in der leicht überhöhten Nordkurve um genau 15 km/h schneller als die Ducati. Dieser Unterschied jedoch beruht eher auf Naturgesetzen denn auf besonders elaborierter Technik. Vier 210 Millimeter breite Slick-Reifen auf 8,2x19-Zoll-Rädern tun sich mit der Übertragung der Querbeschleunigung wesentlich leichter als die Motorrad-Gummis im Format 120/65 x 17 vorn und 180/55 x 17 hinten.
Genauso beeindruckt wie Andy Meklau von den Stoppern des Audi war allerdings auch Auto-Profi Abt nach seinem Ritt von der Beschleunigung des ihm fremden Vehikels Superbike: »Wenn du den Gasgriff auch nur berührst, steigt ja schon das Vorderrad, ganz egal, in welchem Gang du gerade bist. Dabei war ich beim Schalten noch 2000 bis 3000 Touren vom roten Bereich entfernt. Die Motorrad-Rennfahrer müssen komplett wahnsinnig sein.«
Dieses Spiel – das Auto gewinnt das Bremsduell um Längen und wird anschließend beim Beschleunigen vom Superbike ausgepowert – wiederholt sich in jeder Ecke der Strecke. Selbst an besonders krassen Stellen wie etwa der Ameisenkurve, wo der Audi mit 13,7 m/s² gegenüber 7,7 m/s² der Duc fast die doppelte Bremsleistung zeigt, reicht die Beschleunigungsphase dem Superbike aus, um die Lücke wieder zu schließen.
Rund 170 PS bei 162 Kilogramm Leergewicht der Ducati stehen den 309 Pferden des ohne Fahrer und Platzierungsgewichten 1070 Kilo schweren Audi gegenüber. Mit der Konsequenz, dass der schwere Audi-Wagen allein bei der klassischen Übung von 0 auf 100 km/h mit 5,0 Sekunden fast zweieinhalb Sekunden gegenüber der Ducati verbummelt.
Das Ergebnis der völlig entgegengesetzten Fahrdynamiken von Superbike und Supertourenwagen überrascht am Ende der Runde auf dem kleinen Kurs in Hockenheim dann umso mehr. Weniger als eine Sekunde liegen die Rundenzeiten auseinander. Während Andy Meklau sein Ersatzmotorrad – das Nummer eins-Bike mit dem allerjüngsten Stand Bologneser Renntechnik war am Tage unseres Zwei-plus-vier-Termins auf dem Rückweg von Superbike-WM-Finale in Japan – in 1.05,7 min um die Strecke trieb, fuhr Christian Abt im Audi 1.04,9 min. Damit realisierte der STW-Champion genau die Zeit, die den deutschen Pro Superbike-Meister Christer Lindholm auf Yamaha im Mai auf die Pole Positon gebracht hat.
Der Kampf zwischen barchialer Bremsleistung und überlegener Beschleunigung endet also weitgehend unentschieden. Der wesentliche Unterschied liegt in der Art, wie es passiert: mit Hilfe der Hammerbremsanlage, da waren sich Superbike-Reiter Meklau und Tourenwagen-Held Abt durchaus einig, im Abt-Audi alles etwas weniger spektakulär.

Unsere Highlights

Technische Daten Abt-Audi A4 quattro-STW -

Motor: Vierzylinder-Reihenmotor, Kurbelwelle längsliegend, zwei obenliegende Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, elektronische Benzin-Einspritzung, Bohrung x Hub 85 x 88 mm, Hubraum 1998 cm³, Leistung 227 kW (309 PS) bei 8250/min, maximales Drehmoment 225 Nm bei 7000/minKraftübertragung: Permanenter Allradantrieb mit mechanischen Differenzialen, SechsganggetriebeFahrwerk: vorn und hinten Einzelradaufhängung an doppelten Dreieckslenkern, mechanisch verstellbare Stabilisatoren, GasdruckstoßdämpferBremsen: Scheiben rundum, innenbelüftet, geschlitzt und wassergekühlt, Durchmesser vorn/hinten 380/330 mm, mit Acht- bzw. Vierkolbensättel, Reifen vorn/hinten 21/65-19 auf 8,2-Zoll-Magensium-FelgenMaße und Gewichte: Länge x Breite x Höhe 4479 x 1753 x 1311 mm, Tankvolumen 100 Liter, Leergewicht 1070 kg, Leistungsgewicht 3,5 kg/PSFahrleistungen: 0 – 100 km/h rund 5,0 Sekunden (je nach Übersetzung), Höchstgeschwindigkeit 260 km/h

Technische Daten Ducati 996 SPS -

Motor: 90-Grad-V-Zweizylinder-Motor, Kurbelwelle querliegend, je zwei obenliegende Nockenwelle, vier Ventile pro Zylinder, elektronische Magnetti-Marelli-Benzineinspritzung, Bohrung x Hub 98 x 66 mm, Hubraum 996 cm³, Leistung 170 PS bei 12200/min, Drehmoment keine Angabe Kraftübertragung: Primärtrieb über Zahnräder, Sechsganggetriebe, O-Ring-KetteFahrwerk: Gitterrohrahmen aus Stahlrohr, Motor mittragend, Öhlins-Upside-down-Gabel, Magensium-Einarmschwinge, Öhlins-FederbeinBremsen: Brembo-Scheibenbremsen, Durchmesser vorn/hinten 320/290 mm, Vier- bzw. IZweikolbensättelReifen: Michelin 12/65-17 auf 3,5-Zoll-Felgen vorn, hinten je nach Strecke 18/55-16,5, 19/50-16,5, 19,5/50-16,5, 18/55-17, 19/55-17, 19,5-17 auf Felgen 5,75 bis 6,25Maße und Gewichte: Länge x Breite x Höhe 2030 x 685 x 1080 mm, Radstand 1430 mm, Tankvolumen 24 Liter, Leergewicht 162 kg, Leistunsgewicht 0,95 kg/PSFahrleistungen: 0 – 100 km/h 2,6 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 306 km/h

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023