Im Sommer 2019 wird die neue Elektrokleinstfahrzeuge Verordnung, auch E-Scooter Gesetz genannt, in Kraft treten. Dann werden Hersteller und Verbraucher konkret wissen, wie ein E-Scooter beschaffen sein muss, damit er in Deutschland ein Versicherungskennzeichen bekommt. Wir widmen uns in diesem Artikel den Einsatzbereichen von E-Tretrollern, der Abgrenzung zu E-Bikes, dem im E-Scooter-Bereich überschätzten Thema Reichweite, dem unterschätzten Thema des Verletzungspotenzials sowie der Einschätzung der Marktentwicklung.
Einsatzbereiche von E-Scootern
Zum einen sind es natürlich die Pendler, mit denen die E-Scooter-Hersteller rechnen. Vor allem mit Modellen, die zusammengeklappt ein einigermaßen S-Bahn-verträgliches Packmaß bieten und nicht allzu schwer sind. Beispiel: Wenn zwischen Haltestelle und Arbeitsstelle ein Kilometer liegt, dann bedeutet das in der Regel: 15 – 20 Minuten Fußweg. Oder Bus fahren. Mit einem E-Scooter kann man sich den Bus sparen und den Fußweg verkürzen. Umgekehrt ist man natürlich auch am Ende eines Arbeitstages flexibler. Man muss nicht mehr 20 Minuten im Voraus planen, welche S-Bahn man nimmt, die Entscheidung kann viel spontaner fallen, weil der Weg zum Zug nur wenige Minuten dauert. Fällt eine Bahn im Nahverkehr aus, kann man mit einem E-Scooter auch mal eine Haltestelle umfahren. Oder zur nächstgelegenen alternativen (Straßen-)Bahnlinie fahren und umsteigen.
Unterschied zum E-Bike
Klar, Fahrradfahren ist auch eine Möglichkeit. Doch da grenzen sich die E-Scooter deutlich ab. Wer aufs Fahrrad oder E-Bike umsteigt, legt als Pendler in der Regel den kompletten Weg zur Arbeit pedalierend zurück. Zwischendurch in ein öffentliches Verkehrsmittel steigen ist in den meisten Städten zu den Hauptverkehrszeiten aus Platzgründen gar nicht möglich und noch dazu meistens verboten. „Außerdem benötigt ein Fahrrad auch zuhause mehr Platz als die meisten E-Scooter. Ich zum Beispiel habe kein Fahrrad, weil ich gar nicht wüsste wohin damit. Draußen würde ich es nicht rumstehen lassen wolle“, ergänzt Dominik Neyer, Marketingverantwortlicher vom E-Scooter Start-Up Yorks.

Ein ganz anderes Konzept als die „Last-Mile“ bedient der BMW X2City, den wir bereits testeten.
E-Scooter für Camper
Wer mit dem Wohnmobil oder dem Caravan unterwegs ist, kann entweder ganz luxuriös einen Motorroller oder gar Kleinwagen transportieren, oder er schnallt sich die Fahrräder oder E-Bikes ans Heck. Der E-Scooter könnte in dem Fall eine unkomplizierte Ergänzung oder gar eine platzsparende Alternative werden. Vom Wohnwagen zum Bäcker, vom Wohnmobil zum Strand oder auf großen Campingplätzen auch mit dem Duschzeug zum Badehäuschen – alles prädestinierte Einsatzgebiete für die Elektro-Tretroller. Die E-Scooter-Hersteller sehen hier auf jeden Fall großes Marktpotenzial.
Reichweite ist nicht entscheidend
Die Relevanz der Reichweite wird bei E-Scootern derzeit noch überschätzt, so die Meinung mancher Hersteller, Produkttester und Experten. Der Verbraucher kennt die so elementare Thematik der Elektromobilität hauptsächlich vom E-Bike – und da können wenige Kilometer mehr oder weniger entscheidend sein. Durch Einsatzgebiet und Distanz heben sich die E-Scooter aber deutlich von den E-Bikes ab: Bei den E-Tretrollern geht es vorwiegend um Wegstrecken im einstelligen Kilometerbereich. Klar, seltener Laden ist besser. Aber ein paar Kilometer hin oder her sind bei einem E-Scooter lange nicht so ausschlaggebend, wie bei einem E-Bike.
Pro / Contra 25 km/h-Grenze
„25 km/h erlaubte Maximalgeschwindigkeit wäre für uns das Optimum gewesen, um im Verkehr einigermaßen mitfließen zu können“, sagt Dominik Neyer von York. Dass der derzeitige Entwurf für die Elektrokleinstfahrzeugeverordnung nur 20 km/h als erlaubte Spitze vorsieht hat sicher etwas mit der damit verbunden Helmpflicht und den Interessen der großen E-Scooter-Sharinganbieter zu tun, so lauten einige Stimmen aus der Branche. Da der gemeine Städter nicht immer auf Verdacht einen Fahrradhelm mit sich herumträgt, müssten die E-Scooter-Verleiher die nötigen Helme bereitstellen – und das wäre ein riesen Aufwand.
Welche Bußgelder der aktuelle Entwurf der Elektrokleinstfahrzeugeverordnung vorsieht, lest ihr hier.
Unfall- und Verletzungsgefahren
Die E-Scooter sind eine neue Fahrzeugklasse, Fahrpraxis haben die wenigstens. Es schaut kinderleicht aus, wenn jemand auf einem dieser E-Tretroller vorbeifährt. Aber 20 km/h sind nicht zu unterschätzen. Auch vor dem Hintergrund, dass Fahrstabilität, vor allem beim Bremsen, mit diesen kleinen Fahrzeugen und den nicht allzu großen Rädern keine Selbstverständlichkeit sind.
In den Städten und Gemeinden der USA und auch in Europa sind mit Einführung der zahlreichen Sharing-Scooter die typischen Kopf- und Sprunggelenksverletzungen exponentiell angestiegen, so die Aussagen diverser Notaufnahmen. Auch wenn keine Helmpflicht besteht, ist ein Helm also dringend zu empfehlen, das gleiche gilt für festes Schuhwerk.
Unsicherheitsfaktor elektrische Bremse

Der derzeitig aktuellste Referentenentwurf zum E-Scooter-Gesetz sieht vor, dass das „Elektrokleinstfahrzeug“ mit „zwei voneinander unabhängigen Bremsen“ ausgestattet ist. Das ist vor allem deshalb sinnvoll und äußerst sicherheitsrelevant, weil viele E-Tretroller mit elektrischen Vorderbremsen anrollen. Das kann im Ernstfall bedeuten, dass die vordere Bremse ausfällt – nämlich dann, wenn der Akku leer ist. Je nach Modell müssen die vorgeschriebenen 44 Prozent der Bremswirkung dann von einer Scheibenbremse am Hinterrad gestemmt werden oder gar nur von einer Schutzblechbremse – was nichts anderes ist, als das per Fußkraft auf den Hinterreifen gedrückte Schutzblech.
Größte Herausforderung Kabelbruch
Konstruktionsseitig liegt die größte Herausforderung für die E-Scooter-Hersteller im Bereich des Klappmechanismus. An dieser Stelle verlaufen sämtliche Kabel, die einiges aushalten müssen, wenn der E-Scooter regelmäßig zusammen und wieder auseinander geklappt wird. Kabelbruch ist auch der häufigste Grund bei der Reklamation eines E-Scooters.
Einschätzung E-Scooter-Marktentwicklung
Seit 1,5 Jahren ist das Start-Up Yorks am Entwickeln, Entwerfen und Testfahren. Die aktuellen Prototypen ihres E-Scooters sind ziemlich ausgereift und haben schon ein paar tausend Kilometer drauf. Yorks s1-elite heißt der E-Tretroller des Sindelfinger Start-Ups, der im Frühjahr 2020 auf den Markt kommt. Ob sie da nicht den wichtigen Einsatz verpassen, wenn diesen Sommer die neue Elektrokleinstfahrzeugeverordnung in Kraft tritt, haben wir gefragt.

Den Einsatz verpassen sie, ja, aber dramatisch wird das nicht sein, so die Einschätzung vom Marketingverantwortlichen Dominik Neyer. „Uns ist ein hoher Wiedererkennungswert wichtig, außerdem wollen wir unsere eigenen, hohen Sicherheitsanforderungen und Qualitätsstandards erfüllen. Das kostet Zeit, aber das ist es uns wert.“
Außerdem gibt es noch viele Menschen, die sich jetzt, wenn im Sommer 2019 das E-Scooter-Gesetz endlich in Kraft tritt, die ganze Sache erst mal anschauen. Ein paar Monate später, also im Herbst, ist die Saison für die Masse dann auch schon rum. „Der Markt wird groß genug sein und ab dem Frühjahr 2020 erst so richtig durchstarten“, ist sich Dominik Neyer sicher.
Varianz auf dem E-Scooter-Markt
Die fünf Jungs von Yorks beobachten den Markt sehr aufmerksam. Und da fällt mit ein bisschen Erfahrung schnell auf, dass derzeit neue Modelle oft nur Abwandlungen von bereits Bekanntem sind. „Ah, wieder ein neues Modell. Ah, wieder die gleichen Bauteile aus der gleichen Fabrik. Das sehen wir häufig.“ So viel Varianz, wie es auf den ersten Blick scheint, gibt der Markt vielleicht doch noch nicht her. Aber das wird sich in absehbarer Zeit ändern, denn der Einsatzbereich der Elektro-Tretroller ist vielseitig.